OGH 14Os169/93

OGH14Os169/9330.11.1993

Der Oberste Gerichtshof hat am 30. November 1993 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Walenta als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Lachner, Hon.Prof. Dr. Brustbauer, Dr. Massauer und Mag. Strieder als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Wimmer als Schriftführer, in der Strafsache gegen Hubert H* wegen des Verbrechens der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs 1 und Abs 2, zweiter Fall, StGB über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 26. März 1993, GZ 1 a Vr 11.548/92‑26, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Kodek, des Angeklagten und des Verteidigers Dr. Benkhofer zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1993:0140OS00169.9300000.1130.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerden werden verworfen.

Den Berufungen wird nicht Folge gegeben.

Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

 

Gründe:

 

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Hubert H* des Verbrechens der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs 1 und Abs 2 zweiter Fall StGB schuldig erkannt; dem Inhalt des Schuldspruchs zufolge hat er am 26. September 1992 in Wien dadurch, daß er Brigitte H* im Magazin einer M*‑Markt‑Filiale einsperrte, sodann die Genannte würgte, ihr mehrere Faustschläge versetzte, ihr die Bekleidung vom Leib zog, sein Glied entblößte und damit stoßartige Bewegungen zwischen den Oberschenkeln der Brigitte H* ausführte und nach einer kurzen Pause, in der er ein weinerliches Verhalten an den Tag legte, sein Opfer neuerlich zu Boden warf, ihm wiederum Schläge in das Gesicht versetzte, die Bluse zerriß, wobei er H* aufforderte, "ihm einen zu blasen", sein Opfer schließlich in die Brust biß, dabei sein erigiertes Glied gegen das Gesicht der Brigitte H* hielt und letztlich ejakulierte, die Genannte mit Gewalt zur Duldung einer geschlechtlichen Handlung genötigt, wobei er sein Opfer durch die Tat längere Zeit hindurch in einen qualvollen Zustand versetzte und in besonderer Weise erniedrigte.

 

Rechtliche Beurteilung

Diesen Schuldspruch bekämpfen die Anklagebehörde mit auf den Nichtigkeitsgrund der Z 10 des § 281 Abs 1 StPO, der Angeklagte mit auf die Nichtigkeitsgründe der Z 5, 9 lit b und 10 dieser Gesetzesstelle gestützten Nichtigkeitsbeschwerden. Die angemeldete Schuldberufung hat der Angeklagte im Gerichtstag zurückgezogen.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft:

Die Anklagebehörde behauptet in ihrer Subsumtionsrüge (Z 10), die Tat wäre richtigerweise ‑ anklagekonform ‑ als Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB zu beurteilen gewesen:

Die in den Urteilsgründen näher beschriebene Aufforderung des Angeklagten an die Frau zum "Ficken", das Reiben seines erigierten Gliedes an deren Oberschenkeln, die Ejakulation auf Gesicht und Brust des Opfers seien ‑ so die Beschwerdeführerin ‑ nach Lage des Falles dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche (und nicht "irgendwelche Unzuchts‑") Handlungen.

Diese Auffassung kann nicht geteilt werden.

Zu einer dem Beischlaf gleichzusetzenden Handlung zählt grundsätzlich jede auf Befriedigung des Geschlechtstriebes gerichtete Form einer oralen, vaginalen oder analen Penetration (EvBl 1990/32 = RZ 1990/95, Leukauf‑Steininger Kommü § 201 RN 9). Entscheidend ist, daß die geschlechtlichen Handlungen des Täters nach der Summe ihrer Auswirkungen und Begleiterscheinungen mit einem Beischlaf vergleichbar sind (EvBl 1992/180 = JBl 1992, 729) Davon kann bei dem relevierten Reiben des Gliedes an den Oberschenkeln des Opfers und beim Samenerguß auf dessen Gesicht und Brust nach allgemeinem Verständnis noch nicht gesprochen werden.

Soweit die Staatsanwaltschaft ferner meint, daß sich aus den Feststellungen des Erstgerichtes der Vorsatz auf einen Beischlaf oder einer ihm gleichzusetzenden Handlung ergäbe, womit offenbar eine Beurteilung als Versuch des Verbrechens nach dem § 201 Abs 2 StGB angestrebt wird, ist diesem Vorbringen zu erwidern, daß der Angeklagte nach den Urteilskonstatierungen entgegen der (unter dem Druck der Verhältnisse abgegebenen) Erklärung seines Opfers mit einem Beischlaf einverstanden zu sein (S 230), in diese Richtung nichts unternommen, sondern sich mit den beschriebenen geschlechtlichen Handlungen begnügt hat (US 9, 13), demnach sein Vorsatz ersichtlich nicht auf den von der Anklagebehörde behaupteten Erfolg gerichtet war.

