OGH 5Ob534/93

OGH5Ob534/9322.3.1994

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Zehetner als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Schwarz, Dr.Floßmann, Dr.Adamovic und Dr.Baumann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mehmet Y*****, Bauhilfsarbeiter, ***** vertreten durch Dr.Franz Wielander, Rechtsanwalt in Gmünd, wider die beklagte Partei mj.Tanja Y*****, geboren am 15.September 1989, ***** vertreten durch das Amt für Jugend und Familie für den 2.Bezirk in Wien, 1020 Wien, Karmelitergasse 9, dieses vertreten durch Dr.Walter Schuppich ua Rechtsanwälte in Wien, wegen Bestreitung der ehelichen Geburt, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Wien als Berufungsgerichtes vom 24.Februar 1993, GZ 43 R 2014/93-59, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Donaustadt vom 23.März 1992, GZ 19 C 43/90a-39, abgeändert wurde, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision der beklagten Partei wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, dem Kläger die mit S 3.264,-

(einschließlich S 544,- Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger begehrt mit der am 6.November 1989 beim Erstgericht eingelangten Klage die Feststellung, daß das am 15.9.1989 geborene beklagte Kind nicht von ihm abstamme. Er lebe seit mehr als einem Jahr von der Mutter des Kindes getrennt, habe seit der Trennung mit ihr nicht mehr geschlechtlich verkehrt und könne daher nicht der Vater dieses Kindes sein.

Die beklagte Partei beantragte Abweisung der Klage.

Das Erstgericht wies die Klage ab.

Der Entscheidung des Erstgericht liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Der Kläger und die Mutter des beklagten Kindes haben am 25.2.1988 in Schrems die Ehe geschlossen. Diese Ehe wurde mit Urteil des Bezirksgerichtes Schrems vom 3.9.1990 rechtskräftig geschieden (Zustellung der Urteilsausfertigungen am 7.9.1990 bzw. 6.9.1990). Der Kläger war zum Zeitpunkt der Geburt des Kindes türkischer Staatsangehöriger, die Mutter hingegen österreichische Staatsangehörige. Der Kläger und seine Ehegattin unterhielten eine Beziehung dergestalt, daß die Mutter in Wien wohnte, während der Kläger in Schrems arbeitete. Lediglich an den Wochenenden besuchten sie einander wechselseitig. Im Dezember 1988 fuhr der Kläger in die Türkei auf Urlaub. Als er nach 6 Wochen nach Österreich zurückkehrte und eine Woche später seine Ehegattin in Wien besuchte, stellte er fest, daß sie ein Verhältnis mit einem anderen Mann begonnen hatte. Der letzte Geschlechtsverkehr des Klägers mit der Mutter des beklagten Kindes war vor dem 11.12.1988. Die Ehegattin des Klägers hat diesem schon vor der Geburt des Kindes mitgeteilt, daß sie schwanger sei. Sie hatten für sich geklärt, daß der Kläger nicht der leibliche Vater des werdenden Kindes sei. Dieser war sich bereits vor der Geburt des Kindes sicher, nicht dessen Vater zu sein. Die Mutter teilte die Geburt des Kindes dem Kläger nicht mit. Dieser erfuhr von der Geburt vielmehr dadurch, daß ihm von einem anderen Mann über Ersuchen der Großmutter des Kindes die Tatsache der Geburt desselben ausgerichtet worden war. Ob dies vor oder nach dem 6.10.1989 erfolgte, konnte nicht festgestellt werden. Der Kläger ist auf Grund der Verteilung von Blutmerkmalen von der Vaterschaft zu diesem Kind auszuschließen. Der leibliche Vater dieses Kindes ist vielmehr jener Mann, mit dem die Ehegattin des Klägers ein Verhältnis eingegangen war.

Rechtlich beurteilte das Erstgericht diesen Sachverhalt wie folgt:

Gemäß § 21 IPRG seien die Voraussetzungen der Ehelichkeit und deren Bestreitung nach dem Personalstatut zu beurteilen, das Ehegatten im Zeitpunkt der Geburt des Kindes hatten. Bei verschiedenem Personalstatut sei dasjenige maßgebend, das für die Ehelichkeit des Kindes günstig sei. Hier sei daher türkisches Recht anzuwenden, welches im Hinblick auf die Bestreitungsfrist von bloß einem Monat ab Geburt strengere Bestimmungen zugunsten der Ehelichkeit des Kindes aufweise (Art 242 des türkischen BGB vom 17.2.1926). Nach den Ergebnissen des Beweisverfahrens habe nicht geklärt werden können, ob der Kläger diese Frist eingehalten habe. Dieses Beweisdefizit gehe zu seinen Lasten.

Das Berufungsgericht änderte das Urteil des Erstgerichtes in klagestattgebendem Sinn ab und sprach aus, daß die ordentliche Revision zulässig sei.

