Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Das Urteil des Berufungsgerichtes wird aufgehoben; die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach allfälliger Verfahrensergänzung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung
Die Klägerin erlitt am 27.3.1988 einen Schiunfall. Wegen Beschwerden im Kniegelenk suchte sie am 1.4.1988 die Ambulanz der Unfallsabteilung des Krankenhauses S***** auf, wo sie eine Mobilatsalbe jedoch keinen Gipsverband erhielt. Am 28.4.1988 wurde ihr zum ersten Mal eine Arthroskopie vorgeschlagen. Am 10.5.1988 erklärte ihr Primarius Dr.H*****, wie eine Arthroskopie vor sich gehe und meinte, daß bei Feststellung eines Bänderrisses zur Vermeidung einer neuerlichen Narkose dieser sofort operiert werden sollte. Die Klägerin nahm dies zustimmend zur Kenntnis und unterschrieb das Reversformular, ohne es durchzulesen. Die Klägerin wurde vor der Operation über mögliche Risken dieser Operation oder über alternative, sogenannte konservative Behandlungsmethoden, wie beispielsweise das Tragen eines Gipsverbandes über sechs bis acht Wochen hindurch und anschließender funktioneller Behandlung nicht aufgeklärt. Bei der am 11.5.1988 durchgeführten Arthroskopie wurde ein nicht mehr frischer Riß des vorderen Kreuzbandes des linken Kniegelenkes festgestellt und sodann eine Operation mittels einer "Brückner-Plastik" durchgeführt. Eine knöcherne Verletzung lag nicht vor. Durch eine Infektion infolge der Operation traten Komplikationen und Dauerfolgen auf. Das Infektionsrisiko einer Operation an einem offenen Kniegelenk beträgt nach medizinischen Erfahrungswerten etwa 1 bis 2 %, selbst wenn die größtmöglichen hygienischen Bemühungen eingehalten werden. Am 10.5.1988 war aus medizinischer Sicht die Indikation für eine Operation wohl gegeben, es wäre jedoch im Nachhinein betrachtet im Vergleich zur Operation etwa mit den gleichen Erfolgschancen die Möglichkeit der konservativen Therapie, d.h. die Therapie durch Ruhigstellung im Gipsverband mit anschließender funktioneller Behandlung gegeben gewesen, wodurch das Infektionsrisiko ausgeschlossen gewesen wäre. Die Durchführung der Operation erfolgte lege artis. Das Einsetzen der Band-Ersatz-Plastik unmittelbar nach der Arthroskopie war kein Kunstfehler.
Die Klägerin begehrt von der Beklagten als Spitalserhalter Schmerzengeld in der Höhe von S 300.000,- und die Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten für die zukünftigen auf die Behandlung im Mai 1988 im Krankenhaus S***** zurückzuführenden Schäden. Den Ärzten sei bei Vornahme der Operation ein Kunstfehler unterlaufen, sie sei nicht auf die möglichen Risken und Beeinträchtigungen einer derartigen Operation aufmerksam gemacht worden. Hätte sie das Operationsrisiko gekannt, hätte sie nicht das Einverständnis für den Eingriff gegeben.
Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens, die Operation sei nach entsprechender Operationsvorbereitung und Aufklärung erfolgt.
Mit Teil- und Zwischenurteil stellte das Erstgericht die Haftung der Beklagten für zukünftige Schäden aus der genannten Behandlung vom Mai 1988 sowie das Zurechtbestehen der Klageforderung in der Höhe von S 300.000,- sA dem Grunde nach fest. Die ärztliche Aufklärungspflicht sei verletzt worden, weil die Klägerin weder auf das nicht zu 100 % ausschließbare Infektionsrisiko einer derartigen Operation noch auf die Möglichkeit einer alternativen konservativen Heilmethode hingewiesen wurde.
Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung dahingehend ab, daß es das Klagebegehren abwies. Es erklärte die ordentliche Revision für zulässig. Die ärztliche Aufklärungspflicht dürfe nicht überspannt werden. Es müsse nicht über alle nur denkbaren Folgen der Behandlung aufgeklärt werden. Insbesondere über Risken, die mit jedem medizinischen Eingriff verbunden seien, wie etwa das Auftreten einer Infektion müsse nicht aufgeklärt werden, weil ein operationsimmanentes Infektionsrisiko jedem medizinischen Laien bekannt sei. Selbstverständlichkeiten bedürften keiner Aufklärung. Die Infektion im Kniegelenk sei daher als schicksalshaft anzusehen. Der Klägerin sei am 1.4.1988 eine Salbe verordnet worden, sie sei in Behandlung ihres Hausarztes gestanden, der sie zur Vornahme einer Arthroskopie an das Krankenhaus S***** überwiesen habe. Es könne die Schlußfolgerung gezogen werden, daß die bisher vorgenommene konservative Behandlung kein befriedigendes Ergebnis zur Erreichung der Stabilität des Kniegelenkes erreicht habe. Sei die bisher vorgenommene konservative Behandlung nicht effizient gewesen, so konnte nach einer Arthroskopie die operative Behandlung ins Auge gefaßt werden, die auch medizinisch indiziert war. Die Klägerin habe nicht neuerlich über eine konservative Behandlungsmöglichkeit, die sich bisher als nicht effizient erwies, informiert werden müssen. Eine Verletzung der ärztlichen Auklärungspflicht sei daher nicht gegeben.
Gegen die Entscheidung des Gerichtes zweiter Instanz richtet sich die Revision der Klägerin wegen Aktenwidrigkeit und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das Teil- und Zwischenurteil des Erstgerichtes wiederherzustellen; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Beklagte beantragt, der Revision der Klägerin nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist berechtigt.
Obwohl die Beurteilung der Verletzung der Aufklärungspflicht eine im Einzelfall zu treffende Entscheidung betrifft, ist die Revision nach § 502 Abs 1 ZPO dennoch zulässig, weil der Problematik der Aufklärung über ein Infektionsrisiko und über eine alternative Behandlungsmethode erhebliche Bedeutung zukommt und daher dieses Rechtsproblem auch vergleichbare Fälle betreffen kann.
Die gerügte Aktenwidrigkeit liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO). Offenkundige Tatsachen bedürfen gemäß § 269 ZPO (Fasching2 ZPR Rz 852 f) keines Beweises, sodaß die Berücksichtigung solcher Tatsachen durch das Berufungsgericht nicht aktenwidrig sein kann. Daß auch bei den geringfügigsten operativen Eingriffen trotz Beachtung aller Vorsichtsmaßnahmen eine Infektion oder irgendwelche dadurch bedingte Komplikationen nicht ausgeschlossen werden können, weiß in allgemeinen jeder Patient (Ehlers, Die ärztliche Aufklärung vor medizinischen Eingriffen, 74; Geiß, Arzthaftpflichtrecht, 96; Giesen, Arzthaftungsrecht, 136).
Nicht aktenwidrig, aber unrichtig ist die Auffassung des Berufungsgerichtes, daß die Klägerin nicht neuerlich über eine konservative Behandlung, "die sich bisher nicht als effizient erwies", informiert werden mußte. Die bisherige konservative Behandlung bestand allein in der Verordnung einer Salbe, die tatsächlich keine Wirkung zeitigte, nicht jedoch in der als alternative Therapie festgestellten Ruhigstellung des Knies durch Gipsverband mit anschließender funktioneller Behandlung.
Für den als Rechtsfrage zu lösenden Umfang der unabdingbaren Pflicht des Arztes auf sorgfältige ärztliche Aufklärung über Art, Schwere und Gefahren sowie schädliche Folgen einer Operation oder deren Unterlassung, sowie über alternative Behandlungsmethoden gibt es keine generellen verbindlichen Normen. Die Aufklärungspflicht hat sich immer an den Umständen des Einzelfalles zu orientieren. Sie ist umso umfassender, je weniger dringlich der Eingriff ist. Sie nimmt mit dem Maße zu, in dem die unbedingte und lebensnotwendige Indikation des beabsichtigten Eingriffes abnimmt. Sie hängt daher vom Grunde der vitalen Bedeutung des Eingriffes für den Patienten ab (Kern/Laufs, Die ärztliche Aufklärungspflicht, 68 f; Holzer, Die Haftung des Arztes in zivil- und strafrechtlicher Sicht unter Einschluß des Arzneimittelrechtes, 91; Geiß, Arzthaftpflichtrecht, 95; Ehlers, Die ärztliche Aufklärung vor medizinischen Eingriffen, 79; Giesen, Arzthaftungsrecht, 143 ff; SZ 55/114 = EvBl 31/1987 = JBl 1983, 373; JBl 1990, 459; JBl 1992, 520; 8 Ob 646/92).
