OGH 9ObA60/93

OGH9ObA60/9331.3.1993

Der Oberste Gerichtshof hat in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr.Gamerith als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Maier und Dr.Steinbauer sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Alfred Hoppi und Ignaz Gattringer als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Ernst F*****, Kranfahrer, ***** vertreten durch Dr.Josef Klaunzer, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagte Partei C***** Personalbereitstellung GesmbH, ***** vertreten durch Dr.Heinz Mildner, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen restlich S 57.595,38 sA, infolge Revisionsrekurses (richtig: Rekurses) der klagenden Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 22.Dezember 1992, GZ 5 Ra 244/92-18, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht vom 16.Juli 1992, GZ 44 Cga 269/91-13, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Der Kläger war bei der Beklagten, einem Personalbereitstellungsunternehmen ab 7.8.1990 als Kranfahrer beschäftigt. Er arbeitete auf Baustellen von Unternehmen, "die den Kollektivvertrag für die Bauindustrie bzw das Baugewerbe abgeschlossen haben". Die Beklagte stellte dem Kläger einen Dienstzettel im Sinne des § 11 Abs 4 AÜG aus. Die Streitteile vereinbarten bei den Einsätzen des Klägers als Kranfahrer die Anwendung des Kollektivvertrages für das Baugewerbe.

Am 17.9.1990 vereinbarte der Kläger mit dem Geschäftsführer der Beklagten, daß der Kläger so lange auf der Baustelle der Firma G*****-Bau in H***** bleiben sollte, als das Unternehmen die Baustelle betreibe. Sobald dies nicht mehr der Fall sei, sollte der Kläger vereinbarungsgemäß "stempeln gehen". Mit Beginn der neuen Bausaison sollte der Kläger wieder bei der Beklagten unter Weitergeltung der bisherigen Vereinbarungen arbeiten. Er wollte das Arbeitsverhältnis dadurch, daß er "stempeln geht" nicht auflösen. Tatsächlich wurde diese Baustelle infolge ungünstiger Wetterverhältnisse schon am 13.12.1990 eingestellt. Den Antrag auf Zuerkennung des Arbeitslosengeldes brachte der Kläger am 2.1.1991 ein; er bezog Arbeitslosengeld vom 2. bis 21.1.1991. Ab diesem Zeitpunkt arbeitete der Kläger bei der Firma G***** weiter. Das Dienstverhältnis endete durch Dienstnehmerkündigung am 27.9.1991. Schon mit Schreiben des Klagevertreters vom 26.9.1991 machte der Kläger seine Ansprüche erstmals geltend.

Der Kläger begehrte von der Beklagten zuletzt S 59.229,75 netto sA. Dieser Betrag setzt sich aus Nettolohnansprüchen für die Zeit vom 7.8. bis 26.8.1990, vom 27.8.1990 bis 1.1.1991 (auch aus dem Titel des Schadenersatzes), und vom 21.1.1991 bis 27.9.1991, aus dem Ersatz von Fahrtspesen und Sonderzahlungen 1990 und 1991 sowie einem ungerechtfertigten Abzug für Quartierkosten zusammen. Die von der Beklagten geleisteten Zahlungen sind bereits berücksichtigt.

Die Beklagte bestritt das Klagebegehren und wendete ein, daß es sich nicht um ein durchgehendes Dienstverhältnis gehandelt habe. Das erste sei am 13.12.1990 einvernehmlich aufgelöst worden. Alle Ansprüche des Klägers seien abgerechnet und befriedigt worden. Er habe sämtliche Abrechnungen unbeanstandet übernommen. Bei Anwendung des Kollektivvertrages für das Baugewerbe seien die Ansprüche des Klägers verjährt oder verfallen.

Das Erstgericht sprach dem Kläger S 57.595,38 netto sA zu und wies das Mehrbegehren von S 1.636,37 netto sA, sowie das Begehren auf Ausstellung eines Dienstzeugnisses rechtskräftig ab.

