OGH 5Ob541/89

OGH5Ob541/8911.4.1989

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Marold als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Jensik, Dr. Zehetner, Dr. Klinger und Dr. Schwarz als Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1.) Univ.Doz. Dr. Robert H***, dzt. p.A. Internationaler Währungsfonds, Washington, D.C. USA, 2.) Chantale H***, ebendort, beide vertreten durch Dr. Andreas Peyrer-Heimstätt, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Harald T***, techn. Konsulent, Wien 9., Canisiusgasse 27/11, vertreten durch Dr. Walter Leeb, Rechtsanwalt in Wien, wegen Erbringung einer vertretbaren Leistung und Räumung infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgerichtes vom 7. Februar 1989, GZ 41 R 686/88-19, womit die Berufung der beklagten Partei gegen das Versäumungsurteil des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 28. Juni 1988, GZ 45 C 173/88f-9, zurückgewiesen wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Es wird dem Rekurs Folge gegeben, der angefochtene Beschluß aufgehoben und dem Berufungsgericht die neue Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Die Rekurskosten sind weitere Kosten des Berufungsverfahrens.

Text

Begründung

Mit Versäumungsurteil vom 28.6.1988 verpflichtete das Erstgericht den Beklagten, die im Haus Wien 9., Canisiusgasse 27, im dritten Stock rechts neben der Stiege quer über den allgemeinen Gang aufgeführte Mauer samt der darin befindlichen Tür zu entfernen und den dadurch abgesperrten Gangteil und das Gang-WC den klagenden Parteien geräumt zu übergeben.

Mit seiner am 18.8.1988 zur Post gegebenen, auf den Nichtigkeitsgrund des § 477 Abs 1 Z 4 ZPO gestützten Berufung führte der Beklagte ins Treffen, im Zeitpunkt der Zustellung von Klage und Ladung zur ersten Tagsatzung bis lange nach Zustellung des Versäumungsurteils im Ausland gewesen zu sein, weshalb die durch Hinterlegung erfolgte Klagszustellung wie auch die ebenso erfolgte Zustellung des Versäumungsurteils nichtig seien.

Das Berufungsgericht wies die Berufung zurück und sprach aus, daß der von der Zurückweisung betroffene Wert des Beschwerdegegenstandes 15.000 S übersteigt. Es führte aus:

Aufgrund der Aktenlage stehe fest, daß mehrfache Versuche, die Klage und die Ladung zur ersten Tagsatzung mit der Post zuzustellen, fehlschlugen, weil die Rückscheinbriefe mit dem Vermerk des Zustellers "Empfänger vom 1.1.1988 bis 31.12.1988 im Ausland" zurückkamen. Über mehrfache Zustellanträge der klagenden Parteien, in denen sie darlegten, daß jener Vermerk unrichtig sei, weil der Beklagte im Februar und im März 1988 in einem anderen Verfahren bei Gericht vernommen worden sei und jene Anschrift als seine Wohnanschrift angegeben habe, wurde die Zustellung mittels gerichtlichen Zustellorgans versucht. Auch dieser Zusteller unterließ die Zustellung, weil ihm am 13.5.1988 die Gattin des Beklagten mitteilte, ihr Gatte sei auf Geschäftsreisen, die Rückkehr unbekannt. Über neuerlichen Zustellantrag und nach vergeblichem ersten Zustellversuch stellte der gerichtliche Zusteller am 8.6.1988 beim zweiten Zustellversuch fest, daß die an der Eingangstür angebrachte Ankündigung vom Vortag inzwischen entfernt worden war, weshalb er, die Ortsanwesenheit des Beklagten annehmend, die Hinterlegung des Zustellstückes bei Gericht mit Beginn der Abholfrist am 9.6.1988 vornahm. In der ersten Tagsatzung vom 28.6.1988 erging über Antrag der klagenden Parteien das Versäumungsurteil im klagestattgebenden Sinn. Es wurde dem Beklagten durch die Post zugestellt. Nach vergeblichem ersten Zustellversuch wurde es mit Beginn der Abholfrist am 1.7.1988 beim Postamt 1093 Wien hinterlegt. Am 17.8.1988 behob der Beklagte beim Erstgericht die an dieses zurückgelangte Klage (samt Ladung zur schon durchgeführten ersten Tagsatzung) sowie das Versäumungsurteil. Nachdem der Beklagte in der einen Tag später zur Post gegebenen Berufung seine Ortsabwesenheit im Zeitpunkt der Zustellungen behauptete, lud das Erstgericht die als Bescheinigungsmittel angebotene Gattin des Beklagten unter Bekanntgabe des Beweisthemas "Ortsabwesenheit ihres Mannes bis 16.8.1988" für den 3.10.1988 vor. Von Amts wegen wurde auch der Beklagte unter Bekanntgabe des Beweisthemas "behauptete Ortsabwesenheit von Mai bis 16.8.1988" mit der Aufforderung, Beweismittel wie Bahnkarten, Reisepaß, Hotelrechnungen vorzulegen, für den 3.10.1988 vorgeladen. Der Beklagte hatte nämlich auch vorzulegende Reisedokumente als Bescheinigungsmittel angeboten. Nachdem die Berufungsbeantwortung die Ortsanwesenheit des Beklagten im maßgeblichen Zeitraum und damit die wirksame Zustellung behauptete und hiefür Bescheinigungsmittel anbot, holte das Erstgericht eine schriftliche Erklärung eines so angeführten Hausbewohners ein, durch welche aber keiner der Standpunkte der Parteien gestützt wurde. In ihr wird lediglich bestätigt, daß der Aussteller, Mag. Wilfried P***, den Beklagten schon viele Monate im Hause nicht gesehen habe, doch werde das angesammelte Werbematerial von der Wohnungstür entfernt. Die aufgetragenen Reisedokumente wurden vom Beklagten nicht vorgelegt. Nachdem die Gattin des Beklagten erklärt hatte, wegen einer Auslandsreise zur Vernehmung nicht erscheinen zu können, wurde sie für den 19.10.1988 neuerlich geladen und nahm auch der Beklagte diesen neuen Vernehmungstermin persönlich zur Kenntnis (Amtsvermerk vom 3.10.1988 auf AS 43). Am 19.10.1988 erschienen jedoch die beiden Genannten nicht.

Die Ortsabwesenheit des Beklagten im maßgeblichen Zeitraum zwischen dem 7.6.1988 (erster Zustellversuch der Klage) und dem 1.7.1988 (Beginn der Abholfrist für das Versäumungsurteil) kann nicht als bescheinigt angenommen werden.

Wenn auch die Gesetzmäßigkeit von Zustellungen von Amts wegen in jeder Lage des Verfahrens zu prüfen sei, finde die amtswegige Wahrheitserforschung ihre Grenze in der nicht erzwingbaren Mitwirkungsobliegenheit der Parteien, insbesondere jener, die ihre Ortsabwesenheit behaupte. Bei wegen Ortsabwesenheit behaupteter nichtiger Zustellung treffe sie daher eine Bescheinigungsverpflichtung (3 Ob 559/87). Sie sei es, die noch am ehesten über ihre verschiedenen Aufenthaltsorte in der Vergangenheit und hiefür geeignete weitere Bescheinigungsmittel Auskunft geben könne.

Im konkreten Fall sei die angebliche Ortsabwesenheit durch nichts bescheinigt. Der Beklagte habe die von ihm angebotenen, ihm zur Vorlage aufgetragenen Reisedokumente nicht vorgelegt, seine von ihm als Bescheinigungsmittel angebotene Gattin sei ebensowenig zur Vernehmung erschienen wie der Beklagte, dem der Vernehmungstermin nachweislich bekannt war.

Abgesehen davon, daß damit von einer gültigen Zustellung der Klage und der Ladung zur ersten Tagsatzung auszugehen wäre, sei aufgrund der wirksamen Zustellung des Versäumungsurteils am 1.7.1988 die erst am 18.8.1988 zur Post gegebene Berufung verspätet. Sie sei daher gemäß § 474 Abs 2 ZPO zu verwerfen (zurückzuweisen) gewesen. