OGH 3Ob506/90 (3Ob507/90)

OGH3Ob506/90 (3Ob507/90)28.3.1990

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Petrasch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Hule, Dr. Klinger, Dr. Angst und Dr. Schalich als weitere Richter in den verbundenen Rechtssachen der jeweils klagenden Partei I*** P*** W***- UND

C*** mbH & Co KG, Wien 3., Landstraßer

Hauptstraße 1c, nun Wien 1., Johannesgasse 15, vertreten durch Dr. Hans Houska, Rechtsanwalt in Wien, wider die jeweils beklagte Partei Shiv K***, Kaufmann, Wien 2., Taborstraße 34, und Wien 5., Schöngasse 24/10, vertreten durch Dr. Heinz Ehmann, Rechtsanwalt in Wien, wegen Räumung (Streitwert S 290.400) und Leistung von S 347.600 sA (Gesamtstreitwert S 638.000), infolge 1) Revision der beklagten Partei und 2) Rekurses der klagenden Partei gegen das Urteil und den Beschluß des Landesgerichtes für ZRS Wien als Berufungsgerichtes vom 28.6.1989, GZ 48 R 270/89-19, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 15.2.1989, GZ 44 C 605/87, 44 C 62/88-14, zum Teil bestätigt und zum Teil aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt und beschlossen:

 

Spruch:

Der Revision der beklagten Partei wird nicht Folge gegeben und das Berufungsurteil im Umfang der Bestätigung des Räumungsbefehles Punkt 3) des Ersturteils als Teilurteil bestätigt.

Die Kostenentscheidung bleibt dem Endurteil vorbehalten. Hingegen wird dem Rekurs der klagenden Partei gegen den Aufhebungsbeschluß des Berufungsgerichtes Folge gegeben, dieser Beschluß aufgehoben und dem Berufungsgericht in diesem Umfang eine neue Entscheidung, allenfalls nach ergänzender Berufungsverhandlung aufgetragen, wobei auf die Kosten des Rekursverfahrens gleich Kosten des Berufungsverfahrens Bedacht zu nehmen sein wird.

Text

Entscheidungsgründe:

Die klagende Partei ist seit 1984 berechtigt, Flächen im Bereich des Bahnhofes Wien-Mitte, die von den Österreichischen Bundesbahnen nicht benötigt werden, zu verwerten. Mit Vertrag vom 7.Mai 1984 wurden dem Beklagten von der klagenden Partei zwei und in der Folge noch eine weitere Fläche in der Bahnhofshalle im Ausmaß von jeweils rund einem Quadratmeter zunächst bis 5.Oktober 1984 vermietet. Diese Verträge wurden mehrfach verlängert. Der Beklagte benützte diese Flächen zum Aufstellen eines Krapfen-, Bonbons- sowie eines Schmuck- und Geschenkartikelverkaufsstandes; er bezahlte während der aufrechten Dauer des Bestandverhältnisses für den Krapfenstand eine monatliche Miete von S 4.000 und für die beiden anderen Stände eine solche von S 7.700 jeweils incl. Umsatzsteuer. Alle drei Verträge waren zuletzt mit 28.6.1987 befristet. Ein Verlängerungsansuchen des Beklagten über diesen Termin hinaus wurde abschlägig beschieden. Er wurde am 30.Juni 1987 aufgefordert, seine Verkaufsstände aus der Bahnhofshalle zu entfernen. Der Beklagte weigerte sich jedoch und betreibt dort nach wie vor seine Verkaufstätigkeit. Er bezahlte dafür seit 28.6.1987 kein Benützungsentgelt. Eine "reduzierte Mietzinszahlung" des Beklagten von S 3.850 für die Zeit vom 1.11.1987 bis 31.12.1987 wurde von der klagenden Partei zurückgewiesen.

Die klagende Partei begehrt, den Beklagten zur Räumung der Bahnhofshalle von seinen Verkaufsständen und zur Bezahlung eines Benützungsentgelts von letztlich insgesamt S 347.600 sA zu verpflichten. Sie brachte vor, daß der Beklagte die Bahnhofshalle seit 29.6.1987 titellos benütze. Sämtliche Mietverträge mit dem Beklagten hätten am 28.6.1987 durch Zeitablauf geendet. Der Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Er wendete ein, das strittige Bestandverhältnis unterliege dem MRG. Die ihm wiederholt eingeräumten Verlängerungen seien über das zulässige Maß hinausgegangen, so daß er in den Genuß eines unbefristeten Bestandvertrages gekommen sei. Der klagenden Partei stehe kein Benützungsentgelt zu, weil die Bahnhofshalle von Mitte Juni 1987 bis Februar 1988 umgebaut worden und dem Beklagten eine Verkaufstätigkeit nicht möglich gewesen sei.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren voll statt und traf noch folgende rechtserhebliche Feststellungen: Die klagende Partei hat gegenüber dem Beklagten keinen Räumungsverzicht abgegeben. 1987 bis 1988 fanden im Bahnhofsbereich Umbauarbeiten statt; es konnte aber nicht festgestellt werden, in welchem Umfang der Geschäftsbetrieb des Beklagten dadurch gestört wurde. Rechtlich folgerte das Erstgericht, daß eine Flächenvermietung nicht dem MRG unterliege. Die mit dem Beklagten geschlossenen Verträge hätten daher am 28.6.1987 durch Zeitablauf geendet. Seither benütze der Beklagte die Flächen in der Bahnhofshalle titellos. An Benützungsentgelt stünde der klagenden Partei der Betrag, den sie sonst durch Vermietung eingenommen hätte, das sei im Zweifel der mit dem Beklagten vereinbarte Bestandzins, zu.

Das Berufungsgericht bestätigte den Ausspruch über die Räumungsverpflichtung des Beklagten, hob jedoch das erstinstanzliche Urteil im Umfang der Verpflichtung zur Zahlung des Benützungsentgeltes auf und trug dem Erstgericht hiezu eine neue, nach Verfahrensergänzung zu treffende Entscheidung auf. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes als unbedenklich. Der Berufung gegen die auferlegte Räumungsverpflichtung sei keine taugliche Rechtsrüge zur entnehmen. Grundsätzlich müsse der Beklagte auch ein Benützungsentgelt wegen titelloser Benützung bezahlen. Weil jedoch auch dem titellosen Benützer der Einwand der Minderung des Entgelts gleich wie dem Mieter nach § 1096 ABGB zustehe, müsse der Beklagte noch gemäß § 182 ZPO angeleitet werden, Beweisanträge zur Behauptung zu stellen, daß die von ihm titellos benützten Flächen während der Umbauarbeiten weniger gebrauchsfähig gewesen seien. Das Berufungsgericht bewertete das Räumungsbegehren mit mehr als S 300.000 und machte die Verfahrensfortsetzung von der Rechtskraft des Aufhebungsbeschlusses abhängig.

Gegen die Räumungsverpflichtung richtet sich die Revision des Beklagten mit dem Antrag, dieses Klagebegehren abzuweisen, gegen den Aufhebungsbeschluß der Rekurs der klagenden Partei mit dem Abänderungsantrag auf Wiederherstellung des Ersturteils.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision des Beklagten ist nicht berechtigt, wohl aber der Rekurs der klagenden Partei.

Die Revisionsbehauptung der beklagten Partei, in der Tagsatzung vom 5.11.1987 die Einvernahme der Zeugen Dr. L***, Dr. R*** und S*** zur Zusicherung eines langfristigen Mietvertrages beantragt zu haben, ist aktenwidrig. Die Beklagte hat damals nach dem unwidersprochen gebliebenen Protokoll (§ 215 ZPO) nur bezüglich der Anwendbarkeit des MRG auf sein Vorbringen zu 44 C 476/87 verwiesen. Sein weiterer Hinweis in der Tagsatzung vom 26.11.1988 auf im Verfahren 44 C 476/87 des Erstgerichtes gestellte Beweisanträge (AS 87) wurde von den Unterinstanzen zutreffend als untauglicher Beweisantrag bewertet. Den Ausführungen, die beklagte Partei habe sich nach Treu und Glauben darauf verlassen, daß nicht protokollierte Beweisanträge durchgeführt werden, ist zu erwidern, daß es an ihr gelegen gewesen wäre, gemäß § 212 Abs 1 ZPO allenfalls auf eine Vervollständigung des Protokolles zu drängen oder einen Widerspruch gegen Übertragungsfehler zu erheben. Im übrigen ist im Revisionsverfahren auf angebliche Mängel des erstinstanzlichen Verfahrens, die vom Berufungsgericht geprüft, aber nicht als solche erkannt worden sind, nicht mehr einzugehen (SZ 27/4 uva, zuletzt 10 Ob S 361/89).