Kraft Vereinbarung der Streitteile sei der Kollektivvertrag für das Baugewerbe anzuwenden. Für die Zeit vom 13.12.1990 bis 1.1.1991 habe der Kläger einen Entgeltanspruch aus dem Titel des Schadenersatzes, weil er am 13.12.1990 von der Beklagten von der Sozialversicherung abgemeldet worden sei, ohne daß sie ihm rechtzeitig eine Arbeitsbescheinigung ausgefolgt habe. Verfall sei nicht eingetreten, weil (nach dem AÜG) die Vereinbarung, daß ein bestimmter Kollektivvertrag angewendet werden soll, unzulässig sei, wenn der Dienstnehmer durch diese Vereinbarung schlechter gestellt wird als ohne eine solche Vereinbarung. Dies sei der Fall.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten Folge, hob das angefochtene Urteil im Umfang des Zuspruches von S 57.595,38 netto sA auf und verwies die Arbeitsrechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurück. Es sprach aus, daß der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei.

Die Vereinbarung der Streitteile, daß der Kläger von der Einstellung der Baustelle bis zum Beginn der neuen Bausaison "stempeln gehen" sollte, sei als echte Karenzierungsvereinbarung aufzufassen. Ein Schadenersatzanspruch gebühre dem Kläger für die Zeit vom 13.12.1990 bis 1.1.1991 nicht, weil für den Beginn seines Anspruches auf Arbeitslosengeld die verspätete Vorlage der Arbeitsbescheinigung durch den Arbeitgeber nicht ausschlaggebend gewesen sei. Auf das Arbeitsverhältnis des Klägers sei der Kollektivvertrag für Bauindustrie und Baugewerbe anzuwenden, weil dies der Vereinbarung entsprochen habe und der Kläger außerdem ständig bei einschlägigen Beschäftigerbetrieben eingesetzt war; daher seien die Entgeltbestimmungen dieses Kollektivvertrages und die damit in engem sachlichen Zusammenhang stehenden Regelungen über die Vernichtung eines solchen Entgeltanspruches anwendbar. Die Verfalls- und Verjährungsfristen dieses Kollektivvertrages seien daher zu berücksichtigen. Der Regelungszweck des AÜG stehe dem nicht entgegen. Im Hinblick auf die in § 14 dieses Kollektivvertrages normierten Verjährungsbestimmungen seien ergänzende Feststellungen über die von der Beklagten erstellten Lohnabrechnungen, die sich daraus ergebenden Fehlbeträge, über die zeitgerechte Geltendmachung der Ansprüche durch den Kläger und die Reklamation von Entgeltdifferenzen zu treffen. Auch der Anspruch auf Fahrtkostenersätze sei noch nicht spruchreif.

Gegen diesen Beschluß richtet sich der Rekurs des Klägers wegen Nichtigkeit, Aktenwidrigkeit und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluß im Sinne der Klagestattgebung abzuändern. Hilfsweise wurde ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte beantragte, dem Rekurs des Klägers nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist nicht berechtigt.

Die geltend gemachte Nichtigkeit liegt nicht vor. Die Ausführungen des Berufungsgerichtes über die getroffene Aussetzungsvereinbarung sind eine Folge der rechtlichen Beurteilung des festgestellten Sachverhaltes.

Auch die gerügte Aktenwidrigkeit ist nicht gegeben (§ 510 Abs 3 ZPO). Die Feststellung über die Anwendbarkeit des Kollektivvertrages für das Baugewerbe ist durch den Dienstzettel gedeckt (Beilagen 1, A).

Die Rechtsrüge ist nicht berechtigt.

