OGH 1Ob665/90

OGH1Ob665/9014.11.1990

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Hofmann, Dr. Schlosser, Dr. Graf und Dr. Schiemer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ferdinand N***, Magistratsbediensteter, Wien 10., Klederingerstraße 191, vertreten durch Dr. Erhard C.J. Weber, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Georg N***, Landwirt, Wien 10., Klederingerstraße 185, vertreten durch Dr. Otto Schuhmeister, Dr. Rolf Schuhmeister und Dr. Walter Schuhmeister, Rechtsanwälte in Schwechat, wegen Aufkündigung infolge Revisionsrekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Landesgerichtes für ZRS Wien als Rekursgerichtes vom 9. August 1990, GZ 41 R 142/90-9, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Favoriten vom 10. Jänner 1990, GZ 5 C 1/90-5, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei hat die Kosten ihres Revisionsrekurses selbst zu tragen.

Text

Begründung

Der Kläger kündigte dem Beklagten das Pachtverhältnis betreffend die Liegenschaft EZ 387 KG Unterlaa zum 30. November 1990 gerichtlich auf; die Aufkündigung wurde dem Beklagten am 28. November 1989 zugestellt. Am 15. Dezember 1989 gab dieser Schriftsätze zur Post, mit welchen er einerseits Einwendungen gegen die Aufkündigung erhob und andererseits die Verlängerung der Dauer des Landpachtvertrages beantragte und beide mit Anträgen auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist für die Einwendung und zur Antragstellung nach dem Landpachtgesetz verband.

Mit Beschluß vom 27. Dezember 1989 bewilligte das Erstgericht die begehrte Wiedereinsetzung in beiden Verfahren; mit dem angefochtenen Beschluß unterbrach es den Rechtsstreit gemäß § 13 LPG bis zur rechtskräftigen Erledigung des Verfahrens nach dem Landpachtgesetz.

Das Rekursgericht hob den Unterbrechungsbeschluß (ersatzlos) auf und sprach aus, daß der Entscheidungsgegenstand S 50.000 übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. § 13 LPG ordne im Falle eines Antrages auf Verlängerung des Landpachtvertrages die Unterbrechung eines anhängigen Rechtsstreites unter anderem wegen dessen Kündigung an. Die Unterbrechung werde durch jeden innerhalb der Fristen des § 10 LPG gestellten Antrag bewirkt. Ein verspäteter Antrag löse keine Rechtswirkung aus; die Rechtzeitigkeit sei deshalb als Vorfrage der Entscheidung über die Unterbrechung zu prüfen. Die hier maßgebliche Frist gemäß § 10 Abs 1 Z 2 LPG sei eine materiellrechtliche Ausschlußfrist. Ob eine Frist prozessualer oder materiellrechtlicher Natur sei, hänge von ihrem Inhalt und nicht davon ab, in welchem Gesetz sie angeordnet sei. Auch die Verfahrensart sei für diese Frage ohne Bedeutung. Für die Abgrenzung sei maßgeblich, ob die Frist zur Vornahme einer Prozeßhandlung bestimmt sei oder einen Zeitraum festlege, bis zu dessen Ablauf eine bestimmte Handlung gesetzt sein müsse, an die die Rechtsordnung materiellrechtliche Folgen knüpfe. Obwohl etwa die Klagefrist im Besitzstörungsverfahren in der Zivilprozeßordnung geregelt sei, handle es sich dabei dennoch unzweifelhaft um eine materiellrechtliche Frist. Die Befristung einer Klage oder eines Antrages sei nur dann prozessualer Natur, wenn es dabei um Rechtsbehelfe gehe, die ihrer Natur nach Rechtsmitteln glichen, wie etwa die Rechtsmittelklagen. Im Unterschied zu diesen zielten Anträge auf Verlängerung von Landpachtverträgen nicht auf die Korrektur eines Streitverfahrens ab, sondern bezweckten die konstitutive Änderung der materiellen Rechtslage. Die Befristung dieses Antragsrechtes könne daher nur eine materiellrechtliche Ausschlußfrist sein. Das Recht auf richterliche Gestaltung von Landpachtverträgen gehe deshalb mit dem fruchtlosen Verstreichen der Frist endgültig verloren; die Wiedereinsetzung gegen deren Versäumung sei ausgeschlossen. Diene eine schriftliche Prozeßhandlung der Wahrung einer materiellen Frist, müsse sie spätestens am letzten Tag der Frist bei Gericht eingelangt sein, die rechtzeitige Postaufgabe genüge nicht. Der Antrag auf Verlängerung des Landpachtvertrages hätte daher spätestens am 12. Dezember 1989 beim Erstgericht einlangen müssen. Der erst am 18. Dezember 1989 eingelangte Antrag könne somit keine Unterbrechung gemäß § 13 LPG bewirken. Die vom Erstgericht bewilligte Wiedereinsetzung sei materiellrechtlich bedeutungslos, weil sie einen einmal untergegangenen Anspruch nicht mehr wieder entstehen lassen könne. Der vom Beklagten dagegen erhobene Revisionsrekurs ist nicht berechtigt.

Das Erstgericht hat diesem die Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Frist zur Antragstellung nach dem Landpachtgesetz bewilligt, ohne sich mit der Frage auseinanderzusetzen, ob die Rechtsfolgen der Versäumung dieser Frist (§ 10 LPG) im Wege der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand überhaupt beseitigt werden können. Wäre diese Frage zu verneinen, träte die im § 13 Abs 1 LPG verfügte Unterbrechung des Rechtsstreites wegen Kündigung des Landpachtvertrages deshalb nicht ein, weil dann

kein - wirksamer - Antrag auf Verlängerung der Dauer des Vertrages gestellt wäre, an den die dort angeordnete Unterbrechungswirkung geknüpft ist.

Das Rekursgericht beurteilte die im § 10 LPG vorgesehene Frist als solche des materiellen Rechtes, dem der Rechtsbehelf der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§§ 146 bis 154 ZPO) fremd ist (vgl. § 1450 ABGB; Schubert in Rummel, ABGB, Rz 1 hiezu). Der Beklagte wendet sich gegen diese Auffassung im wesentlichen mit dem Argument, daß das Verfahren nach dem Landpachtgesetz nach dessen § 12 grundsätzlich den allgemeinen Bestimmungen über das Verfahren außer Streitsachen unterliege, das die Wiederherstellung ausdrücklich vorsehe.

Rechtliche Beurteilung

Der erkennende Senat hat mit seinem - insoweit nicht veröffentlichten - Beschluß vom 16. März 1988, 1 Ob 526/88, ausgesprochen, daß die im § 10 LPG vorgesehenen Fristen materiellrechtliche Fallfristen seien. An dieser Auffassung ist festzuhalten. Die Fristen des materiellen Rechtes sind Zeiträume, an deren Beachtung das Gesetz bestimmte materielle Rechtsfolgen knüpft. Dient eine schriftliche Verfahrenshandlung (gleichzeitig auch) der Wahrung einer solchen Frist, muß sie spätestens am letzten Tag dieser Frist bei Gericht eingelangt sein; die rechtzeitige Postaufgabe, die für die Einhaltung verfahrensrechtlicher Fristen genügt, reicht somit nicht aus. Ob eine bestimmte Frist dem Verfahrens- oder dem materiellen Recht zuzurechnen ist, hängt nicht etwa davon ab, in welcher Rechtsvorschrift sie angeordnet ist, sondern ob an ihre Einhaltung verfahrens- oder materiellrechtliche Folgen geknüpft sind (vgl. Fasching, ZPR2 Rz 548). Demgemäß sind insbesondere Fristen, deren Beachtung Erfolgsvoraussetzung von Klagen bzw. Rechtsschutzanträgen im Verfahren außer Streitsachen sind, dem materiellen Recht zuzurechnen; dazu gehören vor allem auch die Fristen für Rechtsschutzgesuche, an deren Stattgebung unmittelbar eine (richterliche) Rechtsgestaltung geknüpft ist, wie etwa die Anfechtungsklagen des Insolvenzrechtes und die Besitzstörungsklage, aber auch der Antrag auf Aufteilung des ehelichen Gebrauchsvermögens und der ehelichen Ersparnisse, ohne daß es für die Abgrenzung zu den verfahrensrechtlichen Fristen bedeutsam wäre, ob die Klage- oder Antragsfrist in verfahrens- oder materiellrechtlichen Vorschriften angeordnet wurde. Gleiches gilt auch für die im § 10 LPG vorgesehene Befristung des Antrags, mit dem die richterliche Gestaltung der bisher vertraglich bestimmten Pachtdauer herbeigeführt werden soll (Würth in Rummel aaO § 10 LPG Rz 1; vgl. auch RV, 1216 BlgNR, 11. GP, 10). Das folgt nicht zuletzt auch aus der Einordnung dieser Bestimmung in den Abschnitt II des Landpachtgesetzes, der die materiellrechtlichen Voraussetzungen für die Verlängerung der Dauer des Landpachtvertrages regelt, wogegen die Verfahrensvorschriften im Abschnitt III (§§ 12 bis 15) zusammengefaßt sind.

Ist somit die Antragsfrist gemäß § 10 Abs 1 Z 2 LPG eine materiellrechtliche Fallfrist, deren Versäumung durch Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht behoben werden kann, so konnte auch die vom Erstgericht rechtswidrigerweise bewilligte Wiedereinsetzung die unbestrittenermaßen eingetretene Versäumung dieser Frist nicht heilen (Fasching aaO Rz 549). Das Recht, die Verlängerung der Dauer des Landpachtvertrages zu begehren, ist mit Ablauf der Antragsfrist erloschen und könnte auch - wie das Rekursgericht zutreffend erkannte - durch Wiedereinsetzung nicht wieder zum Entstehen gebracht werden.

Liegt kein wirksamer Antrag auf Verlängerung der Dauer des Landpachtvertrages vor, so ist die im § 13 Abs 1 LPG angeordnete Unterbrechungswirkung nicht eingetreten, sodaß das Rekursgericht den erstinstanzlichen Unterbrechungsbeschluß zu Recht (ersatzlos) aufgehoben hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

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