Spruch:
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung
Der Kläger war bei der Beklagten vom 25.4.1977 bis zu seinem vorzeitigen Austritt am 3.4.1991 als Kraftfahrer für Sattelfahrzeuge bis 38 t beschäftigt. Vom 19.4.1990 bis 1.5.1990, vom 13.8.1990 bis 29.8.1990 und vom 25.10.1990 bis 3.3.1991 war der Kläger im Krankenstand. Vom 4. bis 12.3.1991 arbeitete der Kläger wieder. In dieser Zeit trat er an den Personalleiter der Beklagten heran und erklärte, daß er nicht mit dem LKW fahren könne, weil er Schwindelanfälle habe. Er wurde daher an einem Tag für Hofarbeiten verwendet, die übrige Zeit fuhr der Kläger wieder mit dem LKW. Ab 13.3.1991 war der Kläger wieder im Krankenstand. Etwa 14 Tage vor dem Austritt teilte der Kläger dem Geschäftsführer der Beklagten mit, daß er wegen einer Depression nicht mehr mit Lastkraftwagen fahren könne und eine andere Arbeit wolle. Er folgte der Beklagten ein ärztliches Attest aus. Dieses bescheinigte, daß der Kläger an einem endogenen larviertem Depressionssyndrom leide und für das Lenken von Lastkraftwagen bis auf weiteres nicht geeignet sei. Der Geschäftsführer der Beklagten antwortete dem Kläger, daß er eine entsprechende Arbeit bekommen werde, daß dies aber erst nach seinem Krankenstand entschieden würde, weil nicht feststünde, ob er nach dem Krankenstand mit dem LKW fahren könne. Mit Schreiben vom 3.4.1991 erklärte der Kläger den Austritt. Seit Sommer 1990 litt der Kläger an einer endogen larvierten Depression mit deutlichem Krankheitswert, die das Lenken von LKW-Zügen unmöglich machte. Diese Erkrankung war auch für die Krankenstände vom 25.10.1990 bis 3.3.1991 sowie vom 13.3.1991 bis zum Austritt des Klägers verantwortlich.
Der Kläger begehrt von der Beklagten aufgrund seines Austrittes gemäß § 82 a lit a GewO 1859 aliquote Sonderzahlungen, Urlaubsentschädigung und Abfertigung von insgesamt S 101.189,35 netto.
Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens, weil der Kläger nicht unfähig sei als Kraftfahrer weiterzuarbeiten und sie ihm überdies eine Ersatzbeschäftigung zum gegebenen Zeitpunkt angeboten hätte. Die Veränderung seines Gesundheitszustandes sei zum damaligen Zeitpunkt noch nicht vorhersehbar gewesen.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Der Austritt sei nicht gerechtfertigt, weil sich der Arbeitgeber nicht geweigert habe, den Kläger auf einen nicht gesundheitsgefährdenden Arbeitsplatz zu versetzen, sondern die Beendigung des Krankenstandes und damit die Entwicklung des Gesundheitszustandes des Klägers abwarten wollte. Der Kläger hätte bis zur Beendigung des Krankenstandes warten müssen, ob ihm der Arbeitgeber eine Ersatzarbeit zuweist.
Das Berufungsgericht hob auf Berufung des Klägers die angefochtene Entscheidung auf und verwies die Arbeitsrechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurück. Es sprach aus, daß der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei.
Voraussetzung des Austrittesrechtes gemäß § 82 a lit a GewO 1859 sei, daß der Arbeitnehmer infolge Unfähigkeit zur Fortsetzung der Dienstleistung oder infolge Gesundheitsgefährdung nicht in der Lage sei, seine arbeitsvertraglich vereinbarten Tätigkeiten zu erbringen. Es müsse eine dauernde oder eine in absehbarer Zeit nicht behebbare Unfähigkeit zur Dienstleistung vorliegen. Der Arbeitnehmer dürfe jedoch den Arbeitgeber nicht mit seinem Austritt überraschen und müsse ihn über die maßgeblichen Umstände informieren, die zum Austritt berechtigen. Der Arbeitgeber habe unverzüglich Abhilfe zu schaffen. Ein Krankenstand des Arbeitnehmers hindere, soferne eine nicht behebbare Dienstunfähigkeit vorliege, den Austritt nicht. Der Arbeitgeber habe kein Recht auf den Aufschub der Austrittserklärung bis zu dem Zeitpunkt, zu dem auch er mehr Klarheit über die allfällige Unbehebbarkeit der Dienstunfähigkeit gewinnen könne. Obwohl der Kläger die Beklagte 14 Tage vor seinem Austritt von der Art seiner Erkrankung verständigt habe, habe sie nicht unverzüglich Maßnahmen gesetzt. Zur Prüfung der Berechtigung des Austrittes fehle es aber noch an Feststellungen darüber, ob beim Kläger eine auf absehbare Zeit nicht behebbare Dienstunfähigkeit vorlag.
