OGH 1Ob21/94

OGH1Ob21/9430.5.1994

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Schubert als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Schlosser, Dr.Schiemer, Dr.Gerstenecker und Dr.Rohrer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei F*****-Gesellschaft mbH, ***** vertreten durch Dr.Michael Graff und Mag.Werner Suppan, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1, Singerstraße 17-19, wegen 96.514,23 S sA, infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 7.Dezember 1993, GZ 12 R 53/93-13, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Linz vom 22.Juli 1993, GZ 1 Cg 10/93y-7, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der außerordentlichen Revision wird Folge gegeben. Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben und dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Die klagende Partei als Medieninhaberin und Verlegerin einer Wochenzeitung machte im Verfahren AZ 38 Cg 192/89 des Handelsgerichtes Wien (im folgenden Anlaßverfahren) Wettbewerbsverstöße nach § 1 des (szt) ZugabenG gegen die dort erstbeklagte Aktiengesellschaft als Herausgeberin und Medieninhaberin einer Tageszeitung, die zweitbeklagte Kommanditgesellschaft als Verlegerin dieser Tageszeitung, die drittbeklagte Gesellschaft mbH als Komplementärin der zweitbeklagten Partei, die viertbeklagte Kommanditgesellschaft als Vertriebsgesellschaft dieser Tageszeitung und die fünftbeklagte Gesellschaft mbH als Komplementärin der viertbeklagten Partei und daraus resultierende Unterlassungsansprüche, zuletzt wegen des Ankündigens und Gewährens von Gratisgaben (in concreto Wanderkarten) im Zusammenhang mit dem Verkauf dieser Tageszeitung geltend. Im vorweg dazu eingeleiteten Provisorialverfahren bejahte der Erstrichter in der Begründung seiner einstweiligen Verfügung auch eine Haftung der viert- und fünftbeklagten Partei - nur deren Mithaftung ist jetzt im Amtshaftungsverfahren von Belang - weil die viertbeklagte Partei nicht bloß Beförderer, sondern Händler der Tageszeitung sei. In der Beantwortung des Rekurses der dort beklagten Parteien trug die klagende Partei ergänzend vor (ON 6 AS 47 im Anlaßverfahren), Mag.Michael G***** sei Vorstandsmitglied der erstbeklagten Partei und Geschäftsführer aller anderen beklagten Parteien, sodaß alles, was er als geschäftsführendes Organ einer beklagten Partei über eine wettbewerbswidrige Vertriebspraxis wisse, auch allen anderen beklagten Parteien als Wissen zuzurechnen sei. Im Hauptverfahren brachte die klagende Partei vor wie in ihrer Rekursbeantwortung ON 6 (ON 11 AS 109 im Anlaßverfahren) und trug noch vor, der viertbeklagten Partei hätte die wettbewerbswidrigen Beilagen auffallen müssen, sie habe sie auch selbst beigelegt; dazu berief sie sich auf die Aussage des Mag.Michael G*****. Dieser erklärte als Partei vernommen zu diesem Thema, daß der erstbeklagten Partei, deren Vorstand er damals gewesen sei, bereits sechs Wochen vor der beanstandeten Werbeaktion deren nähere Ausgestaltung bekannt gewesen sei. Die viertbeklagte Vertriebsgesellschaft, deren Geschäftsführer er zum selben Zeitpunkt gewesen sei, gingen die von der Medieninhaberin geplanten Beilagen nichts an.

