OGH 9ObS22/92

OGH9ObS22/9213.1.1993

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Gamerith als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Maier und Dr.Bauer als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Roman Merth und Amtsrat Winfried Kmenta in der Sozialrechtssache der klagenden Partei F***** K*****, Angestellter, ***** vertreten durch Dr.Hans Werner Mitterauer, Kammer für Arbeiter und Angestellte für Salzburg, diese vertreten durch Dr.*****, Rechtsanwalt *****, wider die beklagte Partei Arbeitsamt Salzburg, Salzburg, Auerspergstraße 67-69, vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1., Singerstraße 17-19, wegen 47.376 S netto sA, infolge Revision beider Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 28.September 1992, GZ 13 Rs 50/92-9, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Arbeits- und Sozialgericht vom 27.August 1991, GZ 19 Cgs 50/91-5, teilweise bestätigt und teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision der klagenden Partei wird nicht Folge gegeben.

Hingegen wird der Revision der beklagten Partei Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß die Entscheidung des Erstgerichtes wieder hergestellt wird.

Die klagende Partei hat die Kosten des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Über das Vermögen der F.*****-Kleinmotoren Handelsgesellschaft mbH wurde mit Beschluß des Landesgerichtes Salzburg vom 20.4.1989, S 56/89, das Konkursverfahren eröffnet. Der Kläger, der seit 1.12.1987 Angestellter der Gemeinschuldnerin gewesen war, erklärte am 18.4.1989 berechtigt seinen vorzeitigen Austritt. Am 16.11.1987 hatte er mit der Gemeinschuldnerin schriftlich vereinbart, daß seine Dienstzeiten als Angestellter der H*****-M*****-Gesellschaft mbH (- dort war er vom 1.4.1971 bis 26.5.1982 ohne Organfunktion angestellt -) und der K*****-Kleinmotoren-Gesellschaft mbH (- dort war er vom 10.1.1985 bis 31.8.1987 angestellt und gleichzeitig auch einzelzeichnungsbefugter, handelsrechtlicher Geschäftsführer -) ab dem Jahr 1970 angerechnet werden. Aus dem Angestelltenverhältnis zur H*****-M*****-Gesellschaft mbH erhielt der Kläger bis zum Jahr 1982 die Abfertigung. Bei der Gemeinschuldnerin war der Kläger als Angestellter ohne Organfunktion beschäftigt.

Mit Bescheid vom 21.5.1991 wies die beklagte Partei einen Teilbetrag des Abfertigungsbegehrens des Klägers in der Höhe von 47.376 S netto mit der Begründung ab, daß die Dienstzeit des Klägers bei der K*****-Kleinmotoren-Gesellschaft mbH für die Bemessung der Abfertigung nicht zu berücksichtigen sei, weil der Kläger handelsrechtlicher Geschäftsführer und damit Organ dieser Gesellschaft gewesen sei. Ausgehend hievon erreiche seine Dienstzeit nicht 15 Jahre, so daß der abgewiesene Teil des geltend gemachten Abfertigungsanspruches nicht zu Recht bestehe.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Klage mit dem Begehren, die beklagte Partei schuldig zu erkennen, dem Kläger S

47.376 netto "samt begehrten Zinsen" als Insolvenzausfallgeld zu zahlen. § 1 Abs. 6 Z 2 IESG beziehe sich nur auf Organmitglieder der insolventen Gesellschaft. Bei dieser habe der Kläger jedoch nie eine Organfunktion ausgeübt. Es sei vielmehr einzelvertraglich die Anrechnung von Vordienstzeiten vereinbart worden; auf eine solche Vereinbarung sei die Bestimmung des § 1 Abs. 6 Z 2 IESG nicht anzuwenden.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung der Klage. Nach der Rechtsprechung seien für die Berechnung des Abfertigungsanspruches, für den Insolvenz-Ausfallgeld zu gewähren sei, jene Zeiten außer Betracht zu lassen, in denen eine Organfunktion ausgeübt worden sei. Dies gelte nicht nur für organschaftliche Funktionen bei der insolventen Gesellschaft, sondern auch für solche in früheren Beschäftigungsverhältnissen, die auf Grund einzelvertraglicher Anrechnung eine Erhöhung des Abfertigungsanspruches bewirkten.

