OGH 7Ob515/92 (7Ob1517/92)

OGH7Ob515/92 (7Ob1517/92)2.4.1992

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Warta, Dr. Egermann, Dr. Niederreiter und Dr. Schalich als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj. Roman W*****, geboren am 6.Jänner 1975, infolge Revisionsrekurses des Präsidenten des Oberlandesgerichtes Wien gegen den Beschluß des Landesgerichtes für ZRS Wien als Rekursgericht vom 9.Oktober 1991, GZ 44 R 885,886/91-39, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Favoriten vom 1.August 1991, GZ 8 P 441/88-32, teilweise abgeändert wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird teilweise Folge gegeben und der angefochtene Beschluß dahin abgeändert, sodaß er insgesamt zu lauten hat:

"Die dem mj. Roman W***** mit Beschluß des Bezirksgerichtes Favoriten vom 25.6.1991 für die Zeit vom 1.6.1991 bis 31.3.1994 gewährten Unterhaltsvorschüsse werden für die Zeit ab 1.8.1991 auf monatlich S 700,-- herabgesetzt".

Die Änderung der Auszahlungsanordnung bleibt dem Erstgericht vorbehalten.

Text

Begründung

Die Ehe der Eltern des mj. Roman W***** wurde mit Beschluß des Bezirksgerichtes Favoriten vom 22.8.1988 geschieden und dabei die Obsorge mit dem pflegschaftsbehördlich am 19.1.1989 genehmigten Vergleich der Mutter übertragen. Der Vater Friedrich W***** befand sich seit 23.4.1988 in Haft. Er wurde wegen Raubmordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt, ist jedoch am 30.10.1991 aus der Strafhaft entflohen. Zur Schaffung eines Unterhaltstitels ist es nicht gekommen. Dem Minderjährigen wurde zuletzt mit Beschluß des Erstgerichtes vom 25.6.1991 wegen der Inhaftierung des unterhaltspflichtigen Vaters ein Unterhaltsvorschuß von monatlich S 1.700,-- ab 1.6.1991 gewährt (ON 28). Dieser Bemessung lag ein Einkommen des Minderjährigen als Lehrling von monatlich S 3.813,-- zugrunde. Auf die Mitteilung des Jugendamtes hin, der Minderjährige beziehe seit 1.8.1991 eine monatliche Lehrlingsentschädigung von S 5.500,--, setzte das Erstgericht den Unterhaltsvorschuß ab 1.8.1991 auf monatlich S 200,-- herab (ON 32).

Das Rekursgericht gab mit der angefochtenen Entscheidung dem Rekurs des Jugendamtes als Sachwalter des Kindes gegen diesen Beschluß teilweise Folge und setzte den Unterhaltsvorschuß für den Minderjährigen ab 1.8.1991 auf monatlich S 1.200,-- herab. Es erklärte den Revisionsrekurs für zulässig. Bei eigener Haushaltsführung benötige ein Minderjähriger monatlich mindestens S 7.000,-- zur Deckung seiner Bedürfnisse. Tatsächlich lebe der mj. Roman W***** noch im mütterlichen Haushalt, die von dort bezogenen Leistungen seien mit monatlich S 500,-- zu veranschlagen. Der Minderjährige benötige daher zu seinem eigenen Einkommen noch zusätzlich monatlich S 1.200,-- zur Deckung seiner Bedürfnisse.

Der gegen diese Entscheidung erhobene Revisionsrekurs des Präsidenten des Oberlandesgerichtes ist teilweise berechtigt.

Der Rekurswerber stützt sich auf die in den Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes 6 Ob 598/90 und 7 Ob 519/91 vertretene Ansicht, es dürften, wenn das mj. Kind eigene Einkünfte beziehe, Vorschüsse den Unterschiedsbetrag zwischen den im § 6 UVG genannten Richtsätzen und den eigenen Einkünften nicht übersteigen. Soweit der im § 6 UVG genannte Richtsatz durch eigene Einkünfte gedeckt sei, sei ein Einstellungsgrund anzunehmen. Diese Ansicht entspricht aber nicht mehr der herrschenden Judikatur des Obersten Gerichtshofes, der sich hiemit auch der erkennende Senat anschließt. Die Erwägungen des Rekurswerbers, daß im vorliegenden Fall ein "Richtsatzvorschuß" gewährt worden sei, treffen unter Berücksichtigung der als gerichtsbekannt anzunehmenden Tatsache der Flucht des Vaters aus der Strafhaft nur für die Zeit vom 1.8. bis 30.10.1991 zu. Auch bei Vernachlässigung der Kenntnis dieses Umstandes käme diesen Erwägungen aber keine Berechtigung zu (vgl. ÖA 1992/114 und 115). Dennoch ist der Revisionsrekurs teilweise berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 4 Z 3 UVG sind Vorschüsse auch zu gewähren, wenn dem Unterhaltsschuldner aufgrund einer Anordnung in einem strafgerichtlichen Verfahren länger als einen Monat im Inland die Freiheit entzogen wird und er deshalb seine Unterhaltspflicht nicht erfüllen kann. Gemäß § 6 Abs.2 Z 3 UVG sind in diesem Fall - vorbehaltlich des § 7 UVG - einem Kind ab Vollendung des 14. Lebensjahres 3/4 des im § 6 Abs.1 UVG festgesetzten Höchstbetrages (Richtsatz für pensionsberechtigte Halbwaisen nach § 293 Abs.1 Buchstabe c bb 1.Fall ASVG, vervielfacht mit dem jeweiligen Anpassungsfaktor, § 108 f ASVG) - das sind derzeit S 2.985,--, zu gewähren. Nach § 7 Abs.1 Z 2 UVG hat das Gericht die Vorschüsse ganz oder teilweise zu versagen, soweit in den Fällen des § 4 Z 2 und 3 UVG das Kind eigene Einkünfte hat oder unter Berücksichtigung seiner Lebensverhältnisse selbsterhaltungsfähig ist. In den EBzRV 276 BlgNR 15.GP 11 f zur Novelle BGBl.1980/278, in der unter anderem die Bestimmung des § 7 Abs.1 Z 2 UVG eingeführt wurde, heißt es unter anderem: "Die Bestimmung (§ 7 Abs.1 in der vor der Novelle geltenden Fassung) ist nach ihrem Wortlaut nur auf Fälle anwendbar, in denen Grundlage der Bevorschussung ein Exekutionstitel ist, nicht also die Gewährung von Vorschüssen nach § 4 Z 2 und 3. Das ist zu Recht als Mangel angesehen worden. Das Gericht kann die Vorschüsse nur entweder in der vollen Höhe der Pauschalbeträge des § 6 Abs.2 gewähren oder sie versagen; die Möglichkeit einer Verminderung der Pauschalbeträge wegen teilweiser Selbsterhaltungsfähigkeit des Kindes besteht nach herrschender Auffassung nicht. Dieses "Alles oder Nichts-Prinzip" ist unbefriedigend. Oft hat ein Minderjähriger ein Einkommen, das ihm die Befriedigung zumindest eines Teiles seiner Bedürfnisse ermöglicht. Dann vermindert sich auch sein Unterhaltsanspruch. Es ist nicht sachgerecht, in diesen Fällen die vollen Pauschalbeträge des § 6 Abs.2 als Vorschuß zu gewähren. Der § 7 Abs.1 soll erweitert werden: Werden Vorschüsse nach § 4 Z 2 oder 3 gewährt, so soll das Gericht die Pauschalbeträge des § 6 insoweit herabsetzen können, als das Kind eigene Einkünfte hat oder unter Berücksichtigung seiner Lebensverhältnisse selbsterhaltungsfähig ist. Es verringern sich also die Vorschüsse um die dem Kind anzurechnenden eigenen Einkünfte."

Da der Wortlaut und der Zweck des § 7 Abs.1 Z 1 UVG nicht ident mit dem § 7 Abs.1 Z 2 UVG ist, worauf die Entscheidung 4 Ob 549/91 ausdrücklich verweist, war diese Entscheidung für die Lösung des vorliegenden Falles nicht heranzuziehen (vgl 7 Ob 512/92).

Eigene Einkünfte eines Kindes sind bei der Bemessung des Richtsatzunterhaltes im Zweifelsfall auf die von beiden Elternteilen gemeinsam geschuldeten Unterhaltsleistungen und daher auch auf die vom obsorgenden Elternteil in natura erbrachten Betreuungsleistungen anzurechnen. In der Regel, wenn also nicht besondere Umstände ein anderes Verhältnis nahelegen, wird etwa zwei Drittel des eigenen Einkommens dem betreuenden Elternteil und nur etwa ein Drittel dem Geldunterhalt schuldenden Elternteil anzurechnen sein (vgl 8 Ob 649/91).

Die dem mj. Roman W***** anzurechnenden Einkünfte aus der Lehrlingsentschädigung betragen ab 1.8.1991 rund S 5.500,--. Die Differenz auf den im § 6 Abs.2 Z 3 UVG genannten Betrag (der sich im Jahr 1991 mit S 2.985,-- errechnete) betrug daher ab August 1991 etwa S 700,--, weshalb dieser runde Betrag zu verbleiben hat.

Dem Rekurs des Präsidenten des Oberlandesgerichtes Wien war daher teilweise Folge zu geben.

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