OGH 9ObA10/94(9ObA11/94, 9ObA12/94, 9ObA13/94, 9ObA14/94, 9ObA15/94)

OGH9ObA10/94(9ObA11/94, 9ObA12/94, 9ObA13/94, 9ObA14/94, 9ObA15/94)23.2.1994

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Klinger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Maier und Dr.Petrag sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr.Heinrich Matzke und Mag.Wilhelm Patzold als weitere Richter in den zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbundenen Arbeitsrechtssachen der klagenden Parteien

1. Reinhard K*****, Offsethelfer, ***** 2. Walter B*****, Elektrotechniker, ***** 3. Walter K*****, Gemeindebediensteter, *****

4. Christian S*****, Angestellter, ***** und 5. Ernst L*****, Angestellter, ***** sämtliche vertreten durch Dr.Ernst Stadler, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Rudolf V*****, Berufsdetektiv, ***** vertreten durch Dr.Ronald Rast und Dr.Christian Werner, Rechtsanwälte in Wien, wegen 1. S 520.232 sA, 2. S 236.734 sA, 3. S 552.617,82 sA, 4. S 310.047,98 sA und 5. S 80.739,35 sA, infolge Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 22.September 1993, GZ 31 Ra 87/93-44, womit infolge Berufung der klagenden Parteien das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 23.April 1993, GZ 19 Cga 30/93 (19 Cga 31/93-34/93)-40, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Arbeitsrechtssache wird an das Gericht erster Instanz zur Ergänzung des Verfahrens und neuerlichen Entscheidung zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Mit den vorliegenden, zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbundenen Klagen begehren die Kläger ihrem beklagten ehemaligen Arbeitgeber im wesentlichen restliches Entgelt, Kündigungsentschädigung, Urlaubsentschädigung, Überstundenzuschläge und Diäten.

Der Beklagte beantragt, die Klagebegehren abzuweisen. Er wandte unter anderem insbesondere ein, daß die Ansprüche auf Kündigungsentschädigung mangels Geltendmachung binnen sechs Monaten und die Ansprüche auf Überstundenentgelt nach dem Kollektivvertrag für Angestellte des allgemeinen Gewerbes verfallen seien, da auch sie nicht fristgerecht geltend gemacht worden seien.

Das Erstgericht führte ein umfangreiches Beweisverfahren durch und schloß die mündliche Streitverhandlung in der Tagsatzung vom 16.10.1991. Am 30.4.1992 beschloß es die Wiedereröffnung der Streitverhandlung, weil die einzelnen Forderungen noch nicht hinreichend aufgeschlüsselt und auch die Anspruchsgrundlagen noch erörterungsbedürftig seien. In der für 9.6.1992 angeordneten Tagsatzung trat gemäß § 170 ZPO Ruhen des Verfahrens ein.

Am 5.2.1993 (eingelangt am 9.2.1993) beantragten die Kläger die Fortsetzung des Verfahrens. In der nächsten Tagsatzung vom 23.4.1993 wurde zunächst mit dem Klagevertreter der Inhalt des Wiedereröffnungsbeschlusses erörtert. Dieser erklärte, daß er die Ansprüche der Kläger auf die Berechnungen des Lohnverrechners gestützt habe und ersuchte, ihm die Möglichkeit einzuräumen, das ergänzende Vorbringen durch einen binnen 14 Tagen einzubringenden Schriftsatz zu präzisieren. Der Beklagte wandte nunmehr auch Verjährung wegen nicht gehöriger Fortsetzung des Verfahrens ein.

Der Klagevertreter entgegnete diesem Einwand, daß am 2.7.1992 das Ausgleichsverfahren über das Vermögen des Beklagten eingestellt worden und der Beschluß ergangen sei, daß ein Konkursverfahren mangels kostendeckenden Vermögens von Amts wegen nicht eröffnet werde. Er habe daraufhin im September 1992 beim Arbeitsamt Versicherungsdienste den Antrag gestellt, den Klägern Insolvenzausfallgeld nach dem IESG zuzuerkennen. Das Arbeitsamt habe aber mit den Bescheiden vom Februar und März 1993 das Verwaltungsverfahren bis zur rechtskräftigen Beendigung des anhängigen gerichtlichen Verfahrens ausgesetzt. Daraufhin habe er den Fortsetzungsantrag gestellt.