In der Anklageschrift (ON 17) wird das Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB zufolge der Anwendung schwerer Gewalt angenommen. Auch dieses Tatbestandsmerkmal ist im Urteil ‑ von der Beschwerde unbekämpft ‑ nicht festgestellt, so daß das Rechtsmittel der Sache nach nur auf einen Schuldspruch nach § 201 Abs 2 StGB gerichtet sein kann, nach dem Gesagten aber auch insoweit nicht durchzuschlagen vermag.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten:

Der Angeklagte bekämpft mit seiner Mängelrüge nach § 281 Abs 1 Z 5 StPO zunächst den Urteilsspruch als im Widerspruch zu den Urteilsfeststellungen stehend, weil in die Tatbeschreibung seine Aufforderung an das Opfer aufgenommen wurde, "ihm einen zu blasen", wiewohl in den Gründen festgestellt sei, er habe Brigitte H* nicht zu einem Oralverkehr zwingen wollen. Darin ist jedoch kein Widerspruch zu sehen, weil einer Aufforderung keineswegs ein Zwang zur Durchsetzung dieser Aufforderung folgen muß. Mit den Divergenzen der Zeugin in der Wiedergabe einiger Details des Tatgeschehens hat sich das Erstgericht ohnedies auseinandergesetzt (US 14). Die Zeugin hat im übrigen nur ausgesagt, sich an eine Aufforderung zum Oralverkehr nicht erinnern zu können (S 230), was die Richtigkeit ihrer ersten polizeilichen Vernehmung, worin sie von einer solchen Aufforderung spricht (S 23), nicht ausschließt. Da das Urteil einen (sei es auch nur versuchten) Zwang zu einer solchen geschlechtlichen Handlung ohnehin nicht angenommen hat, betrifft die Rüge überdies keine entscheidende Tatsache im Sinn des behaupteten Nichtigkeitsgrundes.

Einen weiteren Begründungsmangel erblickt der Beschwerdeführer in der im Urteil unterbliebenen Auseinandersetzung mit der Aussage des Zeugen K*, der nicht den Eindruck hatte, die Frau habe Zärtlichkeiten des Angeklagten abgewehrt. Der Vorwurf betrifft ebenfalls keine entscheidende Tatsache, weil der Zeuge K* als Kellner Beobachtungen in jenem Cafe machte, in dem sich der Angeklagte mit Brigitte H* vor der Tat aufhielt. Selbst wenn die Zeugin dort den Angeklagten geküßt haben sollte, spricht dies nicht gegen ihre andernorts später fehlende Bereitschaft zu ‑ weitergehenden ‑ sexualorientierten Handlungen.

Soweit der Beschwerdeführer in seiner Mängelrüge schließlich meint, es sei nicht ausreichend festgestellt, ob die sexuelle Abartigkeit des Angeklagten oder seine fortschreitende Alkoholisierung zur Tat geführt habe, genügt es, auf das im Urteil verwertete psychiatrische Sachverständigengutachten zu verweisen, in dem das Zusammenwirken beider Umstände deutlich beschrieben wird (US 16).

Schon daraus ergibt sich, daß die auf § 281 Abs 1 Z 9 lit b StPO gestützte Rechtsrüge teilweise nicht gesetzmäßig ausgeführt ist, weil sie diese Urteilsfeststellungen über die verstärkte Auswirkung auch einer geringeren Alkoholisierung angesichts der psychischen Abartigkeit des Angeklagten übergeht, dem in der Therapie aufgrund des vorangegangenen Verfahrens Verzicht auf jeden Alkoholkonsum empfohlen worden war. Mit einer die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Alkoholisierung (§ 11 StGB) hat sich der Angeklagte niemals verantwortet; eine solche lag nach dem psychiatrischen Gutachten und den Urteilsannahmen (US 6) auch nicht vor.

