OGH 8Ob646/92

OGH8Ob646/9212.11.1992

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Griehsler als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Huber, Dr.Graf, Dr.Jelinek und Dr.Schinko als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ch***** T*****, vertreten durch Dr.Clement Achammer, Rechtsanwalt in Feldkirch, wider die beklagte Partei Dr.M***** J*****, vertreten durch Dr.Rolf Philipp, Rechtsanwalt in Feldkirch, wegen S 128.962,37 sA infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht vom 29.April 1992, GZ 3 R 99/92-28, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom 23.Dezember 1991, GZ 8 Cg 87/91-22, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der außerordentlichen Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß die Entscheidung zu lauten hat:

"Zwischenurteil

Das Klagebegehren besteht dem Grunde nach zu Recht."

Die Kostenentscheidung bleibt der Endentscheidung vorbehalten.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin belangt den Beklagten, einen Facharzt für Orthopädie, wegen Verletzung der Aufklärungspflicht über die Risken einer Halluxoperation und dabei unterlaufener Behandlungsfehler. Dieser diagnostizierte bei der Klägerin am 17.5.1989 nach einer Untersuchung und Röntgenaufnahmen ausgeprägte Spreizfüße sowie u.a. einen Hallux valgus links (eine nach innen gewölbte Großzehe links). Er verschrieb ihr Korkledereinlagen und empfahl ihr eine subcutane Korrektur-Osteotomie nach der Methode New/Kramer. Hiebei müsse der Knochen durchtrennt und in die richtige Stellung gebracht werden. Der Eingriff werde nicht lange dauern. Die Klägerin wies ihn darauf hin, daß sie aufgrund ihres Berufes - Gastwirtin - wieder schnell "auf den Beinen sein müßte", da die Saison im Juli beginnen würde. Der Beklagte meinte, bei normalem Verlauf müsse alles in vier Wochen erledigt sein; allenfalls könnten noch zwei Wochen Restbeschwerden auftreten. Er vereinbarte schließlich mit ihr einen Operationstermin im Krankenhaus für den 5.6.1989, sodaß bei planmäßigem Verlauf auch allfällige Restbeschwerden bis etwa Mitte Juli 1989 abgeklungen sein sollten. Ob der Beklagte die Klägerin ausdrücklich darauf aufmerksam machte, daß durch diesen Eingriff ein ein- bis zweitägiger stationärer Aufenthalt im Krankenhaus notwendig wäre, konnte nicht festgestellt werden; diese glaubte jedenfalls, daß der Eingriff ambulant durchgeführt würde.

Der Beklagte wendet die Operationsmethode New/Kramer seit 1984 an; ihr Vorteil ist, daß eine derartige Großzehenfehlstellung nach örtlicher Betäubung in kurzer Zeit behoben werden kann, was zuvor nicht möglich war, und nur eine 5 mm große Narbe verbleibt. Der Beklagte hatte bis zur Operation der Klägerin diese Operationsmethode bereits 42mal angewandt; dabei kam es nie zu irgendwelchen Komplikationen und er wußte auch nichts von solchen; es brachen weder Bohrer ab noch traten Infektionen auf.

Ein technisches Gebrechen, z.B. das Abbrechen eines Gerätes (wie eines Fräs-Bohrers) ist bei einem solchen Eingriff kein typisches Risiko. Es haftet dieser Operation genauso wenig speziell an, wie jeder anderen Operation, bei welcher Geräte verwendet und Eingriffe an Knochen durchgeführt werden. Es kann aber jedem Chirurgen passieren. Ein solcher Zwischenfall birgt aber keine (zusätzliche) Gefahr; dem Patienten passiert nichts; lediglich die Operationsdauer wird um ca. 30 Sekunden verlängert, wobei dies davon abhängt, wie schnell die Operationsschwester den Bohrer austauscht. Auch die Möglichkeit einer Infektion ist kein typisches Risiko eines derartigen Eingriffes; die bei der Beklagten eingetretenen Folgen sind Risken bzw Gefahren, die bei jeder Operation auftreten können. In etwa 3,5 bis 5 % der durchgeführten Eingriffe kommt es aber zu den schließlich eingetretenen Komplikationen.