Das Erstgericht wies das Begehren des Klägers ab; es folgte im wesentlichen dem Rechtsstandpunkt der beklagten Partei. Es erscheine nicht gerechtfertigt, Zeiten einer organschaftlichen Funktionen in früheren Beschäftigungsverhältnissen, auf auf Grund einzelvertraglicher Anrechnung eine Erhöhung des Abfertigungsanspruches bewirkten.

Das Erstgericht wies das Begehren des Klägers ab; es folgte im wesentlichen dem Rechtsstandpunkt der beklagten Partei. Es erscheine nicht gerechtfertigt, Zeiten einer organschaftlichen Funktionen in früheren Beschäftgungsverhältnissen, auf Grund einzelvertraglicher Anrechnung eine Erhöhung des Abfertigungsanspruches bewirkten, anders zu behandeln, als Zeiten einer organschaftlichen Funktion im insolventen Unternehmen selbst. Die strittigen Zeiten seien daher für die Bemessung des Abfertigungsanspruches außer Betracht zu lassen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers teilweise Folge, verpflichtete die beklagte Partei zur Zahlung von 47.376 S und wies das Zinsenbegehren ab. Für die Ausschlußbestimmung des § 1 Abs. 6 Z 2 IESG sei maßgebend, ob der Arbeitnehmer bei seinem (ehemaligen) Arbeitgeber eine Organfunktion bekleidet habe. Anknüpfungspunkte für den Anspruch auf Insolvenz-Ausfallgeld seien nämlich, wie sich aus dem Wortlaut des § 1 Abs. 1 IESG ergebe, die arbeitsvertragliche Bindung und daraus resultierende gesicherte Ansprüche des Arbeitnehmers aus dem Arbeitsverhältnis zu seinem (ehemaligen) Arbeitgeber, über dessen Vermögen im Inland der Konkurs eröffnet werde (oder gegen den sich der Konkurseröffnung gleichstehende Maßnahmen im Sinne des § 1 Abs. 1 Z 1 bis 7 IESG richten). Es liege daher nahe, auch den Ausschlußtatbestand nach § 1 Abs. 6 Z 2 IESG auf Zeiten der Organfunktion bei diesem Arbeitgeber zu beziehen. Der Kläger habe aber seit der Begründung seines Dienstverhältnisses zur Gemeinschuldnerin keine Organfunktion ausgeübt. Daß ihm Vordienstzeiten zu einem anderen Unternehmen angerechnet worden seien, bei dem er eine organschaftliche Funktion bekleidet habe, führe zu keinem anderen Ergebnis. Die rechtsgeschäftliche Anrechnung von Vordienstzeiten sei nämlich eine typisch arbeitsvertragliche Übereinkunft, wobei die Gestaltungsfreiheit selbst die Anrechnung von Zeiten erlaube, die sich durch andere Eigenschaften als die einer Beschäftigung auszeichneten. Die von den Parteien gewollte Anrechnung von Vordienstzeiten für die Behandlung dienstzeitabhängiger Ansprüche stehe der Untersuchung der Qualität dieser Zeiten im Nachhinein entgegen. Es bestehe kein sachlicher Grund dafür, Arbeitnehmer, die bei der Vereinbarung der Anrechnung von Vordienstzeiten eine Organmitgliedschft (mehr oder minder zufällig) erwähnten, schlechter zu stellen, als andere, die bloß die pauschale Anrechnung von Vordienstzeiten ohne Bezugnahme auf ein konkretes Beschäftigungsverhältnis erwähnten. Nach der Rechtsprechung gebühre zwar Insolvenz-Ausfallgeld dann nicht, wenn der Anspruch durch eine anfechtbare Rechtshandlung erworben worden sei, doch sei ein solcher Ausschlußgrund von der beklagten Partei nicht behauptet worden. Das Zinsenbegehren sei unbestimmt, weil der Kläger nicht angeführt habe, für welchen Zeitraum welche Zinsen begehrt würden.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, daß seinem Begehren zur Gänze (also auch im Umfang der abgewiesenen Zinsenbegehren) stattgegeben werde; hilfsweise stellt er einen Aufhebungsantrag.