Da der Beklagte in zweiter Instanz keine taugliche Rechtsrüge gegen das Räumungsbegehren erhoben hat und das Berufungsgericht die Tatfrage dazu für ausreichend geklärt erachtete, ist es ihm verwehrt, im Revisionsverfahren diesen Rechtsmittelgrund geltend zu machen (SSV 1/28 uva). Im übrigen stützen sich auch die nunmehrigen Rechtsmittelausführungen wieder nur auf die unzulässige Behauptung von Verfahrensmängeln zur Tatfrage.

Zum Anspruch auf Benützungsentgelt und dessen allfälliger Minderung hat das Berufungsgericht zwar zutreffend erkannt, daß den titellosen Benützer die Beweispflicht über den Umfang einer vom Gegner veranlaßten Gewinneinbuße trifft (SZ 58/104). Für seine Behauptung, daß der Geschäftsgang während der Umbauarbeiten so schlecht war, daß überhaupt kein Benützungsentgelt gerechtfertigt sei, hat aber der Beklagte nach Erörterung der Ergebnisse der von ihm beantragten Beweise durch das Erstgericht (vgl. AS 86 unten) nur seinen Einkommensteuerbescheid vorgelegt und sich daher mit dieser Urkunde und den zuvor gemachten Aussagen von Zeugen und Parteien begnügt. Er hat auch über die folgende Befragung des Erstgerichtes keine weiteren Beweise angeboten (AS 87 oben). Auf Grund dieser vom Beklagten geführten Beweise konnte das Erstgericht aber keine Feststellung darüber treffen, in welchem Umfang der Geschäftsbetrieb des Beklagten (durch die Umbauarbeiten) gestört worden ist. Die Übernahme dieser ausdrücklichen negativen Feststellung durch das Berufungsgericht und die gleichzeitig als Aufhebungsgrund herangezogene Verletzung der Anleitungspflicht durch das Erstgericht sind miteinander nicht vereinbar. Die zitierte Feststellung des Erstgerichtes kann nur so verstanden werden, daß der Beklagte seiner Beweispflicht über den behaupteten Gewinnrückgang während der Umbauarbeiten überhaupt nicht nachgekommen ist und daher weder von einem Umsatz- noch Gewinnrückgang des Beklagten noch von irgendeiner ins Gewicht fallenden Gebrauchsbehinderung ausgegangen werden kann. Die Interpretation dieser Feststellung durch das Berufungsgericht, daß der Umsatz zurückgegangen und bloß das Ausmaß der dadurch dem Beklagten erwachsenen Gewinneinbuße nicht feststellbar gewesen sei, war unzutreffend, sie könnte aber für Bedenken des Berufungsgerichtes gegen die Richtigkeit der erstgerichtlichen Feststellung sprechen. Hierüber durfte aber nur durch Erledigung der Beweisrüge in der Berufung des Beklagten abgesprochen werden. Die Feststellung war entweder zu übernehmen oder im Wege eigener Beweiswiederholung nachzuprüfen. Die Erledigung der Beweisrüge durch Aufgreifen eines nicht einmal gerügten angeblichen Verfahrensmangels macht hingegen das Berufungsverfahren selbst mangelhaft. Das Berufungsgericht wird daher im fortgesetzten Verfahren zu beurteilen haben, ob es Bedenken gegen die Richtigkeit der zitierten erstgerichtlichen Feststellung hat. Im übrigen geht die Anleitungspflicht des Gerichtes gegenüber anwaltlich vertretenen Parteien keineswegs so weit, daß der Rechtsanwalt aufzufordern wäre, nach untauglich gebliebenen Beweismitteln immer neue Beweise anzubieten (JBl. 1961, 92; 5 Ob 592/59 uva, zuletzt 8 Ob 671/88; vgl. auch Fasching, Lehrbuch Rz 658).

Solange keine Kausalität zwischen den Umbauarbeiten und einer Störung des Geschäftsbetriebes nachgewiesen wird, kann auch keine Schätzung solcher Einbußen nach § 273 ZPO stattfinden. Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.

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