OGH 6Ob559/94

OGH6Ob559/9419.5.1994

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Vogel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Schobel, Dr.Redl, Dr.Kellner und Dr.Schiemer als weitere Richter im Verfahren zur Prüfung der Zulässigkeit von Unterbringungsmaßnahmen an der *****Patientin Ida R***** in der unter der Leitung des Primarius Univ.Prof. Dr.Peter K***** stehenden Abteilung Psychiatrie I des Landeskrankenhauses R***** infolge Revisionsrekurses des Abteilungsleiters gegen den zum Beschluß des Bezirksgerichtes Feldkirch vom 17.März 1994, GZ Ub 138/94-2, ergangenen rekursgerichtlichen Beschluß des Landesgerichtes Feldkirch vom 28.März 1994, AZ 3 R 86/94(ON 6), den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird stattgegeben und der angefochtene Beschluß dahin abgeändert, daß er lautet:

"Das Verfahren wird eingestellt."

Text

Begründung

Die im 54.Lebensjahr stehende Patientin liegt nach einer neurochirurgischen Operation in tiefer Bewußtlosigkeit. Sie wird in einer offenen Station der Abteilungen für Psychiatrie und Neurologie des Landeskrankenhauses behandelt. Anzeichen für ein psychisches Leiden der Patientin fehlen. Zur Aufrechterhaltung der Lebensfunktionen bedarf die Patientin der Versorgung über Infusionen und der Beatmung durch Atemschlauch (Tracheoflex). Um reflexartige Lockerungen der am Körper befestigten Versorgungsschläuche hintanzuhalten, wird die Bewußtlose im Liegen am linken Handgelenk festgebunden.

Dies zeigte der Patientenanwalt dem Gericht an. Dieses führte tags darauf im Beisein des Abteilungsleiters und des Patientenanwaltes eine Erhebung am Krankenbett der Patientin durch. Ein Gespräch mit der tief bewußtlosen Patientin war nicht möglich. Der Patientenanwalt beantragte formell, das Festbinden der Kranken als Unterbringungsmaßnahme für unzulässig zu erklären, weil sich die Patientin in einer psychiatrischen Abteilung des Krankenhauses befinde und durch die Fixierung in ihrer Bewegungsfreiheit behindert werde, aber nicht an einer psychischen Krankheit leide. Der Abteilungsleiter erachtete gerade mangels Vorliegens einer psychischen Erkrankung der tief bewußtlosen Patientin das - allgemein-medizinisch gebotene - Festbinden ungeachtet der stationären Behandlung der Kranken auf einer psychiatrischen Abteilung nicht als Unterbringungsmaßnahme.

Das Gericht erster Instanz verkündete nach Einsicht in die Krankengeschichte und Anhörung von Anstaltsleiter und Patientenanwalt den Beschluß, daß die Fixierungsmaßnahme und somit die Unterbringung der Patientin nicht zulässig sei.

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung. Dazu sprach es aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei.

Das Rekursgericht folgerte: Die Patientin befinde sich in einer Krankenhausabteilung für Psychiatrie. Sie liege zwar in einer offenen Station, werde aber festgebunden und damit Beschränkungen ihrer Bewegungsfreiheit unterworfen. Deshalb fänden die Sonderbestimmungen des Unterbringungsgesetzes Anwendung, die Unterbringungsmaßnahmen nur in Ansehung psychisch Kranker zuließen. Auch ein tief bewußtloser Patient, der eine Beschränkung seiner Bewegungsfreiheit nicht zu realisieren vermöchte, dürfe in seiner (hypothetischen) Bewegungsfreiheit nur unter den gesetzlichen Voraussetzungen des Unterbringungsgesetzes beschränkt werden. Wenn auf freiheitsbeschränkende Maßnahmen nicht verzichtet werden könne, müsse die Kranke in eine Abteilung verlegt werden, auf die § 2 UbG nicht zutreffe.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs des Abteilungsleiters ist zulässig und berechtigt.

Die rechtlich zu beurteilende Fixierung der Krankenhauspatientin ist durch drei Eigenheiten gekennzeichnet: Es handelt sich 1. um eine allgemein-medizinisch begründete, zur Abwehr einer Gefährdung lebenswichtiger Versorgungen erforderliche Maßnahme, 2. an einer tief bewußtlosen Patientin, die 3. in einer Station der Abteilungen für Psychiatrie und Neurologie eines Landeskrankenhauses stationär behandelt wird.

Der Gesetzgeber des Unterbringungsgesetzes ging bei der Umschreibung des Geltungsbereiches der zum Schutz psychisch Kranker in Krankenanstalten aufgestellten Sonderbestimmungen davon aus, daß in allgemeinen Krankenanstalten zur Aufnahme psychisch Kranker eigene, nur für solche bestimmte Abteilungen eingerichtet seien (§§ 37 ff KAG idF BGBl 1990/157). Das im Anlaßfall anzuwendende Spitalgesetz (VbgLGBl 1990/1) sieht in Übereinstimmung mit § 2a KAG bettenführende Abteilungen für "Neurologie und Psychiatrie" vor. In derartige Krankenhausabteilungen sind sowohl Personen mit rein neurologisch zu behandelnden Leiden als auch psychisch Kranke aufzunehmen.

Da in derartigen Abteilungen auch die Behandlung von Patienten, nämlich der psychisch Kranken, in einem geschlossenen Bereich oder unter sonstigen Beschränkungen ihrer Bewegungsfreiheit vorgesehen ist, unterliegen alle in dieser Abteilung aufgenommenen Patienten, also auch die rein neurologisch Behandlungsbedürftigen, dem besonderen verfahrensrechtlichen Schutz des Unterbringungsgesetzes. Das hat das Rekursgericht zutreffend erkannt und begründet.

Das Unterbringungsgesetz zielt erklärtermaßen auf den besonderen Schutz psychisch Kranker als stationär aufgenommene Patienten einer Krankenanstalt ab (§ 1 UbG). Andere Kranke befand der Gesetzgeber des besonderen Schutzes nicht bedürftig, aber nicht etwa, weil deren Persönlichkeitsrechte einen anderen oder geringeren Inhalt hätten, sondern weil die Gefahr einer Verletzung dieser Rechte als geringer eingeschätzt wurde. Die Persönlichkeitsrechte und die Menschenwürde überhaupt eines tief Bewußtlosen sind wegen des Abganges eigener Reaktionsfähigkeit auf etwaige Angriffe als besonders schutzbedürftig anzusehen. Der erkennende Senat teilt - im Gegensatz zu der in 4 Ob 534/94 dargelegten Ableitung - die rekursgerichtliche Ablehnung der Ansicht, daß demjenigen, der außerstande sei, eine ihm zuteil werdende Behandlung als solche zu erleben, kein Eingriff in seine - durch das Unterbringungsgesetz besonders geschützten - Persönlichkeitsrechte widerfahren könnte. Gerade bei einem Bewußtlosen ist wegen dessen Hilflosigkeit auf die Wahrung seiner Menschenwürde besonders zu achten.

Ein völlig anderer Gesichtspunkt liegt aber darin, daß die von einem - oder für einen - nicht psychisch Kranken zu einer ärztlichen Heilbehandlung erteilte Zustimmung ausdrücklich oder schlüssig auch eine vorweg erteilte Einwilligung zu Maßnahmen enthalten kann, die sich im Zuge der Heilbehandlung als zweckmäßig, wenn nicht gar als unumgänglich herausstellen. Solche Behandlungsmaßnahmen dürften auch einem unter dem besonderen Schutz des Unterbringungsgesetzes stehenden Patienten nicht verweigert werden (§ 35 UbG). Umso weniger dürfte aber aus dem spitalsorganisatorischen Umstand, daß Abteilungen für Neurologie und Psychiatrie eingerichtet sind und ein Patient als rein neurologisch behandlungsbedürftiger Kranker in eine solche Abteilung aufgenommen (oder überstellt) wurde, die rechtliche Unzulässigkeit einer unerläßlichen ärztlichen Behandlungsmethode gefolgert werden, nur weil die zu treffende Behandlungsmaßnahme - im Wesen nicht anders als etwa bei Extension nach einem Knochenbruch - mit einer Einschränkung der Bewegungsfreiheit des Patienten verbunden ist und deshalb eine Unterbringung vorliege, für die es aber an der persönlichen Voraussetzung des Kranken fehle, weil er nicht psychisch krank ist.

Wurde ein nicht psychisch Kranker der behördlich geregelten Abteilungseinteilung des Krankenhauses gemäß in eine Abteilung für "Neurologie und Psychiatrie" aufgenommen, kann dies allein eine Behandlung, die in Ansehung eines psychischen Kranken für zulässig anzusehen wäre, nicht unzulässig machen.

Wäre dies so, würde dies auf eine Verweigerung gebotener ärztlicher Behandlung und damit auf eine Verletzung der Menschenwürde hinauslaufen.

In Abänderung der angefochtenen Rekursentscheidung war daher das Verfahren einzustellen.

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