Spruch:
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Text
Begründung
Edgar R***** befindet sich seit 24.Jänner 1957 in der ***** Landesnervenklinik M*****. Er ist seit 3.Juni 1959 voll entmündigt. Der Betroffene leidet an Schwachsinn höheren Grades mit erethischen Phasen und GM-Anfällen, somit an einer geistigen Behinderung, die bei unbeabsichtigtem Verlassen der Station eine Selbstgefährdung (Verletzungsgefahr, Verirren, Unterkühlung im Winter udgl.) bedeuten würde.
Mit Note vom 5.Feber 1992 gab der Unterbringungsrichter des Bezirksgerichtes Amstetten der Sachwalterschaftsabteilung bekannt, daß beim Betroffenen aller Voraussicht nach die Unterbringung gemäß dem § 20 Abs 2 UbG nach der Erstkontaktierung gemäß § 19 Abs 1 UbG mangels Vorliegens einer psychischen Erkrankung für unzulässig zu erklären und sofort aufzuheben sein werde, weshalb sachwalterschaftsgerichtliche Maßnahmen gemäß § 282 Satz 2 ABGB notwendig erschienen.
Der Sachwalterschaftsrichter verschaffte sich in der Folge einen persönlichen Eindruck vom Betroffenen, der ergab, daß dieser nicht in der Lage sein werde, sich im Falle der Aufhebung der Unterbringung selbst weiterzubringen.
Mit Beschluß vom 6.Juni 1992 hat das Erstgericht die bisherige Unterbringung des Patienten sachwalterschaftsbehördlich genehmigt und seine zukünftige "Unterbringung" angeordnet. Es führte aus, der Patient sei auf das schwerste im Sinne einer Debilität behindert und nicht in der Lage, selbständig eine sinnvolle umwelt- oder situationsadäquate Handlung zu setzen, sodaß er weiterhin der Pflege im untergebrachten Zustand bedürfe. Die für jeden mit normaler Vernunft versehenen Menschen erkennbare Situation des Betroffenen rechtfertige jedenfalls die Unterbringung. Eine Aufhebung würde mit absoluter Sicherheit ein Gefahr für Leib und Leben des Patienten herbeiführen. Die einzig mögliche Form der Existenz des Betroffenen sei die "Unterbringung".
Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Sachwalterin Folge, hob den Beschluß des Erstgerichtes auf, trug diesem die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf und erklärte den Rekurs an den Obersten Gerichtshof für zulässig.
Eine Unterbringung des Betroffenen gemäß § 3 Z 1 UbG sei mangels einer psychischen Krankheit unzulässig. Es seien daher im Sachwalterschaftsverfahren die entsprechenden Anordnungen über den Aufenthalt des Patienten zu treffen. Zwar könne das Pflegschaftsgericht nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes die Anhaltung einer behinderten Person in einer Krankenanstalt für Geisteskranke anordnen, weil dafür § 282 zweiter Satz ABGB eine der Menschenrechtskonvention entsprechende Grundlage biete. Doch komme primär die Anordnung einer anderweitigen Betreuung des Behinderten in Betracht. Sollte diese nicht möglich sein, müßte der Betroffene als behinderter Mensch im Sinne des § 13 Abs 2 des Niederösterrreichischen Sozialhilfegesetzes den nach diesem Gesetz zuständigen Organen zur Betreuung übergeben werden. Nur dann, wenn eine adäquate Betreuung auch im Sozialhilfebereich sich als unmöglich erweisen sollte, bliebe als letzte Möglichkeit die Beibehaltung des Aufenthaltes in der ***** Landesnervenklinik M***** in der bisherigen Art und Weise. Da nach der derzeitigen Aktenlage nicht verläßlich beurteilt werden könne, was mit dem Betroffenen in Zukunft geschehen solle, sei eine Ergänzung des Verfahrens erforderlich. Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof sei zuzulassen, weil die Entscheidung SZ 60/12 mit den (nach dem Unterbringungsgesetz ergangenen) Entscheidungen 7 Ob 590/91 und 4 Ob 542/91 = JBl 1992, 106 nicht im Einklang stehe.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs der Sachwalterin ist zwar nicht im Ergebnis, aber insoweit im Eventualbegehren berechtigt, als der Antrag gestellt wird, auszusprechen, daß das Erstgericht nicht "ermächtigt" sei, die Unterbringung in einer psychiatrischen Anstalt bzw. Abteilung anzuordnen oder zu genehmigen.
