Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Text
Begründung
Die Antragsteller sind die Eltern der im Kopf dieser Entscheidung genannten mj. Kinder. Die Ehe der Antragsteller wurde mit Urteil des Bezirksgerichtes für ZRS Graz (29 C 13/89-4) geschieden. Zunächst beantragten sowohl die Mutter (ON 1 und 5) als auch der Vater (ON 4) die Zuteilung der Elternrechte mit der Begründung, daß die Zuteilung der Elternrechte an den jeweils anderen Elternteil weniger dem Wohl der Kinder entspreche. Aus den dabei gebrauchten Formulierungen geht die im Pflegschaftsverfahren betreffend Kinder aus geschiedenen Ehen häufig zu beobachtende Animosität der Eltern gegeneinander hervor. Am 8.8.1990 brachte der Vater, vertreten durch den nunmehr gemeinsamen Anwalt der Eltern, einen Antrag auf pflegschaftsbehördliche Genehmigung einer angeblich zwischen den Eltern getroffenen Vereinbarung über die Zuteilung der Obsorge über die drei Kinder ein. Obgleich dieser Antrag von der Mutter nicht unterschrieben war, wurde ihm vom Pflegschaftsgericht stattgegeben. Später stellte sich heraus, daß eine solche Einigung nicht zustandegekommen war. Der Antrag sei "irrtümlich" an das Gericht gerichtet gewesen. Der erstgerichtliche Genehmigungsbeschluß wurde sodann über Rekurs beider Elternteile aufgehoben (ON 22).
In der Folge beantragten die Eltern "unter Hinweis auf die neueste Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes", ihnen die Obsorge über die drei genannten Kinder gemeinsam zuzuteilen.
Das Erstgericht wies diesen Antrag ab. Voraussetzung für die Zuteilung der Obsorge an beide Elternteile gemeinsam sei, daß diese in dauernder häuslicher Gemeinschaft leben (§ 167 ABGB), wogegen in allen anderen Fällen gemäß § 177 ABGB die Obsorge nur einem Elternteil allein zukommen könne.
Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Es führte rechtlich im wesentlichen folgendes aus:
Die Rekurswerber beriefen sich auf die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 10.5.1990, 8 Ob 719/89, wonach im Interesse des Kindeswohles bei einer örtlichen Nähe der Wohnsitze der Eltern, wie es hier der Fall sei, die Bestimmung des § 177 Abs 3 ABGB iVm § 167 ABGB herangezogen werden könne. Das Rekursgericht könne sich aber dieser Meinung nicht anschließen. Betrachte man die Gesetzesmaterialien, so sehe man, daß der Gesetzgeber mit der Zuteilung der Elterntechte an einen Elternteil die Nachteile der alten Regelung des § 142 ABGB habe vermeiden wollen. Die mit dem KindRÄG 1989 eingeführte Sonderregelung des § 167 ABGB (Zuteilung der Obsorge an beide Eltenrteile auch nach Scheidung der Ehe) solle nur unter der Voraussetzung des Bestandes einer dauernden und erkennbaren häuslichen Gemeinschaft zwischen den Eltern gelten (JAB 887 BlgNR 17.GP). Dieser Regelung sei der Gedanke zugrunde gelegen, daß bei Bestand einer häuslichen Gemeinschaft eine harmonische Meinungsbildung bei Ausübung der elterlichen Rechte im Interesse des Kindeswohles möglich sei. Eine Zuteilung der Obsorge an beide Elternteile bei getrenntem Wohnsitz indiziere mögliche Meinungsverschiedenheiten, die vor allen in den Fällen des § 154 Abs 2 ABGB, in denen es der Zustimmung des anderen vertretungsberechtigten Elternteiles bedarf, wieder zu den zur Zeit der alten Regelung des § 142 ABGB bestandenen Mißständen führen könnten. Das Rekursgericht lehne daher die extensive Auslegung des § 167 ABGB ab.
Im Hinblick auf den eindeutigen Gesetzeswortlaut sei der Revisionsrekurs unzulässig.
Gegen diese Entscheidung richtet sich der ao Revisionsrekurs der Antragsteller mit dem Begehren, ihrem Antrag auf Zuteilung der Obsorge betreffend die drei genannten Kinder an sie beide gemeinsam Folge zu geben.
Der Revisionsrekurs ist zulässig, aber nicht berechtigt.