Als die Klägerin am 5.6.1989 das Krankenhaus aufsuchte, erklärte ihr der Beklagte, daß der Eingriff nur stationär durchgeführt werden könne, wobei ein Aufenthalt von zwei bis drei Tagen notwendig wäre. Unmittelbar vor dem Eingriff stellte er anhand der bereits am 17.5.1989 angefertigten Röntgenbilder fest, daß bei der von ihm ursprünglich vorgeschlagenen Korrektur nur des Grundgliedes Probleme entstehen könnten, wenn die Klägerin viel gehen oder enge Schuhe tragen würde. Er schlug ihr daher die Korrektur statt am Grundglied, am Mittelfußknochen der Großzehe vor - die beiden Eingriffe entscheiden sich nur dadurch, daß die Durchtrennung des Knochens an anderer Stelle vorgenommen wird - und machte sie darauf aufmerksam, daß bei einer derartigen Korrekturoperation eine Heilung erst nach fünf oder sechs Wochen eintreten könnte. Nach Rücksprache mit ihrem Gatten entschloß sich die Klägerin, die Operation entsprechend dem Vorschlag des Beklagten durchführen zu lassen und den stationären Aufenthalt in Kauf zu nehmen.

Der Eingriff wurde sodann im sog. "ambulanten Operationssaal" vorgenommen; dieser dient für kleine Knocheneingriffe und Sehnennähte, die dort steril durchgeführt werden. Der Unterschied zum sog. "großen Operationssaal" liegt nur darin, daß in diesem alle Möglichkeiten für eine Vollnarkose vorhanden sind. Die Infektionsgefahr ist im ambulanten Operationssaal nicht größer als in jedem anderen. Der Beklagte begann nach einer örtlichen Betäubung mit dem Eingriff. Er machte einen kleinen Schnitt und bohrte schießlich den Knochen mit einem Fräs-Bohrer an. Knapp vor Ende des Durchtrennens des Knochens brach der Bohrer ab. Der wahrscheinliche Grund hiefür lag in dem sehr harten Knochenbau der Klägerin. Ein etwa 5 mm langes Stück des Bohrers verblieb im Knochen. Beim zweiten Versuch des Beklagten, den Knochen mit einem Bohrer zu durchtrennen, brach auch dieser an derselben Stelle ab. Da die Notwendigkeit von Röntgenaufnahmen und einer Vollnarkose nicht mehr ausgeschlossen werden konnten und auch aus Sterilitätsgrunden, veranlaßte der Beklagte die Verlegung in den großen Operationssaal. Er mußte nun wegen des Abbrechens des Bohrers eine andere Operationstechnik anwenden, wofür er einen größeren Schnitt anlegte: Er brach den kleinen noch vorhandenen Steg des Knochens mit einer Zwickzange durch und entfernte die zwei abgebrochenen Bohrerteile. Als Folge verblieb eine größere Narbe.

Dem Beklagten ist bei der Durchführung der Operation kein Fehler unterlaufen. Weder die Durchführung des Eingriffes in Lokalanästhesie noch die nicht durchgeführte antibiotische Abschirmung stellen Behandlungsfehler dar. Grundsätzlich ist die Verabreichung von Antibiotika nicht unproblematisch, weshalb bei einem derartigen Eingriff eine solche "Abschirmung" mit den damit verbundenen Risken abzuwägen ist. Trotz des Abbrechens des Bohrers und der damit längeren Dauer der Operation war eine derartige Abschirmung nicht zwingend vorzunehmen; sie wäre aber allenfalls zweckdienlich gewesen.