Die beklagte Partei erhebt Revision wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung und beantragt die Abänderung der angefochtenen Entscheidung im Sinne einer gänzlichen Klageabweisung.

Beide Parteien beantragen jeweils, der Revision der Gegenseite nicht Folge zu geben.

Die Revision der beklagten Partei ist berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 1 Abs. 6 Z 2 IESG haben Mitglieder des Organs einer juristischen Person, das zur gesetzlichen Vertretung der juristischen Person berufen ist, keinen Anspruch auf Insolvenz-Ausfallgeld. Zu diesem Personenkreis gehören Vorstandsmitglieder einer AG, Geschäftsführer einer GmbH, Vorstandsmitglieder einer Genossenschaft ua. Der Grund für den Ausschluß dieser Personengruppe vom Anspruch auf Insolvenz-Ausfallgeld war die Überlegung, daß diese Personen gemäß § 36 Abs. 2 Z 1 ArbVG nicht als Arbeitnehmer gelten (vgl. EB zur RV 446 BlgNR 15.GP 5; Schwarz-Holler-Holzer, Die Rechte des Arbeitnehmers bei Insolvenz2, 64). § 1 Abs. 6 Z 2 IESG stellt nur auf die Organmitgliedschaft und - anders als § 1 Abs. 6 Z 3 - nicht auf die rechtliche und faktische Einflußmöglichkeit der als Organe bestellten Personen ab (vgl. VwSlg 11.000 A; 11.602 A; SZ 62/183; 9 Ob S 16/91 ua). Mit der pauschalen Herausnahme dieser Personengruppe ohne Rücksicht auf die faktische und rechtliche Einflußmöglichkeit hat der Gesetzgeber klargestellt, daß die Arbeitnehmereigenschaft im Sinne des Arbeitsvertragsrechtes für den Bereich des IESG nicht immer allein maßgebend ist, sondern daß entsprechend der Interessenlage und der sozialen Stellung Einschränkungen geboten sind. Auch wenn die Mitglieder juristischer Personen arbeitsvertragsrechtlich als Arbeitnehmer zu qualifizieren sind, besteht für sie kein Anspruch auf Insolvenz-Ausfallgeld (Schwarz-Holler-Holzer aaO 64 f; VwGH ÖJZ 1984, 81; 9 Ob S 16/91).

Zeiten der Organmitgliedschaft im Sinne dieser Gesetzesstelle sind bei der Prüfung der Frage, in welchem Umfang Insolvenz-Ausfallgeld zu leisten ist, außer Betracht zu lassen (RdW 1990, 54; 9 Ob S 12/90; 9 Ob S 1/91). Dies gilt auch für Anwartschaftszeiten, deren Dauer für die Höhe bestimmter Ansprüche (insbesondere Abfertigungsansprüche) maßgebend ist. Ob und in welchem Umfang ein nach § 1 IESG gesicherter Abfertigungsanspruch besteht, ist daher nur auf der Grundlage jener Zeiten zu prüfen, in denen keine Organmitgliedschaft besteht (ähnlich RdW 1990, 54; 9 Ob S 16/91).

