OGH 7Ob46/89

OGH7Ob46/8914.12.1989

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Wurz, Dr.Warta, Dr.Egermann und Dr.Niederreiter als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr.Ernst F***, Rechtsanwalt, Neunkirchen, Triesterstraße 8, wider die beklagte Partei I***, Internationale Unfall- und Schadensversicherungs-AG, Wien I. Tegetthoffstraße 7, vertreten durch Dr.Helmut Schmidt und Dr.Ingo Schreiber, Rechtsanwälte in Wiener Neustadt, wegen 17.476,28 S s.A., infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Kreisgerichtes Wiener Neustadt als Berufungsgerichtes vom 7. August 1989, GZ R 286/89-14, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Wiener Neustadt vom 12.April 1989, GZ 2 C 543/89-9, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidung des Erstgerichtes wird wiederhergestellt. Die beklagte Partei ist schuldig, dem Kläger die mit 2.469,12 S bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (darin 411,52 S Umsatzsteuer) sowie die mit 4.466,76 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 1.500 S Barauslagen und 494,46 S Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger hat mit der Beklagten eine Haftpflichtversicherung für Vermögensschäden für seinen Kanzleibetrieb als Rechtsanwalt abgeschlossen, dem die Allgemeinen Versicherungsbedingungen zur Haftpflichtversicherung für Vermögensschäden (AVBV) zugrundeliegen.

Art. 5 Abs 3 lit c dieser Bedingungen lautet:

"Der Versicherungsnehmer ist nicht berechtigt, ohne vorherige Zustimmung des Versicherers einen Haftpflichtanspruch ganz oder zum Teil vergleichsweise anzuerkennen oder zu befriedigen. Bei Zuwiderhandeln ist der Versicherer von der Leistungspflicht frei, es sei denn, daß der Versicherungsnehmer nach den Umständen die Befriedigung oder Anerkennung nicht ohne offenbare Unbilligkeit verweigern konnte. Durch irrtümliche Annahme des Vorliegens einer gesetzlichen Haftpflicht oder der Richtigkeit der erhobenen Ansprüche oder der behaupteten Tatsachen wird der Versicherungsnehmer nicht entschuldigt".

Zu 7 Cg 441/84 des Kreisgerichtes Leoben wurde ein vom Kläger für seinen Mandanten Leopold K*** geltend gemachter Anspruch mit Urteil vom 15.12.1986 abgewiesen. Das Oberlandesgericht Graz gab mit Urteil vom 9.4.1987, 3 R 59/87, der vom Kläger namens seines Klienten gegen dieses Urteil erhobenen Berufung nicht Folge, wobei es jedoch, ebenso wie das Erstgericht, übersah, daß die Berufung verspätet erhoben worden war. Erst anläßlich einer Revision des Klägers nahm der Oberste Gerichtshof die Verspätung wahr. Er hob daher mit Beschluß vom 23.3.1988, 3 Ob 569/87, das Urteil des Berufungsgerichtes sowie das gesamte berufungsgerichtliche Verfahren als nichtig auf und wies die Berufung des Klägers als verspätet zurück. Die Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens wurden gegeneinander aufgehoben. Dem nunmehr vom Kläger eingebrachten Wiedereinsetzungsantrag gab das Oberlandesgericht Graz mit Beschluß vom 27.7.1988 Folge, wobei es Leopold K*** verpflichtete, seinem Gegner die mit 18.577,30 S bestimmten Kosten des infolge der Wiedereinsetzung unwirksam gewordenen Berufungs- und Revisionsverfahrens zu ersetzen. Zur Hereinbringung dieser Kosten führte der Masseverwalter der Gegnerin des Leopold K*** gegen diesen Exekution, wobei an Exekutionskosten 1.398,98 S aufliefen. Der Kläger teilte den erwähnten Sachverhalt der Beklagten als seinem Haftpflichtversicherer mit. Die Beklagte verweigerte den Ersatz des Schadens, wobei sie den Standpunkt vertrat, das Verhalten des Klägers sei für den Schadenseintritt nicht adäquat. Lepold K*** stünden lediglich Amtshaftungsansprüche zu. Auch in der folgenden Korrespondenz ging die Beklagte von ihrem Standpunkt nicht ab. Da ein Ersuchen des Klägers um Einstellung der gegen seinen Mandanten geführten Exekution erfolglos blieb, bezahlte er, um die Exekution von Leopold K*** abzuwenden, am 13.2.1989 an den Masseverwalter der Gegnerin 19.976,28 S (18.577,30 S an Kosten laut Beschluß des Oberlandesgerichtes Graz und 1.398,98 S an Exekutionskosten). Der vom Kläger zu tragende Selbstbehalt beträgt

2.500 S.

Mit der vorliegenden Klage begehrt der Kläger von der Beklagten aufgrund des Versicherungsvertrages 17.476,66 S s.A. Die Beklagte machte Leistungsfreiheit nach Art. 5 Abs 3 lit c der AVBV geltend.

Während das Erstgericht unter in Rechtskraft erwachsener Abweisung eines Zinsenmehrbegehrens dem Kläger den begehrten Betrag samt 4 % Zinsen zusprach, wies das Berufungsgericht mit der angefochtenen Entscheidung das gesamte Klagebegehren ab. Es erklärte die Revision für nicht zulässig. Bei seiner Entscheidung ging es von folgenden rechtlichen Erwägungen aus:

Die Bestimmung des Art. 5 Abs 3 lit c AVBV soll die Entscheidungsfreiheit des Versicherers sichern. Der Versicherungsnehmer sei nicht berechtigt, entgegen der Weisung des Versicherers zu zahlen und diesen dadurch zu präjudizieren. Nur wenn die für die Ablehnung des Versicherungsschutzes angegebene Begründung rechtlich offenbar unhaltbar sei, könne der Versicherungsnehmer von diesem Grundsatz eine Ausnahme machen. Zwar sei die Rechtsansicht der Beklagten, das Verhalten des Klägers wäre fürden Schaden nicht kausal gewesen, unrichtig, sie sei jedoch nicht derart absurd, daß dies den Kläger zur Zahlung gegen das Verbot des Versicherers berechtigt hätte. Die in Art. 5 Abs 3 lit c AVBV erwähnte Ausnahme betreffend die offenbare Unbilligkeit sei nur gegeben, wenn ein offensichtlich begründeter Anspruch des Geschädigten vorliege und Billigkeitsgründe auf Seite des Geschädigten die Befriedigung seiner Forderung geradezu erfordern. Dies sei hier nicht der Fall.

Das Berufungsgericht hat die Nichtzulassung der Revision mit dem Hinweis auf die Judikatur des Obersten Gerichtshofes (insbesondere 7 Ob 35/88 = VersR 1989, 824 und SZ 50/60) begründet. Es ist richtig, daß die erwähnten Entscheidungen die vom Berufungsgericht vertretene Rechtsansicht decken, jedoch weicht die vorliegende Rechtssache in entscheidenden Punkten von den der früheren Judikatur zugrunde gelegenen Fällen so weit ab, daß die vom Berufungsgericht zitierte Judikatur zu seiner Lösung nicht ausreicht. Der erkennende Senat erachtet daher die Voraussetzungen für eine Zulässigkeit der Revision gemäß § 502 Abs 4 Z 1 ZPO als gegeben.

Rechtliche Beurteilung

Die vom Kläger wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobene Revision ist auch gerechtfertigt.

Was die Auslegung des § 154 Abs 2 VersVG folgenden Art. 5 Abs 3 lit c AVBV anlangt, kann auf die Rechtsausführungen des Berufungsgerichtes verwiesen werden, die vollinhaltlich der zitierten Judikatur des Obersten Gerichtshofes entsprechen. Da der Kläger bewußt gegen das Verbot der Beklagten Zahlung geleistet hat, konnte der Versicherungsschutz nur bei Vorliegen des Ausnahmstatbestandes des Art. 5 Abs 3 lit c AVBV aufrecht bleiben. In der Nichtzahlung müßte daher eine offenbare Unbilligkeit zu erblicken gewesen sein. Erste Voraussetzung für die Anwendbarkeit dieser Bestimmung ist deshalb der schon in den Gesetzesmaterialien herausgestellte Gesichtspunkt, daß die vom geschädigten Dritten geltend gemachte Forderung offensichtlich begründet sein muß. Es müssen demnach sämtliche Tatumstände einwandfrei geklärt sein, sodaß diese für jeden unbefangenen Beurteiler offensichtlich eine Haftung des Versicherungsnehmers begründen (Stiefel-Wussow-Hofmann AKB 13, 347, SZ 50/60, VersR 1989, 824 ua). Diese Voraussetzungen sind, entgegen der Rechtsansicht der Beklagten, hier gegeben. Die von der Beklagten vertretene Rechtsansicht, das Verhalten des Klägers wäre für den eingetretenen Schaden nicht adäquat gewesen, ist rechtlich derart unhaltbar, daß die damit begründete Ablehnung des Versicherungsanspruches jedem juristisch nur halbwegs Versierten geradezu absurd erscheinen mußte. Das Versäumnis des Klägers war die erste und entscheidende Ursache für den eingetretenen Schaden. Daß daneben auch ein Verschulden von Gerichten zum Schaden beigetragen haben mag, kann die Haftung des Klägers nicht beseitigen. Ein Schaden ist dann adäquat herbeigeführt, wenn seine Ursache ihrer allgemeinen Natur nach für die Herbeiführung eines derartigen Erfolges nicht als völlig ungeeignet erscheinen muß und nicht nur infolge einer ganz außergewöhnlichen Verkettung von Umständen zu einer Bedingung des Schadens wurde (Koziol-Welser8 I, 413). Adäquate Verursachung ist dann anzunehmen, wenn das Verhalten unter Zugrundelegung eines zur Zeit der Beurteilung vorhandenen höchsten menschlichen Erfahrungswissens und unter Berücksichtigung der zum Zeitpunkt der Handlung dem Verantwortlichen oder einem durchschnittlichen Menschen bekannten oder erkennbaren Umstände geeignet war, eine Schadensfolge von der Art des eingetretenen Schadens in nicht ganz unerheblichem Grad zu begünstigen (SZ 57/196). Das verspätete Erheben eines Rechtsmittels ist für jedermann klar erkennbar geeignet, dem Rechtsmittelwerber einen Schaden dadurch zu verursachen, daß durch das in Gang gesetzte Verfahren Kosten auflaufen. Das Übersehen der Verspätung durch das Rechtsmittelgericht ist kein derart außerhalb jeglicher menschlicher Erfahrung liegender Umstand, daß hiedurch der Kausalzusammenhang unterbrochen würde. Das bloße Mitverschulden des Gerichtes an der Entstehung des Schadens beseitigt aber die Haftung weiterer Schädiger nicht, sondern führt höchstens zu einer Solidarhaftung. Entgegen der Rechtsansicht des Berufungsgerichtes ist demnach die erste Voraussetzung für den Ausnahmstatbestand der erwähnten Bestimmung der Versicherungsbedingungen gegeben, nämlich daß die vom geschädigten Dritten geltend gemachte Forderung offensichtlich begründet war. Sämtliche Tatumstände waren einwandfrei geklärt und für jeden unbefangenen Beurteiler mußten diese Umstände offensichtlich eine Haftung des Versicherungsnehmers begründen. Ob die Verweigerung des Anerkenntnisses unbillig gewesen wäre, ist aus der Sicht des Versicherungsnehmers zu beurteilen. Die dabei zu berücksichtigenden Umstände sind aber aus der Interessensphäre des geschädigten Dritten zu schöpfen, wobei hiezu außer der persönlichen und finanziellen Lage des Geschädigten unter anderem auch dessen Beziehungen zum Versicherten und die Schwere des Verschuldens gehören (VersR 1989, 824, SZ 50/60). Der Versicherungsnehmer kann sich lediglich nicht darauf berufen, daß es nur zu seinem Nachteil offenbar unbillig gewesen wäre, ein Anerkenntnis zu verweigern (Prölss-Martin VersVG24, 635, VersR 1989, 824). Demnach wird der Versicherungsnehmer im allgemeinen die Verletzung des Anerkenntnis- und Befriedigungsverbotes nicht nur damit rechtfertigen können, daß eine Verärgerung des Kunden oder Klienten mit geschäftlichen und finanziellen Nachteilen für ihn verbunden gewesen wäre.

Im vorliegenden Fall ist jedoch zu berücksichtigen, daß die Rechtsordnung die Vertretung von Rechtsunkundigen durch Rechtsanwälte vor Gericht fördert, wobei sie von der erfahrungsgemäß großen Rechtskenntnis dieser Berufsgruppe ausgeht. Darüber hinaus trifft den Rechtsanwalt nach § 9 RAO eine besondere Pflicht zur Treue und Gewissenhaftigkeit gegenüber seinen Klienten. Auch die Richtlinien für die Ausübung des Rechtsanwaltsberufes (RL-BA-1977) enthalten insbesondere im § 3 sowie im Art. II (§§ 10-17) Regelungen, die dem Rechtsanwalt, insbesondere gegenüber seiner Partei, besondere Verpflichtungen auferlegen. Verursacht demnach ein Rechtsanwalt durch ein Verschulden seinem Klienten einen Schaden, so ist es nicht nur aus der Sicht der Ehre und des Ansehens des Standes der Rechtsanwaltschaft, sondern auch aus der Sicht der Rechtsschutz suchenden Bevölkerung geboten, für eine möglichst unverzügliche Schadensgutmachung Sorge zu tragen. Natürlich berechtigt dies den Rechtsanwalt nicht, leichtfertig und ohne abschließende Beurteilung des Sachverhaltes alle nur möglichen denkbaren Ansprüche zu befriedigen. Ist aber ein Sachverhalt soweit geklärt, daß sich daraus zweifelsfrei eine Haftung des Rechtsanwaltes gegenüber seinem Klienten ableiten läßt, so wäre es im Hinblick auf die besonderen Berufspflichten des Rechtsanwaltes gegenüber seinem Klienten unbillig, wenn er wegen einer mit offensichtlich unrichtiger Rechtsansicht begründeten Ablehnung seines Haftpflichtversicherers die Befriedigung der Schadenersatzforderung seines Klienten verneinen und Zahlung verweigern würde. Eine solche Weigerung könnte ein Disziplinarvergehen im Sinne des § 2 DSt (Gesetz vom 1.4.1872, RGBl Nr 40) darstellen.

Im vorliegenden Fall war die Ablehnung des Ersatzes der Schadenersatzforderung durch die Beklagte rechtlich unhaltbar. Der Schaden des Klienten des Klägers steht fest. Entgegen der Rechtsansicht des Berufungsgerichtes wäre demnach eine Ablehnung der Befriedigung dieses Schadens durch den Kläger unbillig im Sinne des Art. 5 Abs 3 lit c AVBV gewesen.

Die Entscheidung des Erstgerichtes war daher wieder herzustellen. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.

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