Gemäß § 10 Abs 1 dritter Satz AÜG, ist bei der Beurteilung der Angemessenheit des Arbeitsentgelts der Arbeitskraft für die Dauer der Überlassung auf das im Beschäftigerbetrieb vergleichbaren Arbeitnehmern für vergleichbare Tätigkeiten zu zahlende kollektivvertragliche Entgelt "Bedacht zu nehmen". Dieser Anspruch steht der Arbeitskraft unabhängig davon zu, ob im Überlasserbetrieb ein Kollektivvertrag existiert (Geppert, AÜG § 10 Erl 4; 9 Ob A 305/92). Die Bedachtnahme auf die kollektivvertraglichen Entgeltbedingungen im Beschäftigerbetrieb ist zwingend (Leutner-B.Schwarz-Ziniel aaO, 109). Bei dieser Bedachtnahme können nicht alle Bestimmungen des Kollektivvertrages des Beschäftigerbetriebes für überlassene Arbeitskräfte unmittelbar und ohne Modifikation angewendet werden, zumal die überlassene Arbeitskraft nicht in einem Arbeitsverhältnis zum Beschäftiger steht. Das Arbeitskräfteüberlassungsgesetz hat sich für eine partielle Anwendung von Bestimmungen des Beschäftigerkollektivvertrages durch den Überlasser während des Zeitraumes der Überlassung entschieden (Geppert aaO § 10 Erl 9.2.; DRdA 1992/46 mwH). Das Herausnehmen einzelner Detailregelungen aus dem Kollektivvertrag des Beschäftigerbetriebes und aus der Grundvereinbarung ("Rosinentheorie") ist nicht möglich (Leutner-B.Schwarz-Ziniel, AÜG 109 f; 9 Ob A 305/92).

Vom Kollektivvertrag des Beschäftigerbetriebes sind vor allem die Bestimmungen über das Arbeitsentgelt anzuwenden (Geppert aaO § 10 Erl 9.2.), zu denen auch die Regelung der Sonderzahlungen gehört (Geppert aaO § 10 Erl 7).

Der Entgeltanspruch ist von den für diesen jeweils geltenden Verjährungs- und Verfallsbestimmungen des Kollektivvertrages nicht zu trennen, weil auch sie zu den Entgeltbedingungen gehören, unter denen ein Anspruch auf Entgelt (fort-)besteht und geltend gemacht werden kann.

Gemäß § 11 Abs 2 Z 5 AÜG sind insbesondere Bedingungen (vertragliche Vereinbarungen) verboten, welche die Verfalls- oder Verjährungsvorschriften zu Lasten der Arbeitskraft verkürzen. Das bedeutet, daß jene Verfalls- und Verjährungsvorschriften, die sich aus dem Gesetz ergeben, ungeschmälert bleiben müssen, sofern nicht normativ anzuwendende Kollektivverträge (§ 10 Abs 1 zweiter Satz AÜG) oder der Kollektivvertrag des Beschäftigerbetriebes bezüglich der Ansprüche für einzelne Überlassungen (§ 10 Abs 1 dritter Satz AÜG) kürzere Verfalls- oder Verjährungsfristen vorsehen (Leutner-B.Schwarz-Ziniel aaO 123; im Ergebnis wohl auch Geppert aaO § 11 Erl 6.3.; vgl auch Grillberger, WBl 1988, 317).

Für Arbeiter gibt es keinen fachlich anzuwendenden Kollektivvertrag des Gewerbes der Arbeitskräfteüberlassung (Leutner-B.Schwarz-Ziniel aaO 106; Geppert aaO § 10 Erl 10). Das bedeutet, daß auf den Kläger, der nach dem unbestrittenen Sachverhalt in einschlägigen Beschäftigerbetrieben arbeitete, die unter den Kollektivvertrag für Bauindustrie und Baugewerbe fallen, die mit den Entgeltbestimmungen dieses Kollektivvertrages im Zusammenhang stehenden Verfallsbestimmungen schon aufgrund des § 10 Abs 1 dritter Satz AÜG anzuwenden sind, ohne daß es der im Dienstzettel wiedergegebenen Vereinbarung der Anwendbarkeit dieses Kollektivvertrages bedurft hätte.

Die Berufung auf die Grundvereinbarung und damit auf die mangels eines Kollektivvertrages für den Überlasserbetrieb geltende Verjährungsfrist des ABGB käme einer unzulässigen Herausnahme einer Detailregelung gleich (9 Ob A 305/92).

Nur eine vertragliche Verkürzung dieser jeweils zur Anwendung gelangenden kollektivvertraglichen Verjährungs- und Verfallsbestimmungen wäre gemäß § 11 Abs 2 Z 5 AÜG ausgeschlossen. Auf die Ausführungen des Rekurswerbers, daß bei der Firma G***** der Kollektivvertrag für Arbeiter des eisen- und metallverarbeitenden Gewerbes anzuwenden gewesen wäre (Beilage N 1), ist nicht einzugehen, weil außer Streit gestellt wurde, daß der Kläger in Betrieben gearbeitet hat, die in Anwendungsbereich des Kollektivvertrages für Bauindustrie und Baugewerbe fallen (AS 31).