Da keine Komplikationen auftraten, wurde die Klägerin am 7.6.1989 entlassen. Üblicherweise wird der Verband wöchentlich gewechselt und der Draht nach vier Wochen entfernt. Die Klägerin suchte den Beklagten zu den vereinbarten Terminen auf. Am 21.6.1989 stellte er fest, daß die Haut beim "Draht-Nagel" etwas eingerissen war; er verschrieb ein Fußbad und wechselte den Verband. Wegen inzwischen aufgetretener Schmerzen suchte die Klägerin den Beklagten bereits am 26.6.1989 wieder auf. Dieser stellte eine ausgeprägte Entzündung fest. Die Zehe war stark geschwollen und es trat etwas Sekretion aus der Nagelstelle aus. Der Grund für diese Infektion ist nicht im Verhalten bzw der Behandlung durch den Beklagten zu suchen, sondern stellt ein Risiko dar, welches in dem oben erwähnten Ausmaß bei derartigen Eingriffen eintreten kann. Der Beklagte entfernte den Draht, führte eine Röntgenkontrolle durch und verschrieb der Klägerin ein Breitbandantibiotikum, ein Schmerzmittel sowie eine Salbe und verordnete eine Kontrolle zwei Tage später. Bei diesem Besuch stellte er fest, daß die Entzündung stark zurückgegangen war. In der Folge suchte die Klägerin noch einige Male die Ordination des Beklagten auf. Anläßlich der Untersuchung am 13.7.1989 stellte er noch eine leichte Entzündung im Bereich der ursprünglichen Wunde fest. Er machte deshalb einen kleinen Schnitt, stellte jedoch nur etwas Sekretion fest. Für weitere Maßnahmen bestand für ihn kein Grund. Am 21.7.1989 diagnostizierte er noch eine Schwellung sowie eine kleine Öffnung mit seriöser Sekretion, stellte jedoch keine Entzündungszeichen mehr fest. Da er in der Folge seinen Urlaub antrat, wies er die Klägerin an, am 27.7.1989 einen Kollegen im Krankenhaus aufzusuchen. Diese hielt sich an die Anweisungen des Beklagten. Sie stellte entsprechend dessen Rat den Fuß ruhig, nahm Kamillenbäder und die verordneten Medikamente. Dennoch wurden die Schmerzen nach dem Urlaubsantritt des Beklagten ärger, weshalb sie ihn an seinem Urlaubsort anrief; er wies sie an, in die Ambulanz des Krankenhauses zu gehen.

Die Klägerin suchte aber aufgrund der Bekanntschaft ihres Sohnes mit einem Arzt eines anderen Krankenhauses in der Folge dieses auf. Dort wurde im Hinblick auf die nach wie vor bestehende Infektion ein Schnitt und eine Säuberung durchgeführt. Die Klägerin mußte in der Folge das Bett hüten. Da die Schmerzen nicht abklangen wurde sie zweimal, nämlich vom 12.8. bis 15.8. sowie vom 25.8. bis 29.8. in das Krankenhaus stationär aufgenommen; der angelegte Gipsverband wurde erst am 4.10.1989 entfernt. Die Klägerin hatte durch diese Komplikationen wesentlich länger starke und mittelstarke Schmerzen zu ertragen als ein Patient, bei dem der Eingriff komplikationslos verläuft.

Die Klägerin begehrt vom Beklagten insgesamt S 128.962,37 sA, und zwar S 18.962,37 Behandlungskosten, S 50.000 Schmerzengeld und S 60.000 Kosten für eine Ersatzkraft.

Der Beklagte beantragt die Abweisung dieses Klagebegehrens; er habe die Klägerin hinreichend aufgeklärt und keinen Behandlungsfehler begangen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, daß die ordentliche Revision nicht zulässig sei.

Der Arzt habe zwar die Pflicht, den Patienten über Art und Schwere sowie die möglichen Gefahren und schädlichen Folgen der Behandlung oder ihrer Unterlassung zu unterrichten. In welchem Umfang der Arzt im jeweils gegebenen Einzelfall den Patienten aufklären müsse, damit dieser die Tragweite seiner Erklärung in die Behandlung bzw Operation einzuwilligen, jedenfalls in ihren Grundzügen überschauen könne, also wisse, worin er einwillige, stelle eine Rechtsfrage dar. Für den Umfang der ärztlichen Aufklärungspflicht gebe es keine generell verbindlichen Normen. Sie habe sich immer nach den Umständen des Einzelfalles zu orientieren. Gewisse Richtlinien seien dabei neben dem Grad der Verständigung (wohl des Verständnisses) des Patienten und seiner seelischen Verfassung die Art der Erkrankung und die vorgesehene Behandlung, mögliche Risken und Komplikationen, aber auch mögliche alternative Behandlungsmethoden. Dem Beklagten sei unter Anwendung dieser Grundsätze keine Verletzung der ärztlichen Aufklärungspflicht anzulasten. Er habe die Klägerin über die Art des Eingriffes aufgeklärt und sie auch auf die im Normalfall mit einem derartigen Eingriff verbundene Heilungsdauer hingewiesen. Da weder das Abbrechen eines Bohrers noch das Auftreten von Infektionen zum typischen Risiko eines derartigen relativ kleinen Eingriffs gehörten, habe es keines Hinweises des Beklagten auf diese Gefahren, bedurft, zumal dieser nach seinen bisherigen Erfahrungen mit derartigen Komplikationen nicht rechnen mußte.

Auch die dem Beklagten angelasteten Behandlungsfehler lägen nicht vor. Der ambulante Operationssaal sei steril und zur Durchführung derartiger Eingriffe geeignet. Mit dem Auftreten von Komplikationen sei nicht zu rechnen gewesen, weshalb eine antibiotische Abschirmung nicht geboten gewesen sei. Gleiches gelte auch für die von der Klägerin angeführte bakteriologische Keimbestimmung, weil sich diese nicht günstiger auf den Heilungsverlauf ausgewirkt hätte. Hinweise dafür, daß die Klägerin zu früh aus dem Krankenhaus entlassen worden sei, hätten sich nicht ergeben. Auch bei der Nachbehandlung habe der Beklagte keine Fehler begangen.

Der Klägerin sei daher der ihr obliegende Beweis für die Behauptungen, der Beklagte habe sie über den gegenständlichen Eingriff und die damit verbundenen Folgen nicht genügend aufgeklärt und es seien ihm Behandlungsfehler unterlaufen, nicht gelungen, weshalb das Erstgericht mit Recht eine Schadenersatzpflicht des Beklagten verneint habe.

Gegen dieses Urteil richtet sich die außerordentliche Revision der Klägerin. Sie beantragt, sie zuzulassen und ihr Folge zu geben. Die Urteile der Vorinstanzen mögen behoben und festgestellt werden, daß ihr Anspruch dem Grunde nach zu Recht bestehe; hilfsweise stellt sie einen Aufhebungsantrag bzw begehrt sie die Abänderung im voll klagsstattgebenden Sinn.

Der Beklagte beantragt, die außerordentliche Revision zurückzuweisen, in eventu ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig und im Sinn des Hauptbegehrens auch berechtigt.

Von den mehreren von der Klägerin als erheblich iS des § 502 Abs 1 ZPO bezeichneten Rechtsfragen rechtfertigen jedenfalls zwei die Anrufung des Obersten Gerichtshofes. Bei der Beurteilung der Verletzung der Aufklärungspflicht handelt es sich zwar um eine jeweils im Einzelfall zu treffende Entscheidung; das Berufungsgericht hat zwar die von der oberstgerichtlichen Rechtsprechung entwickelten Grundsätze richtig wiedergegeben, bei ihrer Anwendung auf den vorliegenden Fall aber deren Grenzen überschritten, sodaß die Anrufung des Obersten Gerichtshofes zulässig ist. Zur Frage unterlassener, nicht unbedingt notwendiger, aber zweckdienlicher Behandlungsmethoden (hier Antibiotikabehandlung) liegt keine ausreichende oberstgerichtliche Rechtsprechung vor, sodaß auch aus diesem Grund die Revision zulässig ist.

Bei der Beurteilung des Ausmaßes der Aufklärungspflicht ist zunächst davon auszugehen, daß die Operation, der sich die Klägerin unterzogen hat, nicht akut notwendig war; die Halluxoperation sollte lediglich dazu dienen, die Fußbeschwerden der Klägerin, die auch mittels Einlagen bekämpft wurden, zu verringern.

