OGH 10ObS53/90

OGH10ObS53/9027.2.1990

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Angst als weitere Richter und die fachkundigen Laienrichter Dr. Elmar Peterlunger (Arbeitgeber) und Karl Klein (Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Angela M***, Pensionistin, 1120 Wien, Schönbrunner Schloßstraße 18-20/1/7, vertreten durch Dr. Walter Mardetschläger und Dr. Peter Mardetschläger, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei P*** DER A***,

1021 Wien, Friedrich Hillegeist-Straße 1, vertreten durch Dr. Alfred Kasamas, Rechtsanwalt in Wien, wegen Witwenpension nach § 258 Abs. 4 ASVG infolge der Rekurse beider Parteien gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 10.November 1989, GZ 32 Rs 213/89-10, womit das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 20.Juni 1989, GZ 6 Cgs 72/89-5, aufgehoben wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Den Rekursen wird nicht Folge gegeben.

Die Rekurs- und Rekursbeantwortungskosten der Klägerin sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Die am 18.9.1948 geschlossene Ehe der am 14.10.1928 geborenen Klägerin mit dem (am 17.4.1927 geborenen und) am 24.11.1988 gestorbenen Pensionisten der beklagten Partei Friedrich M*** ist mit Urteil des Landesgerichtes für ZRS Wien vom 8.6.1972, 15 Cg 184/72, wegen Verschuldens des beklagten Ehemannes geschieden worden. In einem am selben Tag vor dem Scheidungsgericht geschlossenen Vergleich verpflichtete sich der Ehemann der geschiedenen Ehefrau ab 1.7.1972 einen monatlichen Unterhalt von 25 % seines jeweiligen Nettodienst- oder Arbeitseinkommens zu leisten, wobei eigenes Einkommen der geschiedenen Ehefrau (und eine allfällige Wiederverehelichung oder sonstige neue Sorgepflichten des damaligen Beklagten) keinen Herabsetzungsgrund bilden sollten. Friedrich M*** zahlte die Unterhaltsbeiträge nur vom 1.6.1972 bis 15.9.1974. Er ließ seine geschiedene Ehegattin (mit Schreiben seines damaligen Vertreters, des Wiener Rechtsanwaltes Dr. Walter B*** vom 25.8.1975) davon informieren, daß die Unterhaltsverpflichtung nach dem 15.9.1974 ruhe, weil sie mit Egon M*** eine Lebensgemeinschaft eingegangen sei. Am 15.12.1988 beantragte die Klägerin, die keine neue Ehe geschlossen hat, bei der beklagten Partei eine Witwenpension. (Mit Schreiben vom 4.1.1989 ersuchte die beklagte Partei die Antragstellerin, allfällige Nachweise, mangels solcher eine wahrheitsgemäße Erklärung über Alimentationszahlungen vom November 1987 bis November 1988 zu übermitteln und allfällige weitere Vergleiche mitzuteilen.) Darauf erklärte die Antragstellerin der beklagten Partei in einem Brief, daß sie von ihrem geschiedenen Mann in letzter Zeit keine Alimente bekommen habe. Ihre Alimente hätten geruht, weil sie eine Lebensgemeinschaft eingegangen sei. Sie sei sich bewußt, daß wissentlich unwahre Angaben strafrechtliche Verfolgung nach sich zögen. Sonstige Vergleiche seien nicht geschlossen worden. Dieser Erklärung legte sie die Ablichtung des schon erwähnten Schreibens des Rechtsanwaltes ihres geschiedenen Ehemannes bei.

Mit Bescheid vom 28.3.1988 wies die beklagte Partei den Antrag der Klägerin auf Witwenpension ab, weil ihr der geschiedene Ehemann zur Zeit seines Todes keinen Unterhalt zu leisten gehabt habe. Die dagegen rechtzeitig erhobene, auf eine Witwenpension im gesetzlichen Ausmaß vom 15.12.1988 an gerichtete Klage stützt sich darauf, die Klägerin habe in ihre Wohnung einen Untermieter aufgenommen, der ihr für die Benützung seiner Räume einen Beitrag bezahle. Diesen Untermieter habe sie bei der beklagten Partei und bei anderen Behörden als ihren Lebensgefährten deklarieren müssen, weil ihr Mietvertrag ein Untermietverbot enthalte. Sie habe den Untermieter aufgenommen, um die schwierige finanzielle Situation nach ihrer Scheidung etwas zu bessern. Der Untermieter, zu dem sie keinerlei Beziehungen habe, bezahle ihr nur für die Benützung der Räume, aber keinen Unterhalt. Als Beweis bot sie die Parteienvernehmung und den in ihrer Wohnung wohnenden Zeugen Egon M*** an.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung der Klage. Sie bestritt das Vorbringen der Klägerin und wendete unter Hinweis auf die oben erwähnten Schreiben des Rechtsanwaltes Dr. Walter B*** vom 25.8.1985 (richtig 1975) und der Klägerin ein, diese habe sich der Argumentation des damaligen Vertreters ihres geschiedenen Ehegatten (Ruhen des verglichenen Unterhalts wegen Lebensgemeinschaft mit Egon M***) offensichtlich widerspruchslos angeschlossen und stillschweigend auf ihren Unterhaltsanspruch verzichtet, weshalb sie keinen Anspruch auf die begehrte Witwenpension habe.

Das Erstgericht nahm nur in den Pensionsakt Einsicht und verurteilte die beklagte Partei, der Klägerin vom 1.1.1989 an die Witwenpension im gesetzlichen Ausmaß zu gewähren.

Nach der Rechtsansicht des Erstgerichtes könne die Nichtzahlung der Unterhaltsbeiträge seit 1974 den erst nach 30 Jahren verjährten verglichenen Unterhaltsanspruch der Klägerin dem Grunde nach nicht betreffen. Eine Lebensgemeinschaft der Klägerin sei nicht zu prüfen, weil nur eine neue Ehe den Unterhaltsanspruch erlöschen lasse. In ihrer wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen, die Abänderung im klageabweisenden Sinne beantragenden Berufung führte die beklagte Partei im wesentlichen aus, das Verhalten der geschiedenen Ehegatten nach dem Unterhaltsvergleich, insbesondere, daß sich die Klägerin offensichtlich dem gegnerischen Standpunkt über das Ruhen der Unterhaltsverpflichtung wegen ihrer Lebensgemeinschaft angeschlossen habe, lasse darauf schließen, daß die Klägerin de fakto auf ihren Unterhaltsanspruch verzichtet habe. Mangels einer zur Zeit des Todes des Versicherten bestandenen Unterhaltsverpflichtung gebühre der Klägerin keine Witwenpension. Das Berufungsgericht gab der Berufung Folge, hob das erstgerichtliche Urteil unter Rechtskraftvorbehalt auf und verwies die Sache zur Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück. Es vertrat die Rechtsansicht, das Eingehen einer Lebensgemeinschaft führe zum Ruhen des Unterhaltsanspruches eines geschiedenen Ehegatten. Ruhe der Unterhaltsanspruch zur Zeit des Todes des Versicherten, gebühre dessen geschiedenem Ehegatten keine Pension nach § 258 Abs. 4 ASVG. Deshalb sei die noch nicht erörterte Frage, ob die Klägerin damals in einer Lebensgemeinschaft gelebt habe, erheblich.

Dagegen richten sich die Rekurse beider Parteien mit den Anträgen, in der Sache selbst zu erkennen und das erstgerichtliche Urteil wiederherzustellen (Klägerin) bzw. die Klage abzuweisen (beklagte Partei).

Die Klägerin beantragt, dem Rekurs der beklagten Partei nicht Folge zu geben; die beklagte Partei erstattete keine Rekursbeantwortung.

Rechtliche Beurteilung

Die nach § 519 Abs. 1 Z 3 und Abs. 2 ZPO iVm § 45 Abs. 5 ASGG, jeweils in der hier noch anzuwendenden Fassung vor der WGN 1989, statthaften Rekurse sind nicht berechtigt.

Nach § 258 Abs. 4 ASVG würde die Witwenpension der Klägerin, deren Ehe mit dem Versicherten geschieden worden ist, gebühren, wenn ihr dieser zur Zeit seines Todes Unterhalt aufgrund des gerichtlichen Vergleiches vom 8.6.1972 zu leisten hatte. Die beklagte Partei hat in erster Instanz eingewendet, daß eine solche Leistungspflicht nicht bestanden habe, weil die Klägerin die mit der von ihr aufgenommenen Lebensgemeinschaft mit Egon M*** begründete Einstellung der Unterhaltszahlungen seit 15.9.1974 widerspruchslos hingenommen und damit auf ihren Unterhaltsanspruch verzichtet habe.

Nach herrschender Lehre (zB Schwind, EheR2 293 ff Ä295 fÜ;

Pichler in Rummel, ABGB § 74 Rz 1 und § 75 EheG Rz 2;

Ehrenzweig-Schwind, Familienrecht3 136; Koziol-Welser, Grundriß8

II 222) und Rechtsprechung (zB SpR 38 neu = SZ 27/134 =

EvBl. 1954/228; EvBl. 1968/300; EFSlg. 29.651; EFSlg. 38.842 =

RZ 1982/3 uva) führt eine nach der Scheidung eingegangene Lebensgemeinschaft des Unterhaltsberechtigten regelmäßig nicht zur Verwirkung des Unterhaltsanspruches nach § 74 EheG und - anders als die Wiederverheiratung des Berechtigten nach § 75 leg. cit. - auch nicht zum Erlöschen der Unterhaltspflicht, wohl aber - mangels einer zulässigen gegenteiligen Vereinbarung (RZ 1982/3 = EFSlg. 38.829), die aber hier nicht vorliegt, - während der Lebensgemeinschaft - unabhängig davon, ob der Geschiedene daraus Unterhalt bezieht - zum Ruhen des Unterhaltsanspruches. Anders als bei der Verwirkung oder beim Erlöschen des Unterhaltsanspruches nach § 74 oder § 77 EheG und beim Erlöschen der Unterhaltspflicht nach § 75 leg. cit. erlöschen ein bloß ruhender Unterhaltsanspruch und eine bloß ruhende Unterhaltspflicht nur für die Dauer der Lebensgemeinschaft, leben allerdings nach deren Beendigung wieder auf.

Nach ständiger Rechtsprechung besteht das Wesen einer das Ruhen der Unterhaltspflicht oder des -anspruches eines geschiedenen Ehegatten herbeiführenden (nichtehelichen) Lebensgemeinschaft in einem eheähnlichen Zustand, der dem typischen Erscheinungsbild des Zusammenlebens von Ehegatten entspricht. Dazu gehört im allgemeinen eine Geschlechts-, Wohnungs- und Wirtschaftsgemeinschaft. Wie in einer Ehe kann jedes dieser Elemente auch in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft weniger ausgeprägt sein oder fehlen (EFSlg. 38.825, 43.742, 46.305 ua). Eine bloße Geschlechtsgemeinschaft, die nicht über ein sogenanntes intimes Verhältnis hinausgeht, ist noch keine Lebensgemeinschaft (EFSlg. 36.427, 38.826 f ua). Es kommt aber bei der Beurteilung, ob eine (nichteheliche) Lebensgemeinschaft vorliegt, immer auf die Umstände des Einzelfalles an (EFSlg. 36.427, 46.305 ua), wobei das Vorliegen einer solchen Lebensgemeinschaft anzunehmen sein wird, wenn die Partner nach dem äußeren Erscheinungsbild so zusammenleben, wie es unter vergleichbaren Bedingungen von Ehegatten zu erwarten wäre (EFSlg. 43.742 ua).

Ob der Klägerin die begehrte Witwenpension gebührt, hängt daher davon ab, ob die Unterhaltspflicht ihres geschiedenen Ehemannes aufgrund des gerichtlichen Scheidungsvergleiches zur Zeit seines Todes wegen einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft der Klägerin mit Egon M*** ruhte.

Da das Erstgericht, von seiner unrichtigen Rechtsansicht ausgehend, nicht alle diesbezüglichen, dem Berufungsgericht mit Recht erheblich scheinenden Tatsachen erörtert, noch darüber sämtliche notwendig erscheinenden Beweise aufgenommen, noch Feststellungen getroffen hat, hat das Berufungsgericht darin zutreffend Feststellungsmängel aufgrund unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache erblickt. Da das Berufungsgericht wegen der gesetzgemäß ausgeführten Rechtsrüge die rechtliche Beurteilung der Sache nach jeder Richtung hin zu prüfen hatte, durfte es diese Feststellungsmängel von Amts wegen aufgreifen (so zB auch Fasching, ZPR2 Rz 1774). Entgegen der Meinung der Rekurswerberin bedurfte es für den berufungsgerichtlichen Aufhebungsbeschluß auch keines (ausdrücklichen) Aufhebungs- oder Ergänzungsantrages. Auch beim Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung ist in erster Linie die Abänderung des Ersturteils zu beantragen; ein Aufhebungsantrag ist nur bei rechtsirrtümlich bedingten Feststellungsmängeln, und auch bei solchen nur hilfsweise gerechtfertigt. Ein Abänderungsantrag schließt hier immer einen Aufhebungsantrag als minus in sich, auch wenn letzterer - wie in der Berufung der beklagten Partei - nicht ausdrücklich gestellt wurde (so zB auch Fasching, ZPR2 Rz 1776).

Der nur wegen dieser angeblichen Verfahrensmängel des Berufungsgerichtes erhobene Rekurs der Klägerin ist daher nicht berechtigt.

Aus der Tatsache, daß die Klägerin durch viele Jahre der Einstellung der Unterhaltszahlungen nicht widersprochen hat, ist für die beklagte Partei nichts zu gewinnen, weil diese Zahlungseinstellung vom Rechtsfreund des geschiedenen Ehemannes der Klägerin ausdrücklich mit dem Bestehen einer Lebensgemeinschaft begründet wurde. Eine solche führt aber nicht zum endgültigen Verlust, sondern nur zum Ruhen des Unterhaltsanspruches, worauf auch im Schreiben vom 25.8.1975 hingewiesen wurde. Die Klägerin hätte daher, wenn keine Lebensgemeinschaft bestanden hätte, ihren Unterhaltsanspruch jederzeit geltend machen können. Daraus, daß sie dies nach ihren Behauptungen aus mietrechtlichen Gründen unterließ, kann ein endgültiger Verzicht auf den Unterhaltsanspruch - unabhängig vom Bestehen einer Lebensgemeinschaft - nicht abgeleitet werden. Daß die Klägerin aber unabhängig hievon auf ihren Anspruch verzichtet hätte, wurde im Verfahren erster Instanz nicht behauptet.

Daher ist auch der Rekurs der beklagten Partei nicht berechtigt. Der Vorbehalt der Entscheidung über den Ersatz der Rekurs- und Rekursbeantwortungskosten der Klägerin beruht auf § 52 Abs. 1 ZPO.

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