Die vom Berufungsgericht vertretene Ansicht, gemäß § 1 Abs. 6 Z 2 IESG hätten nur Zeiten der Organmitgliedschaft bei der gemeinschuldnerischen Gesellschaft bei Beurteilung des Anspruches auf Insolvenz-Ausfallgeld außer Betracht zu bleiben, findet im Gesetz keine Grundlage. Die zitierte Bestimmung ordnet vielmehr, wie dargestellt, den Ausschluß von Ansprüchen für Zeiten der Organmitgliedschaft allgemein an. Im Fall einer Berücksichtigung von Vordienstzeiten für dienstzeitabhängige Ansprüche von Gesetzes wegen - etwa einer Verschmelzung von Kapitalgesellschaften, in welchem Fall das Dienstverhältnis mit der aufnehmenden Gesellschaft fortgesetzt wird [Schwarz-Löschnigg, Arbeitsrecht4, 208 f] - sind Zeiten der Organmitgliedschaft beim früheren Dienstgeber von der Berücksichtigung für dienstzeitabhängige Ansprüche nach dem IESG im Falle der Insolvenz des neuen Dienstgebers ausgeschlossen, weil es sich dabei um dasselbe Arbeitsverhältnis handelt, das weiterläuft (Schwarz-Löschnigg aaO). Dies muß in gleicher Weise gelten, wenn nach Beendigung der Organmitgliedschaft in einem Unternehmen ein Dienstverhältnis zu einem anderen Unternehmen begründet wird. Die kraft Vereinbarung im neuen Dienstverhältnis angerechneten, im früheren Unternehmen zurückgelegten Zeiten, in denen Organmitgliedschaft bestand, können nicht anders behandelt werden, als Zeiten, die ex lege zu berücksichtigen sind. Der Ausschluß dieser Zeiten hat seine Begründung darin, daß es sich dabei um Zeiten handelt, in denen keine Arbeitnehmereigenschaft bestand. Grundsätzlich sind wohl zufolge dienstvertraglicher Vereinbarung angerechnete Vordienstzeiten, die eine Erhöhung dienstzeitabhängiger Ansprüche bewirken, auch bei Prüfung des Anspruches auf Insolvenz-Ausfallgeld zu berücksichtigen; dies gilt allerdings dann nicht, wenn ein Ausschlußtatbestand nach dem IESG vorliegt (idS auch SZ 62/182). Dies trifft dann zu, wenn es sich bei den angerechneten Zeiten um solche handelt, in denen der Dienstnehmer in den fraglichen Zeiten eine Organfunktion ausübte. Eine andere Betrachtungsweise würde auch beträchtliche Mißbrauchsmöglichkeiten eröffnen. So könnte etwa, insbesondere bei zusammenhängenden Gesellschaften vor einem Insolvenzverfahren für den Geschäftsführer einer Gesellschaft unter Anrechnung der in dieser Eigenschaft zurückgelegten Zeit ein Dienstverhältnis zu einer anderen Gesellschaft begründet, damit die Ausschlußbestimmung umgangen und die Berücksichtigung von Zeiten erreicht werden, die nach dem Gesetz für den Anspruch auf Insolvenz-Ausfallgeld außer Betracht zu lassen sind.

Auch das Argument des Berufungsgerichtes, daß bei diesem Ergebnis ein Arbeitnehmer, der ohne Bezugnahme auf konkrete Arbeitsverhältnisse die Anrechnung von Zeiten vereinbare, besser gestellt sei als einer, der bei dieser Vereinbarung ausdrücklich die Zeiten nenne, in denen er Organmitglied war, trifft nicht zu. Das Begehren auf Berücksichtigung der angerechneten Zeiten besteht nämlich auch dann nicht zu Recht, wenn bei der Anrechnungsvereinbarung konkrete Zeiträume und Tätigkeitsinhalte nicht genannt wurden, tatsächlich jedoch Zeiten einer Organtätigkeit angerechnet wurden. Es besteht daher zwischen diesen beiden Fällen kein Unterschied; lediglich der Beweis für den Ausschlußtatbestand wird im letztgenannten Fall allenfalls schwieriger zu erbringen sein.

Da der im Verfahren geltend gemachte Anspruch des Klägers, der aus der Anrechnung von Dienstzeiten in einem Unternehmen abgeleitet wird, bei dem der Kläger eine Organfunktion bekleidete, nicht zu Recht besteht, war die angefochtene Entscheidung im Sinne einer Wiederherstellung des Ersturteiles abzuändern.

Die Revision des Klägers muß schon deshalb erfolglos bleiben, weil er nur Zinsen aus dem von der zweiten Instanz zuerkannten Insolvenz-Ausfallgeld verlangt, dieser Hauptanspruch aber in Stattgebung der Revision der Beklagten abgewiesen wurde.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 77 Abs. 1 Z 2 lit. b ASGG. Gründe, die einen Kostenzuspruch aus Billigkeit rechtfertigen würden, wurden weder geltend gemacht noch ergeben sich Hinweise auf solche Gründe aus dem Akt.

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