OGH 10ObS42/94

OGH10ObS42/9428.2.1994

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Steinbauer als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Edeltraud Haselmann und Dr. Karl Heinz Kux (aus dem Kreis der Arbeitgeber) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Valentin H*****, Student, *****, ***** vertreten durch Dr.Bertram Grass, Rechtsanwalt in Bregenz, wider die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft, Wiedner Hauptstraße 84-86, 1051 Wien, wegen Waisenpension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 23.November 1993, GZ 5 Rs 98/93-10, womit infolge Berufung des Klägers das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch als Arbeits- und Sozialgericht vom 30.Juni 1993, GZ 33 Cgs 43/93 p-5, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Sozialrechtssache wird zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Revisionskosten sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Mit Bescheid der beklagten Partei vom 18.12.1992 wurde der Antrag des Klägers, ihm die Waisenpension gemäß § 138 GSVG iVm § 128 GSVG über das 26. Lebensjahr hinaus zu gewähren, abgelehnt.

Dagegen richtet sich die fristgerecht erhobene Klage mit der ausschließlichen Behauptung, die Schul- und Berufsausbildung (Studium) des Klägers sei durch Krankheit und ein anderes unüberwindbares Hindernis verzögert worden. Er sei dadurch gehindert gewesen, sein Studium nach der Matura zu beginnen. Wegen Krankheiten sei er von Mai 1982 bis fast durchgehend 1984 arbeitsunfähig gewesen. Erst nach Wegfall der Hindernisse habe er im Herbst 1992 sein Studium an der pädagogischen Akademie in Feldkirch begonnen.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Der Kläger habe erst nach Vollendung des 26. Lebensjahres erstmals ein Studium begonnen. Zeitliche Verzögerungen vor diesem Zeitpunkt könnten ein Wiederaufleben der Kindeseigenschaft wegen Beginn eines Studiums nicht bedingen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es trat folgende Feststellungen:

Der Kläger wurde am *****1959 geboren. Er besuchte von 1966 bis 1970 die Volksschule, von 1970 bis 1974 das Gymnasium und von 1975 bis 1979 die Handelsakademie, die er 1980 mit der Matura abschloß. Von 1981 bis 1986 war er Sachbearbeiter bei der Sozialversicherungsanstalt der Bauern, von 1987 bis 1988 führte er als selbständiger Kaufmann ein Lebensmittelgeschäft und stand von 1989 bis 1992 in einem Dienstverhältnis. Er hat seit 1981 gesundheitliche Probleme. In diesem Jahr wie auch im Februar 1982 mußte er sich einer schweren Kieferoperation unterziehen. Im Mai 1982 erfolgte eine Kopfoperation aufgrund eines Aneurysma. Ein Krankenhausaufenthalt von insgesamt zwei Jahren war die Folge. Hinzu kamen psychiatrische Behandlungen und starke Medikamentengaben. Bis 1984 war der Kläger fast durchgehend arbeitsunfähig. Im Jahr 1984 erlitt er einen schweren Verkehrsunfall, als dessen Folge Schreibunfähigkeit und dann auch noch eine starke Bewegungseinschränkung eintrat, weil er bereits im Jahr 1976 an einer Schulterluxation laborierte. 1990 erfolgte eine neuerliche Kieferoperation. Der Vater des Klägers verstarb im Jahr 1983 durch Selbsttötung. Diagnostisch besteht beim Kläger eine neurotische Entwicklung, in deren Gefolge ab dem 16. Lebensjahr zunehmend Alkoholmißbrauch entstand, der lediglich für drei Jahre nach der Schädeloperation eine Unterbrechung fand. Aufgrund der Schädeloperation traten ab 1983 zunehmend psychosomatische Beschwerden auf, die vorübergehend zu einer Tranquilizer-Abhängigkeit führten. Mittlerweile ist der Kläger nach einer stationären Alkoholentwöhnung vom 26.12.1992 bis 19.2.1993 alkoholabstinent. Vorher bestand ein Symptombild aus neurotischer Depression, Alkoholmißbrauch im Wochenrhythmus und psychosomatische Beschwerden, wie Kopfschmerzen infolge der Schädeloperation. Während seiner Beschäftigung bei der Vorarlberger Landesversicherung stand der Kläger laufend in fachärztlicher ambulanter Behandlung. Er studiert seit dem Wintersemester 1992 mit sehr gutem Studienerfolg und hat alle bisher vorgeschriebenen Prüfungen abgelegt.

Rechtlich war das Erstgericht der Ansicht, daß eine im Zeitpunkt der Vollendung des 26. Lebensjahres nicht mehr bestehende Kindeseigenschaft durch ein neuaufgenommenes Studium nicht wieder aufleben können. Da der Kläger in den Jahren 1981 bis 1992 sowohl als selbständiger Kaufmann wie auch als unselbständiger Dienstnehmer erwerbstätig gewesen sei, sei auch Erwerbsunfähigkeit iSd § 128 Abs 2 Z 2 GSVG nicht anzunehmen.

Das Berufungsgericht bestätigte das Urteil des Erstgerichtes. Der Kläger habe sein Studium erst nach Vollendung des 26. Lebensjahres begonnen, sodaß die Anspruchsvoraussetzungen nicht gegeben seien. Er hätte vor Vollendung des 26. Lebensjahres seine Schul- oder Berufsausbildung beginnen und hätte auch vor diesem Zeitpunkt das unüberwindliche Hindernis, das eine Verzögerung der Ausbildung zu verursachen geeignet war, eintreten müssen. Ob die Voraussetzungen des § 128 Abs 2 Z 2 GSVG gegeben seien, sei nicht zu prüfen, weil diesbezügliche Tatsachenbehauptungen des Klägers in erster Instanz nicht erstattet worden seien.

