Normen
Allgemeine Bedingungen für die Kraftfahrversicherung §2 (2) litb
VersVG §6 (1)
Allgemeine Bedingungen für die Kraftfahrversicherung §2 (2) litb
VersVG §6 (1)
Spruch:
Der Kündigungszwang des § 6 (1) VersVG. besteht dann nicht, wenn der Versicherer erst nach dem Schadensfall Kenntnis davon erlangt hat, daß ein nicht mit der gehörigen Fahrerlaubnis ausgestatteter berechtigter Fahrer den Unfallswagen gelenkt hat.
Entscheidung vom 5. April 1967, 7 Ob 51/67.
I. Instanz: Landesgericht Klagenfurt; II. Instanz: Oberlandesgericht Graz.
Text
Der Zweitkläger hat mit der beklagten Versicherungsanstalt im Jahre 1962 eine auch heute noch bestehende Haftpflichtversicherung für seinen PKW abgeschlossen. Am 2. November 1964 verschuldete der Erstkläger, der den PKW mit Wissen seines Bruders, des Zweitklägers, benützt hatte, einen Verkehrsunfall. Der Erstkläger besaß keinen Führerschein, der ihn zur Führung dieses PKWs berechtigt hätte; dies war dem Zweitkläger bekannt. Die Beklagte erhielt durch Einsicht in den Strafakt Kenntnis davon, daß der Erstkläger im Zeitpunkt des Unfalls keinen Führerschein besaß. Sie behauptete daraufhin, dem Zweitkläger gegenüber nach § 2 (2) lit. b AKB. leistungsfrei zu sein. Der Zweitkläger verweist auf § 6 (1 (1) letzter Satz VersVG. und begehrt festzustellen, daß die Beklagte ihm Versicherungsschutz für die Folgen des eingangs angeführten Unfalls zu leisten habe.
Der Erstrichter gab dem Klagebegehren statt. Er führte aus, daß die Voraussetzungen für die Leistungsfreiheit nach § 2 (2) lit. b AKB. zwar vorliegen, daß sich die Beklagte jedoch auf diese Leistungsfreiheit nicht berufen könne, weil sie das Versicherungsverhältnis nicht im Sinne des § 6 (1) letzter Satz VersVG. aufgekundigt habe.
Das Berufungsgericht gab der von der Beklagten gegen dieses Urteil erhobenen Berufung nicht Folge. Es bejahte das Feststellungsinteresse der Kläger. Die Folgen der Verletzung der Führerscheinklausel seien nach § 6 (1) und (2) VersVG. zu beurteilen. Nach § 6 (1) VersVG. könne sich der Haftpflichtversicherer jedoch nur dann auf die vereinbarte Leistungsfreiheit berufen, wenn er innerhalb eines Monats, nachdem er von der Obliegenheitsverletzung Kenntnis erlangt hatte, den Versicherungsvertrag fristlos kundige. Im vorliegenden Fall sei entscheidend, ob dieser Kündigungszwang auch dann bestehe, wenn der Versicherer erst nach Eintritt des Versicherungsfalles von der Obliegenheitsverletzung des mangelnden Führerscheines Kenntnis erlangt habe. Die Rechtsansichten in Lehre und Rechtsprechung seien zu dieser Frage nicht einheitlich. Das Berufungsgericht trat der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes bei, nach der der Versicherer, um sich auf die Leistungsfreiheit berufen zu können, den Versicherungsvertrag auch dann nach § 6 (1) VersVG. kundigen müsse, wenn er von der Obliegenheitsverletzung erst nach Eintritt des Versicherungsfalles Kenntnis erlangt habe. Da die Beklagte den Versicherungsvertrag nicht aufgekundigt habe, könne sie sich auf eine vereinbarte Leistungsfreiheit nicht berufen.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der beklagten Partei Folge und änderte das angefochtene Urteil dahin ab, daß das Klagebegehren kostenpflichtig abgewiesen wurde.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Den Ausführungen der Beklagten, das Fehlen der erforderlichen Fahrerlaubnis des berechtigten Fahrers stelle keine Obliegenheitsverletzung dar, sondern begrunde einen Risikoausschluß, kann allerdings nicht gefolgt werden. Es genügt hier ein Hinweis auf die neuere Rechtsprechung und Rechtslehre (SZ. XXII 54 = VersSlg. Nr. 9 und die dort angegebenen weiteren Belegstellen). Die Ansicht des Berufungsgerichtes, das Fehlen des erforderlichen Führerscheines sei eine Obliegenheitsverletzung, ist daher frei von Rechtsirrtum.
