OGH 5Ob544/90

OGH5Ob544/9027.3.1990

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Jensik, Dr. Zehetner, Dr. Klinger und Dr. Schwarz als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Hubert S***, Musiklehrer, 6911 Lochau, Wellenau 5, vertreten durch Dr. Rainer Kinz, Rechtsanwalt in Bregenz, wider die beklagte Partei Dr. Otmar S***, Rechtsanwalt, 6850 Dornbirn, Marktplatz 10, vertreten durch Dr. Ekkehard Bechtold, Rechtsanwalt in Dornbirn, wegen 103.667,90 S samt Anhang (Revisionsinteresse der klagenden Partei 27.500 S samt Anhang; Revisionsinteresse der beklagten Partei 76.167,90 S samt Anhang) infolge der Revisionen beider Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 4. Dezember 1989, GZ 3 R 368/89-14, womit infolge der Berufungen beider Parteien das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom 10. Juli 1989, GZ 7 Cg 431/88-9, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Revision der klagenden Partei wird zurückgewiesen. Der Revision der beklagten Partei wird teilweise Folge gegeben. Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß sie insgesamt zu lauten haben:

"Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen den Betrag von 41.167,90 S samt 4 % Zinsen seit 1.5.1988 zu bezahlen.

Das Mehrbegehren der klagenden Partei auf Zuspruch eines weiteren Betrages von 62.500 S samt 4 % Zinsen seit 1.5.1988 wird abgewiesen."

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 2.600 S bestimmten Gerichtsgebühren erster Instanz zu ersetzen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 4.500 S bestimmten Gerichtsgebühren zweiter und dritter Instanz zu ersetzen.

Die übrigen Prozeßkosten aller drei Instanzen werden gegeneinander aufgehoben.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger ist seit 1980 als Musiklehrer in der Musikschule der Stadt Dornbirn angestellt. Er ist seither auch Mitglied des Jugendsymphonieorchesters Dornbirn und spielt dort Klarinette. 1986 und in den Jahren zuvor nahm der Kläger auch nebenberuflich für den Blasmusikverband Vorarlberg Prüfungen ab.

Am 1.12.1985 verschuldete der Kläger als Lenker eines PKWs einen Verkehrsunfall. Am 14.1.1986 suchte der Kläger im Zusammenhang mit diesem Verkehrsunfall erstmals die Rechtsanwaltskanzlei des Beklagten auf. Er führte dort eine erste Besprechung mit Rechtsanwalt Dr. Bechtold durch und unterfertigte eine auf Rechtsanwalt Dr. Bechtold lautende Strafvollmacht, welche von diesem im vollen Umfang auf den Beklagten übertragen wurde. Mit Ausnahme dieser ersten Besprechung vom 14.1.1986 war in der Folge in der Kanzleigemeinschaft der Rechtsanwälte Dr. Alfons Simma, Dr. Ekkehard Bechtold und des Beklagten nur noch letzterer selbst mit dem Strafverfahren befaßt.

Mit Urteil des Erstgerichtes vom 6.6.1986, 26 b E Vr 731/86-12, wurde der Kläger wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs.1 und 4 (§ 81 Z 2) StGB unter Bedachtnahme auf das Urteil des Erstgerichtes vom 16.5.1986, 26 b E Vr 531/86-9, gemäß §§ 31, 40 StGB zu einer Zusatzfreiheitsstrafe in der Dauer von 4 Monaten verurteilt. Dieses Urteil wurde dem Beklagten am 16.6.1986 zugestellt. Der Beklagte erhob namens des Klägers Berufung.

Der Beklagte, welcher seit 1975 selbständig als Rechtsanwalt tätig ist, war in seiner Praxis als Strafverteidiger vor 1986 zumindest in 4 oder 5 Fällen mit Begnadigungen aus Anlaß des Weihnachtsfestes befaßt und stellte in diesen früheren Fällen auch bewußt Anträge auf Strafaufschub, um die zeitlichen Voraussetzungen für eine solche Begnadigungsaktion zu erwirken. Es war dem Beklagten auch schon vor 1986 aufgrund dieser früheren Fälle bekannt, daß die Freiheitsstrafe bereits eine gewisse Zeit vor einem Zeitpunkt Mitte Dezember angetreten werden muß, um die zeitlichen Voraussetzungen für eine Begnadigung aus Anlaß des Weihnachtsfestes zu erfüllen. Die Rechtsanwaltskammer für Vorarlberg hat in Punkt 6 einer mit 3.9.1986 datierten Kammermitteilung unter der Überschrift "Begnadigung aus Anlaß des Weihnachtsfestes 1986" darauf hingewiesen, daß der Erlaß des BM für Justiz vom 21.8.1986 erschienen sei und in der Kammerkanzlei in Feldkirch zur Einsicht aufliege; gegen Ersatz der Kopiekosten könnten Kopien bestellt werden. Diese Kammermitteilung hat der Beklagte Anfang September 1986 erhalten und auch gelesen. Der Beklagte stellte damals jedoch keinen Zusammenhang zwischen der Begnadigung aus Anlaß des Weihnachtsfestes 1986 und dem den Kläger betreffenden Strafverfahren her.

In der am 22.10.1986 beim Berufungsgericht durchgeführten Berufungsverhandlung wurde der Berufung des Klägers gegen das Urteil des Erstgerichtes in Anwesenheit des Klägers und des Beklagten keine Folge gegeben.

Mit dem an den Kläger gerichteten Schreiben vom 29.10.1986 nahm der Beklagte zur Berufungsverhandlung und zur Entscheidung des Berufungsgerichtes Stellung und führte darin im wesentlichen aus, daß gegen das Urteil des Berufungsgerichtes ein weiteres Rechtsmittel nicht mehr möglich sei, sondern daß lediglich noch die Möglichkeit bestehe, mit dem Erstgericht den Termin des Antritts der Haft festzulegen und vor allem zu erreichen, daß der Kläger während der Haft tagsüber seinem Beruf größtenteils nachgehen könne. Die schriftliche Ausfertigung des Berufungsurteils vom 22.10.1986 wurde dem Beklagten am 10.11.1986 zugestellt. Am 11.11.1986 wurde dem Kläger die Aufforderung zum Strafantritt binnen 4 Wochen zugestellt.

Am 4.12.1986 erschien der Kläger erstmals nach der Berufungsverhandlung vom 22.10.1986 wieder in der Kanzlei des Beklagten, legte diesem die schriftliche Aufforderung zum Strafantritt vor und erörterte mit dem Beklagten die Frage, ob ein Strafaufschub bis Anfang Jänner 1987 möglich sei, damit der Kläger als Mitglied des Jugendsymphonieorchesters Dornbirn bei Neujahrskonzerten am 1. und 2.1.1987 teilnehmen könne. Der Kläger erwähnte gegenüber dem Beklagten auch, er habe erfahren, daß er bei einer Verbüßung der Freiheitsstrafe in der Außenstelle des landesgerichtlichen Gefangenenhauses in Dornbirn während der Tageszeit seiner bisherigen beruflichen Tätigkeit als Musiklehrer in der Musikschule der Stadt Dornbirn weiterhin nachgehen könnte. Der Kläger war daher bei diesem Gespräch auch daran interessiert, die Strafhaft in der Außenstelle des landesgerichtlichen Gefangenenhauses in Dornbirn verbüßen zu können.

Mit Schriftsatz vom 9.12.1986 stellte der Beklagte für den Kläger einen Antrag auf Strafaufschub gemäß § 6 Abs.1 Z 2 a StVG und führte darin als Termin für den Strafantritt den 2.1.1987 an. Mit Beschluß des Erstgerichtes vom 17.12.1986 wurde dem Kläger ein Strafaufschub bis 12.1.1987 bewilligt. Am 5.1.1987 trat der Kläger die Freiheitsstrafe im landesgerichtlichen Gefangenenhaus in Feldkirch an und wurde in der Folge nach Verbüßung der Freiheitsstrafe in der Dauer von 4 Monaten am 5.5.1987 wieder entlassen.

Vor dem Strafantritt hatte der Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 11.12.1986 noch mitgeteilt, daß der Strafaufschub bis zum 12.1.1987 bewilligt wurde und der Beklagte nach Möglichkeit mit dem zuständigen Richter wegen einer umgehenden Überstellung in das Gefangenenhaus Dornbirn sprechen werde. Weiters führte der Beklagte in diesem Schreiben noch an, daß die Möglichkeit bestehe, bei guter Führung nach Verbüßung der Hälfte der Strafe enthaftet zu werden. Nach diesem Schreiben führte der Beklagte für den Kläger keine weiteren Tätigkeiten mehr durch.

Bis zum Schluß der Tätigkeit des Beklagten für den Kläger wurde nie über die Frage einer Weihnachtsamnestie oder einer Begnadigung aus Anlaß des Weihnachtsfestes gesprochen. Bis zur Berufungsverhandlung vom 22.10.1986 stellte der Beklagte auch keine Überlegungen hinsichtlich einer Weihnachtsamnestie oder einer Begnadigung aus Anlaß des Weihnachtsfestes im Zusammenhang mit dem Strafverfahren des Klägers an. Nach der Berufungsverhandlung vom 22.10.1986 überlegte der Beklagte zwar die Möglichkeit eines Strafaufschubes bis Herbst 1987, um dann allenfalls die zeitlichen Voraussetzungen für die Begnadigung aus Anlaß des Weihnachtsfestes 1987 zu erfüllen, er sprach aber über diese Variante nicht mit dem Kläger, weil er sie damals selbst nicht für realistisch hielt. Es kann nicht festgestellt werden, daß der Kläger vor dem Strafantritt Kenntnis über die Möglichkeit einer Weihnachtsamnestie oder einer Begnadigung aus Anlaß des Weihnachtsfestes hatte. Die konkreten Voraussetzungen für eine Begnadigung aus Anlaß des Weihnachtsfestes waren dem Kläger vor dem Strafantritt nicht bekannt, insbesondere war ihm nicht bekannt, zu welchem Zeitpunkt die Strafe spätestens angetreten werden müßte, um die zeitlichen Voraussetzungen zu erfüllen.

Kurz nach Antritt der Freiheitsstrafe wurde der Kläger vom Leiter der Außenstelle des Gefangenenhauses Dornbirn und auch vom Leiter des Gefangenenhauses Feldkirch darauf angesprochen, weshalb er die Freiheitsstrafe nicht bereits im Herbst 1986 angetreten habe, weil sie davon überzeugt seien, daß der Kläger bei einem rechtzeitigen Strafantritt aus Anlaß des Weihnachtsfestes 1986 begnadigt worden wäre.

Bei der gegenständlichen Freiheitsstrafe handelte es sich um die erste Freiheitsstrafe des Klägers. Der Kläger hatte bisher noch nie um eine Begnadigung angesucht und wurde tatsächlich auch noch nie begnadigt.

Wenn der Kläger rechtzeitig von der Möglichkeit einer Weihnachtsamnestie bzw. einer Begnadigung aus Anlaß des Weihnachtsfestes 1986 Kenntnis gehabt hätte, hätte er die Freiheitsstrafe nach der am 22.10.1986 durchgeführten Berufungsverhandlung so rechtzeitig angetreten, daß er die zeitlichen Voraussetzungen im Sinne des Erlasses des BM für Justiz vom 21.8.1986 erfüllt hätte. Dem Kläger wäre ein solcher rechtzeitiger Strafantritt aufgrund seiner persönlichen und beruflichen Situation damals auch tatsächlich möglich gewesen. Wenn der Kläger tatsächlich aus Anlaß des Weihnachtsfestes 1986 begnadigt worden wäre, wäre er am 18.12.1986 aus der Strafhaft entlassen worden.

Die Aufforderung zum Strafantritt wurde dem Kläger im gegenständlichen Fall so rechtzeitig zugestellt, daß dieser noch rechtzeitig vor dem Stichtag (einen Monat vor dem 18.12.1986) die Strafhaft hätte antreten können.

Bei rechtzeitigem Strafantritt hätte der Kläger die materiellen und formellen Voraussetzungen im Sinne des erwähnten Erlasses erfüllt und wäre er mit Sicherheit vom Leiter des Gefangenenhauses Feldkirch in die Vorschlagsliste für die Begnadigung aus Anlaß des Weihnachtsfestes 1986 aufgenommen worden. In der Praxis wäre der weitere Ablauf dann so gewesen, daß die Vorschlagsliste des Leiters des Gefangenenhauses Feldkirch von der zuständigen Gnadenabteilung des BM für Justiz neuerlich geprüft worden wäre. Die im Zusammenhang mit einer Begnadigung aus Anlaß des Weihnachtsfestes in den Jahren vor 1986 herausgegebenen Erlässe des BM für Justiz waren hinsichtlich der wesentlichen Punkte vom Inhalt her ident mit dem gegenständlichen Erlaß für das Weihnachtsfest 1986. In der langjährigen Praxis vor 1986 wurden vom BM für Justiz durchschnittlich etwa 80 bis 90 % der in den Vorschlagslisten der Leiter der Gefangenenhäuser angeführten Häftlinge auch tatsächlich in die Vorschlagsliste des BM für Justiz an den Bundespräsidenten aufgenommen, der in der Regel keine neuerliche Siebung mehr vornahm. Für eine Begnadigung des Klägers aus Anlaß des Weihnachtsfestes 1986 wäre der damalige Bundespräsident Dr. Kirchschläger zuständig gewesen. Die Praxis während der Amtszeit des Bundespräsidenten Dr. Kirchschläger war im Zusammenhang mit Begnadigungen großzügiger als in der Zeit danach.

Der Leiter des landesgerichtlichen Gefangenenhauses Feldkirch hat für die Begnadigung aus Anlaß des Weihnachtsfestes 1986 insgesamt 30 Häftlinge in die Vorschlagsliste aufgenommen. Hievon wurden 25 Häftlinge begnadigt, und zwar unter anderem auch 12 Häftlinge, welche Delikte nach § 88 StGB begangen hatten. Bei rechtzeitigem Strafantritt wäre der Kläger also mit überwiegend hoher Wahrscheinlichkeit vom Bundespräsidenten aus Anlaß des Weihnachtsfestes 1986 begnadigt und am 18.12.1986 aus der Strafhaft entlassen worden.

Der Kläger begehrt nun vom Beklagten für die erlittene Haftdauer von 3 Monaten, die er bei entsprechender Beratung durch den Beklagten hätte vermeiden können, einen Entschädigungsbetrag von 103.667,90 S samt Anhang. Dieser Betrag setzt sich aus einem Verdienstentgang von 41.167,90 S und einem Schmerzengeld von 62.500 S zusammen.

Der Beklagte beantragt Klageabweisung. Er bestritt den Anspruch auf Ersatz des Verdienstentganges nur dem Grunde nach, den Anspruch auf Schmerzengeld hingegen sowohl der Höhe als auch dem Grunde nach. Das Erstgericht verurteilte den Beklagten zur Zahlung von 76.167,90 S samt Anhang (41.167,90 S Verdienstentgang und 35.000 S Schmerzengeld) und wies das Mehrbegehren des Klägers (an Schmerzengeld) von 27.500 S samt Anhang ab. Es beurteilte den eingangs wiedergegebenen Sachverhalt rechtlich wie folgt:

Gemäß § 9 Abs.1 RAO sei der Rechtsanwalt unter anderem verpflichtet, die Rechte seiner Partei mit Gewissenhaftigkeit zu vertreten. Diese Bestimmung ergänze den § 1009 ABGB, der den Gewalthaber verpflichte, das ihm durch Bevollmächtigungsvertrag übertragene Geschäft emsig und redlich zu besorgen. Zu den wichtigsten Aufgaben des Rechtsanwaltes, der eine Vertretung übernehme, gehöre die Belehrung des meist rechtsunkundigen Mandanten. Die schuldhafte Unterlassung der Aufklärung des Mandanten über die aussichtsreichen Möglichkeiten einer Begnadigung aus Anlaß des Weihnachtsfestes habe grundsätzlich Schadenersatzansprüche des Mandanten gegenüber dem Anwalt zur Folge. Dies gelte selbst dann, wenn die Prüfung der Möglichkeiten für eine Begnadigung nicht ausdrücklich Gegenstand des Auftrages gewesen sei, weil für einen Rechtsanwalt grundsätzlich die Pflicht bestehe, auch über den Auftrag hinausgehende Handlungen durchzuführen, wenn für ihn erkennbar werde, daß dies zur Abwendung eines drohenden Schadens für seinen Mandanten unbedingt erforderlich sei. Er hafte daher für den Ersatz des vollen Schadens; der Verdienstentgang stehe mit 41.167,90 S außer Streit. Das Schmerzengeld sei mit 35.000 S angemessen.

Der Kläger habe den Nachweis eines ursächlichen Zusammenhanges zwischen dieser unterlassenen Aufklärung und der über einen Monat hinausgehenden Dauer der Strafhaft sowie der mit der längeren Dauer der Strafhaft verbundenen nachteiligen Folgen erbracht. Nach dem festgestellten hypothetischen Ablauf unter der Annahme einer rechtzeitigen Aufklärung hätte der Kläger die Strafhaft Mitte November 1986, einen Monat vor dem im Erlaß angeführten Stichtag 18.12.1986, angetreten und wäre am 18.12.1986 infolge Begnadigung aus Anlaß des Weihnachtsfestes 1986 aus der Strafhaft entlassen worden. Der Kläger hätte daher anstelle der tatsächlich verbüßten Freiheitsstrafe von 4 Monaten nur eine Freiheitsstrafe in der Dauer von einem Monat verbüßen müssen, sodaß die nachteiligen Folgen für den Kläger betreffend die Strafhaft ab 18.12.1986 vom Beklagten zu vertreten seien.

Das Berufungsgericht gab weder der Berufung des Klägers noch der Berufung des Beklagten Folge und sprach aus, daß die Revision nach § 502 Abs.4 Z 1 ZPO zulässig sei. Es übernahm die erstgerichtlichen Feststellungen und trat auch der rechtlichen Beurteilung des Erstgerichtes bei.

Die gegen die berufungsgerichtliche Bestätigung der erstgerichtlichen Abweisung seines Schmerzengeldmehrbegehrens von 27.500 S samt Anhang gerichtete Revision des Klägers ist gemäß § 502 Abs.3 ZPO in der hier noch anzuwendenden Fassung vor der Wertgrenzennovelle 1989 (siehe Art.XLI Z 5 WGN 1989) unzulässig. Sie war daher zurückzuweisen. Da der Beklagte in seiner Revisionsbeantwortung auf diese Unzulässigkeit hingewiesen hat, ist ihm der Kläger für die Kosten der Revisionsbeantwortung gemäß den §§ 41, 50 ZPO ersatzpflichtig.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen die berufungsgerichtliche Bestätigung der erstgerichtlichen Verurteilung zur Zahlung von 76.167,90 S samt Anhang gerichtete Revision des Beklagten ist gemäß § 502 Abs.4 Z 1 ZPO zulässig, jedoch nur zum Teil berechtigt.

Zunächst macht der Beklagte geltend, der Kläger habe entgegen der Auffassung der Vorinstanzen nicht den von der Rechtsprechung geforderten sehr hohen Grad der Wahrscheinlichkeit der Kausalität der dem Beklagten vorgeworfenen Unterlassung für den Schaden des Klägers nachgewiesen. Dem kann nicht gefolgt werden. Wie der Oberste Gerichtshof bereits wiederholt - insbesondere auch in Fällen, welche die Anwaltshaftpflicht zum Gegenstand hatten (etwa SZ 56/181 mwN, 5 Ob 533/88, 5 Ob 643/88) - ausgesprochen hat, hat derjenige, der durch eine Unterlassung geschädigt zu sein behauptet, den Beweis zu erbringen, daß überwiegende Gründe für die Annahme vorliegen, der Schaden wäre bei einem bestimmten und möglichen pflichtgemäßen Handeln des Beklagten nicht eingetreten; hat der Kläger das Entstehen des Schadens durch den Beklagten als überwiegend wahrscheinlich erwiesen, so ist es dessen Sache, nachzuweisen, daß ein anderer Kausalzusammenhang noch wahrscheinlicher, zumindest gleich wahrscheinlich ist, oder eine andere, ernstlich in Betracht zu ziehende Möglichkeit des Geschehensablaufes aufzuzeigen. Die Vorinstanzen sind in Übereinstimmung mit dieser Rechtsprechung aufgrund des von ihnen als erwiesen angenommenen Sachverhalts zu dem zutreffenden rechtlichen Ergebnis (2 Ob 596/89) gelangt, daß der erforderliche Wahrscheinlichkeitsgrad erreicht worden ist. Sodann vertritt der Beklagte den Standpunkt, es würde geradezu den guten Sitten widersprechen, wenn von einem Verteidiger verlangt wird, den Strafantritt durch entsprechende Anträge so lange hinauszuzögern, bis der Klient in den Genuß der Weihnachtsamnestie gelangen kann. Eine Bejahung der Haftung jenes Verteidigers, der in dieser Richtung nicht tätig wird, würde letztlich dazu führen, daß ein Klient einen Teil des Strafübels, das über ihn berechtigterweise verhängt wurde, im Endergebnis auf seinen Verteidiger abwälzen könnte. Dieser Argumentation hat schon das Berufungsgericht mit Recht entgegengehalten, daß es im gegenständlichen Fall nicht darum ging, den Strafantritt durch entsprechende Anträge zu verzögern, sondern darum, daß der Kläger vom Beklagten nicht ausreichend beraten wurde und so der Möglichkeit, durch rechtzeitigen Antritt seiner Freiheitsstrafe in den Genuß der Weihnachtsbegnadigung zu gelangen, verlustig ging. Das Berufungsgericht hat ferner richtig erkannt, daß es im vorliegenden Verfahren nicht darum geht, einen Teil des über den Kläger verhängten Strafübels auf den Beklagten abzuwälzen, und auch nicht darum, den Beklagten dafür bezahlen zu lassen, daß der Kläger eine strafbare Handlung begangen hat, für die er allein verantwortlich ist, sondern daß der Beklagte im gegenständlichen Fall ausschließlich deshalb zur Haftung herangezogen wird, weil er seiner im § 9 Abs.1 RAO normierten Verpflichtung, die Rechte seiner Partei mit Gewissenhaftigkeit zu vertreten, durch die Unterlassung der Belehrung des Klägers über die Möglichkeit der Begnadigung aus Anlaß des Weihnachtsfestes 1986 nicht in ausreichendem Maß nachgekommen ist.

Die Frage der Ersatzfähigkeit ideeller Schäden im Falle der Freiheitsberaubung war in den letzten Jahren Gegenstand zahlreicher literarischer Abhandlungen (so Koziol-Welser8 I 440, Koziol, Haftpflichtrecht2 II, 167 f, Reischauer in Rummel, ABGB Rz 1 zu § 1329, Apathy in RdA 1980, Bydlinski in "Der Ersatz ideeller Schäden als sachliches und methodisches Problem" ua.). Auch unter dem Eindruck dieser Literatur ist der Oberste Gerichtshof von seiner ursprünglich grundsätzlichen Ablehnung der Gewährung von Schmerzengeld im Falle der Freiheitsberaubung abgegangen und zwar vorerst im Falle eines wegen ungerechtfertigter Haft gegen den Staat gerichteten Anspruches unter Berufung auf Art.5 MRK (SZ 48/69) und später in einem Fall, in dem Schadenersatz von demjenigen begehrt wurde, der durch eine bewußt falsche Anzeige die Verhaftung des Klägers verursacht hatte (SZ 52/28). Während also die erstgenannte Entscheidung in dem Beitritt Österreich zu der MRK eine unmittelbar auf den dortigen Fall wirkende Gesetzesänderung erblickte, hat die zweitgenannte Entscheidung dies für den Fall eines Schadenersatzanspruches gegen einen Privaten verneint. Die Bejahung des Schmerzengeldanspruches wurde damit begründet, daß die MRK, ohne eine Änderung des § 1329 ABGB zu bewirken, zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen eine Neuauslegung des in der genannten Gesetzesbestimmung enthaltenen Begriffes der "vollen Genugtuung" erfordere. Diese Argumentation entspricht etwa der von Berger (JBl.1985, 151 ff.) und Bydlinski (aaO, 803) verwendeten. Da kein Anlaß besteht, von der in der Entscheidung SZ 52/28 zum Ausdruck gebrachten Rechtsansicht abzugehen, muß also davon ausgegangen werden, daß im Rahmen des § 1329 ABGB grundsätzlich Schmerzengeld verlangt werden kann.

Nach Ansicht des erkennenden Senates kann jedoch der vorliegende Fall nicht § 1329 ABGB subsumiert werden. Diese Bestimmung gewährt Schadenersatz für den Fall, daß jemand durch gewaltsame Entführung, durch Privatgefangennehmung oder vorsätzlich durch einen widerrechtlichen Arrest seiner Freiheit beraubt wird. Die beiden erstgenannten Fälle scheiden hier aus. Wie die Formulierung und Einordnung des dritten Falles erkennen läßt, wollte der Gesetzgeber hier Schadenersatz für den ganz gravierenden Fall einer widerrechtlichen Freiheitsberaubung gewähren. Diese Spezialbestimmung hat daher ihrem Zweck und Wortlaut nach nur jene Fälle zum Gegenstand, in denen jemandem direkt das Rechtsgut der Freiheit entzogen worden ist, nicht jedoch Fälle, in denen infolge einer fahrlässigen Handlung eine vielleicht mögliche Verkürzung einer rechtmäßig verhängten und verbüßten Haft erreicht hätte werden können. Dazu kommt, daß § 1329 ausdrücklich vorsätzliche Begehung der Freiheitsberaubung verlangt. Aus diesem Grunde würde eine fahrlässige Freiheitsberaubung nicht Schadenersatz nach dieser Gesetzesbestimmung gewähren. An dieser Rechtslage hat die MRK nichts geändert. Die Konvention richtet sich nur an die staatlichen Organe. Für den Privatbereich käme ohne Änderung des Gesetzes nur eine Anpassung der Auslegung an die für den staatlichen Bereich geltende Regelung in Frage, wie dies durch die Entscheidung SZ 52/28 geschehen ist. Gegenstand dieser Entscheidung war die Auslegung des Begriffes "volle Genugtuung". Diese Auslegung konnte ohne Änderung des Gesetzes vorgenommen werden. Dagegen wird in der gesamten österreichischen Rechtsordnung der Ausdruck "vorsätzlich" nur in dem Sinn verstanden, daß die Folgen der Handlung oder Unterlassung geradezu beabsichtigt, zumindest aber bedacht und in Kauf genommen waren. Fordert demnach eine Gesetzesbestimmung für die Begründung von Schadenersatzansprüchen Vorsatz, so können aus ihr ohne Gesetzesänderung Ansprüche wegen fahrlässiger Handlungen oder Unterlassungen nicht abgeleitet werden. Dem kann auch nicht mit einem Hinweis auf angebliche Wertungswidersprüche begegnet werden, weil Wertungswidersprüche lediglich Einfluß auf die Auslegung eines Gesetzes haben können, jedoch nicht zur Änderung eines Gesetzes führen. Eine Gesetzesänderung ist nicht Sache des Gerichtes, das sich dazu der Auslegung bedienen dürfte, sondern nur Sache der gesetzgebenden Körperschaft.

Im vorliegenden Fall wurde der Kläger von staatlichen Organen rechtmäßig in Haft genommen. Er hat eine über ihn verhängte Freiheitsstrafe verbüßt. Während des gesamten Freiheitsentzuges war dieser also nicht widerrechtlich. Der Beklagte hat lediglich Schritte unterlassen, die allenfalls zu einer früheren Befreiung des Klägers beitragen hätten können. Dadurch wird aber der Freiheitsentzug an sich nicht widerrechtlich. Schließlich wurde aber ein vorsätzliches Handeln des Beklagten überhaupt nicht behauptet. Daraus ergibt sich, daß der Kläger seinen Schadenersatzanspruch und insbesondere einen Schmerzengeldanspruch nicht aus § 1329 ABGB ableiten kann.

Selbstverständlich kann auch eine fahrlässige rechtswidrige Handlung, die indirekt dazu führt, daß jemand nicht vorzeitig aus einer rechtmäßig verbüßten Haft entlassen wird, bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 1295 ABGB zur Begründung von Schadenersatzansprüchen führt. Für derartige Ansprüche gelten dann allerdings die allgemeinen Bestimmungen der §§ 1295 ff ABGB unter Ausschluß der Spezialbestimmung des § 1329 ABGB. Nach § 1323 ABGB ist entweder die eigentliche Schadloshaltung (Ersatz nur der erlittenen Schäden) oder volle Genugtuung zu leisten, wobei unter letzterer auch der entgangene Gewinn und die Tilgung der verursachten Beleidigung zu verstehen sind. Das Gesetz ordnet also keineswegs erkennbar das Schmerzengeld zwingend dem Begriff der vollen Genugtuung zu. Vielmehr läßt die Bestimmung des § 1325 ABGB erkennen, daß dies nicht in der Absicht des Gesetzgebers lag. Wäre nämlich das Schmerzengeld schlechthin Teil der vollen Genugtuung, hätte sich die Bestimmung des § 1325 ABGB erübrigt. Durch die Formulierung dieser Bestimmung hat also der Gesetzgeber erkennen lassen, daß Schmerzengeld - soweit nicht für einzelne Fälle besondere Regelungen bestehen - nicht in jedem Falle einer Schädigung zu leisten ist, sondern in jenen Fällen, die § 1325 ABGB nennt. Diese Bestimmung sieht Schmerzengeld aber nur im Falle der Körperverletzung vor. Da der Aufbau des Gesetzes erkennen läßt, daß der Gesetzgeber mit § 1325 ABGB eine auf die dort genannten Fälle beschränkte Ausnahme statuieren wollte, kommt eine analoge Anwendung auf andere Fälle nicht in Frage. Wenn es also grundsätzlich richtig ist, daß auch fahrlässige Handlungen, die indirekt bewirkt haben, daß es nicht zu der Abkürzung einer rechtmäßigen Haft gekommen ist, grundsätzlich Schadenersatzansprüche begründen können (vgl. JBl.1981, 206), so führt dies doch nicht zu dem Ergebnis, daß dies schlechthin die Begründung von Schmerzengeldansprüchen zur Folge hat. Hier spielt also die Frage grober oder leichter Fahrlässigkeit keine Rolle, weil eine diesbezügliche Unterscheidung nach § 1324 ABGB nur dafür von Bedeutung wäre, ob volle Genugtuung oder eigentliche Schadloshaltung verlangt werden kann. Wie bereits dargelegt wurde, ist in der vollen Genugtuung nach § 1323 ABGB der Schmerzengeldanspruch nicht enthalten.

Jene Literaturstellen, die im Falle jeglicher Art des Freiheitsentzuges, und zwar auch im Falle eines fahrlässig verursachten, grundsätzlich Schmerzengeld zuerkannt wissen wollen, mögen in ihrer rechtspolitischen Zielsetzung diskussionswürdig sein. Sie können jedoch nicht überzeugend darlegen, daß nach der derzeitigen Gesetzeslage ein solcher Schmerzengeldanspruch auch bei fahrlässiger Freiheitsentziehung oder bei Unterlassungen, die indirekt die Verkürzung einer rechtmäßigen Haft verhindert haben, aus dem Gesetz ableitbar ist.

Es ergibt sich sohin, daß der Beklagte zwar schadenersatzpflichtig ist, jedoch nur im Rahmen der §§ 1295 ff ABGB unter Ausschluß des § 1329 ABGB. Dies führt dazu, daß ihm nur sein Verdienstentgang (41.167,90 S samt Anhang) zugesprochen werden kann, während das Schmerzengeldbegehren abzuweisen war.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 43 Abs.1 und 50 ZPO.

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