Gegen diesen Beschluß richtet sich der Rekurs der Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluß dahin abzuändern, daß der Berufung des Klägers keine Folge gegeben werde.
Der Kläger beantragt, dem Rekurs der Beklagten nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs ist nicht berechtigt.
Das Berufungsgericht hat die Lehre und Rechtsprechung zum Austrittsgrund des § 82 a lit a GewO 1859 richtig wiedergegeben (vgl dazu noch etwa Wachter, Bemerkungen zum Austrittsgrund der Arbeitsunfähigkeit bzw Gesundheitsgefährdung, DRdA 1989, 179 ff;
Mosler, Austritt wegen Gesundheitsgefährdung - eine Analyse der
neueren Rechtsprechung, DRdA 1990, 195 ff; DRdA 1989/14 = ZAS 1988/19
[Schauer] = Arb 10.671; DRdA 1989/20; DRdA 1992/51), so daß insoweit
auf diese Ausführungen und die dort zitierte Lehre und Rechtsprechung verwiesen werden kann.
Maßgebliche Rechtsfrage die auch die Zulässigkeit des Rekurses begründet, ist, ob der Arbeitgeber nach der Mitteilung der Arbeitsunfähigkeit oder der gesundheitlichen Gefährdung durch den Arbeitnehmer mit dem Anbieten eines zumutbaren Ersatzarbeitsplatzes bis zur Voraussehbarkeit der weiteren Entwicklung des Gesundheitszustandes zuwarten darf und ob der Arbeitnehmer erst nach Beendigung des Krankenstandes austreten darf.
Die Arbeitsunfähigkeit oder Gesundheitsgefährdung, die den Arbeitnehmer zum Austritt berechtigt, muß eine dauernde sein (Grillberger zu DRdA 1976, 70 [73]; DRdA 1985/12 mit Anmerkung Mosler 215 ff [221]; Wachter in DRdA 1989, 179 [180]; Mosler in DRdA 1990, 195 [197]). Als dauernd in diesem Sinne ist ein Gesundheitszustand anzusehen, bei dem die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit in absehbarer Zeit nicht zu erwarten ist. Die Einschränkung darf nicht bloß kurzfristig und vorübergehend sein, sondern muß - wenngleich in ihrem zeitlichen Ausmaß vorhersehbar - von so langer Dauer sein, daß nach den Umständen des Falles eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zumutbar ist (DRdA 1985/12 [dort zu § 27 Z 2 AngG]; Mosler zu DRdA 1985/13 [221]; Wachter in DRdA 1989, 179 [180]). Bei einer Arbeitsunfähigkeit oder Gesundheitsgefährdung durch eine vorübergehende Gesundheitsbeeinträchtigung sind die Interessen des Arbeitnehmers hinreichend dadurch gewahrt, daß er während dieser Zeit die Arbeitsleistung unterlassen darf und Krankengeld bezieht. Ein Austritt wäre in einem solchen Fall nicht gerechtfertigt (Wachter in DRdA 1989, 179 [180]). Wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, kann zur Abgrenzung zwischen einer vorübergehenden Gesundheitsbeeinträchtigung und einem für den Austritt erforderlichen Dauerzustand die Dauer des Krankengeldanspruches nach § 139 ASVG als annähernde Richtlinie herangezogen werden. Dabei ist allerdings nicht § 139 Abs 2 ASVG, sondern dessen Abs 1 heranzuziehen, wonach der gesetzliche Krankengeldanspruch für ein- und denselben Versicherungsfall bis zur Dauer von 26 Wochen besteht. Hat die vorübergehende Arbeitsunfähigkeit 26 Wochen gedauert, so besteht ab der 27.Woche bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen Anspruch auf Invaliditätspension gemäß § 254 Abs 1 Z 2 ASVG. Das bedeutet, daß eine vorübergehende Gesundheitsbeeinträchtigung erst dann zum Austritt berechtigt, wenn zu erwarten ist, daß sie über den in § 139 Abs 1 ASVG genannten Zeitraum andauern und den Arbeitnehmer an der Ausübung seiner vertraglich vereinbarten Tätigkeit hindern wird.