Die Vereinbarung der Anwendung eines bestimmten Kollektivvertrages wäre im Hinblick auf den einseitig zwingenden Charakter des AÜG auch dann zulässig, wenn diesem Kollektivvertrag keine fachliche Geltung für den Beschäftigerbetrieb zukäme, dessen Bestimmungen aber für die überlassene Arbeitskraft günstiger wären (Leutner-B.Schwarz-Ziniel aaO 103; Geppert aaO, 113).

Die vom Kläger geltend gemachten Fahrtkosten sind nicht Entgelt, sondern Auslagenersatz. § 10 Abs 1 AÜG ist daher nicht anwendbar (Geppert aaO § 10 Erl 8; Leutner-B.Schwarz-Ziniel aaO 104; 9 Ob A 191/90). Daher ist, weil für den Überlasserbetrieb kein Kollektivvertrag besteht, zwingend nur eine Verjährung innerhalb der gesetzlichen Frist des § 1486 Z 4 ABGB möglich (Geppert aaO § 11 Erl 6.3.). Die Verfallsfristen des § 1162 d ABGB sind nicht anwendbar, weil sie sich nur auf Ansprüche nach §§ 1162 a und 1162 b ABGB beziehen (Krejci in Rummel Rz 5 zu § 1162 d ABGB). Die Fahrtspesen, die der Höhe nach noch von ergänzenden Feststellungen abhängen, sind somit nicht verjährt.

Das Berufungsgericht beurteilte die Vereinbarung der Streitteile, daß der Kläger "stempeln gehen" werde, wenn die Firma G***** die Baustelle nicht mehr betreibe und er mit Beginn der neuen Bausaison wieder bei der Beklagten zu arbeiten beginne, richtig als echte Aussetzungsvereinbarung (SZ 61/94, SZ 62/88; Arb 10.943; 9 Ob A 23/92; 9 Ob A 71/92).

Diese Vereinbarung widerspricht dem § 10 Abs 2 und § 11 Abs 2 Z 1 AÜG nicht, weil infolge des Einverständnisses des Klägers, "stempeln zu gehen", keine Leistungsbereitschaft des Klägers vorlag. Auch zwischen dem Überlasser und der Arbeitskraft iS des § 3 AÜG darf im Sinne des Günstigkeitsprinzips eine Aussetzungsvereinbarung getroffen werden, um eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses zu vermeiden. Inwieweit durch "Aussetzungsvereinbarungen" für kurze Zeiträume zwischen einzelnen Überlassungen die zwingenden Bestimmungen des § 11 Abs 2 Z 1 AÜG (Geppert aaO § 11 Erl 5) umgangen werden, bedarf hier keiner Klärung, weil der vorliegende Sachverhalt dafür keinen Anhaltspunkt liefert. Eine Überwälzung des Wirtschaftsrisikos auf die überlassene Arbeitskraft war hier schon deshalb nicht gegeben, weil mit der Karenzierung kein wirtschaftlicher Verlust des Klägers verbunden war. Der Kläger hatte ab dem Tag der Geltendmachung (§ 17 Abs 1 AlVG) Anspruch auf Arbeitslosengeld. Im übrigen kommen § 10 Abs 2 und § 11 Abs 2 Z 1 AÜG deshalb nicht zur Anwendung, weil der Kläger für die Zeit vom 13.12.1990 bis 1.1.1991 nur Schadenersatz wegen verspäteter Ausfolgung der Arbeitsbescheinigung und nicht Entgelt geltend machte. Daran ist das Gericht gebunden, so daß ein Zuspruch aus einem anderen Rechtsgrund nicht in Frage kommt (DRdA 1990/37 ua).

Dem Rekurs ist daher nicht Folge zu geben.

Der Kostenausspruch ist in § 52 ZPO begründet.

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