Rechtlich führte das Berufungsgericht im wesentlichen, das heißt soweit es für die Schlüssigkeit seiner Entscheidung von Bedeutung ist, folgendes aus:

Die in § 21 IPRG ausgesprochene Verweisung auf das Personalstatut des Klägers (als das für die Ehelichkeit des Kindes günstigere Statut) und damit auf eine fremde (= türkische) Rechtsordnung umfasse im Sinne des § 5 Abs 1 IPRG auch die Verweisungsnormen dieser fremden Rechtsordnung; es handle sich also um eine Gesamt- und nicht um eine Sachnormverweisung. Verweise diese fremde Rechtsordnung auf das österreichische Recht zurück, so seien gemäß § 5 Abs 2 IPRG die österreichischen Sachnormen anzuwenden.

Es sei also zunächst von den türkischen Kollisionsnormen auszugehen. Art 15 des türkischen Gesetzes Nr.2675 über das internationale Privat- und Zivilverfahrensrecht bestimme, daß die Beziehungen der ehelichen Abstammung dem Recht unterliegen, das die allgemeinen Wirkungen der Ehe im Zeitpunkt der Geburt regle. Zu den Beziehungen der ehelichen Abstammung zähle auch die Bestreitung der ehelichen Geburt (vgl Bergmann-Ferid, Länderabschnitt Türkei, S 16, FN 7). Die allgemeinen Wirkungen der Ehe seien gemäß Art 12 Abs 2 dieses Gesetzes nach den gemeinsamen Heimatrecht der Ehegatten, im Falle verschiedener Staatsangehörigkeit jedoch nach dem Recht des gemeinsamen Wohnsitzes bzw. bei Fehlen eines solchen nach dem Recht des gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthaltes, schließlich bei Fehlen eines solchen nach türkischem Recht zu beurteilen.

Der in diesem türkischem Gesetz gebrauchte Begriff "Wohnsitz" sei nach der türkischen Rechtsordnung zu beurteilen. Nach Art 19 des türkischen BGB sei der Wohnsitz einer Person der Ort, an dem sie sich mit der Absicht aufhalte, dort zu bleiben, wobei aber niemand an mehreren Orten zugleich seinen Wohnsitz haben könne. Nach Art 20 des türkischen BGB bleibe der einmal begründete Wohnsitz einer Person bis zum Erwerb eines neuen Wohnsitzes bestehen. Der Aufenthaltsort gelte als Wohnsitz, wenn ein früherer Wohnsitz nicht nachweisbar sei oder wenn die Person ihren Wohnsitz verlassen und keinen neuen in der Türkei begründet habe. Nach Art 21 des türkischen BGB gelte der Wohnsitz des Ehemannes als Wohnsitz der Ehefrau. Diese könne einen selbständigen Wohnsitz dann haben, wenn der Wohnsitz des Ehemannes nicht bekannt oder die Ehefrau berechtigt sei, getrennt zu leben (Art 21 Abs 2). Nach Art 162 des türkischen BGB könne ein Ehegatte eine getrennte Wohnung haben, solange seine Gesundheit, sein Ruf oder das Gedeihen seiner Geschäfte ernstlich durch das Zusammenleben bedroht seien. Nach der Einreichung einer Klage auf Ehescheidung oder Trennung von Tisch und Bett habe jeder Ehegatte das Recht, für die Dauer des Rechtsstreites von dem anderen getrennt zu leben.

Das Berufungsgericht ergänzte nach Erörterung ua der Entscheidungen 8 Ob 646/91 des Obersten Gerichtshofes und nach Verlesung des Ehescheidungsaktes betreffend die Ehe des Klägers mit der Mutter des beklagten Kindes das Verfahren durch Einvernahme des Klägers, Einsicht in den Ehescheidungsakt und Einsicht in die vom Kläger vorgelegte Meldebestätigung. Es stellte sodann ergänzend folgendes fest:

Der Kläger ist Anfang 1987 nach Österreich gekommen und wohnte seither in Schrems, wenngleich an verschiedenen Anschriften. In der Türkei hatte er nie eine eigene Wohnung. Seit 1987 fuhr er in die Türkei lediglich deswegen, um dort Urlaube zu verbringen. Diesfalls wohnte er im Hotel, bei Freunden oder in der Wohnung des Vaters. Er möchte in Österreich bleiben und strebt die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft an.

Aus diesen ergänzenden Feststellungen folge, daß der Kläger und abgeleitet davon auch seine Ehefrau den Wohnsitz im Zeitpunkt der Geburt des Kindes nur in Österreich, nämlich in Schrems hatten. Anhaltspunkte dafür, daß die Ehefrau im Sinne des Art 21 Abs 2 des türkischen BGB das Recht gehabt hätte, getrennt zu leben, hätten sich im Verfahren nicht ergeben. Vor allem sei die Scheidungsklage erst nach der Geburt des Kindes eingebracht worden.

Da sohin die österreichischen Sachnormen zur Anwendung kämen, sei der nach österreichischem Recht rechtzeitig, nämlich innerhalb der Jahresfrist des § 156 Abs 1 und 2 ABGB eingebrachten Klage auf Grund der den Ausschluß des Klägers von der Vaterschaft begründenden Feststellungen stattzugeben gewesen.

Die ordentliche Revision sei zulässig, weil die Entscheidung 8 Ob 646/91 zwar den Weg "zur Lösung des Gesamtkomplexes" eröffnet habe, ohne daß damals auf Grund der Verfahrenslage eine abschließende Beurteilung möglich gewesen wäre. Infolge der zunehmenden internationalen Verflechtung und der Zunahme gemischt nationaler Ehen komme diesem Fragenkomplex wesentliche Bedeutung zu, zumal es um den Personenstand eines österreichischen Minderjährigen gehe.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich Revision der beklagten Partei wegen Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im klageabweisenden Sinn abzuändern; hilfsweise wurde ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger begehrt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Die geltend gemachte Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens ist - wie sich aus einer Überprüfung des Akteninhaltes durch den Obersten Gerichtshof ergibt - nicht gegeben (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO). Es ist darauf hinzuweisen, daß nach der oben beschriebenen Vorgangsweise des Berufungsgerichtes (Erörterung der zu 8 Ob 646/91 ergangenen Entscheidung des Obersten Gerichtshofes, die ausspricht, daß die Beurteilung, was unter gemeinsamem Wohnsitz oder gemeinsamem gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne des Art 12 des türkischen Gesetzes Nr.2675 verstanden wird, nach der türkischen Rechtsordnung zu erfolgen hat) die beklagte Partei keinerlei Beweisanträge zu diesem Thema stellte, vor allem nicht den Antrag auf Einvernahme der Mutter der beklagten Partei. Für eine amtswegige Einvernahme dieser Zeugin bestand bei Ausübung pflichtgemäßen richterlichen Ermessens nach der Aktenlage kein Anlaß.

In der Sache selbst billigt der Oberste Gerichtshof die oben wiedergegebene, entscheidungswesentliche Rechtsansicht des Berufungsgerichtes (§ 510 Abs 3 Satz 2 ZPO).

Den Ausführungen in der Rechtsmittelschrift betreffend getrennter Wohnsitze des Klägers und seiner Ehegatten im Zeitpunkt der Geburt ist folgendes zu erwidern:

Die in § 21 (hier: letzter Satz) IPRG ausgesprochene Verweisung auf das Personalstatut des türkischen Klägers und damit auf eine fremde Rechtsordnung umfaßt im Sinne der ausdrücklichen Anordnung, des § 5 Abs 1 IPRG auch die Verweisungsnormen dieser fremden Rechtsordnung (8 Ob 646/91 = EFSlg 66.794). Es ist also auch zu beachten, daß in der türkischen Rechtsordnung durch Art 15 des türkischen Gesetzes Nr. 2675 über das internationale Privat- und Zivilrechtsverfahren bestimmt wird, daß die Beziehungen der ehelichen Abstammung, zu denen auch die Bestreitung der ehelichen Geburt zählt, dem Recht unterliegen, das die allgemeinen Wirkungen der Ehe im Zeitpunkt der Geburt regelt (EFSlg 66.794). Die allgemeinen Wirkungen der Ehe unterliegen gemäß § 12 Abs 2 dieses Gesetzes dem gemeinsamen Heimatrecht der Ehegatten; falls die Parteien verschiedener Staatsangehörigkeit sind, wird nach dieser Gesetzesstelle das Recht des gemeinsamen Wohnsitzes, bei Fehlen eines solchen das Recht des gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthaltes und, falls auch ein solcher fehlt, türkisches Recht angewendet (EFSlg 66.791). Da der Begriff "gemeinsamer Wohnsitz" in der türkischen Verweisungsnorm gebraucht wird, ist dessen Sinngehalt nach türkischem Recht zu ermitteln. Zutreffend ging daher das Berufungsgericht davon aus, daß gemäß Art 21 des türkischen BGB der Wohnsitz des Ehemannes auch als Wohnsitz der Ehefrau gilt und daß sie einen selbständigen Wohnsitz nur dann haben kann, wenn der Wohnsitz des Ehemannes nicht bekannt oder wenn die Ehefrau berechtigt ist, getrennt zu leben. Tatsachen, die die Ehefrau zu getrenntem Leben berechtigt hätten - die bloße Tatsache getrennten Lebens ist nicht maßgebend - ergeben sich aus dem in der Berufungsverhandlung verlesenen Scheidungsakt nicht und wurden von der beklagten Partei auch nicht behauptet.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.

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