Das Erstgericht wies die Klagebegehren ohne weitere Beweisaufnahme und ohne Feststellungen zu treffen ab. Die Kläger hätten zu erkennen gegeben, daß es ihnen am erforderlichen Ernst zur Erreichung des Prozeßzieles fehle. Zwischen dem Eintritt des Ruhens des Verfahrens und dem Einlangen des Fortsetzungsantrags seien acht Monate verstrichen. Für diese lange Dauer des Verfahrensstillstandes gebe es keine triftigen Gründe. Der vorliegende Rechtsstreit sei zwar präjudiziell für das Verfahren vor dem Arbeitsamt, nicht aber dieses für den Rechtsstreit. Das Zuwarten über acht Monate sei auch unter Berücksichtigung des Umstandes, daß es sich um einen besonders schwierigen Rechtsstreit handle, zu lange. Da die Kläger das Verfahren nicht gehörig fortgesetzt hätten, sei die Verjährungsfrist gemäß § 1497 ABGB gar nicht unterbrochen worden.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Es billigte die Rechtsansicht des Erstgerichtes und führte ergänzend aus, daß es den Klägern spätestens nach dem Wiedereröffnungsbeschluß klar gewesen sein mußte, daß sie ihre Ansprüche noch präzise aufschlüsseln müssen. Sie hätten es jedoch vorgezogen, durch Nichtbesuch der Tagsatzung vom 9.6.1992 Ruhen des Verfahrens eintreten zu lassen. Das Ausgleichsverfahren über das Vermögen des Beklagten sei am 2.7.1992 eingestellt worden; die Kläger hätten erst im September 1992 ihre Anträge wegen Zuerkennung von Insolvenzausfallgeld gestellt. Ihr Argument, sie hätten das arbeitsgerichtliche Verfahren nur deshalb ruhen lassen, um ihre Forderungen ohne Kostenrisiko zur Gänze beim Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds einbringlich zu machen, sei daher verfehlt, zumal es absehbar gewesen sei, daß der Beklagte die Forderungen auch vor dem Arbeitsamt nicht anerkennen werde, so daß die Führung des gerichtlichen Verfahrens als präjudiziell unvermeidbar sei. Überdies hätten sie ihre längst fälligen Aufschlüsselungen und Präzisierungen nicht einmal in der Tagsatzung vom 23.4.1993 nachgeholt. Durch diese ungewöhnliche Untätigkeit hätten sie zum Ausdruck gebracht, daß ihnen an der Erreichung des Prozeßziels nicht mehr gelegen sei, daß sie sohin an einer gehörigen Verfahrensfortsetzung nicht mehr interessiert seien.

Gegen dieses Urteil richtet sich die aus dem Grunde der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobene Revision der Kläger mit dem Antrag, die Entscheidung der Vorinstanzen aufzuheben und die Arbeitsrechtssache zur neuerlichen Entscheidung zurückzuverweisen. Hilfsweise wird eine Abänderung im Sinne einer Klagestattgebung begehrt.

Der Beklagte beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist berechtigt.

Nach Lehre und Rechtsprechung kommt es für die Beurteilung der Frage, ob die Kläger die Klage gemäß § 1497 ABGB gehörig fortgesetzt haben, nicht allein auf die Dauer, sondern auch auf die Gründe der Untätigkeit an (Schubert in Rummel, ABGB2, Rz 10 zu § 1497 mwH; Schwimann/Mader, ABGB V, § 1497 Rz 20; SZ 52/30; SZ 54/177; auch JBl 1990, 530; Rz 1992/85; EvBl 1992/34 = AnwBl 1992, 680 uva). Die Kläger haben diese Gründe zu behaupten und zu beweisen (9 Ob A 187/92 mwH uva).

Derartige Gründe haben die Kläger geltend gemacht. Da sich der vorliegende Rechtsstreit schon über dreieinhalb Jahre dahinzog, war es für sie naheliegend, ihre Ansprüche vorerst nicht gegen den zahlungsunfähigen Beklagten weiter fortzuführen, sondern zu versuchen, ihr Geld ungekürzt und ohne weiteres Kostenrisiko vom Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds zu erhalten. Aus der Antragstellung gemäß § 6 IESG ist daher entgegen der Ansicht der Vorinstanzen nicht zu entnehmen, daß den Klägern nichts mehr an der Verfolgung ihres Prozeßziels gelegen wäre. Da noch keine bindende gerichtliche Entscheidung (§ 7 IESG) vorlag, hätte das Arbeitsamt die Vorfrage des Bestehens der Ansprüche selbständig zu beurteilen gehabt (vgl Schwarz-Reissner-Holzer-Holler, Die Rechte des Arbeitnehmers bei Insolvenz3 211). Auch das anhängige Gerichtsverfahren wäre einer Prüfung der Sach- und Rechtslage nach eigener Anschauung nicht im Wege gestanden (Infas 1986 A 44). Diese Möglichkeit einer (rascheren) Durchsetzung ihrer Ansprüche unter Vermeidung der Doppelgeleisigkeit wurde den Klägern nach ihrem bisher nicht überprüften Vorbringen aber dadurch genommen, daß das Verwaltungsverfahren gemäß § 38 AVG bis zur rechtskräftigen Entscheidung der Vorfrage ausgesetzt wurde. Nach Ansicht der Vorinstanzen wären die Ansprüche der Kläger aber inzwischen mangels Interesses an der Fortführung des gerichtlichen Verfahrens verjährt, so daß ihnen letztlich auch gegen den Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds keine Forderungen mehr zustehen könnten. Dieses Ergebnis ist mit der Fiktion, den Klägern liege nichts mehr an der Verfolgung ihres Prozeßziels, nicht in Einklang zu bringen. Es entspricht auch nicht der Rechtslage.

Gemäß § 7 Abs 1 IESG idF der Nov BGBl 1992/835 werden durch den fristgerechten Antrag auf Insolvenz-Ausfallgeld (§ 6 Abs 1) Verjährungs- und Verfallsfristen unterbrochen. Die entsprechende Antragstellung bildet also einen weiteren Unterbrechungsgrund. Der Gesetzgeber wollte damit klarstellen, daß es einer zusätzlichen Klage des Arbeitnehmers zur Wahrung solcher Fristen nicht bedarf (738 BlgNR 18. GP, 6). Da die Novelle zum IESG am 1.1.1993 in Kraft trat, fällt ihr Wirksamkeitsbeginn bereits in die von den Vorinstanzen angenommene Dauer der "Untätigkeit" der Kläger. Insoweit die Klagen aber bereits erhoben waren, liegt eine fortgesetzte Rechtsverfolgung gegen den Beklagten (gemäß § 11 IESG gehen die gesicherten Ansprüche gegen den Arbeitgeber auf den Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds über) vor, die das Bestehen beachtlicher Gründe für das Zuwarten der Kläger auf die Erledigung ihrer Anträge rechtfertigt. Für die gehörige Fortsetzung der Klage ist es entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ohne Belang, ob die einzelnen (bezifferten) Ansprüche noch näher aufzuschlüsseln gewesen wären. Diese Frage fällt gemäß § 182 ZPO in die Prozeßleitungspflicht des Gerichtes (vgl Fasching ZPR2 Rz 779 ff) und kann allenfalls für den Ausgang des Verfahrens in der Hauptsache von Bedeutung sein.

Die Kostenentscheidung ist in § 52 ZPO begründet.

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