Liegt eine solche im Streitfall vom Kläger zu beweisende Arbeitsunfähigkeit oder Gesundheitsgefährdung vor, ist ein Austrittsgrund im Sinne des § 82 a lit a GewO 1859 gegeben. Der Arbeitnehmer kann sich dann jederzeit, also auch wenn er sich im Krankenstand befindet, zur Rechtfertigung der vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses darauf berufen (Arb 9376; Mosler zu DRdA 1985/13 [220]; derselbe DRdA 1990, 195 [197]; infas 1990 H 1 A 10; 9 ObA 307/88).
Die von der Rechtsprechung (DRdA 1985/13; DRdA 1981/14 = ZAS 1988/19
[Schauer] = Arb 10.671 ua) und der Lehre (zuletzt etwa Wachter in
DRdA 1989, 179 [183]; Mosler in DRdA 1990, 195 [199 f] mwN) bejahte, aus der Treuepflicht des Arbeitnehmers abgeleitete Aufklärungspflicht über seine Gesundheitsbeeinträchtigung erfordert lediglich, daß er auf eine Gesundheitsbeeinträchtigung von solcher Intensität hinweist, die ihn zur Erfüllung der vertraglich geschuldeten Leistung unfähig macht; eine Verpflichtung die Gesundheitsbeeinträchtigung zu diesem Zeitpunkt auch nachzuweisen, besteht nicht (Wachter, Abfertigung bei vorzeitigem Austritt, DRdA 1984, 250 [255]). Dem Arbeitgeber muß zumindest bekanntgegeben werden, daß die vereinbarten Dienste aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr erbracht werden können. Er kann sich dann nicht mehr auf einen überraschenden Austritt des Arbeitnehmers berufen.
Im vorliegenden Fall hat der Kläger mitgeteilt, daß er wegen einer Depression nicht mehr LKW fahren könne und eine andere Arbeit haben wolle. Dies bescheinigte er sogar durch ein ärztliches Attest, wonach er bis auf weiteres zum Lenken eines LKWs nicht geeignet ist. Soweit sich die Rekurswerberin darauf beruft, daß der Kläger bis zum Austritt auch keine entsprechende ärztliche Bestätigung beigebracht habe, geht sie nicht von den Feststellungen aus.
Ab der Verständigung durch den Kläger mußte die Beklagte damit rechnen, daß er sein Dienstverhältnis vorzeitig beenden könne. Es lag nun ausschließlich an ihr, diese Konsequenzen durch Zuweisen oder Anbieten einer anderen Beschäftigung zu vermeiden; einer weiteren Initiative oder Aufforderung des Arbeitnehmers bedurfte es dazu nicht (Mosler in DRdA 1990, 195 [199]). So wie es im Risikobereich des Arbeitnehmers liegt, den wichtigen Grund (nämlich die dauernde Gesundheitsbeeinträchtigung) beweisen zu können (Wachter, DRdA 1984, 250 [255]), liegt es im Risikobereich des Arbeitgebers, wenn er dem Arbeitnehmer keine Ersatzbeschäftigung anbietet oder zuweist. Der Arbeitgeber ist aufgrund seiner Fürsorgepflicht verbunden, die Arbeitsbedingungen so zu gestalten, daß das Leben und die Gesundheit des Arbeitnehmers möglichst geschützt sind. Nach Kenntnis des Gesundheitszustandes des Klägers hatte die Beklagte zwar nicht unverzüglich - weil der Kläger im Krankenstand und damit nicht gefährdet war (vgl infas 1988 H 1 A 9) -, wohl aber innerhalb angemessener Frist, eine Ersatzbeschäftigung anzubieten, damit sich auch der Kläger darauf einstellen konnte.
Inwieweit der Arbeitgeber auch einem Arbeitnehmer, der bei Bekanntgabe seiner dauernden Arbeitsunfähigkeit noch auf nicht absehbare Zeit im Krankenstand ist, über die ernstliche Zusage der Weiterbeschäftigung auf einem zumutbaren Arbeitsplatz hinaus, auch eine konkrete Ersatzbeschäftigung zuweisen muß, kann diesmal auf sich beruhen: Die Beklagte hat nicht einmal allgemeine verbindliche Zusagen gemacht, sondern sich darauf zurückgezogen, daß über die Weiterbeschäftigung nach dem Krankenstand entschieden werde, weil nicht feststehe, ob der Kläger danach nicht ohnehin wieder mit dem LKW fahren könne. Mit einem so vagen Versprechen brauchte sich aber der Kläger nicht vertrösten zu lassen.
Das Gericht zweiter Instanz ging daher zutreffend davon aus, daß der Kläger zum vorzeitigen Austritt berechtigt war, sofern seine Gesundheitsbeeinträchtigung von Dauer war, wozu aber noch Feststellungen fehlen.
Dem Rekurs ist daher nicht Folge zu geben.
Der Kostenausspruch ist in § 52 ZPO begründet.
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