OGH 7Ob14/93

OGH7Ob14/9314.7.1993

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Warta als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Niederreiter, Dr.Schalich, Dr.Tittel und Dr.I.Huber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Anton W*****, vertreten durch Dr.Clemens Schnelzer, Rechtsanwalt in Zwettl, wider die beklagte Partei ***** Versicherungs-AG, ***** vertreten durch Dr.Ferdinand Weber und Dr.Hannes Hirtzberger, Rechtsanwälte in Krems, wegen Feststellung (Streitwert S 80.000,--), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 19.Februar 1993, GZ 14 R 257/92-18, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Kreisgerichtes Krems vom 13.August 1992, GZ 6 Cg 309/91-13, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 5.094,-- (darin S 849,-- Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war Eigentümer des landwirtschaftlichen Betriebes in N***** (ca. 15 ha Eigengrund). Er hat bei der beklagten Partei 1965 eine Betriebshaftpflichtversicherung abgeschlossen, der die AHVB 1963, sowie die Ergänzenden Allgemeinen Bedingungen für die Haftpflichtversicherung 1963 zugrundelagen. Schon seit dem Abzug der sowjetischen Truppen bewirtschaftete der Kläger auch Wiesen, die im Gebiet des Truppenübungsplatzes Allentsteig und zum Teil schon vor 1966 im Zielgebiet von Artilleriegeschützen lagen. Soweit der Kläger Geschoßteile nicht vor dem Mähen dieser Wiesen beim Absuchen des Geländes entdeckte, gerieten sie in den Ladeanhänger und wurden entweder beim Abladen oder erst beim Verfüttern des Heus entdeckt. Der Kläger bewahrte die so aufgefundenen Geschoßteile in einem alten Futterdämpfer vorläufig auf, um sie später auf dem Truppenübungsplatz in dafür ausgehobene Gruben zu werfen. Unter diesen Geschoßteilen befand sich auch der Blindgänger einer Hohlladungsgranate, der, vom Kläger unbemerkt, in den alten Futterdämpfer geriet. Anläßlich einer Entrümpelungsaktion wurde dieser Futterdämpfer am 7.6.1989 an die Alteisenhändlerin K***** verkauft. Beim Abladen vom LKW explodierte der Blindgänger, beschädigte den LKW und verletzte Johann K*****. Die im Versicherungsantragsbogen an den Kläger gestellte Frage, ob ihm Ursachen bekannt sind, die zu einem Schadensereignis führen könnten, hat der Kläger mit nein beantwortet. Er verschwieg den Umstand, daß ein Teil der von ihm bewirtschafteten Fläche auf dem Truppenübungsplatz liegt, weil er darin nur eine allfällige Gefährdung seiner persönlichen Sicherheit und der Sicherheit seiner landwirtschaftlichen Geräte sah, nicht aber für Dritte eine besondere Gefahrenträchtigkeit erkannte. An der Grenze des Truppenübungsplatzes sind Warnschilder aufgestellt, die auf Blindgänger hinweisen.

Mit der vorliegenden Deckungsklage begehrt der Kläger von der Beklagten, ihm für das Ereignis vom 7.6.1989 Versicherungsschutz zu gewähren. Eine Gefahrenerhöhung sei deswegen zu verneinen, weil die Grasnutzung auf dem Gebiet des Truppenübungsplatzes bereits seit Ende des Zweiten Weltkrieges bestanden habe.

Die Beklagte hält dem im wesentlichen entgegen, daß der Kläger auf die gefahrenerhöhenden Umstände nicht hingewiesen habe. Soweit diese erst nach dem Vertragsabschluß eingetreten seien, hätte er die Gefahrenerhöhung anzeigen müssen. Jedenfalls habe er seine Obliegenheit, die Beklagte über Umstände, die gegenüber einem (durchschnittlichen) landwirtschaftlichen Betrieb als Gefahrenerhöhung anzusehen seien, zu informieren, nicht erfüllt.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es verneinte eine Obliegenheitsverletzung des Klägers. Der Kläger habe habe die ihm von der Beklagten schriftlich gestellten Fragen zutreffend beantwortet. Nach der Lage seiner Wiesen auf dem Truppenübungsplatz sei er nicht gefragt worden. Arglist sei zu verneinen. Eine nachträgliche Gefahrenerhöhung liege nicht vor, weil die Wiesen auch schon vor dem Vertragsabschluß im Zielgebiet der Artillerie gelegen gewesen seien. Auch liege keine Leistungsfreiheit nach Art.5 der AHVB 1963 vor. Der Kläger habe nicht vorsätzlich, auch nicht bedingt vorsätzlich, den Blindgänger an die Alteisenhändlerin Kuschal verkauft.

Das Berufungsgericht änderte mit der angefochtenen Entscheidung dieses Urteil im Sinne einer Klagsabweisung ab. Es bewertete den Entscheidungsgegenstand als mit S 50.000,-- übersteigend und erklärte die Revision für zulässig. Die Bewirtschaftung von Wiesen, die im Zielgebiet von Artilleriegegeschützen auf einem Truppenübungsplatz lägen, stelle eine gefahrerhöhende Individualtatsache dar, die maßgeblichen Einfluß auf den Entschluß des Versicherers, den Versicherungsvertrag überhaupt oder mit dem vereinbarten Inhalt abzuschließen, abstrakt ausübe. Eine derartige Frage hätte nur der Kläger allein beantworten können, dem Versicherer sei eine darauf abzielende Frage nicht zumutbar gewesen. Die negative Beantwortung der Frage nach Umständen, die zu einem Schadensereignis führen könnten, durch den Kläger stelle eine Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht, sohin eine Obliegenheitsverletzung dar. Hiefür genüge bereits leichte Fahrlässigkeit. Der dafür beweispflichtige Kläger habe keine Umstände, aus denen sein mangelndes Verschulden hervorgehe, bewiesen. Auch wenn die Bewirtschaftung von Wiesen im Bereich eines Truppenübungsplatzes in erster Linie eine Gefahr für den diese selbst bewirtschaftenden Versicherungsnehmer darstelle, so könne auch ohne Vorhersehbarkeit eines konkreten späteren Ereignisses nicht jeder Kontakt Dritter mit der diesbezüglichen Bewirtschaftung ausgeschlossen werden. Daher hätte der Kläger auch ohne Anleitung des Vertreters der Beklagten bei Beantwortung der im Fragenkatalog gestellten Fragen auf diese spezifische Bewirtschaftungsform hinweisen müssen.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen diese Entscheidung erhobene Revision des Klägers ist nicht berechtigt.

Zutreffend hat das Berufungsgericht erkannt, daß bei der Beantwortung von Individualtatsachen, über die nur der Versicherte aus eigenem Wissen Auskunft erteilen kann, es diesem bereits als Verschulden anzulasten ist, wenn er eine im Versicherungsantrag wie im vorliegenden Fall gestellte Frage unrichtig beantwortet (vgl. VersR 1977, 462 uva, zuletzt VersR 1987, 1125 und 7 Ob 23/86). An die vom Versicherten bei Erfüllung seiner vorvertraglichen Anzeigepflicht anzuwendende Sorgfalt sind ganz erhebliche Anforderungen zu stellen (zuletzt VR 1991, 200 sowie 7 Ob 21/92). Die Beweislast für das mangelnde Verschulden trifft den Versicherungsnehmer (vgl. SZ 61/177). Es ist unzweifelhaft, daß sich aus der Bewirtschaftung von Grundstücken im Bereich eines Truppenübungsplatzes, die als Zielgebiet für die Artillerie benützt werden, ganz andere Voraussetzungen für den Abschluß einer Betriebshaftpflichtversicherung ergeben, weil somit bei Ausübung eines Teils der versicherten Tätigkeit mit dem Kontakt mit Blindgängern gerechnet werden muß, deren Gefährlichkeit allein aufgrund der Lebenserfahrung bekannt ist und damit eine ganz beträchtliche Risikoerhöhung mit sich bringt. Keine Rolle spielt es, ob der Versicherer diesen konkreten Umstand tatsächlich im Hinblick auf den Deckungsumfang oder die Prämienkalkulation berücksichtigt hätte; es genügt, daß die Geschäftsgrundsätze Anhaltspunkte dafür bieten, daß Umstände der fraglichen Art für den Entschluß des Versicherers bedeutsam sind (vgl. VR 1992, 62 sowie Prölss-Martin VVG25, 199 ff). Bei dieser Tatsachenlage kann sich der Versicherte nicht darauf stützen, daß er nicht oder nicht konkret genug nach solchen Umständen befragt worden ist. Die vom Versicherten im Antragsformular gegebene Antwort "Nein" auf die Frage, ob ihm Ursachen bekannt seien, die zu einem Schadensereignis führen könnten, war daher objektiv betrachtet erkennbar falsch. Die Feststellungsgrundlage, auf der die angefochtene Entscheidung basiert, erlaubt zwar nicht den Schluß auf ein arglistiges Vorgehen des Versicherungsnehmers. Richtig hat aber das Berufungsgericht erkannt, daß für die Verletzung vorvertraglicher Obliegenheiten bereits leichte Fahrlässigkeit genügt (zuletzt VR 1991, 200).

Auf die Frage der Kündigung der bestehenden Versicherung im Sinne des § 16 VersVG (eines Rücktritts im Sinne dieser Bestimmung) - wie sie in der Revision erstmals aufgeworfen wird - braucht nicht eingegangen zu werden. Unbestritten ist, daß es sich bei der Verletzung der Verpflichtung zur wahrheitsgemäßen Angabe bei Abschluß des Versicherungsvertrages um eine Obliegenheit im Sinne des § 6 Abs 1 VersVG handelt. Die Verletzung einer solchen Obliegenheit führt unter den im § 6 VersVG genannten Bedingungen zur Leistungsfreiheit des Versicherers. Entgegen den Ausführungen von Bruck-Möller (VersVG8 I 333) und der in der - insoweit vereinzelt gebliebenen - Entscheidung

7 Ob 5/79 (= VersR 1981, 561) vertretenen, sich darauf gründenden

Rechtsansicht ist es zumindest seit der Entscheidung SZ 40/46 (=

VersR 1967, 767 mit zustimmender Besprechung von Wahle) in Übereinstimmung mit Prölss/Martin (VersVG25 125) und Schauer (Einführung in das österreichische Versicherungsvertragsrecht2 176) ständige Rechtsprechung des erkennenden Senates (iglS etwa ZVR 1970/39, VR 1988, 94 und VR 1988, 201), daß die Kündigungspflicht für die im § 6 Abs.1 VersVG festgesetzte Leistungsfreiheit dann ohne Bedeutung ist, wenn der Versicherer von der Obliegenheitsverletzung erst nach dem Versicherungsfall erfahren hat oder bei vorheriger Kenntnis die Monatsfrist noch nicht abgelaufen war. Der Zweck der Kündigungsvorschrift wird nämlich darin erblickt, daß der Versicherer ihm bekannte Obliegenheitsverletzungen nicht "aufs Eis legen" und trotzdem Versicherungsprämien kassieren darf. Dieser Zweck ist erst bei nachträglicher Kenntnis der Obliegenheitsverletzung für den betreffenden Versicherungsfall nicht gefährdet (Petrasch, ZVR 1985; SZ 47/16; SZ 40/46, 7 Ob 28/87 ua). Diesen Standpunkt hält der erkennende Senat auch im vorliegenden Fall aufrecht.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.

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