OGH 4Ob130/90

OGH4Ob130/904.12.1990

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Prof. Dr. Friedl als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Gamerith, Dr. Kodek, Dr. Niederreiter und Dr. Redl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S*****, vertreten durch Dr. Walter Prunbauer und andere Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei F***** Gesellschaft mbH & Co, *****, vertreten durch Dr. Leonhard Lindner, Rechtsanwalt in Dornbirn, wegen Unterlassung und Urteilsveröffentlichung (Gesamtstreitwert 220.000 S), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 30. Mai 1990, GZ 3 R 42/90-26, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 28. Dezember 1989, GZ 17 Cg 47/89-21, abgeändert wurde

I. den Beschluss

gefasst:

Die Revision wird, soweit mit ihr die Abweisung des Unterlassungs-Hauptbegehrens durch das Berufungsgericht bekämpft wird (lit a der berufungsgerichtlichen Entscheidung), zurückgewiesen. II. in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Im Übrigen wird der Revision nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 8.649 S (darin 1.441,50 S Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Beklagte kündigte im Herbst 1988 in einem in ganz Innsbruck verteilten Flugblatt die 1000 Gramm-Packung „Milumil-Babynahrung" um 99,90 S an und verkaufte diesen Artikel um den genannten Preis in ihren Filialen für den Einzelhandel mit Lebens- und Genussmitteln in Tirol.

Der Kläger beantragt, die Beklagte schuldig zu erkennen, es im geschäftlichen Verkehr zu unterlassen,

a) Babynahrung, insbesondere Milumil 1000 Gramm, zum oder unter dem Einstandspreis zuzüglich der Umsatzsteuer und aller sonstiger Abgaben, die beim Verkauf anfallen, zu verkaufen oder zum Verkauf anzubieten;

b) in eventu: als Wiederverkäufer von Lieferanten bei Vorliegen gleicher Voraussetzungen ohne sachliche Rechtfertigung unterschiedliche Bedingungen, insbesondere Rabatte oder Sonderkonditionen, ohne entsprechende Gegenleistung zu fordern oder anzunehmen;

ferner erhebt der Kläger ein Urteilsveröffentlichungsbegehren. Erkundigungen der Tiroler Handelskammer hätten ergeben, dass die Beklagte den angeführten Artikel unter dem Einstandspreis verkauft habe; vergleichbare Betriebe hätten dafür mehr gezahlt, als die Beklagte für ihn im Einzelhandel von Letztverbrauchern verlangt habe. Der dadurch begangene Verstoß gegen § 3a NVG begründe auch einen Verstoß gegen § 1 UWG. Durch den Verkauf unter dem Einstandspreis nütze die Beklagte auch in schmarotzerischer Weise den guten Ruf dieses Artikels für ihr eigenes Warenangebot aus. Sollte die Beklagte jedoch behaupten, dass ihr von ihrem Lieferanten Mengenrabatte oder andere Sonderkonditionen eingeräumt worden seien, dann würde das ein sittenwidriges Anzapfen bzw Ausnützen von Wettbewerbsvorteilen bedeuten, die aus Sonderleistungen ohne Gegenleistung resultieren. Vergleichbare Betriebe hätten solche Konditionen nicht erhalten. Das Verlangen und Annehmen derartiger Sonderkonditionen widerspreche darüber hinaus § 1 Abs 2 NVG und dem „Wohlverhaltenskatalog" der Bundeswirtschaftskammer.

Die Beklagte beantragt die Abweisung der Klage. Sie habe nicht zum oder unter dem Einstandspreis verkauft; auch andere Mitbewerber hätten den beanstandeten Artikel um 99,90 S an Letztverbraucher verkauft. Hätte aber die Beklagte tatsächlich unter ihrem eigenen Einstandspreis verkauft, dann läge der Ausnahmetatbestand des Anpassens an die von Mitbewerbern offenbar zulässigerweise geforderten Preise (§ 3a Abs 2 Z 4 NVG) vor.

Das Erstgericht gab dem Unterlassungs-Hauptbegehren und dem Urteilsveröffentlichungsbegehren statt.