Gegen das Urteil des Gerichtes zweiter Instanz richtet sich die Revision des Klägers aus den Revionsgründen der Mangelhaftigkeit des Verfahrens sowie der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne einer Klagestattgebung abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist berechtigt.

Der Kläger hat das 18. Lebensjahr vor dem 31.12.1987 vollendet, sodaß § 128 Abs 2 Z 1 GSVG in der vor der 13. GSVG Novelle (BGBl 1987/610) geltenden Fassung anzuwenden ist (Linseder-Teschner, GSVG 45.ErgLfg, 339; SSV-NF 3/59, 5/89, 6/36).

Nach dieser Bestimmung besteht die Kindeseigenschaft auch nach Vollendung des 18. Lebensjahres, wenn und solange das Kind sich in einer Schul- oder Berufsausbildung befindet, die seine Arbeitskraft überwiegend beansprucht, längstens jedoch bis zur Vollendung des 26. Lebensjahres; zur Schul- oder Berufsausbildung zählt auch ein angemessener Zeitraum für die Vorbereitung auf die Ablegung der entsprechenden Abschlußprüfungen und auf die Erwerbung eines akademischen Grades. Ist die Schul- oder Berufsausbildung durch die Erfüllung der Wehrpflicht, der Zivildienstpflicht, durch Krankheit oder ein anderes unüberwindbares Hindernis verzögert worden, so besteht die Kindeseigenschaft über das 26. Lebensjahr für einen der Dauer der Behinderung angemessenen Zeitraum. Nach dieser Gesetzesfassung kommt es für das Bestehen der Kindeseigenschaft auch nach Vollendung des 18. Lebensjahres nur darauf an, ob sich das Kind in einer Schul- oder Berufsausbildung befindet, die seine Arbeitskraft überwiegend beansprucht. Wenn und solange diese Voraussetzung zutrifft, besteht die Kindeseigenschaft bis zu der im § 128 Abs 2 Z 1 GSVG aF festgesetzen Altersgrenze weiter. Ob das Kind vor der Schul- oder Berufsausbildung bereits in anderen Schul- oder Berufsausbildungen oder im Erwerbsleben stand, ist unerheblich. Das Gesetz stellt nur darauf ab, daß die Schul- oder Berufsausbildungen durch ein im § 128 Abs 2 Z 1 GSVG aF angeführtes Hindernis verzögert wurde, enthält aber keinerlei Einschränkungen hinsichtlich des Zeitpunktes einer solchen Verzögerung.

Im vorliegenden Fall kommt es daher nur darauf an, ob die Hochschulausbildung des Klägers bis zu der vom Gesetz gezogenen Grenze des 26. Lebensjahres durch ein im Gesetz genanntes Hindernis verzögert und daher die Kindeseigenschaft über das 26. Lebensjahr hinaus für einen der Behinderung angemessenen Zeitraum verlängert wurde.

Der der Dauer der Behinderung angemessene Zeitraum muß aber unmittelbar an die Vollendung des 26. Lebensjahres anschließen (10 Ob S 162/87 und 10 Ob S 165/87 = SVSlg 33.638).

Der Rechtsmeinung der Vorinstanzen, daß der Beginn der Schul- und Berufsausbildung vor Vollendung des 26. Lebensjahres angetreten werden muß, war demnach nicht zu folgen.

Vielmehr ist davon auszugehen, daß eine Verlängerung der Kindeseigenschaft über das 26. Lebensjahr für einen der Behinderung angemessenen Zeitraum auch eintritt, wenn das Studium erst nach diesem Zeitpunkt begann, aber infolge einer vor diesem Zeitpunkt eingetretenen Krankheit oder eines anderen Hindernisses verzögert wurde. Infolge der unrichtigen Rechtsmeinung der Vorinstanzen blieb ungeprüft, ob und wie lange die Kindeseigenschaft des Klägers durch ein im § 128 Abs 2 Z 1 GSVG aF angeführtes Hindernis verlängert wurde. Dies bedingt die Aufhebung der angefochtenen Urteile.

Der Prüfung des Vorliegens der Kindeseigenschaft nach § 128 Abs 2 Z 2 GSVG stand entgegen der Meinung des Revisionswerbers nach zutreffender Rechtsauffassung des Berufungsgerichtes entgegen, daß der Kläger entgegen seinen Behauptungen in der Revisionsschrift zum Anspruchsgrund nach § 138 GSVG iVm mit § 128 Abs 2 Z 2 GSVG kein Sachvorbringen erstattete. Das auch in Sozialrechtssachen geltende Neuerungsverbot steht der nunmehrigen Geltendmachung dieses Anspruchsgrundes entgegen (SSV-NF 4/24). Mag auch aus dem Antragschreiben vom 13.10.1992 an die Beklagte und der Klage hervorgehen, daß der Kläger von Mai 1982 fast durchgehend bis 1984 arbeitsunfähig war und verschiedene gesundheitliche Probleme hatte, so standen schon sein übriges Vorbringen und seine Parteiaussage über seine geschlossene Berufs- und Beschäftigungslaufbahn von 1981 bis 1992 der Annahme einer Arbeits- oder Erwerbsunfähigkeit entgegen und ließ lediglich die Annahme einer für die Erwerbsunfähigkeit nach § 128 Abs 2 Z 2 GSVG nicht ausreichenden vorübergehenden Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit zu (SSV-NF 6/102). Die für die Zeit von 1982 bis 1984 behauptete Erwerbs- und Arbeitsunfähigkeit war aber für dieses Verfahren bedeutungslos, weil vor Antragstellung ein Leistungsanfall (§§ 55, 138 GSVG) nicht eintreten konnte.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG.

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