Wie schon das Berufungsgericht ausgeführt hat, ist im vorliegenden Fall die Rechtsfrage entscheidend, ob der Versicherer sich auch dann auf die nach § 2 (2) lit. b AKB. vereinbarte Leistungsfreiheit berufen kann, wenn er die Kündigung des Versicherungsverhältnisses nach § 6 (1) letzter Satz VersVG. deshalb unterließ, weil er von der Obliegenheitsverletzung des mangelnden Führerscheines erst nach dem Versicherungsfall Kenntnis erlangte. Zur Darstellung der einander in dieser Frage widersprechenden Standpunkte von Rechtslehre und Rechtsprechung genügt der Hinweis auf die erschöpfenden Ausführungen des Berufungsgerichtes.
Der Oberste Gerichtshof pflichtet jedoch nicht der vom Bundesgerichtshof in wiederholten Entscheidungen (VersR. 1952 S. 81, VersR. 1955 S. 754, VersR. 1957 S. 678 u. a.) und von Stiefel-Wussow (Kraftfahrversicherung[6] Anm. 20 S. 83 f.) vertretenen Ansicht bei, daß der Kündigungszwang auch dann besteht, wenn der Versicherungsfall im Zeitpunkt, in dem der Versicherer von der Obliegenheitsverletzung Kenntnis erhielt, bereits eingetreten war.
Die Bestimmung des § 6 (1) VersG. soll (vgl. Stiefel-Wussow a. a. O. S. 83 Anm. 20; amtliche Begründung DJ. 1939 S. 1773) den Versicherer im Interesse des Versicherungsnehmers dazu zwingen, kurzfristig darüber Klarheit zu schaffen, ob er aus der Verletzung einer Obliegenheit Rechtsfolgen, insbesondere ein Leistungsverweigerungsrecht, ableiten will. Nach Bruck-Möller (VersVG.[8] S. 200 f. Anm. 40) soll das in § 6 (1) VersVG. normierte Klarstellungserfordernis den Versicherer hindern, die Behauptung einer Leistungsfreiheit "aufs Eis zu legen". Der Versicherer könnte nämlich im Falle einer Obliegenheitsverletzung, die ihn leistungsfrei macht, zunächst davon absehen, sich auf die Leistungsfreiheit zu berufen. Er könnte versuchen, zwecks Prämienerlangung auf Kosten des Versicherungsnehmers zu spekulieren und erst nach Eintritt des Versicherungsfalles seine Leistungsfreiheit behaupten. Solches Verhalten, dem Treu und Glauben entgegenstehen würde, wird dadurch verhindert, daß § 6 (1) VersVG. vom Versicherer eine Klarstellung verlangt. Die Absicht, die der Gesetzgeber durch die Norm des § 6 (1) VersVG. verfolgt, ergibt sich sohin klar. Aus der amtlichen Begründung folgt jedoch nicht, daß (wie der Bundesgerichtshof in seinem Entscheidungen dartut) der Sinn der Bestimmung auch darin liegen soll, daß sich der Versicherer ganz allgemein auf die Leistungsfreiheit nur dann berufen könne, wenn er den Verstoß für so schwerwiegend ansieht, daß er sich zu einer Kündigung des Vertrages entschließt.
Der Oberste Gerichtshof vermag daher der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, Voraussetzung für die Leistungsfreiheit des Versicherers sei die Aufkündigung des Versicherungsvertrages auch dann, wenn er von der fehlenden Fahrerlaubnis erst nach dem Schadensfall Kenntnis erlangt hat, nicht beizutreten. Er schließt sich vielmehr - den Ausführungen von Bruck-Möller (VersVG.[8] S. 202 Anm. 43), Prölß[14] (zu § 6 Anm. 10 S. 79 f.), Ehrenzweig (Versicherungsvertragsrecht, 1952, S. 177 f.) und Wittmann (VersR. 1962 S. 1137 f.) an, nach denen sich der Versicherer, der Kenntnis von der Obliegenheitsverletzung erst nach dem Versicherungsfall erlangt, ohneweiters auf die vereinbarte Leistungsfreiheit berufen kann, ohne genötigt zu sein, den Versicherungsvertrag vorerst aufzukundigen. Die Leistungsfreiheit war zufolge der Obliegenheitsverletzung bereits im Unfallszeitpunkt eingetreten, sodaß sie zur Zeit der Kenntniserlangung bereits gegeben war. Zutreffend führt auch Prölß (a. a. O.) aus, daß die Kündigungspflicht nur bei solchen Obliegenheitsverletzungen bestehen kam, durch die ein gewisser Dauerzustand die Möglichkeit einer Berufung auf die Leistungsfreiheit schaffen kann. Auch diese Auslegung ergibt sich aus der Absicht des Gesetzgebers. Andernfalls würde die Bestimmung, die zum Vorteil des Versicherungsnehmers gedacht war, diesem Nachteile bringen. Käme es dem Versicherer beispielsweise zur Kenntnis, daß der Versicherungsnehmer einmal sein Fahrzeug von einer Person, die keinen Führerschein hatte, lenken ließ, so wäre er genötigt, den Versicherungsvertrag aufzukundigen, um nicht etwa Gefahr zu laufen, in späteren gleichartigen Fällen Versicherungsschutz gewähren zu müssen, ohne sich auf seine Leistungsfreiheit berufen zu können. Derartige Folgen des § 6 (1) VersVG. sind mit dem Zweck dieser Bestimmung nach der amtlichen Begründung unvereinbar.
Die Beklagte kann sich daher trotz unterlassener Aufkündigung des Versicherungsvertrages auf ihre Leistungsfreiheit im Sinne des § 2
(2) lit. b AKB. berufen.
Außer ihren auf § 6 (1) VersVG. beruhenden rechtlichen Bedenken gegen die Leistungsfreiheit der Beklagten haben die Kläger auch noch die Kausalität zwischen Mangel des erforderlichen Führerscheines und Unfall bestritten. Der Erstrichter hat hiezu ausgeführt, die mangelnde Kausalität der fehlenden Fahrerlaubnis könne niemals bewiesen werden.
Es ist dem Erstrichter zwar darin beizustimmen, daß die Erbringung eines derartigen Beweises sehr schwer ist. Diese Erwägung darf aber nicht dazu führen, den belangten Fahrer vom Gegenbeweis, daß der Mangel des Besitzes des Führerscheines für den Unfall nicht kausal sei, auszuschließen (VersR. 1963 S. 173). Nun haben aber die Kläger in ihrer Klage keinerlei konkrete Tatsachen angeführt, aus denen sich eine mangelnde Kausalität zwischen Fehlen des Führerscheines und Unfall erschließen ließe. Sie haben lediglich ganz allgemein behauptet, ihren Standpunkt, es fehle an der erforderlichen Kausalität, aufrecht zu erhalten, weil der Erstkläger einen Führerschein für die Benützung eines Traktors habe und mit diesem Fahrzeug ständig für die Landwirtschaft fahre. Darin ist jedoch keine Tatsachenbehauptung gelegen, die die Kausalität zwischen Unfall und mangelndem Führerschein ausschließen würde. Die Behauptung, auch ohne Führerschein ein gewandter Fahrer zu sein, genügt nicht zum Auschluß der Kausalität. Die Rechtssache ist daher im Sinne der Abweisung des Klagebegehrens spruchreif.
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