Das Berufungsgericht wies die Klage zur Gänze ab und sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 50.000 S übersteige und die Revision zulässig sei. Es ließ die Tatsachenrügen beider Parteien unerledigt und ging in rechtlicher Hinsicht aufgrund der von ihm ergänzend getroffenen Feststellungen davon aus, dass die Beklagte ungeachtet ihres eigenen Einstandspreises nicht gegen das Verbot des Verkaufes zum oder unter dem Einstandspreis verstoßen habe, weil ihr der Ausnahmetatbestand gemäß § 3a Abs 2 Z 4 NVG zugute komme. Auch das auf keinerlei konkretes Sachvorbringen gestützte Eventualbegehren sei abzuweisen gewesen, zumal der Kläger nicht unter Beweis gestellt habe, dass die Beklagte sachlich nicht gerechtfertigte Rabatte oder andere Sonderkonditionen ohne entsprechende Gegenleistungen erhalten hätte.

Gegen dieses Urteil richtet sich die wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobene Revision des Klägers mit dem Antrag, das Urteil des Erstgerichts wiederherzustellen.

Die Beklagte beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist, soweit sie sich gegen die Abweisung des Hauptbegehrens richtet, unzulässig; im Übrigen ist sie nicht berechtigt.

Nach ständiger Rechtsprechung und herrschender Lehre setzt jedes Rechtsmittel eine Beschwer, also ein Anfechtungsinteresse voraus; es ist nicht Sache der Rechtsmittelinstanzen, rein theoretische Fragen zu entscheiden (SZ 49/22; SZ 53/86; SZ 61/6; MR 1990, 73 uva;

Heller-Berger-Stix 648; Fasching IV 13 f und LB Rz 1709 ff). Nach nunmehr herrschender Auffassung muss diese Beschwer zur Zeit der Entscheidung über das Rechtsmittel noch fortbestehen (SZ 61/6 mwN;

Heller-Berger-Stix aaO).

Mit Erkenntnis vom 15. 6. 1990, G 56/89-16, kundgemacht am 19. 9. 1990 in BGBl 1990/590a, hat der VfGH § 3a NFG in der derzeit gültigen Fassung als verfassungswidrig aufgehoben. Da er für das Außerkrafttreten keine Frist bestimmt hat, ist diese Aufhebung am Tag der Kundmachung in Kraft getreten (Art 140 Abs 5 Satz 3 B-VG); seither kommt ein Verstoß gegen § 3a NVG begrifflich nicht mehr in Frage. Wenngleich das aufgehobene Gesetz auf die vor seiner Aufhebung verwirklichten Tatbestände mit Ausnahme des Anlassfalles weiterhin anzuwenden ist, sofern der VfGH nicht etwas anderes ausspricht (Art 140 Abs 7 Satz 2 B-VG), könnte im vorliegenden Fall eine Exekution aufgrund des Ersturteils, dessen Wiederherstellung begehrt wird, nicht mehr bewilligt werden, weil dem Exekutionstitel nach dem Eintritt seiner Vollstreckbarkeit nicht mehr zuwidergehandelt werden könnte (§ 355 EO). Im Übrigen könnte auch bei Verstößen gegen § 3a NVG, die vor dem Wirksamwerden der Aufhebung (19. 9. 1990) begangen worden sind, eine Exekution nach § 355 EO nicht bewilligt und eine Geldstrafe nicht verhängt werden, liegt doch der Zweck dieser Maßnahme nicht darin, den Verpflichteten für begangene Delikte zu bestrafen, sondern darin, ein künftiges Zuwiderhandeln zu verhindern (Heller-Berger-Stix 2579 f, 2591 mwN); ist aber das durch das aufgehobene Gesetz verbotene Verhalten nunmehr zulässig, dann darf die Unterlassung nicht erzwungen werden.