Eines der wesentlichen Kriterien, nach denen der Umfang der Aufklärungspflicht zu messen ist, ist die medizinische Notwendigkeit des Eingriffs. Je weniger dringend geboten ein operativer Eingriff ist, umsomehr ist vom Arzt eine umfassende Aufklärung des Patienten über die Risken des geplanten Eingriffes zu erwarten. Der Patient muß möglichst umfassend und konkret informiert werden, um frei entscheiden zu können, ob er lieber mit seinen bisherigen Beschwerden (hier an sich ungefährliche Fußschmerzen) weiterleben möchte oder aber die gute Chance einer Heilung oder doch Linderung seiner Beschwerden mit den demgegenüber viel kleineren Risken erkauft (SZ 55/114; 59/18 uva). Auch wenn jedermann bekannt ist, daß jeder operative Eingriff mit einem gewissen Risiko verbunden ist, kennt der Laie das konkrete Ausmaß des Risikos doch nicht oder nicht genau genug. Er muß daher darüber aufgeklärt werden, welche konkreten Risken er mit welcher Wahrscheinlichkeit bei dem geplanten operativen Eingriff auf sich nimmt. Wenngleich mit einem Abbrechen des Bohrers bei derartigen Eingriffen nicht gerechnet werden muß und die Wahrscheinlichkeit, daß derartiges passiert, derart marginal ist, daß der behandelnde Arzt seinen Patienten darüber nicht aufklären muß (vgl JBl 1982, 491 ua), gilt dies nicht für das Infektionsrisiko. Zwar ist bei der Beurteilung der Aufklärungspflicht nicht auf bestimmte statistische Werte abzustellen (SZ 55/114; 57/207 ua), doch muß von einem gewissenhaften Arzt doch verlangt werden, daß er bei einer nicht notwendigen Operatio den Patienten über ein Infektionsrisiko von immerhin 3,5 bis 5 % aufklärt. Der Einwand der Chirurgen, bei Aufklärung über derartige Risken wäre nur bei lebensbedrohenden Zuständen die Zustimmung der Patienten zum Eingriff zu erhalten (vgl Berufungsurteil S 8 f), zeigt gerade, wie notwendig es ist, den Patienten voll zu informieren. Er muß frei entscheiden können, ob er lieber mit seinen Beschwerden weiterlebt oder in der Hoffnung auf künftige Beschwerdefreiheit oder -erleichterung gewisse Operationsrisken eingeht.

Da der Beklagte die Klägerin nicht in über das Infektionsrisiko, somit nicht in dem nach den konkreten Umständen erforderlichen Ausmaß aufgeklärt hat, haftet er ihr für die nachteiligen Folgen, wenn sie - was sie unwiderlegt behauptet - sonst in die Operation nicht eingewilligt hätte, selbst dann, wenn ihm bei der Behandlung selbst kein Kunstfehler unterlaufen wäre (SZ 62/18 ua).

Dem Beklagten ist aber auch ein Behandlungsfehler anzulasten. Wenn auch eine prophylaktische Behandlung mit Antibiotika bei normalem Verlauf einer Halluxoperation nach den Feststellungen der Vorinstanzen nicht notwendig sein mag, darf nicht übersehen werden, daß im vorliegenden Fall das Infektionsrisiko durch das zweimalige Abbrechen des Bohrers, das Verlegen der Patientin in einen anderen Operationssaal während der Operation und der Notwendigkeit der Suche nach den abgebrochenen Bohrerenden wesentlich erhöht wurde. Der Sachverständige hat auch noch in seinem - auffallend abgeschwächten - ergänzenden Gutachten ON 20, das schließlich den Sachverhaltsfeststellungen zugrunde gelegt wurde, erklärt, daß in einem solchen Fall eine Antibiotikabehandlung zumindest zweckdienlich gewesen wäre. In der Unterlassung zweckdienlicher, wenn auch nicht unbedingt notwendiger begleitender Maßnahmen liegt jedoch schon ein dem Beklagten hinreichend anzulastender Behandlungsfehler. Die in der Folge aufgetretene schwere Infektion ist prima facies auf diese Unterlassung zurückzuführen (zum Sorgfaltsmaßstab eines Arztes im allgemeinen sowie zum prima facies Beweis bei Behandlungsfehlern SZ 62/ 53 ua). Da es dem Beklagten nicht gelungen ist, diesen prima facies Beweis zu entkräften, indem er nachweist, daß die Infektion auch bei entsprechender Antibiotikabehandlung unvermeidbar gewesen wäre, hat er auch aus diesem Grund für die durch die Infektion verursachten Schäden einzustehen. Bei dieser Sach- und Rechtslage braucht auf die übrigen behaupteten Behandlungsfehler nicht mehr eingegangen zu werden.

In Abänderung der Urteile der Vorinstanzen ist durch Zwischenurteil auszusprechen, daß das Klagebegehren dem Grunde nach zu Recht besteht. Im fortgesetzten Verfahren werden (weitere) Feststellungen über die Höhe der Ansprüche der Klägerin zu treffen und sodann hierüber durch Endurteil zu entscheiden sein.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte