OGH 4Ob534/94

OGH4Ob534/9410.5.1994

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Gamerith als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kodek, Dr.Niederreiter, Dr.Redl und Dr.Griß als weitere Richter in der Unterbringungssache der Paula G*****, infolge Revisionsrekurses des mit der Führung der Abteilung für Psychiatrie I des Landeskrankenhauses R***** betrauten Arztes Prim.Univ.-Prof.Peter K***** gegen den Beschluß des Landesgerichtes Feldkirch als Rekursgericht vom 28.März 1994, GZ 3 R 87/94-6, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Feldkirch vom 17.März 1994, GZ Ub 140/94s-2, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden ersatzlos aufgehoben; das vom Erstgericht eingeleitete Unterbringungsverfahren wird eingestellt.

Text

Begründung

Paula G***** wird auf der offenen Schwerkrankenstation 01 der Abteilung Psychiatrie I des Landeskrankenhauses R***** behandelt. Bei ihr besteht ein Zustandsbild nach einer neurochirurgischen Operation. Sie liegt in einem mit einem Gitter versehenen Bett. Sie ist komatös und reagiert auf Ansprechen nicht. Sie wird durch Infusionen versorgt und ausschließlich durch ein sogenanntes "Tracheoflex" beatmet. Wird nicht gerade eine Bewegungstherapie durchgeführt, dann wird die Patientin am linken Handgelenk fixiert, um zu verhindern, daß sie unbewußt das Tracheoflex herauszieht, was mit einer Gefahr für ihr Leben verbunden wäre.

Paula G***** leidet nicht an einer psychischen Krankheit.

Das Erstgericht erklärte die Fixierung der Patientin an der linken Hand für nicht zulässig. Die Patientin leide an keiner psychischen Krankheit, werde aber dennoch in einer psychiatrischen Abteilung in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt.

Das Gericht zweiter Instanz gab dem vom ärztlichen Abteilungsleiter (§ 4 Abs 2 UbG) erhobenen Rekurs nicht Folge und sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Der Zweck des dem Abteilungsleiter eingeräumten Rekursrechtes (§ 26 Abs 3 UbG) liege offenbar darin, eine Abänderung der erstgerichtlichen Entscheidung dahin zu erwirken, daß die Unterbringung - im Interesse des Kranken - für zulässig erklärt werde. Im vorliegenden Fall beantrage der Abteilungsleiter zwar, den angefochtenen Beschluß mangels Anwendbarkeit des Unterbringungsgesetzes ersatzlos aufzuheben, könnte aber mit seinem Rekurs jedenfalls erreichen, daß die Patientin (ohne Verlegung in eine andere Abteilung) weiter fixiert bleiben könnte. Der Rekurs sei daher nicht unzulässig, sondern sachlich zu behandeln.

Das Unterbringungsgesetz diene ausschließlich dem Schutz der Persönlichkeitsrechte psychisch Kranker; in einer Anstalt im Sinne dieses Gesetzes dürften nur psychisch Kranke untergebracht werden. Eine Unterbringung liege nach diesem Gesetz dann vor, wenn eine Person in einer Krankenanstalt oder Abteilung für Psychiatrie in einem geschlossenen Bereich angehalten oder sonst Beschränkungen ihrer Bewegungsfreiheit unterworfen werde. Würde die Rechtsmeinung des Rekurswerbers zutreffen, käme eine Prüfung der Unterbringungsvoraussetzungen durch das Gericht dann nicht in Betracht, wenn etwa der Anstaltsleiter die Ansicht verträte, daß keine psychische Krankheit vorliege, der Patient aber trotzdem in einer Anstalt (§ 2 UbG) in einem geschlossenen Bereich oder unter Beschränkungen der Bewegungsfreiheit behandelt würde. Das stünde im diametralen Gegensatz zum Sinn der gerichtlichen Kontrolle von Patienten, die sich in Anstalten befinden. Sobald das Unterbringungsgesetz zur Anwendung komme, seien dessen Bestimmungen - hier insbesondere § 3 - anzuwenden. Die Patientin befinde sich zweifellos in einer Abteilung für Psychiatrie und unterliege dort "sonstigen Beschränkungen ihrer Bewegungsfreiheit". Alle in § 33 UbG erwähnten Formen von Beschränkungen bedeuteten eine "Unterbringung". Eine besondere Erheblichkeitsschwelle in bezug auf die Dauer und das Ausmaß der Beschränkung sehe das Gesetz nicht vor. Die Beschränkung der Bewegungsfreiheit durch Festbinden falle in den Anwendungsbereich des UbG.

Es stelle sich lediglich die Frage, ob die Beschränkung der Bewegungsfreiheit auch dann, wenn sie der Patient nicht wahrnehmen könne - weil er etwa wie hier im Koma liege - eine Unterbringung im Sinn des § 2 UbG sei. Das sei jedoch deshalb zu bejahen, weil der komatöse Zustand den Willen der Patientin nicht ausschließe. Sie könne ihren Willen nur nicht selbständig - wohl aber allenfalls durch einen Vertreter - zum Ausdruck bringen. Die Fixierung sei daher auch diesmal "vom Willen der Patientin umfaßt" und bedeute eine Beschränkung der Bewegungsfreiheit. Die Patientin sei somit "untergebracht". Da die Voraussetzung einer psychischen Krankheit nicht vorliege, sei der angefochtene Beschluß frei von Rechtsirrtum. Nach § 37 KAG seien Abteilungen (und Sonderkrankenanstalten) für Psychiatrie zur Aufnahme psychisch Kranker bestimmt. Die Unterbringung anderer Kranker - im vorliegenden Fall einer Schädel-Hirnverletzten - in solchen Abteilungen sei im Gesetz nicht vorgesehen. Auch wenn die Behandlung eines Schädel-Hirnverletzten einerseits und eines psychisch Kranken andererseits in die Kompetenz desselben Facharztes (Neurologie und Psychiatrie) falle, könne das nicht dazu führen, daß eine gerichtliche Kontrolle deshalb ausgeschaltet werde, weil ein neurologisch Kranker in einer Abteilung für Psychiatrie - allenfalls wegen räumlicher Probleme - behandelt werde, hätte es doch sonst der Anstaltsleiter in der Hand, in Abteilungen für Psychiatrie psychisch Kranke mit dem Hinweis unterzubringen, es handle sich nur um neurologisch Kranke. Damit könnte das Unterbringungsgesetz umgangen werden. Werde ein Kranker in einer Anstalt (§ 2 UbG) behandelt und dort den erwähnten Beschränkungen unterworfen, dann komme das Unterbringungsgesetz zur Anwendung. Das Erstgericht habe daher zu Recht die Unterbringung für unzulässig erklärt. Die Patientin müsse daher entweder in einen anderen Bereich (nicht in einer Anstalt im Sinn des § 2 UbG) verlegt werden oder es müsse die Beschränkung ihrer Bewegungsfreiheit (Fixierung) aufgehoben werden.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen diesen Beschluß erhobene Revisionsrekurs des ärztlichen Abteilungsleiters ist zulässig, weil eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zur Frage, ob das"Fixieren" von im Koma liegenden Personen eine Einschränkung ihrer Bewegungsfreiheit im Sinn des § 2 UbG bedeutet, fehlt (§ 14 Abs 1 AußStrG); er ist auch berechtigt.

Daß der mit der Führung der psychiatrischen Abteilung betraute Arzt (Abteilungsleiter: § 4 Abs 2 UbG) nicht nur - wie im Gesetz ausdrücklich erwähnt - zur Erhebung des Rekurses gegen den Beschluß, mit dem das Erstgericht die Unterbringung für unzulässig erklärt (§ 20 Abs 2, § 26 Abs 3 UbG), sondern auch zur Erhebung eines Revisionsrekurses gegen solche Beschlüsse des Gerichtes zweiter Instanz legitimiert ist, hat der Oberste Gerichtshof schon ausgesprochen (JBl 1992, 106 = NZ 1992, 270 = ÖA 1992, 92; JBl 1993, 455).

Der Rechtsmittelwerber bekämpft die Rechtsansicht des Rekursgerichtes, daß das Festbinden einer Hand der Patientin als Beschränkung ihrer Bewegungsfreiheit zu beurteilen ist, obwohl sie im Koma liegt. Der Zustand des Koma sei ein Zustand tiefer Bewußtlosigkeit; die allein bei stark schmerzhaften Reizen auftretenden "primitiven Abwehrschablonen" würden wissenschaftlich als unbewußt und reflexhaft, d.h. nicht der Willensaktivität bzw -steuerung unterworfen, gewertet. Die Patientin Paula G***** könne daher die Beschränkung weder wahrnehmen noch die Wahrnehmung verarbeiten oder darauf willentlich gesteuert reagieren. In einem solchen Fall könne weder von Freiheit noch von Freiheitsbeschränkung gesprochen werden. Hier sei von einer ähnlichen Sachlage auszugehen, wie bei einer lebensrettenden operativen Behandlung eines bewußtlosen Schwerverletzten, die ohne dessen Willensbekundung und Einverständnis durchgeführt werden könne, weil ein subjektiver Wunsch des Verletzten nach persönlichem Überleben und gesundheitlichem Wohlergehen angenommen werden könne. Dem ist zuzustimmen:

In dem im Unterbringungsgesetz geregelten Verfahren hat das Gericht über die Zulässigkeit der Unterbringung eines psychisch Kranken in einert Sonderkrankenanstalt für Psychiatrie oder einer Abteilung für Psychiatrie (Kopetzki, Unterbringungsgesetzt Rz 37) zu entscheiden. Erste Voraussetzung für die Zulässigerklärung einer Unterbringung ist das Vorliegen einer psychischen Krankheit des Untergebrachten (SZ 64/131; JBl 1992, 106 = NZ 1992, 270 = ÖA 1992, 92). Unterbringung im Sinne dieses Gesetzes liegt dann vor, wenn Personen in einem geschlossenen Bereich angehalten oder sonst Beschränkungen ihrer Bewegungsfreiheit unterworfen werden (§ 2 UbG). Aus dem Zusammenhang zwischen § 2 UbG und § 33 UbG - wonach Beschränkungen des Kranken in seiner Bewegungsfreiheit nach Art, Umfang und Dauer nur insoweit zulässig sind, als sie im Einzelfall zur Abwehr einer Gefahr im Sinne des § 3 Z 1 UbG sowie zur ärztlichen Behandlung oder Betreuung unerläßlich sind und zu ihrem Zweck nicht außer Verhältnis stehen - ergibt sich, daß sämtliche der in § 33 UbG erwähnten Formen von Beschränkungen zum Vorliegen einer "Unterbringung" im Sinne des § 2 UbG führen. Eine besondere "Erheblichkeitsschwelle" hinsichtlich Dauer und Ausmaß der Beschränkung sieht das Gesetz nicht vor (Kopetzki, aaO Rz 32; 4 Ob 527/92; 2 Ob 571/93 = RdM 1994, 28). Das Festbinden ("Fixieren") einer Hand fällt somit grundsätzlich unter den Begriff der Unterbringung (4 Ob 527/92).

Eine andere Frage ist es aber, ob die Patientin im vorliegenden Fall durch das Fixieren ihrer Hand tatsächlich in ihrer "Bewegungsfreiheit" eingeschränkt wurde. Der Oberste Gerichtshof hat zwar schon ausgesprochen, daß die Frage, ob sich der Patient der Einschränkung seiner Bewegungsfreiheit bewußt ist, keine rechtliche Bedeutung hat (1 Ob 584/93; RdM 1994, 28). Dabei war es jedoch immer um Kranke gegangen, die bei Bewußtsein waren und nur auf Grund ihrer geistigen Beeinträchtigung die freiheitsbeschränkenden Anordnungen nicht verstanden oder als einschränkend empfanden.

Diesmal geht es jedoch um eine Patientin, die nach den Feststellungen "komatös" ist, d.h. sich im Zustand tiefer Bewußtlosigkeit befindet (Duden, Wörterbuch medizinischer Fachausdrücke3, 391 linke Spalte), also im "Koma" liegt, dem schwersten Grad der quantitativen Bewußtseinsstörung, bei welcher der Patient durch äußere Reize nicht mehr zu wecken ist (Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch257, 805 linke Spalte). Bewußtlose können nach ganz herrschender Lehre und Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes nicht Objekt einer Freiheitsentziehung nach § 99 StGB sein, weil sie zu einer folgerichten Willensbetätigung nicht fähig sind (Mayerhofer-Rieder, Anm 4 zu § 99; Leukauf-Steininger, KommzStGB3, Rz 1 zu § 99; Schwaighofer in WKzStGB, Rz 6 zu § 99; Kienapfel, Grundriß des österreichischen Strafrechts, BT3 I Rz 4 zu § 99; JBl 1992, 662). Das muß aber auch für die Beurteilung ausschlaggebend sein, ob eine ärztliche Maßnahme - wie hier das Festbinden einer Hand - die Bewegungsfreiheit der Patientin einschränkt. Da Paula G***** (derzeit) kein Bewußtsein und damit auch keine Bewegungsfreiheit besitzt, kommt deren Einschränkung begrifflich nicht in Frage.

Wollte man im Hinblick auf den verfassungsgesetzlichen Schutz der persönlichen Freiheit (vgl BVG über den Schutz der persönlichen Freiheit, BGBl 1988/684; Art 5 MRK) einen strengeren Maßstab anlegen und auch Bewußtlose jedenfalls als Objekt von Unterbringungsmaßnahmen im Sinne des Unterbringungsgesetzes ansehen, könnte das hier zu keinem anderen Ergebnis führen. In diesem Falle müßte auf den Willen, den der Patient vor dem Eintritt seiner Bewußtlosigkeit kundgegeben hat, oder - mangels einer solchen Kundgabe - auf den mutmaßlichen Willen des Patienten abgestellt werden (vgl Schäfer im Leipziger Kommentar zum Strafgesetzbuch10 V Rz 13 zu § 239 dStGB). Daß aber die Patientin im vorliegenden Fall, hätte sie vorher befragt werden können, einer Maßnahme zugestimmt hätte, die für die Erhaltung ihres Lebens unabdingbar ist und ihr auch - mangels Bewußtseins - subjektiv keine Beschwerden verursacht, liegt klar auf der Hand.

Ist Paula G***** demnach nicht "untergebracht" worden, dann fehlt es an einer wesentlichen Voraussetzung für ein Unterbringungsverfahren. In Stattgebung des Revisionsrekurses waren daher die Beschlüsse der Vorinstanzen ersatzlos aufzuheben und auszusprechen, daß das vom Erstgericht eingeleitete Verfahren (ON 1) einzustellen ist.

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