Im Anlaßverfahren gab das Erstgericht mit Urteil vom 6.Juni 1991, GZ 38 Cg 192/89-14, dem Unterlassungsklagebegehren gegen alle fünf beklagten Parteien statt und führte im Rahmen der rechtlichen Beurteilung zur Haftung der viert- und fünftbeklagten Partei aus, daß ein- und dieselbe Person sowohl die Geschäfte der Medieninhaberin als auch der Vertriebsgesellschaft geführt habe, sodaß letztere in der Person ihres Geschäftsführers sowohl der redaktionelle Inhalt der Tageszeitung als auch die geplante und tatsächlich durchgeführte Aktion bis ins Detail bekannt gewesen sei bzw bekannt gewesen sein mußte. Die viertbeklagte Partei habe somit in Kenntnis des wettbewerbswidrigen Verhaltens der erstbeklagten Partei die inkriminierten Beilagen in die Tageszeitungen eingelegt und ausgeliefert. In ihrer Berufung bekämpften die beklagten Parteien dies mit dem Argument, dieses sei aus den Feststellungen nicht abzuleiten. Das Erstgericht habe nirgends festgestellt, daß Mag.Michael G***** tatsächlich von der wettbewerbswidrigen Aktion der erstbeklagten Partei gewußt habe. Dem hielt die klagende Partei in der Berufungsbeantwortung entgegen, das Erstgericht habe im Rahmen seiner rechtlichen Beurteilung sehr wohl die Feststellung getroffen, der viertbeklagten Partei sei in der Person ihres Geschäftsführers die Aktion bekannt gewesen und sie habe in Kenntnis des wettbewerbswidrigen Verhaltens der erstbeklagten Partei die mit den beanstandeten Beilagen versehenen Tageszeitungen ausgeliefert. Um diese Feststellung zu bekräftigen, beantragte die klagende Partei die Wiederholung und Ergänzung des Beweisverfahrens durch neuerliche Vernehmung des Mag.Michael G***** zum Thema seiner Kenntnis der Aktion vor ihrer Durchführung.

Das Oberlandesgericht Wien als Berufungsgericht hat - ohne Wiederholung oder Ergänzung der Beweise - mit Urteil vom 6.Dezember 1991, GZ 3 R 170/91-19, im Kostenausspruch berichtigt mit Beschluß vom 4.Dezember 1992, GZ 3 R 170/91-25, das Ersturteil in Ansehung der erst- bis drittbeklagten Parteien bestätigt und in Ansehung der viert- und fünftbeklagten Partei im klagsabweisenden Sinn abgeändert und die klagende Partei zum Ersatz von 2/5 der Kosten der viert- und fünftbeklagten Partei verpflichtet. Dabei verneinte es die Haftung der viertbeklagten Partei selbst unter der Annahme, daß Mag.Michael G***** als Vorstandsmitglied der erstbeklagten und Geschäftsführer der viertbeklagten Partei über die Aktion und deren nähere Ausgestaltung informiert gewesen sei, mit folgender Begründung: „Nach den Feststellungen des Erstgerichtes ist eine Überprüfung allfälliger Beilagen in wettbewerbsrechtlicher Hinsicht durch die Vertriebsgesellschaft technisch nicht möglich. Ihr stand daher keinerlei Einfluß auf eine allenfalls wettbewerbswidrige Ausgestaltung von Zeitungsbeilagen zu. Hatte aber die viert- und fünftbeklagte Partei keinerlei Einflußmöglichkeit auf die Gestaltung der von ihr vertriebenen Zeitungen, dann war ihr auch eine Prüfung auf deren wettbewerbsrechtliche Unbedenklichkeit verwehrt. Sie war jedenfalls nicht dazu verhalten, die Zeitungsbeilagen in wettbewerbsrechtlicher Hinsicht zu überprüfen. Da daher der viert- und fünftbeklagten Partei als reiner Vertriebsgesellschaft keine Gestaltungsmöglichkeit auf die von ihr mit den Zeitungen vertriebenen Beilagen zukam, mußte deren Haftung verneint werden.“ Der Oberste Gerichtshof wies mit seinem Beschluß vom 28.April 1992, GZ 4 Ob 1024/92-23, die gegen dieses Berufungsurteil erhobenen außerordentlichen Revisionen der klagenden Partei sowie der erst- bis drittbeklagten Parteien wegen Wegfalls der Beschwer durch das zwischenzeitige Inkrafttreten des Wettbewerbs-RegulierungsG BGBl 1992/147 - womit das ZugabenG mit 1.April 1992 außer Kraft gesetzt wurde - zurück, verpflichtete aber die viert- und fünftbeklagten Parteien, gestützt auf § 50 Abs 2 ZPO idF des Art XXXI Z 2 der EO-Novelle 1991, zum Ersatz der Kosten der außerordentlichen Revision an die klagende Partei, weil ohne nachträglichen Wegfall der Beschwer das Rechtsmittel der klagenden Partei erfolgreich gewesen wäre. Da Mag.Michael G***** als Vorstand der erstbeklagten Partei und zugleich Geschäftsführer der fünftbeklagten Partei von der beanstandeten Aktion schon vorher volle Kenntnis gehabt habe, sei die viertbeklagte Partei hier Mittäterin des Zugabenverstoßes der erst- und zweitbeklagten Partei gewesen.

Die klagende Partei begehrt nun vom beklagten Rechtsträger aus dem Rechtsgrund der Amtshaftung 96.514,23 S sA als Differenz zwischen dem Kostenanspruch der klagenden Partei bei vollem Obsiegen im Anlaßverfahren gegen alle fünf dort beklagten Parteien und den tatsächlich vom Berufungsgericht zugesprochenen Kosten, weil die Rechtsauffassung des Oberlandesgerichtes Wien im Anlaßverfahren rechtlich unvertretbar gewesen sei.

Die beklagte Partei bestreitet das Klagebegehren dem Grunde und der Höhe nach und wendet im wesentlichen das Fehlen einer schuldhaften Rechtsverletzung durch ein Gerichtsorgan ein.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren im wesentlichen aus folgenden rechtlichen Erwägungen ab: Weder ergebe sich aus dem Vorbringen der klagenden Partei im Anlaßprozeß eine konkrete Behauptung, daß Mag.Michael G***** tatsächlich Kenntnis von der beanstandeten Werbeaktion gehabt habe, noch finde sich eine entsprechende Feststellung im Sachverhaltsteil oder in der rechtlichen Beurteilung des Ersturteils im Anlaßverfahren. Die Rechtsausführungen des Erstrichters, daß allein aus dem Umstand der Personalunion zwischen Geschäftsführung der Vertriebsgesellschaft und der Medieninhaberin auf eine Kenntnis oder ein Kennenmüssen der Vertriebsgesellschaft zu schließen sei, stelle nur eine rechtliche Schlußfolgerung dar. Deshalb könne die Rechtsansicht des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes im Anlaßverfahren nicht deshalb unvertretbar sein, weil es von einer vermeintlichen Feststellung der Kenntnis des Geschäftsführers ausgehe, dieser Kenntnis aber keine haftungsbegründende Bedeutung beimesse. Unvertretbarkeit käme überhaupt erst dann in Betracht, wenn tatsächlich feststehe, daß Mag.Michael G***** von der Wettbewerbsaktion Kenntnis gehabt habe oder hätte haben müssen. Die Begründung des Oberlandesgerichtes Wien sei zwar teilweise in sich unlogisch, nach der tatsächlichen Aktenlage im Ergebnis aber zutreffend. Daran könne auch die abweichende Rechtsmeinung des Obersten Gerichtshofes in seiner Kostenentscheidung vom 28.April 1992, die nicht von den tatsächlichen Feststellungen, sondern von den Behauptungen der Rekurswerberin (und hier klagenden Partei) ausgehe, nichts ändern. An diese Entscheidung sei das Amtshaftungsgericht nicht gebunden.

Die zweite Instanz bestätigte das Ersturteil und ließ sich rechtlich von folgenden Erwägungen leiten: Im Anlaßverfahren sei hinreichend deutlich vorgebracht und festgestellt worden, daß Mag.Michael G***** konkrete Kenntnis von der geplanten Wettbewerbsaktion gehabt habe. Ein einen Amtshaftungsanspruch auslösenden Verfahrensfehler des Oberlandesgerichtes Wien lasse sich aus der unterlassenen Beweiswiederholung nicht ableiten. Die Rechtsauffassung des Oberlandesgerichtes Wien in seiner Entscheidungsbegründung sei auch nicht unvertretbar, weil weder von einer klaren Gesetzesanordnung noch einer ständigen Rechtsprechung abgewichen worden sei. Der Oberste Gerichtshof habe sich erst einmal in seiner Entscheidung 4 Ob 1/91 zu einem ähnlich gelagerten Fall geäußert, die zu lösende Rechtsfrage aber insofern nicht abschließend beantwortet, als er einige Details des Rechtsproblems ausdrücklich offengelassen habe (S 18 f in 4 Ob 1/91 zum Unrechtsbewußtsein des Gehilfen). Da es demnach an einer ständigen Rechtsprechung, mit der sich das gegenteilig entscheidende Gericht sorgfältig auseinandersetzen hätte müssen, fehle, gehe der Hauptvorwurf der klagenden Partei, das Oberlandesgericht Wien gehe mit keinem Wort auf die Entscheidung 4 Ob 1/91 ein, ins Leere. Auch wenn die klagende Partei in ihrer Berufungsbeantwortung des Anlaßverfahrens unter Hinweis auf diese Entscheidung den Satz zitiert habe „daß eine Vertriebsgesellschaft für den Inhalt einer Zeitung nicht schon deshalb hafte, weil sie deren Vertrieb besorge“, sei vom Oberlandesgericht Wien ohnehin angenommen worden. Es habe daher kein konkreter Anlaß bestanden, sich mit dem Entscheidungszitat auseinanderzusetzen. Ein der beklagten Partei zurechenbares Organverschulden liege somit nicht vor.

Die außerordentliche Revision der klagenden Partei ist zulässig und berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Daß die Entscheidung des Oberlandesgerichtes Wien in Ansehung der Haftung der viertbeklagten Vertriebsgesellschaft als Mittäterin - beim Wettbewerbsverstoß der erst- und zweitbeklagten Partei - und der fünftbeklagten Partei als ihrer Komplementärin objektiv unrichtig und damit rechtswidrig war, hat der Oberste Gerichtshof bereits in seiner Entscheidung AZ 4 Ob 1024/92 im Anlaßverfahren zum Ausdruck gebracht. Daran ist festzuhalten. Rechtsträger haften nach herrschender Auffassung nicht nur für grobes, sondern auch für leichtes, am Maßstab des § 1299 ABGB zu messendes Verschulden ihrer Organe (SZ 63/106, SZ 62/6 = JBl 1989, 655; 1 Ob 3/92 uva; Schragel AHG2 Rz 147). Nicht jede objektiv unrichtige Entscheidung stellt indes ein amtshaftungsbegründendes Verschulden dar. Im Amtshaftungsverfahren ist, anders als im Rechtsmittelverfahren, nicht bloß zu prüfen, ob die beanstandete Entscheidung des Organs richtig war, sondern auch - bei Unrichtigkeit derselben - ob sie auf einer vertretbaren Rechtsauffassung, somit auf einer bei pflichtgemäßer Überlegung vertretbaren Rechtsauslegung oder Rechtsanwendung beruhte (SZ 63/106, SZ 62/6; 1 Ob 9/93 uva). Unvertretbarkeit der Rechtsansicht und damit Verschulden des Organs wird angenommen, wenn die Entscheidung von einer klaren Rechtslage oder einer ständigen Rechtsprechung als Entscheidungshilfe ohne sorgfältige Überlegung der Gründe abweicht (SZ 63/106, SZ 62/6; 1 Ob 9/93 uva; Schragel aaO Rz 147).

Das Oberlandesgericht Wien als Berufungsgericht des Anlaßverfahrens hat begründet, daß es auf eine Kenntnis des Geschäftsführers (der fünftbeklagten Komplementärin) der dort viertbeklagten Vertriebsgesellschaft deshalb nicht ankomme, weil eine Überprüfung allfälliger Beilagen in wettbewerbsrechtlicher Hinsicht technisch unmöglich sei. Wenn wie hier der Geschäftsführer der Vertriebsgesellschaft als Vorstand der Medieninhaberin schon von Anfang an von der geplanten (wettbewerbswidrigen) Werbeaktion Kenntnis hatte, ist die technische Möglichkeit bzw Unmöglichkeit der Überprüfung wettbewerbswidriger Beilagen (vor Auslieferung der Tageszeitungen) überflüssig und bedeutungslos. Wer Kenntnis von einer wettbewerbswidrigen Werbeaktion hat, bedarf keiner Überprüfung, um sich eben diese Kenntnis zu verschaffen. Das Wissen (oder auch Kennenmüssen) eines Geschäftsführers ist der Gesellschaft mbH zuzurechnen; darauf, ob er an der Angelegenheit beteiligt war, kommt es nicht an (SZ 63/174; GesRZ 1991, 50; SZ 52/167; Koppensteiner, GmbH-Gesetz Kommentar Rz 24 zu § 18). Eine derart gehäuft unrichtige Entscheidungsbegründung ist nicht nur rechtswidrig, sondern auch schuldhaft.

Im fortzusetzenden Verfahren wird das Erstgericht daher noch Feststellungen zur von der beklagten Partei bestrittenen Höhe des klägerischen Schadens zu treffen haben.

Der Revision ist Folge zu geben. Der Kostenvorbehalt fußt auf § 52 ZPO.

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