Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Text
Begründung
Der am 13.3.1939 geborene Adolf B***** befindet sich in stationärer Behandlung der *****Landesnervenklinik M*****. Mit Beschluß vom 24.3.1988 wurde Uta G***** zum Sachwalter für alle Angelegenheiten (§ 273 Abs 3 Z 3 ABGB) bestellt. Am 29.5.1991 richtete die *****Landesnervenklinik an das Erstgericht eine Sachverhaltsdarstellung, wonach sich im Pavillon 4 durchgehend chronisch psychiatrische Patienten befinden. Ein Teil der Patienten sei in seiner Bewegungsfreiheit zum Schutze vor Selbstbeschädigung eingeschränkt. Die Krankenanstalt ersuchte um Beurteilung, ob eine Unterbringung laut UbG vorliege oder nicht und ob eine solche gerechtfertigt sei. Die Station 4/D, auf der sich auch Adolf B***** befindet, wurde im Rahmen der kommissionellen Verhandlung nach dem NÖ. Krankenanstaltengesetz als eine "offen geführte Station" definiert. Da sich auf dieser Abteilung fast durchgehend hochgradig schwachsinnige Patienten befinden, die sich außerhalb der Abteilung alleine nicht zurechtfinden, hat die Tür der Abteilung nach außen hin eine Schnalle, innen jedoch nur einen Knopf; sie ist daher von innen nur mit einem Schlüssel zu öffnen. Es werden regelmäßig Ausgänge unter Aufsicht durchgeführt, ein selbständiger Ausgang der Patienten ist nicht möglich.
Bei Adolf B***** wird als Diagnose "Debilität, chronischer Alkoholabusus mit Aggressionstendenzen" angegeben.
Die Landesnervenklinik teilte mit, er sei am 14.1.1991 vom Pavillon 2 auf Pavillon 4 verlegt worden, weil er sich auf der bisherigen Station in eine Schwester verliebt habe; da seine Liebe nicht erwidert wurde, habe er Morddrohungen gegen diese Schwester gerichtet. Zu Beginn seines Aufenthaltes auf Abteilung 4 habe er sich ruhig verhalten, es sei jedoch bald zu häufigen Ausgängen mit massivem Alkoholmißbrauch gekommen. Wiederholte Versuche, dem Patienten das Verlassen der Abteilung zu gestatten, seien daran gescheitert, daß er die erste Gelegenheit dazu nützte, Alkohol zu konsumieren. Derzeit könne der Alkoholabusus des Patienten nur durch einen Aufenthalt in der Abteilung 4/D kontrolliert werden.
Mit Beschluß vom 20.9.1991 sprach das Erstgericht aus, daß die Anwendung von Mitteln zur Einschränkung der körperlichen Bewegungsfreiheit im Sinne des § 33 Abs 1 UbG als zur Behandlung und Pflege notwendig zu betrachten und daher zulässig seien.
Das von der Sachwalterin Uta G***** und der Patientenanwältin Dr. Erna H***** angerufene Rekursgericht hob diesen Beschluß auf und trug dem Erstgericht die Durchführung eines Verfahrens über die Zulässigkeit der Unterbringung (§§ 18 ff UbG) auf. Das Rekursgericht vertrat die Ansicht, die Entscheidung des Erstgerichtes sei so zu verstehen, daß es sich lediglich um eine Teilentscheidung nach § 33 Abs 3 UbG über Beschränkungen der Bewegungsfreiheit handle. Eine solche Entscheidung habe aber schon deshalb nicht zu ergehen, weil es sich diesfalls um ein Antragsverfahren handle und ein entsprechender Antrag nicht gestellt worden sei; es fehle auch an der prozessualen Basis eines vorangegangenen und mit Zulässigerklärung beendeten Unterbringungsverfahrens.
Mit Schreiben vom 30.1.1992 teilte die ***** Landesnervenklinik M***** dem Erstgericht mit, Adolf B***** leide an einer geistigen Behinderung, weshalb eine Unterbringung nach § 3 UbG nicht zulässig sei. Zur Wahrung seiner Interessen sei aber eine Anhaltung auf station 4/D bzw. allenfalls eine zusätzliche Sicherung notwendig, weil ein unbeabsichtigtes Verlassen der Station eine Selbstgefährdung bedeute. Alkoholabusus könne an der Abteilung nicht toleriert werden, da es sofort zur Nachahmung durch andere Patienten käme. Eine Entlassung sei derzeit nicht möglich, da keine alternative Wohnmöglichkeit für den Betroffenen bestehe; ein unbeaufsichtigtes Verlassen der Station führen zu seiner Selbstgefährdung (Verletzungsgefahr, Verirren, Unterkühlung im Winter etc.).
Mit Note vom 5.2.1992 gab der für Unterbringungssachen zuständige Richter des Bezirksgerichtes Amstetten der Sachwalterschaftsabteilung bekannt, daß bei Adolf B***** die Unterbringung aller Voraussicht nach für unzulässig zu erklären und sofort aufzuheben sein werde; es seien deshalb sachwalterschaftsgerichtliche Maßnahmen gemäß § 282 Abs 2 ABGB notwendig.
Mit Beschluß vom 6.2.1992 genehmigte das Erstgericht die "bisherige Unterbringung des Patienten" sachwalterschaftsbehördlich und ordnete seine zukünftige "Unterbringung" an. Das Erstgericht führte aus, der Patient sei im Sinne einer Debilität schwerst behindert und nicht in der Lage, selbständig eine sinnvolle Handlung zu setzen, er bedürfe daher weiterhin der ihm bisher zuteil gewordenen Pflege im untergebrachten Zustand. Eine Aufhebung der Unterbringung würde mit Sicherheit eine Gefahr für Leib und Leben des Patienten herbeiführen. Zu einer solchen müßte es aber zwangsläufig kommen, wenn der Betroffene nach dem UbG begutachtet werde, weil eine geistige Behinderung nicht vorliege. Die einzig mögliche Form der Existenz des Betroffenen sei daher die "Unterbringung".
Über Rekurs der Sachwalterin hob das Gericht zweiter Instanz diesen Beschluß auf; den Rekurs an den Obersten Gerichtshof erklärte es für zulässig, weil die Entscheidung SZ 60/12 mit anderen nach dem Unterbringungsgesetz ergangenen Entscheidungen nicht im Einklang stehe, und führte aus: Eine Unterbringung des Betroffenen sei gemäß § 3 Z 1 UbG unzulässig, weil keine psychische Krankheit vorlliege. Es müßten deshalb im Sachwalterschaftsverfahren die entsprechenden Anordnungen über den Aufenthalt des Betroffenen getroffen werden. Zwar könne das Pflegschaftsgericht nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes (SZ 60/12) die Anhaltung einer behinderten Person in einer Krankenanstalt für Geisteskranke anordnen, weil dafür § 282 Satz 2 ABGB eine der Menschenrechtskonvention entsprechende Grundlage biete, doch komme primär die Anordnung einer anderweitigen Betreuung des Behinderten in Betracht; sollte diese nicht möglich sein, müßte der Betroffene als behinderter Mensch im Sinne des § 13 Abs 2 des NÖ. Sozialhilfegesetzes den nach diesem Gesetz zuständigen Organen zur Betreuung übergeben werden. Nur dann, wenn eine adäquate Betreuung sich auch im Sozialhilfebereich als unmöglich erweisen sollte, bliebe als letzte Möglichkeit die Beibehaltung des Aufenthaltes in der ***** Landesnervenklinik M***** in der bisherigen Art und Weise. Da nach der derzeitigen Aktenlage noch nicht verläßlich beurteilt werden könne, was mit dem Betroffenen in Zukunft geschehen solle, sei eine Ergänzung des Verfahrens erforderlich.
Rechtliche Beurteilung
Dagegen richtet sich der Revisionsrekurs der Sachwalterin mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluß zu beheben und das Verfahren einzustellen, in eventu aber auszusprechen, daß das Erstgericht im fortgesetzten Verfahren jedenfalls nicht ermächtigt sei, die Unterbringung in einer psychiatrischen Anstalt bzw. Abteilung anzuordnen oder zu genehmigen.
Die auch im außerstreitigen Verfahren erforderliche Beschwer ist gegeben, weil das Rekursgericht nur dem Eventualantrag auf Aufhebung stattgegeben hat (Fasching, LB2, Rz 1719).
Es liegen auch die Voraussetzungen des § 14 Abs 1 AußStrG vor, weil die Entscheidung des Rekursgerichtes von der (wenngleich erst zu einem späteren Zeitpunkt ergangenen) Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes abweicht.
Der Revisionsrekurs der Sachwalterin ist zwar nicht im Entscheidungsantrag, wohl aber in der mit dem Eventualbegehren ausgedrückten Rechtsansicht berechtigt, das Erstgericht sei nicht "ermächtigt", die Unterbringung in einer psychiatrischen Anstalt bzw. Abteilung anzuordnen oder zu genehmigen.
Die vom Rekursgericht zur Begründung seiner Rechtsansicht zitierte
Entscheidung vom 28.1.1987, 1 Ob 709/86 (= SZ 60/12 = NZ 1988, 78
= JBl 1988, 105 = ÖA 1988, 18), und die ihr folgende Entscheidung
vom 10.5.1988, 4 Ob 535/88 (= ÖA 1989, 169), sind zur Rechtslage
vor dem Unterbringungsgesetz, das mit 1.1.1991 in Kraft getreten ist, ergangen.
Wie der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung vom 7.5.1992, 7 Ob 550/92 - der sich der erkennende Senat anschließt -, ausgeführt hat, darf nach § 3 Z 1 UbG in einer "Anstalt" im Sinne des § 2 dieses Gesetzes nur untergebracht werden, wer an einer psychischen Krankheit leidet und im Zusammenhang damit sein Leben oder seine Gesundheit oder die Gesundheit anderer ernstlich und erheblich gefährdet. Es besteht keine gesetzliche Grundlage dazu, für eine behinderte Person, die nicht auch an einer psychischen Krankheit leidet, die Unterbringung in einer Anstalt für Geisteskranke unter Hinweis auf § 282 Satz 2 ABGB als erforderliche Personenfürsorge anzuordnen. Geistig Behinderte dürfen nur dann in Abteilungen und Sonderkrankenanstalten für Psychiatrie aufgenommen werden, wenn neben der geistigen Behinderung auch Symptome einer psychischen Erkrankung auftreten.
Daß im vorliegenden Fall eine psychiche Erkrankung nicht vorliegt, ist unstrittig.
Eine analoge Anwendung des UbG auf geistig Behinderte kommt mangels Vorliegens einer "planwidrigen Unvollständigkeit" des Gesetzes nicht in Frage (JBl 1992, 106; 8 Ob 587/91, 8 Ob 593/91 ua). Daß geistig Behinderte ohne Symptome einer psychischen Erkrankung auch dann, wenn sie im Zusammenhang mit ihrer Behinderung sich oder andere ernstlich und erheblich gefährden, nach der gegebenen Rechtslage weder in einem geschlossenen Bereich angehalten noch sonst Beschränkungen in ihrer Bewegungsfreiheit unterworfen werden dürfen, mag unbefriedigend sein, doch liegt die Änderung einer solchen Rechtslage nicht in der Kompetenz der Rechtsprechung.
Die Unterbringung des Betroffenen in einer Anstalt im Sinne des § 2 UbG ist daher entgegen der Ansicht des Rekursgerichtes auch nicht als letzte Möglichkeit zulässig.
Es ist jedoch auf § 1 Abs 2 lit b des NÖ. Sozialhilfegesetzes zu verweisen, wonach die Sozialhilfe auch Hilfe für behinderte Menschen, soweit sie nicht von anderer Seite geleistet wird, umfaßt.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)