Die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 28.Jänner 1987, 1 Ob 709/86 (SZ 60/12), ist zur Zeit der Rechtslage vor dem Unterbringungsgesetz, das mit 1.Jänner 1991 in Kraft getreten ist, ergangen. Da nach § 3 Z 1 UbG in einer "Anstalt" - das sind nach § 2 leg.cit. Krankenanstalten und Abteilungen für Psychiatrie, in denen Personen in einem geschlossenen Bereich angehalten oder sonst Beschränkungen ihrer Bewegungsfreiheit unterworfen werden - nur untergebracht werden darf, wer an einer psychischen Krankheit leidet und im Zusammenhang damit sein Leben oder seine Gesundheit oder das Leben oder Gesundheit anderer ernstlich und erheblich gefährdet, besteht nunmehr keine gesetzliche Möglichkeit mehr, für eine behinderte Person, die nicht an einer psychischen Krankheit leidet, die Unterbringung in einer Anstalt für Geisteskranke unter Hinweis auf § 282 zweiter Satz ABGB als erforderliche Personenfürsorge anzuordnen. Geistig Behinderte dürfen vielmehr nur dann in Abteilungen und Sonderkrankenanstalten für Psychiatrie untergebracht werden, wenn neben der geistigen Behinderung auch Symptome einer psychischen Erkrankung auftreten. Idiotie ist keine Erkrankung in diesem Sinn. Eine über die geistige Behinderung vom Grade einer Idiotie hinausgehende Geistes- oder Gemütskrankheit ist nach den für den Obersten Gerichtshof bindenden Feststellungen der Vorinstanzen beim Betroffenen nicht erwiesen.
Eine analoge Anwendung des Unterbringungsgesetzes auf bloß geistig Behinderte kommt mangels Vorliegens einer "planwidrigen Unvollständigkeit", also einer nicht gewollten Gesetzeslücke, nicht in Frage (vgl JBl 1992, 106; 7 Ob 590/91). Daß geistig Behinderte ohne Symptome einer psychischen Erkrankung auch dann, wenn sie im Zusammenhang mit ihrer Behinderung sich oder andere ernstlich oder erheblich gefährden, nach der nunmehrigen Rechtslage weder in einem geschlossenen Bereich angehalten noch sonst Beschränkungen ihrer Bewegungsfreiheit unterworfen werden dürfen, ist zwar unbefriedigend, doch ist eine Änderung der derzeitigen Rechtslage, die vom Gesetzgeber zwar in Aussicht gestellt
(JAB 1202 BlgNR 17.GP 3), aber noch immer nicht in die Tat umgesetzt wurde, nicht Sache der Rechtsprechung. Die Unterbringung des Betroffenen in einer Anstalt im Sinne des § 2 UbG ist daher entgegen der Ansicht des Rekursgerichtes auch nicht als letzte Möglichkeit zulässig.
Dies bedeutet aber nicht, daß der völlig hilflose Patient auf die Straße gestellt und damit dem sicheren Verderben preisgegeben werden dürfte. Wie schon von der zweiten Instanz ausgeführt wurde, gibt es auch im Bereich des Bundeslandes Niederösterreich ein Sozialhilfegesetz. Es umfaßt auch Hilfe für behinderte Menschen, soweit sie nicht von anderer Seite geleistet wird. Nach § 21 a NÖ-SHG kann behinderten Arbeitnehmern, die infolge ihres Leidens oder Gebrechens nicht imstande sind, ein selbständiges Leben zu führen, Hilfe durch Unterbringung in geeigneten Einrichtungen gewährt werden; welche Einrichtungen unter Sozialhilfeeinrichtungen zu verstehen sind, wird im § 45 NÖ-SHG näher ausgeführt (so auch 7 Ob 550/92 und 555/92).
Dem Rekursgericht ist daher hinsichtlich der dem Erstgericht erteilten Aufträge zum Auffinden einer geeigneten Lösung für den Patienten beizupflichten, insbesondere auch darin, daß es Pflicht der Sachwalterin im Rahmen der ihr obliegenden Personensorge ist, eine Lösung für den von ihr vertretenen Behinderten zu finden.
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