Da der Kläger den Hauptanspruch, dessen Verwirklichung er in der Revision nur noch in einem Verstoß gegen § 3a NVG sieht, auch im Fall der Wiederherstellung des Urteils des Erstgerichts nicht mehr im Wege einer Exekution nach § 355 EO durchsetzen könnte, ist er durch die abweisende Entscheidung des Berufungsgerichts in diesem Umfang nicht mehr beschwert (KOG Okt 5, 6/90; so auch 4 Ob 1032/90 im Fall eines Beklagten, der vor der Aufhebung des § 3a NVG durch den VfGH von den Vorinstanzen zur Unterlassung des Verkaufs zum oder unter dem Einstandspreis verurteilt worden war). Der gegenteiligen Auffassung, wonach der unterlegene Kläger durch ein - seinen auf Unterlassung des Verkaufs zum oder unter dem Einstandspreis gerichteten Antrag abweisendes - Erkenntnis auch nach der Aufhebung des § 3a NVG durch den VfGH beschwert sei (Fitz-Roth, Der Einfluss des VfGH-Erkenntnisses zu § 3a NVG auf anhängige Verfahren, RdW 1990, 399 ff), kann der Oberste Gerichtshof nicht folgen: Im Rechtsmittelverfahren ist es dem Kläger verwehrt, sein ursprünglich auf Unterlassung gerichtetes Begehren auf die urteilsmäßige Feststellung zu ändern, dass der Beklagte durch das konkret beanstandete Verhalten gegen § 3a NVG verstoßen habe; ein allfälliges Rechtsschutzbedürfnis an einer solchen Feststellung kann das fehlende Rechtsschutzbedürfnis an einem Unterlassungsbegehren nicht begründen. Dass der Kläger, der - wie hier - vor dem Unterliegen im Hauptverfahren eine einstweilige Verfügung erwirkt hat, mit der (verschärften) Haftung des § 394 EO rechnen muss, ändert daran nichts, kann doch im vorliegenden, auf Schaffung eines Unterlassungstitels gerichteten Verfahren das Interesse des Klägers an der Abwehr allfälligen, in einem anderen Verfahren geltend zu machender Schadenersatzansprüche jedenfalls nicht berücksichtigt werden. Eine Beschwer durch die Kostenentscheidung ist aber ohne Rücksicht darauf zu verneinen, ob es sich um Kosten erster oder zweiter Instanz handelt (SZ 61/6).

Auch das auf eine Verletzung des § 1 Abs 2 NVG gestützte Eventualbegehren ist nicht berechtigt. Wie der Oberste Gerichtshof unter Berufung auf Fitz-Roth (Verkauf unter dem Einstandpreis - Zur Auslegung und Kritik des § 3a NVG, RdW 1989, 241 ff [252]) bereits ausgesprochen hat (ÖBl 1989, 174; 4 Ob 104/90), muss die rechtliche Unzulässigkeit auch bei ungewöhnlichen Preisnachlässen für jeden Einzelfall in der Klage konkret behauptet werden. Der Kläger hat dazu im vorliegenden Fall nur vorgebracht, dass den allenfalls von der Beklagten behaupteten Nachlässen oder Sonderkonditionen keine Gegenleistungen entgegenstünden und vergleichbare Betriebe derartige Konditionen nicht erhalten hätten; damit zeigt er aber keinerlei konkrete Sonderkonditionen auf, die iSd § 1 Abs 2 NVG unzulässig sein sollten; die Beklagte ihrerseits hat sich auf Nachlässe oder Sonderkonditionen nicht berufen. „Sonstige Leistungen und Sonderkonditionen" iSd § 1 Abs 2 NVG könnten aber auch dann gerechtfertigt sein, wenn ihnen keine entsprechende Gegenleistungen gegenüberstehen. Das Fehlen von Gegenleistungen wird vom Gesetz nur als Beispiel sachlich nicht gerechtfertigter Leistungen und Sonderkonditionen angeführt; das Fehlen sonstiger Rechtfertigungsgründe hat aber der Kläger nicht behauptet. Mit den Ausführungen in der Klage wird aber auch ein Verstoß gegen § 2 NVG nicht schlüssig behauptet, ist doch auch das Verlangen, Gewähren und Anbieten unterschiedlicher Bedingungen bei Vorliegen gleicher Voraussetzungen nur dann tatbestandsmäßig, wenn dafür eine sachliche Rechtfertigung fehlt. Mit der bloßen Behauptung eines typischen Einstandpreises, üblicher Rabatte und dem Unterschreiten dieses Preises durch den Beklagten ist der Kläger den Erfordernissen dieser Behauptungslast nicht nachgekommen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte