OGH 8Ob628/91

OGH8Ob628/9121.3.1991

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes

HonProf. Dr. Griehsler als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Huber, Dr. Graf, Dr. Floßmann und Dr. Schinko als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ö***** B*****-Aktiengesellschaft, ***** vertreten durch Dr. Wolfgang Hochsteger, Rechtsanwalt in Hallein, wider die beklagte Partei Marliese S*****, vertreten durch Dr. Wolfgang Zimmermann und Dr. Klaus Kauweith, Rechtsanwälte in Salzburg, wegen Vertragszuhaltung, infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 31.August 1990, GZ 5 R 41/90-13, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Salzburg vom 19.Dezember 1989, GZ 7 Cg 27/89-9, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben.

Die Rechtssache wird zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung

an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Die Beklagte und ihr Sohn Gerwald S***** schlossen am 25.4./15.5.1972 als damalige Inhaber zweier Cafe-Konditoreien und des G*****-Kellers in Bad H***** (B*****straße später S*****straße 11 bzw K*****platz 8) mit der klagenden Aktiengesellschaft, die eine Brauerei betreibt, einen als "Lieferungs- und Leistungsübereinkommen" bezeichneten Bierbezugsvertrag, der "auf die beiderseitigen Rechts- und Geschäftsnachfolger sowie Rechtsnehmer so zu überbinden ist, daß dieselben diese Vereinbarung als ihre eigene Verpflichtung anerkennen". In diesem Vertrag verpflichteten sich a) die klagende Partei zur Übernahme von - die belieferten Geschäfte betreffenden - Inventarrechnungen bis zum Betrag von S 47.500, der bei einer voll eingehaltenen Bezugsverpflichtung während der Vertragsdauer von zehn Jahren amortisiert sein sollte, und b) die Beklagte und ihr Sohn auf die Dauer von zehn Jahren zum exklusiven, ununterbrochenen Bezug des für die genannten Geschäfte benötigten Bieres von der klagenden Partei; dabei wurde ein jährlicher Mindestbierbezug von 120 hl vereinbart, so daß sich die Vertragsdauer von 10 Jahren um die bis zur Erreichung der Mindestbezugsmenge von 1.200 hl erforderliche Zeitdauer verlängern sollte. Aus Anlaß der Erweiterung des Geschäftes der Beklagten in der B*****straße 11 zu einem "Cafe-Restaurant" schlossen die Streitteile am 15.7./17.7.1975 einen weiteren Bierbezugsvertrag, mit dem sich die klagende Partei zu Sachleistungen im Wert von S 30.400 und die Beklagte zur Verlängerung des ersten Vertrages um weitere fünf Jahre und zum Bezug einer Mindestmenge von 600 hl Bier unter den sonstigen Bedingungen des ersten Vertrages verpflichtete; im Falle der Nichterfüllung der Abnahmeverpflichtung in der vereinbarten Menge sollte sich die Vertragsdauer bis zur Erreichung der Mindestbezugsmenge verlängern.

Die Beklagte überließ die Führung des G*****-Kellers ab 1973 ihrem Sohn Gerwald, der diesen mit eigener Konzession bis Anfang 1987 betrieb; sie selbst führte die Cafe-Konditorei am K*****platz 8 bis 8.März 1987 und die Lokale in der B*****straße 11 bis 30.9.1988 und verkaufte dann das Haus K*****platz 8; seit Herbst 1987 wird dort (in den Räumlichkeiten der ehemaligen Cafe-Konditorei) vom neuen Eigentümer ein Modegeschäft betrieben. Der G*****keller wird vom neuen Eigentümer nur fallweise betrieben. Die Cafe-Konditorei in der B*****straße 11 steht nunmehr leer und das dort befindliche Cafe-Restaurant ist seit 1.12.1988 verpachtet; es wird vom Pächter als "China-Restaurant" geführt. Die Beklagte hat ihre Verpflichtungen aus den Lieferungs- und Leistungsübereinkommen mit der klagenden Partei weder an den neuen Eigentümer des Hauses K*****platz 8, noch an den Pächter des Cafe-Restaurants überbunden. Insgesamt hat sie von der klagenden Partei bis Ende September 1988 1.247,5 hl Bier bezogen.

Die klagende Partei begehrte mit der Behauptung, die Abnahmeverpflichtung aus den beiden Bierbezugsverträgen sei nicht vollständig erfüllt worden, die Verurteilung der Beklagten, jährlich 120 hl Bier ausschließlich und ununterbrochen bis zur Erreichung der vertraglichen Mindestverpflichtung (von insgesamt 1.800 hl) von der klagenden Partei zu beziehen.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wendete ein, das Übereinkommen der Streitteile sei mit 24.4.1987 abgelaufen und seinem Vertragszweck nach erfüllt, so daß keine weitere Abnahmeverpflichtung mehr bestehe. Die Verträge seien im übrigen sittenwidrig, weil die wirtschaftliche Entscheidungsfreiheit der Beklagten dadurch insofern unzulässig beeinträchtigt worden sei, als sie bis zur Abnahme der Mindestmenge auch ein verlustreiches Unternehmen fortzuführen genötigt wäre.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es stellte fest, die klagende Partei habe nach der ohne Überbindung des Bierbezugsvertrages erfolgten Veräußerung des Hauses K*****platz 8 die Beklagte am 10.4.1987 brieflich aufgefordert, ihre vertraglichen Verpflichtungen vollinhaltlich in der "Absatzstätte" Cafe-Konditorei B*****straße 11 zu erfüllen, widrigenfalls die Beitragsleistung teilweise zurückgefordert werde; die Beklagte habe diesem Vorschlag jedoch nicht zugestimmt. Die klagende Partei habe die Beklagte am 22.7.1988 durch ihren Gebietsbetreuer Rupert S***** und am 26.8.1988 auch noch brieflich anläßlich der Verpachtung des Cafe-Restaurants auf die vertragliche Überbindungsverpflichtung hingewiesen. Erst als das China-Restaurant in diesem Geschäft der Beklagten in Betrieb gestanden sei, hätten Leute der klagenden Partei deren Reklameaufschriften auf den Laternen sowie die Leuchtreklame entfernt.

Das Erstgericht zog daraus folgende rechtlichen Schlüsse: Mangels eines Nachweises der Beklagten, daß sie von vornherein nicht in der Lage gewesen wäre, in sämtlichen seinerzeit geführten Betriebsstätten die Mindestmenge von insgesamt 1.800 hl Bier innerhalb von 15 Jahren zu verkaufen, sei der auf diese Gesamtdauer geschlossene Bierbezugsvertrag der Streitteile nicht als sittenwidrig zu beurteilen. Vielmehr sei dieser Vertrag noch aufrecht und für die Beklagte verbindlich; die Weitergabe ihrer Geschäfte an Dritte in vertragsverletzender Weise ohne Überbindung des Bezugsvertrages habe nicht automatisch den Vertrag ohne weitere Folgen für sie allein schon deshalb beendet, weil sie "für ihre Geschäfte kein Bier mehr benötige". Da ein schlüssiges Einverständnis der klagenden Partei zur vorzeitigen Beendigung des Bierbezugsvertrages nicht vorliege, und der Umstand, daß die Beklagte derzeit über keine Absatzstätte für Bier verfüge, auf ihrem vertragswidrigen Verhalten beruhe und damit in ihrer Einflußsphäre liege, habe sie "auf Grund der Vertragstreue" die übernommenen Verpflichtungen einzuhalten.

Das Gericht zweiter Instanz wies in Stattgebung der Berufung der Beklagten das Klagebegehren ab und erklärte die Revision für unzulässig. Zur Begründung dieser Entscheidung führte das Berufungsgericht an:

Die Beklagte habe sich zum Bierbezug von der klagenden Partei für ihre näher genannten Geschäfte und für den Fall der Übertragung dieser "Lokale" an Dritte auch zur Überbindung der noch nicht vollständig erfüllten Bierbezugsverträge, aber nicht zum Fortbezug von Bier ihrerseits verpflichtet. Nach der Schließung bzw dem Verkauf oder der Verpachtung der "Lokale" durch die Beklagte könne die klagende Partei deshalb von ihr selbst nicht mehr die "Vertragszuhaltung" durch Bierabnahme, sondern allenfalls Schadenersatz wegen Nichterfüllung des Vertrages und die Rückstellung des Teiles ihrer Leistung fordern, dem kein entsprechendes Äquivalent durch Bierabnahme gegenüberstehe.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen das Urteil der zweiten Instanz erhobene außerordentliche Revision der klagenden Partei ist, wie sich aus den folgenden Ausführungen ergeben wird, zur Wahrung der Rechtssicherheit und Rechtseinheit zulässig; sie ist auch berechtigt.

1/ Zunächst muß der Ansicht des Berufungsgerichtes widersprochen werden, daß nach dem Inhalt der vorliegenden Bierbezugsverträge das Klagebegehren auf Vertragszuhaltung in der gestellten Form nicht berechtigt sei, weil für die Beklagte nach Schließung, Verkauf oder Verpachtung ihrer Betriebsstätten keine weitere Bierbezugsverpflichtung mehr bestünde; für den Fall der Betriebsübertragung an Dritte sei für die Beklagte nämlich lediglich die Verpflichtung zur Vertragsüberbindung festgelegt worden, sodaß die klagende Brauereiunternehmerin jetzt nur mehr Schadenersatzansprüche wegen Nichterfüllung und Anspruch auf Rückstellung des Teiles ihrer Leistungen, dem kein entsprechendes Äquivalent der Abnahme von Bier durch die Beklagte gegenüberstehe, habe.

Diese Ansicht des Berufungsgerichtes findet in den vorliegenden Vertragsurkunden und in den Feststellungen der Vorinstanzen keine Deckung. Die Beklagte hat sich demnach aufgrund der beiden mit der Klägerin geschlossenen Verträge als Gegenleistung für deren Vertragsleistungen verpflichtet, auf die Dauer von zuerst 10 und nach dem zweiten Vertrag insgesamt 15 Jahren für die genannten Betriebsstätten in Bad H***** das gesamte dort benötigte Bier ausschließlich und ununterbrochen von der nun klagenden Brauereiunternehmerin zu beziehen, mindestens aber in einer Menge von zuerst 1.200 hl und nach dem zweiten Vertrag insgesamt

1.800 hl; unter Zugrundelegung einer mit 120 hl veranschlagten Jahresabnahmemenge sollte sich die Dauer der ausschließlichen Bierbezugsverpflichtung der Beklagten im Falle der Unterschreitung der vereinbarten gesamten Abnahmemenge über die vorgesehene Vertragszeit von 15 Jahren hinaus entsprechend verlängern. Die - übrigens von beiden

Vertragsteilen - übernommene Verpflichtung zur Vertragsüberbindung auf die "Rechts- und Geschäftsnachfolger sowie Rechtsnehmer" stellt für die Beklagte die Alternative zur übernommenen Bierbezugsverpflichtung dergestalt dar, daß sie im Falle der Übertragung ihrer Betriebsstätten an Dritte - sei es durch Verkauf oder Verpachtung - nur bei erfolgreicher Vertragsüberbindung auf den oder die Betriebsnachfolger von der Bierbezugsverpflichtung befreit wird. Die Beklagte hat zwar im Verfahren erster Instanz auch behauptet, die nun klagende Brauereiunternehmerin habe einer Vertragsauflösung zugestimmt, aber das Beweisverfahren hat die Richtigkeit dieser Einwendung nicht ergeben. Sieht man vorerst einmal von der Berechtigung des von der Beklagten in erster Instanz erhobenen Einwandes der Ungültigkeit der Bierbezugsverträge infolge sittenwidriger Bindung ab - dazu wird noch Stellung genommen werden - , so steht doch fest, daß die Beklagte ihrer Verpflichtung zur Vertragsüberbindung auf ihre Geschäftsnachfolger nicht erfüllt hat. Die klagende Brauereiunternehmerin ist deshalb aber nicht, wie das Berufungsgericht rechtsirrig annahm, auf Schadenersatzansprüche verwiesen, wenn und insoweit noch die ernst zu nehmende Chance besteht, daß die Beklagte mit redlichem und zumutbarem Bemühen imstande ist, ihren Vertragspflichten alternativ nachzukommen, dh. entweder die vertragliche Bierbezugspflicht auf ihre Geschäftsnachfolger zu überbinden oder die von dieser Pflicht betroffenen Betriebsstätten wieder selbst zu führen. Nach überwiegender Lehre und herrschender Rechtsprechung kann nämlich eine Verurteilung zur Vertragserfüllung auch dann erfolgen, wenn zwar deren Möglichkeit nicht völlig sicher erscheint und der dazu Verpflichtete sich auf die Unmöglichkeit beruft, aber doch eine nach allgemeiner Lebenserfahrung ernstzunehmende, ins Gewicht fallende Chance besteht, daß noch später erfüllt werden kann (Koziol-Welser, Grundriß I8 221 mwH in FN 3 und 4, insbes. JBl 1985,742). Nur dann, wenn mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, daß die Vertragserfüllung auch in Zukunft nicht mehr möglich sein wird, insbesondere wenn zu ihrer Bewirkung die Einwilligung eines Dritten erforderlich ist, aber ernstlich und endgültig verweigert wird, ist es dem Gläubiger verwehrt, auf den Erfüllungsanspruch zu beharren; dann darf der Verpflichtete nicht zur Primärleistung verurteilt werden und der Schuldner ist auf Schadenersatz verwiesen (JBl 1985,742 mwH). Ob die Unmöglichkeit der Vertragserfüllung eine dauernde, endgültige ist, gilt zum Teil als Tatfrage, zum Teil aber auch als Wertungsproblem (vgl Bydlinski in Klang2 IV/2, 114; 5 Ob 510/82). Unmöglichkeit der Leistung kann jedoch nach bisheriger Rechtsprechung schon dann nicht angenommen werden, wenn der Verpflichtete nicht einmal behauptet und zu beweisen versucht, daß er alles ihm Zumutbare unternommen habe, den Dritten, dessen Einwilligung zur Bewirkung der Vertragserfüllung notwendig ist, dazu zu bewegen (JBl 1979,146; JBl 1987,783 mwH). Kann sich der Verpflichtete derart nicht entlasten und ist die Möglichkeit der Mitwirkung des Dritten strittig, so ist die Primärleistungsverpflichtung zu bejahen.

Im vorliegenden Fall folgt daraus, daß das Beharren der klagenden Brauereiunternehmerin auf Vertragserfüllung durch fortgesetzten Bierbezug der Beklagten nur dann als unberechtigt angesehen und das Klagebegehren abgewiesen werden müßte, wenn feststeht, daß sich die Geschäftsnachfolger der Beklagten trotz zumutbarer redlicher Bemühungen der Beklagten ernstlich und endgültig weigern, die für die Vertragsüberbindung auf sie erforderliche Einwilligung zu geben, und/oder es der Beklagten unter Berücksichtigung ihrer besonderen Verhältnisse, etwa ihres Alters (sie befindet sich im 70.Lebensjahr), ihrer Gesundheit udgl, aber auch der objektiv dafür bestehenden Chancen nicht zumutbar ist, ihre Geschäfte im Falle der Wiedererlangung (etwa nach Pachtbeendigung) unter Aufrechterhaltung der Bierbezugsverpflichtung weiterzubetreiben.

In dieser Richtung ist das Verfahren jedenfalls mangelhaft geblieben, denn das Erstgericht hat die Sache mit den Parteien nicht in dieser Hinsicht erörtert und nicht darauf gedrungen, daß die zur Klärung erforderlichen Tatsachenbehauptungen aufgestellt und die allenfalls dann nötigen Beweise angeboten werden (§§ 180 Abs 3 und 182 Abs 1 ZPO).

2/ Die Beklagte hat sich aber auch in diesem Zusammenhang gegen den Inhalt des Klagebegehrens gewendet und dieses als nicht durch die beiden Verträge gedecktes Leistungsbegehren angesehen. Es muß daher auch dazu Stellung bezogen werden:

Das Klagebegehren ist in Wahrheit kein Leistungs-, sondern ein Feststellungsbegehren, denn es geht der klagenden Brauereiunternehmerin, wie ihrem Klagevorbringen und auch ihrem Vorbringen im Rechtsmittelverfahren - insbesondere in der Berufungsbeantwortung - deutlich zu entnehmen ist, nur um die in Anbetracht des Rechtsstandpunktes der Beklagten, daß sie aus den beiden Bierbezugsverträgen nicht mehr verpflichtet sei, gerechtfertigte gerichtliche Feststellung, daß die Beklagte weiterhin an die beiden Verträge gebunden und nach Maßgabe ihrer vertraglichen Verpflichtung zum ausschließlichen Bierbezug bei ihr, der Klägerin, verpflichtet ist. Das für eine solche Klage erforderliche Feststellungsinteresse liegt somit zweifellos vor. Auf die den Vertragsverpflichtungen der Beklagten angepaßte wörtliche Formulierung des Klagebegehrens wird im übrigen das Erstgericht im fortgesetzten Verfahren zu dringen haben; andernfalls ist die nach der vertraglichen Verpflichtung notwendige (einschränkende) Bezugsverpflichtung (es besteht im Minderbezugsfall die entsprechende Vertragsverlängerungspflicht) auch amtswegig auszusprechen, wenn der aufrechte Vertragsbestand zu bejahen sein sollte.

3/A/ Schließlich hat die Beklagte die Ungültigkeit der beiden Bierbezugsverträge infolge sittenwidriger Bindung eingewendet:

sie werde durch diesen Vertrag in unzulässiger Weise in ihrer wirtschaftlichen Entscheidungsfreiheit beeinträchtigt, weil sie danach a) genötigt wäre, ihre gewerblichen Unternehmen bis zur Abnahme der Mindestmenge an Bier, die vereinbart worden sei, auch dann fortzuführen, wenn dies für sie ein reines Verlustgeschäft sein sollte, und b) auch daran gehindert wäre, ihr gastgewerbliches Unternehmen auf einen Betrieb umzustellen, in dem kein Bier ausgeschenkt wird, zB auf einen reinen Kaffeehausbetrieb. Durch die Verpflichtung zur Abnahme einer bestimmten Mindestmenge an Bier werde sie in gleicher Weise "wirtschaftlich geknebelt" wie durch eine überlange Laufzeit eines Bierbezugsvertrages, die von der Rechtsprechung in der Regel mit mehr als 25 Jahre Dauer angenommen werde.

Gegen eine übermäßige zeitliche Bindung durch die beiden Bierbezugsverträge wendet sich also die Beklagte direkt nicht; im Ergebnis läuft aber ihre Argumentation dennoch darauf hinaus:

Sie will nämlich einer unzulässigen zeitlichen ("Übermaß-")Bindung jene an eine bestimmte Mindestabnahmemenge rechtlich gleichsetzen, weil sie auch dadurch "wirtschaftlich geknebelt" sei, und in der Tat ist sie, wenn die in ihren Betriebsstätten benötigte Biermenge nicht die veranschlagte jährliche Mindestmenge erreicht, nach dem Inhalt der Bierbezugsverträge auch über die vorgesehene Vertragsdauer von 15 Jahren hinaus bis zur Erreichung der Mindestgesamtbezugsmenge zum ausschließlichen Bierbezug bei der klagenden Brauereiunternehmerin verpflichtet. Nach der Aktenlage (Beilage I) war nach Ablauf der vorgesehenen Vertragsdauer von 15 Jahren die Mindestabnahmemenge erst zu etwa 2/3 erfüllt, sodaß unter der Annahme einer gleichbleibenden jährlichen Bedarfsmenge mit einer Vertragsdauer von weiteren rund 7 1/2 Jahren und damit mit einer Gesamtvertragsdauer von insgesamt 22 1/2 Jahren gerechnet werden müßte.

Rechtsprechung und Lehre in Österreich - und in der Bundesrepublik Deutschland - setzen im wesentlichen das für sich allein schon sittenwidrige zeitliche Übermaß vertraglicher Bindungen mit der Rechtsfolge der Teilnichtigkeit bezüglich des Übermaßes bei 20 Jahre, bei weniger günstigen sonstigen Vertragsbedingungen bei 15 Jahre überschreitenden Vertragsbindungen an (vgl. OGH in EvBl 1960/126; EvBl 1965/303;

SZ 56/144; EvBl 1983/12; BGH in WuW 1973,707; NJW 1974,2089;

DB 1975,638; DB 1979,1694; Krejci in Rummel2 Rz 86 zu § 879 ABGB;

anderer Ansicht F.Bydlinski jüngst in einem Referat z.Th. "Zulässigkeit und Schranken 'ewiger' und extrem langdauernder Vertragsbindung" - das Manuskript hat er dem Obersten Gerichtshof zur Verfügung gestellt: er empfiehlt dort die Anlehnung an die Frist von 30 Jahren, die im Recht der Verjährung und Ersitzung als Grundsatz gilt (§ 1478 ABGB)).

Hier würde demnach schon allein das gerade noch tolerierbare zeitliche Höchstmaß der Vertragsbindung bereits um etwa 2 1/2 Jahre überschritten, wenn man die in 15 Jahren erreichte - und dem Anschein nach offenbar auch nur erreichbar gewesene - Abnahmemenge zugrundelegt. Nun kommt es aber bei der Beurteilung der Sittenwidrigkeit übermäßger zeitlicher Bindung auch auf andere Faktoren als das bloße Zeitübermaß an sich an, vielmehr ist im Einzelfall die sich aus dem gesamten Vertragsinhalt ergebende Stellung und Rechtslage der Vertragspartner insbesondere in Rücksicht auf die Beschränkung der wirtschaftlichen Bewegungsfreiheit zu beurteilen und auch der etwaige Mißbrauch der wirtschaftlichen Verhandlungsübermacht eines Beteiligten - immerhin handelt es sich um einen von der Klägerin verwendeten und offenbar auch von ihr konzipierten Formularvertrag - zu berücksichtigen; so könnte dem in seiner wirtschaftlichen Entscheidungs- und Bewegungsfreiheit gebundenen schwächeren Vertragsteil für die Last seiner Bindung kein oder nur ein unzureichendes Äquivalent in den übrigen Vertragsbedingungen gewährt worden sein (in diesem Sinne Bydlinski aaO).

B/ Es ist aber in diesem Zusammenhang auch nicht vermeidbar, daß die für die Beklagte bestehenden Möglichkeiten, sich von den vertraglichen Verpflichtungen wegen etwaiger Unzumutbarkeit des Fortbestehens ihrer Bierbezugsverpflichtung zu lösen, untersucht und geprüft werden. Ihr unbestimmter Einwand, aus dem Vertrag - soferne er wirksam ist - nicht mehr verpflichtet zu sein, zwingt in Verbindung mit ihrem Einwand, wirtschaftlich "geknebelt" zu sein, zu einer Verfahrensergänzung auch in dieser Richtung.

Eine umfassende Abwägung der beiderseitigen Interessen der Parteien, des Bestandinteresses und des Auflösungsinteresses, ist dazu unumgänglich. Dabei wird das Bestandinteresse der Brauereiunternehmerin dann höher zu veranschlagen sein, wenn ihre (Vor-)Leistung im Vergleich zur Abnahmeverpflichtung (nach Umfang und Dauer) überwiegt, weil dann die Beschränkung der wirtschaftlichen Entscheidungsfreiheit der beklagten Abnehmerin erträglich sein wird. Ihr Interesse wird dann überwiegen und zu wahren sein, wenn die Leistung der Brauereiunternehmerin im Verhältnis zur Abnahmeverpflichtung, insbesondere auch zum Grad der Anspannung der Abnehmerin für die Erfüllbarkeit, geringer und daher ihre wirtschaftliche Entscheidungsfreiheit schwer beeinträchtigt wird, so daß geradezu eine sachlich nicht begründete Abhängigkeit zur Brauereiunternehmerin angenommen werden muß. Bei dieser Beurteilung sind die Anschauungen des redlichen Geschäftsverkehrs nicht außer acht zu lassen (dazu JBl 1983, 321 mwH). Es wird auch zu erörtern sein, welche Gründe auf Seite der Beklagten oder auch allgemeiner, neutraler Natur (etwa von der Beklagten unbeeinflußbare Konkurrenzentwicklung, Änderung des Kundenstockes usw) dafür maßgebend waren, daß die Beklagte in der vorgesehenen Vertragszeit ihre Abnahmeverpflichtung erheblich unterschritten hat.

Dauerschuldverhältnisse wie das vorliegende unterliegen im besonderen Maße den Einflüssen aus Veränderungen der für den Vertrag maßgebenden Verhältnisse, zumal es auch den sorgfältigsten Vertragspartnern nicht möglich sein wird, für alle Wechselfälle der Zukunft auf Jahre hinaus vorzusorgen; sie bedürfen deshalb im besonderen Maße des Schutzes der Rechtsordnung (JBl 1983, 321; JBl 1982, 142; Bydlinski in Klang2 IV/2, 200). Daher wird eine Auflösung (außerordentliche Kündigung) als möglich erachtet, wenn Ereignisse (wie etwa eine nachträgliche Erschwerung der geschuldeten Leistung durch außerhalb der Verantwortung des Pflichtigen liegende Umstände) die Fortführung des Dauerschuldverhältnisses nach Treu und Glauben unzumutbar machen (JBl 1983, 321; JBl 1982, 142; SZ 48/77; Mayrhofer JBl 1974, 598), ohne daß die zu erbringende Leistung schon als rechtlich unmöglich angesehen werden müßte (JBl 1983, 321; SZ 48/77; SZ 31/116; 5 Ob 605/76). Eine allfällige "Pattstellung" in der beiderseitigen Interessenlage, die sich dabei ergeben sollte, müßte - wie Bydlinski aaO zutreffend darlegt - durch die Berücksichtigung von Faktoren aufgelöst werden, die sich aus der Lehre von der Geschäftsgrundlage gewinnen lassen und dort relevant sind:

nämlich die Voraussehbarheit des gegen die Vertragsbindung geltend gemachten Umstandes und dessen Zugehörigkeit zur Herrschaftssphäre eines der Vertragspartner. Je besser bei Vertragsschluß für die Kontrahenten der für die Auflösung geltend gemachte Umstand voraussehbar war und je vollständiger er allein aus der Sphäre des nun auflösungswilligen Partners stammt, umso stärker ist die Stabilität der Vertragsbindung und umso größere Anforderungen sind an die Gewichtigkeit des Auflösungsgrundes zu stellen. Die von der Beklagten bisher konkret vorgetragenen Umstände, aus denen sie eine unzumutbare Beschränkung ihrer wirtschaftlichen Entscheidungsfreiheit ableiten will, nämlich die Verpflichtung zum Bierbezug auch dann, wenn das Geschäft damit für sie nicht mehr rentabel sein sollte, und die Behinderung der Möglichkeit der Betriebsumstellung auf andere Leistungen als auf den Bierausschank als Folge der Bierbezugsverpflichtung, sind durchwegs allein ihrer Sphäre zuzuordnen und waren für sie auch vorhersehbar. Sie allein können also dem Auflösungsinteresse kein Gewicht verleihen.

Es wird daher erforderlichenfalls auch in der aufgezeigten Richtung die Sache vorerst mit den Parteien zu erörtern und zu veranlassen sein, daß sie die notwendigen Tatsachenbehauptungen aufstellen und die erforderlichen Beweise anbieten (§§ 180 Abs 3 und 182 Abs 1 ZPO).

Die Notwendigkeit der aufgezeigten Verfahrensergänzungen erfordert die Aufhebung der Urteile der Vorinstanzen und die Rückverweisung der Sache an das Prozeßgericht.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs.1 ZPO.

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