OGH 9ObA84/91

OGH9ObA84/9124.4.1991

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof.Dr.Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof.Dr.Gamerith und Dr.Maier sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Klaus Hajek und Dr.Carl Hennrich als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei prot. Firma M. G***** vertreten durch ***** Rechtsanwälte *****, wider die beklagte Partei H***** K*****, Arbeiter, ***** vertreten durch ***** Rechtsanwalt *****, wegen

S 25.260 sA, infolge Rekurses des Beklagten gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 8.Jänner 1991, GZ 13 Ra 99/90-12, womit das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Arbeits- und Sozialgericht vom 29.Mai 1990, GZ 19 Cga 29/90-8, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung

1. beschlossen:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben und der Aufhebungsbeschluß des Berufungsgerichtes aufgehoben.

2. In der Sache selbst durch

Urteil

zu Recht erkannt:

Das Urteil des Erstgerichtes wird wiederhergestellt. Die klagende Partei hat die Kosten des Berufungsverfahrens selbst zu tragen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 3.396,60 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (davon S 566,10 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Beklagte, vom Beruf Tapezierer, war bei der Klägerin, die in ***** ein Teppichhaus führt, vom 3.1.1988 bis 31.8.1989 vorwiegend mit der Verlegung von Böden beschäftigt. Die Klägerin besitzt die Gewerbeberechtigung für das Handels- und Tapezierergewerbe, ihre persönlich haftende Gesellschafterin, die ***** Beteiligungsgesellschaft, die Gewerbeberechtigung für das Bauhilfsgewerbe.

Am 14.8.1989 stellte der Beklagte einen LKW der Klägerin ***** so ab, daß er auf der abschüssigen Straße ins Rollen geriet und schwer beschädigt wurde.

Die Klägerin begehrt vom Beklagten mit der am 9.2.1990 eingebrachten Klage Ersatz des an ihrem PKW entstandenen Schadens in Höhe von S 25.260 sA.

Der Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens, bestritt ein Verschulden an der Schadenszufügung und wendete ein, daß der Ersatzanspruch gemäß § 18 Z 2 des Kollektivvertrages (KV) für das Tapezierergewerbe verfallen sei, weil die Forderung nicht innerhalb von vier Monaten nach Fälligkeit geltend gemacht worden sei.

Die Klägerin erwiderte, daß der Beklagte überwiegend mit Bodenlegerarbeiten beschäftigt gewesen sei, so daß auf ihn der Kollektivvertrag für das Bauhilfsgewerbe zur Anwendung komme. Sie stellte aber außer Streit, daß sie die in den einschlägigen Kollektivverträgen (Tapezierergewerbe; Bauhilfsgewerbe) enthaltenen Fallfristen - die aber auf den vorliegenden Anspruch nicht anzuwenden seien - nicht eingehalten habe.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Für die Frage, welcher Kollektivvertrag auf den Arbeitsvertrag des Beklagten anzuwenden sei, komme es auf die Gewerbeberechtigung der Klägerin, nicht aber jene ihrer persönlich haftenden Gesellschafterin an. Die Klägerin habe nie behauptet, daß sich der wesentliche Teil ihrer (eigenen) Geschäftstätigkeit auf die Ausübung eines Bauhilfsgewerbes erstrecke. Es sei daher der Kollektivvertrag für das Tapezierergewerbe anzuwenden, der in § 18 Z 2 vorsehe, daß alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis bei sonstigem Verfall innerhalb von vier Monaten nach Fälligkeit geltend gemacht werden müssen. Diese Bestimmung umfasse auch Schadenersatzansprüche des Arbeitgebers. Eine viermonatige Verfallfrist sei nicht sittenwidrig, weil sie die Geltendmachung von Ansprüchen (noch) nicht allzu sehr erschwere. Der Ersatzanspruch der Klägerin sei daher verfallen.

Das Berufungsgericht verwarf die Berufung der Klägerin, soweit sie Nichtigkeit geltend machte, gab ihr aber im übrigen Folge, hob das Ersturteil auf und verwies die Rechtssache zur ergänzenden Verhandlung und Entscheidung an die erste Instanz zurück; es sprach aus, daß der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei.

Das Berufungsgericht war der Meinung, daß sich die Verfallsbestimmung des § 18 Z 2 des Kollektivvertrages für das Tapezierergewerbe nur auf Ansprüche des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber beziehe. Bei isolierter Betrachtung umfasse zwar § 18 Z 2 erster Satz des Kollektivvertrages "alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis mit Ausnahme des reinen Lohnanspruches"; aus der unmittelbar anschließenden Bestimmung über den Fälligkeitstag ("als Fälligkeitstag gilt der Auszahlungstag jener Lohnperiode, in der die den Anspruch begründenden Arbeiten geleistet wurden") ergebe sich aber eine Einschränkung des ersten Satzes auf Ansprüche des Arbeitnehmers aus dem Arbeitsverhältnis, weil sich die Bestimmung des Fälligkeitstages mit dem Auszahlungstag jener Lohnperiode, in der die den Anspruch begründenden Arbeiten geleistet wurden, nicht auf Schadenersatzansprüche des Arbeitgebers beziehen könne. Ein derartiges Regelungsergebnis könne einem vernünftigen Normgeber durchaus unterstellt werden.

Sei aber der Schadenersatzanspruch nach § 18 Z 2 des Kollektivvertrages für das Tapezierergewerbe nicht verfallen, müsse die von der Berufungsgegnerin vorgebrachte zulässige Neuerung, daß auf das Arbeitsverhältnis des Beklagten der Kollektivvertrag für die Handelsarbeiter Österreichs zur Anwendung komme, geprüft werden. Dieser Kollektivvertrag enthalte jedoch in Punkt XIV ebenfalls eine Verfallsklausel, nach der der Schadenersatzanspruch der Klägerin verfallen wäre. Der Kollektivvertrag für das Bauhilfsgewerbe komme nicht zur Anwendung, weil der Beklagte bei der Klägerin und nicht bei der ***** Beteiligungsgesellschaft beschäftigt gewesen sei. Es komme daher nur auf die Kollektivvertragszugehörigkeit der Klägerin, nicht aber auf jene ihrer persönlich haftenden Gesellschafterin an. Die Kollektivvertragszugehörigkeit der Klägerin müsse unter Bedachtnahme auf die §§ 9 und 10 ArbVG noch geprüft werden. Ergebe sich dabei, daß auf das Arbeitsverhältnis des Klägers der Kollektivvertrag für das Tapezierergewerbe anzuwenden sei, sei der Schadenersatzanspruch der Klägerin nicht verfallen und im fortgesetzten Verfahren unter Bedachtnahme auf die Bestimmungen des DHG zu prüfen.

Der Beklagte bekämpft den Aufhebungsbeschluß des Berufungsgerichtes mit Rekurs wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung und beantragt, dem Rechtsmittel Folge zu geben, den Aufhebungsbeschluß der zweiten Instanz aufzuheben und das Klagebegehren abzuweisen. Hilfsweise stellt er einen Aufhebungsantrag.

Die Klägerin beantragt in ihrer Rekursbeantwortung, dem Rechtsmittel des Beklagten nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist berechtigt.

Da der Schadenersatzanspruch der Klägerin nach dem eindeutigen Wortlaut des Punktes XIV des Kollektivvertrages für die Handelsarbeiter Östereichs ("Ansprüche des Arbeitgebers sowie des Arbeitnehmers aus dem Dienstverhältnis sind bei sonstigem Verfall innerhalb von drei Monaten nach Fälligkeit schriftlich geltend zu machen. Als Fälligkeitstag für vom Arbeitgeber allfällig zu erhebende Schadenersatzansprüche gilt jener Tag, an dem der Arbeitgeber von dem erlittenen Schaden Kenntnis erhielt.") verfallen wäre und der Kollektivvertrag für das Bauhilfsgewerbe nach zutreffender Ansicht des Berufungsgerichtes nicht zur Anwendung kommen kann, weil die Klägerin als Arbeitgeberin des Beklagten ein solches Gewerbe nicht betreibt, der Beklagte aber bei ihrer persönlich haftenden Gesellschafterin nicht beschäftigt war, hängt die Beantwortung der Frage, ob der Schadenersatzanspruch der Klägerin verfallen ist, nur davon ab, ob er auch nach dem Kollektivvertrag für das Tapezierergewerbe verfallen wäre. Ist dies der Fall, bedarf es einer Prüfung, welcher Kollektivvertrag auf das Arbeitsverhältnis zwischen den Streitteilen anzuwenden war, nicht.

Der Ansicht des Rekurswerbers, der Schadenersatzanspruch der Klägerin sei verfallen, ist zuzustimmen.

Die einschlägigen Bestimmungen des § 18 des Kollektivvertrages für das Tapezierergewerbe (im folgenden nur KV) lauten:

§ 18 Verwirkung von Ansprüchen

1. ...

2. Alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis mit Ausnahme des reinen Lohnanspruches im Sinne des § 5 Ziffer 9 müssen bei sonstigem Verfall innerhalb von vier Monaten nach Fälligkeit geltend gemacht werden. Als Fälligkeitstag gilt der Auszahlungstag jener Lohnperiode, in der die den Anspruch begründenden Arbeiten geleistet wurden.

3. Ansprüche auf den vertraglichen Lohn (§ 5 Ziff. 9) müssen bei sonstigem Verfall innerhalb von drei Monaten nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses beim Arbeitgeber schriftlich oder mündlich geltend gemacht werden."

Der in § 18 KV erwähnte § 5 KV regelt Überstundenarbeit, Sonn- und Feiertagsarbeit sowie Schichtarbeit und die sich daraus ergebenden Lohnansprüche. § 5 Z 9 KV lautet:

"Grundlage für die Berechnung der hier genannten Zuschläge bildet der Stundenlohn einschließlich eines etwaigen Leistungszuschlages. Bei Akkordarbeitern ist der Durchschnittsverdienst der letztabgerechneten 13 Wochen zugrundezulegen."

Die dem normativen Teil eines Kollektivvertrages angehörenden Bestimmungen sind nach den Grundsätzen der §§ 6, 7 ABGB, also nach der eigentümlichen Bedeutung der Worte in ihrem Zusammenhang und der Absicht des Normgebers auszulegen (stRsp zB Arb 9281, 9452, 9692, 10.480 uva).

§ 18 Z 2 erster Satz KV erfaßt nach seinem eindeutigen Wortlaut alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und nimmt von der Rechtsfolge des Verfalls "innerhalb von vier Monaten nach Fälligkeit" nur die "reinen Lohnansprüche im Sinne des § 5 Z 9" aus. Im § 18 Z 3 KV bedienen sich die Normgeber unter neuerlicher Zitierung des § 5 Z 9 KV des Begriffes "Anspruch auf den vertraglichen Lohn". Dies läßt darauf schließen, daß in beiden Bestimmungen dieselbe Art von Lohnansprüchen gemeint ist. Was mit den "reinen Lohnanspruch" bzw den "Anspruch auf den vertraglichen Lohn" gemeint ist, ergibt sich aus § 5 Z 9 KV nicht sehr deutlich, wohl aber aus dem Gesamtinhalt des § 5 KV, der Ansprüche aus Überstundenarbeit, Sonn- und Feiertagsarbeit und Schichtarbeit regelt und als Grundlage für die Berechnung der sich hiebei ergebenden Zuschläge den "Stundenlohn einschließlich eines etwaigen Leistungszuschlages" festsetzt. Mit der Bezugnahme auf § 5 Z 9 KV in § 18 Z 2 und 3 KV kann daher nur der Anspruch auf den Grundlohn (Normallohn) gemeint sein. Dieser soll mangels Geltendmachung erst drei Monate nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses verfallen, während alle anderen Lohnbestandteile der Verfallsbestimmung des § 18 Z 2 KV (vier Monate nach Fälligkeit) unterliegen. Eine solche Differenzierung ist auch sinnvoll und sachlich gerechtfertigt, sind es doch vor allem die häufig in unregelmäßiger Höhe anfallenden Lohnnebenbestandteile (aus der Leistung von Überstunden, Sonn- und Feiertagsarbeit etc), die Anlaß zu Streitigkeiten geben, die nach dem Willen der Kollektivvertragspartner, insbesondere wegen Beweisschwierigkeiten, möglichst rasch bereinigt werden sollen. Nach der Auffassung des Berufungsgerichtes käme aber die Verfallsbestimmung gerade auf diese Ansprüche nicht zur Anwendung. Das gleiche würde für solche Entgeltansprüche gelten, auf welche die Voraussetzungen des § 18 Z 2 zweiter Satz KV nicht zutreffen (Sonderzahlungen, Prämien, Abfertigung etc). Diese Bestimmung ist eine Fälligkeitsbestimmung, die aber den Anwendungsbereich der Verfallsbestimmung nicht auf bestimmte Ansprüche einschränkt.

Daher bezieht sich aber die Fälligkeitsregel des § 18 Z 2, zweiter Satz, KV nicht auf den Normallohn, sondern auf alle sonstigen Lohnnebenbestandteile. Sie müssen innerhalb von vier Monaten ab dem Auszahlungstag jener Lohnperiode geltend gemacht werden, in der die den Anspruch begründenden Arbeiten geleistet wurden. Aus dieser bloß die Fälligkeit eines Teils der Lohnansprüche regelnden Vorschrift ist aber nicht abzuleiten, daß sich der erste Satz des § 18 Z 2 KV nicht auch auf alle anderen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis, also insbesondere auch auf Ansprüche des Arbeitgebers auf Schadenersatz beziehen kann. Da die Fälligkeit von Schadenersatzansprüchen im Gesetz geregelt ist (§ 1489 ABGB; § 6 DHG), läßt sich aus der bloß die Fälligkeit bestimmter Lohnforderungen festlegende Bestimmung des § 18 Z 2 Satz 2 KV nicht der Schluß ziehen, § 18 Z 2 Satz 1 KV habe entgegen dem eindeutigen Wortlaut mit "allen Ansprüchen aus dem Arbeitsverhältnis" nur Lohnansprüche der Arbeitnehmer gemeint. Die Fälligkeitsregel des § 18 Z 2 Satz 2 KV bezieht sich eben nur auf einen Teil der im Satz 1 geregelten Ansprüche (und zwar nicht einmal auf alle Lohnansprüche).

Der Schadenersatzanspruch der Klägerin ist daher auch bei Anwendung des Kollektivvertrages für das Tapezierergewerbe verfallen. Der vom Berufungsgericht aufgetragenen Verfahrensergänzung bedarf es daher nicht.

Dem Revisionsrekurs ist daher Folge zu geben und gemäß § 519 Abs 2 ZPO in der Sache selbst durch Urteil im Sinne der Wiederherstellung der Entscheidung der ersten Instanz zu erkennen.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 40, 41, 50 ZPO. Im Berufungsverfahren hat der obsiegende Beklagte Kosten nicht verzeichnet.

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