1. Zur Zulässigkeit:
Eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes betreffend die Zulässigkeit einer extensiven Auslegung des § 177 Abs 3 ABGB (§ 167 ABGB) fehlt. In der von den Rechtsmittelwerbern zitierten Entscheidung vom 10.5.1990, 8 Ob 719/89 (nunmehr veröffentlicht in EvBl 1991/99), betreffend die Zulässigkeit einer einvernehmlichen Scheidung gemäß § 55 a EheG, wenn die Ehegatten über die Obsorge der Kinder für den Fall der Scheidung eine Vereinbarung des Inhaltes treffen, daß diese ihnen - auch ohne dauernde häusliche Gemeinschaft - gemeinsam zustehen solle, erachtete der Oberste Gerihtshof eine solche Vereinbarung deswegen als für die Zulässigkeit der einvernehmlichen Scheidung ausreichend, weil nicht von vornherein gesagt werden könne, daß die - zwar nicht den Buchstaben des § 177 Abs 1 ABGB, jedoch dessen Intentionen, nämlich der Förderung des Kindeswohles, gerecht werdende - Vereinbarung der im Sinne des § 55 a EheG scheidungswilligen Antragsteller auf keinen Fall pflegschaftsbehördlich genehmigt werden könnte, ziehe man etwa nur den durch § 177 Abs 3 ABGB neu geregelten Fall zum Vergleich heran, daß geschiedene Eltern noch weiterhin mit ihren ehelichen Kindern in häuslicher Gemeinschaft leben und solcherart die gemeinsame Ausübung der Obsorge in einem vergleichbaren Fall möglich sei.
Sowohl das Fehlen einer Rechtsprechung zu einem - wie im vorliegenden Fall - direkt zu beurteilenden Antrag auf Zuteilung der Obsorge an beide Elternteile gemeinsam als auch die in der genannten Entscheidung im Rahmen einer Vorfragenbeurteilung angedeutete Möglichkeit einer Entscheidung im Sinne des Begehrens der Antragsteller indizieren das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage, zumal Überlegungen wie die der Revisionsrekurswerber auch sonst in der Öffentlichkeit angestellt werden.
Der Revisionsrekurs ist daher zulässig, obgleich im allgemeinen ein eindeutiger Gesetzeswortlaut die Zulässigkeit des Revisionsrekurses ausschließt.
2. Zur Sachentscheidung:
§ 177 ABGB in der Fassung vor dem KindRÄG kannte für den Fall der Ehescheidung der Eltern nur die Zuteilung der Obsorge (damals: Zuteilung der Elternrechte) an einen Elternteil allein. Diese Regelung wurde auch als verfassungsrechtlich unbedenklich erachtet. Träger des Grundrechtes auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art 8 MRK) sind nämlich sowohl die Eltern als auch deren Kinder. Entscheidungen eines Gerichtes, die das Grundrecht eines Elternteils im Interesse des Wohles des Kindes beschränken, sind aber durch Art 8 Abs 2 MRK gedeckt. Einem Gesetzgeber, der auf das Wohl eines Kindes aus einer geschiedenen Ehe bedacht ist, kann demnach nicht entgegengetreten werden, wenn er einvernehmliches Vorgehen geschiedener Eltern ermöglicht, aber dennoch sofort bei der Scheidung eine klare Regelung darüber anstrebt, wer Entscheidungen über das Kind zu treffen hat, falls ein Einvernehmen zwischen den Eltern nicht (mehr) besteht (VfGH 22.6.1989, G 142,168/88, ZfRV 1990, 215).
Rechtliche Beurteilung
In der Folge ging der Gesetzgeber durch das KindRÄG BGBl.1989/162 einen Schritt weiter und normierte in den §§ 167 und 177 Abs 3 ABGB, daß auf gemeinsamen Antrag der Eltern verfügt werden könne, daß ihnen beiden die Obsorge für das Kind zukomme, wenn die Eltern mit dem Kind in dauernder häuslicher Gemeinschaft leben und diese Verfügung für das Wohl des Kindes nicht nachteilig ist. Durch diesen eindeutigen Gesetzeswortlaut brachte der Gesetzgeber klar zum Ausdruck, daß er die Zuteilung der Obsorge über die gemeinsamen Kinder an beide geschiedenen Elternteile gemeinsam nur für den Fall des Bestehens einer dauernden häuslichen Gemeinschaft vorsieht. Diese schon aus dem Wortlaut klar hervorgehende Absicht des Gesetzgebers brachte dieser überdies noch in den bereits vom Rekursgericht zitierten Materialien zum Ausdruck. Eine Auslegung dahin, daß auch im Falle des Nichtbestehens einer dauernden häuslichen Gemeinschaft zwischen den geschiedenen Ehegatten die Zuteilung der Obsorge an beide Elternteile gemeinsam erfolgen könnte, verbietet sich daher aus dem Gesetzeswortlaut selbst und ist auch generell vom Wohl der Kinder her gesehen aus folgenden Gründen nicht erforderlich:
Entsprechend dem in § 44 ABGB definierten Ehevertrag, der seinem Wesen nach unter anderem auf Leben in unzertrennlicher Gemeinschaft und Erziehung der gemeinsamen Kinder gerichtet ist, normiert § 90 ABGB folgerichtig die Rechtspflicht der nach § 91 ABGB dabei gleichberechtigten Ehegatten zur einvernehmlich zu gestaltenden umfassenden ehelichen Lebensgemeinschaft, besonders zum gemeinsamen Wohnen. Einer solchen Gestaltung der rechtlichen Grundlagen der Ehe und der in einer solchen Lebensgemeinschaft vorausgesetzten gemeinsamen Erziehung der Kinder entspricht konsequent das in § 154 Abs 1 ABGB im Regelfall jedem Elternteil in gleicher Weise zukommende Alleinvertretungsrecht.
Im Fall der Scheidung der Ehe der Eltern fällt diese Grundlage, insbesondere auch das gemeinsame Wohnen - wie auch bei den Rechtsmittelwerbern - weg. Es ist also zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer (vgl. Art.8 Abs.2 MRK), nämlich der minderjährigen Kinder der geschiedenen Eltern, notwendig, dafür Vorsorge zu treffen, daß für Pflege und Erziehung, Vermögensverwaltung und gesetzliche Vertretung der Kinder (= Obsorge; früher: Ausübung der elterlichen Rechte) im Interesse des Wohles dieser Kinder vorgesorgt wird. In Wahrheit handelt es sich bei allen diesen sogenannten "Elternrechten" um von den Eltern zu erfüllende Pflichten im Interesse des Wohles der Kinder, was durch den nunmehr vom Gesetzgeber gebrauchten Ausdruck "Obsorge" auch deutlich zum Ausdruck kommt.
Durch die vorsorgliche Zuteilung der Obsorge an nur einen Elternteil bleibt es aber bei den Elternteilen unbenommen, den von ihnen angestrebten, an sich wünschenswerten Vorgang der einvernehmlichen Ausübung der Obsorge zu wählen. Dieser den Eltern zustehende und im Interesse des Kindeswohles auch durch gemeinsame Obsorge auszufüllende Freiraum wird durch die Zuteilung der Obsorge an bloß einen Elternteil nicht beeinträchtigt. Für die rein faktische Gestaltung des Aufenthaltes der Kinder bei dem einen oder bei dem anderen Elternteil sowie die praktische Durchführung von Pflege und Erziehung ist die gerichtliche Entscheidung solange nicht von Bedeutung, als die geschiedenen Eltern einvernehmlich vorgehen. Für Vertretungshandlungen nach außen kann durch Bevollmächtigung des anderen Elternteiles Vorsorge getroffen werden. Sollte aber ein solches Einvernehmen einmal nicht mehr bestehen, dann erfordert gerade ein solcher Fall die vom Gesetzgeber vorgesehene Regelung. Eine solche soll nicht erst im Streitfall getroffen werden, sondern schon vorher im Interesse der Kinder bestehen.
Der eingangs wiedergegebene Sachverhalt in der hier zu beurteilenden Rechtssache weist darauf hin, daß der Antrag auf Zuteilung der Obsorge an beide Elternteile gemeinsam erst gestellt wurde, als alle Versuche, sie einvernehmlich dem einen oder anderen Elternteil - entweder überhaupt oder je nach Kind verschieden - zuzuteilen, gescheitert waren. Dies zeigt, daß auch in diesem Fall die Scheidung der Eltern nicht ohne Einfluß auf ihre Ansicht bezüglich des Verbleibens der Kinder blieb. Gerade dieser Fall bestätigt, daß die oben vorgenommene Auslegung der Bestimmungen der §§ 167 und 177 Abs 3 ABGB dem Wohl der Kinder, für deren kontinuierliche und gesicherte Obsorge im Fall der Scheidung Vorsorge getroffen werden soll, entspricht.
Es war daher wie im Spruch zu entscheiden.
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