In der Subsumtionsrüge nach der Z 10 des § 281 Abs 1 StPO bekämpft der Beschwerdeführer die Annahme der Qualifikation nach dem zweiten Fall des § 202 Abs 2 StGB. Das Erstgericht hat angenommen, der Angeklagte habe sein Opfer längere Zeit hindurch in einen qualvollen Zustand versetzt und in besonderer Weise erniedrigt, weil sich die Tathandlungen über einen Zeitraum von mehr als einer Stunde erstreckt hatten und von obszönen Beschimpfungen des Opfers begleitet waren. Bei den im zweiten Fall des § 202 Abs 1 StGB angeführten erschwerenden Begleitumständen der Tat handelt es sich um Spielarten einer einzigen Qualifikation (EvBl 1990/119), sodaß dahingestellt bleiben kann, ob obszöne Beschimpfungen für sich allein schon eine besondere Demütigung darstellen. Dies trifft aber jedenfalls auf das Ejakulieren in das Gesicht und auf die Brust des Opfers zu. Entscheidend ist im übrigen die erwähnte Dauer der Tat, während welcher die Zeugin Brigitte H* jedenfalls in einen qualvollen Zustand im Sinn einer länger dauernden schweren seelischen Erschütterung versetzt war; ergab sich für sie doch das Bild eines geistig abnormen Sexualtäters, der sie auf die verschiedensten Arten malträtierte, sie einsperrte und dem sie in einem menschenleeren Gebäude hilflos ausgeliefert war, ohne ein Ende der gewalttätigen Mißhandlungen absehen zu können. Das Erstgericht hat daher zutreffend den von der Zeugin beschriebenen Zustand völliger psychischer Erschöpfung nach der Tat als Auswirkung des länger andauernden qualvollen Zustandes gewertet und die bekämpfte Qualifikation rechtsrichtig angenommen.

Die Nichtigkeitsbeschwerden der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten waren daher zu verwerfen.

Das Schöffengericht verhängte über den Angeklagten nach dem ersten Strafsatz des § 202 Abs 2 StGB eine viereinhalbjährige Freiheitsstrafe und ordnete gem. § 21 StGB seine Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher an.

Bei der Strafzumessung fielen die einschlägigen Vorstrafen des Angeklagten, welche die Voraussetzungen des § 39 StGB erfüllen, als erschwerend ins Gewicht, mildernd war kein Umstand.

Die Staatsanwaltschaft bekämpft das Strafausmaß als zu gering, der Angeklagte als zu hoch; er wendet sich auch gegen die vom Erstgericht erstellte Gefährlichkeitsprognose und die darauf gegründete Anstaltseinweisung.

Keine der Berufungen ist im Ergebnis im Recht.

Was zunächst die Strafhöhe anlangt, so würdigte das Erstgericht die gegebenen Strafzumessungsgründe im wesentlichen ihrem tatsächlichen Gewicht nach und fand nach Lage des Falles ein tatschuldadäquates Ausmaß, das in keiner Richtung hin zu einer Abänderung Anlaß bietet. Die nahe der Obergrenze des Grundstrafrahmens ausgemessene Freiheitsstrafe wird der Schuld des Angeklagten, seiner schwer belasteten Persönlichkeit sowie dem Unrechtsgehalt seiner "einem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung" iS des § 201 StGB sehr nahekommenden und auch zu leichten Körperverletzungen des Opfers führenden Tat durchaus gerecht. Der von der Staatsanwaltschaft relevierten eminenten Gefahr weiterer Straftaten wurde vom Erstgericht durch die Unterbringung des Hubert H* in einer Anstalt begegnet. Die vom Angeklagten als Milderungsgrund reklamierte Alkoholisierung ist nicht mildernd, weil H* schon auf Grund früherer Verfahren um die negativen Folgen eines Alkoholkonsums wußte (vgl. S 238 ff). Kein Erfolg konnte der Berufung des Angeklagten auch insoweit beschieden sein, als er sich gegen die Maßnahme nach dem § 21 Abs 2 StGB wendet. Das Erstgericht ging nach der Aktenlage und insbesondere in Übereinstimmung mit dem gerichtsmedizinischen Sachverständigengutachten in diesem Zusammenhang zutreffend davon aus, es sei - unterbliebe die Anstaltsunterbringung - zu befürchten, daß der Angeklagte, der innerhalb der ihm gewährten Probezeit rückfällig wurde, abermals gleichartige Taten begehe. Die angeordnete Maßnahme erweist sich somit als begründet und geboten. Der vom Berufungswerber an Stelle der Unterbringung begehrten Weisung, Alkohol zu meiden, fehlt vorliegend schon die gesetzliche Grundlage einer bedingten Strafnachsicht (§ 50 StGB).

Es war daher spruchgemäß zu erkennen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die bezogene Gesetzesstelle.

 

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