Aufklärungsanforderungen dürfen aber nicht überspannt werden (JBl 1991, 316 mwN). Auf objektiv unbedeutende Risken oder Nebenwirkungen ist nur dann hinzuweisen, wenn für den Arzt erkennbar ist, daß diese für den Patienten aus bestimmten Gründen wichtig sind (JBl 1990, 459; JBl 1991, 316). Auf typische, einigermaßen erhebliche, speziell dem geplanten Eingriff anhaftende Risken ist aber hinzuweisen (JBl 1990, 459). Bei Beurteilung der Aufklärungspflicht über ein Infektionsrisiko ist nicht an statistischen Werten zu haften (8 Ob 646/92 mwN), - eine Aufklärungspflicht entfällt daher nicht schon bei einer Risikodichte im Promillebereich (Giesen aaO, 137), - sondern hängt davon ab, ob der Arzt davon überzeugt sein konnte, daß der Patient aus der Alltäglichkeit des Eingriffes nicht auf seine völlige Ungefährlichkeit schließen konnte (Giesen aaO, 136; Geiß aaO, 96) sowie daß das Risiko angesichts der mit der Unterlassung des geplanten Eingriffes auf jedenfall verbundenen Fortdauer der bisherigen Krankheitsfolgen so geringes Gewicht aufweist, daß ein vernünftiger Patient es gar nicht ernsthaft in seine Überlegungen einbezieht und lieber die gute Chance einer Heilung mit demgegenüber viel kleineren Gefahren erkauft (SZ 55/114 mwN).
Das Infektionsrisiko bei einer Operation am offenen Knie beträgt 1 bis 2 %. Bei diesen unvermeidbaren Risiko einerseits und dem Wunsch des Patienten, von seinen Beschwerden in optimaler Weise befreit zu werden, andererseits sowie der Aufklärung über die Art des Eingriffes und dem als allgemein bekannt vorauszusetzenden Wissen um eine mögliche Infektion bei einem in Vollnarkose vorzunehmenden schweren Eingriff konnte der Arzt davon ausgehen, daß der Patient nicht von einer ohnehin selten vorkommenden Infektion überrascht werde. Ein Infektionsrisiko, das jeder Operation, jedem chirurgischen Eingriff in den menschlichen Organismus (Pschyrembel255 Klinisches Wörterbuch 1209), innewohnt, ist anders zu beurteilen als ein typisches mit einem geplanten Eingriff verbundenes Risiko. So kann beispielsweise eine Stimmbandlähmung oder eine Tetanie als typisches Risiko einer Kropfoperation (JBl 1990, 459) nicht mit einem allgemeinen Infektionsrisiko einer Operation verglichen werden. Wenn auch bei einem Infektionsrisiko von 3,5 bis 5 % Aufklärung verlangt wurde (8 Ob 646/92), konnte sie unter den gegebenen Umständen bei der hier nicht gegebenen vitalen Indikation unterbleiben.
Von entscheidender Bedeutung ist im vorliegenden Fall allerdings die unterlassene Aufklärung über mögliche alternative Behandlungsmethoden d. h. die fehlende Unterrichtung über andere, weniger gefährliche oder besseren Erfolg versprechende Behandlungsvarianten. Der Arzt muß über mehrere zur Wahl stehende diagnostisch oder therapeutisch adäquate Verfahren informieren und die Vor- und Nachteile mit dem Patienten abwägen, wenn jeweils unterschiedliche Risken eine verschieden starke Intensität des Eingriffes, differierende Folgen, insbesondere der Schmerzbelastung, oder verschieden hohe Erfolgssicherheiten damit verbunden sind, damit der Patient eine echte Wahlmöglichkeit hat (Ehlers aaO, 85 f; Geiß aaO, 92 f; BGH in AHRS = Ankermann/Kullmann Arzthaftpflichtrechtsprechung 5000/38; JBl 1991, 455 mwN).
Entgegen der Meinung des Berufungsgerichtes konnte die bisherige ineffiziente konservative Behandlung mit der Salbe eine Aufklärung über eine noch nicht durchgeführte konservative Behandlung durch Ruhigstellung im Gipsverband mit anschließender funktioneller Behandlung nicht entbehrlich machen, weil sie eine solche entgegen der Annahme des Berufungsgerichtes noch nicht als ineffizient erwiesen hat.
Es liegen allerdings derzeit noch keine gesicherten Feststellungen darüber vor, ob eine operative Behandlung etwa die gleichen Erfolgschancen wie eine konservative Behandlung durch Ruhigstellung des Beines im Gipsverband gehabt hätte. Die diesbezügliche maßgebliche Feststellung des Erstgerichtes, die eine Aufklärungspflicht nach sich gezogen hätte, wurde von der Beklagten in der Berufung ausdrücklich als unrichtig bekämpft.
Das Berufungsgericht ist, offenbar infolge seiner unrichtigen Rechtsansicht, daß keine Aufklärungspflicht über eine weitere konservative Behandlungsmethode bestanden habe, auf die Beweisrüge der Beklagten nicht eingegangen, so daß diese entscheidende Feststellung des Erstgerichtes auch nicht übernommen werden konnte. Das Urteil des Berufungsgerichtes leidet daher an einem Feststellungsmangel, der eine abschließende rechtliche Beurteilung nicht zuläßt und im Rahmen des Revisionsgrundes der unrichtigen rechtlichen Beurteilung wahrzunehmen ist. Die Nichterledigung der Tatsachenrüge durch die letzte Tatsacheninstanz, die zu einem Feststellungsmangel führt, zwingt zur Aufhebung des Urteiles der 2. Instanz und zur Zurückverweisung an diese zur neuerlichen Entscheidung nach allfälliger Verfahrensergänzung (SSV-NF 5/22).
Es wird aber zu beachten sein, daß die vom Erstgericht auf die Ausführungen des Sachverständigen gestützte Feststellung eine zur Operation abgrenzbare vergleichbare Erfolgsanalyse dieser konservativen Behandlung vermissen läßt. Maßgeblich ist die Situation, wie sie sich bei einer vorausschauenden Betrachtung des Arztes im Zeitpunkt der notwendigen Aufklärung darstellt (Giesen aaO, 143). Der Sachverständige deponierte im mündlichen Ergänzungsgutachten, daß zum Zeitpunkt 10.5.1988 (Aufnahme und Operation der Klägerin) mit größter Wahrscheinlichkeit nicht mehr - wohl aber kurz nach dem Unfallereignis - eine Ruhigstellung und eine wirkliche Bandkonsolidierung erfolgen hätten können, aber eine rein funktionelle Behandlung abzuwarten gewesen wäre und später allenfalls ein rekonstruierender Eingriff vorgenommen hätte werden können. Erfolgsaussichten seien ihm nicht in Erinnerung. Die Operationsindikation am 10.5.1988 bejahte er, es habe aber auch noch die Möglichkeit der konservativen Therapie offengestanden. Die Erfolgschancen wären genauso zu bewerten, wie bei jeder anderen konservativ veralteten Behandlung. Im Vergleich zur Operation bestünden etwa die gleichen Chancen. Diese Ausführungen lassen die Vor- und Nachteile sowie die konkreten Erfolgsaussichten der Operation und der konservativen Therapie im Falle eines wie hier festgestellten Risses des vorderen Kreuzbandes des linken Kniegelenkes im Zeitpunkt der Aufklärungsverpflichtung vor der Operation nicht präzise erkennen. Hiezu wären daher ergänzende Feststellungen erforderlich.
Dann erst wird die Frage gelöst werden können, ob der Klägerin eine echt Wahlmöglichkeit für die eine oder andere Behandlungsvariante zur Verfügung stand und ob dem behandelnden Arzt angelastet werden kann, die Klägerin über eine echte Behandlungsalternative nicht aufgeklärt zu haben.
Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.
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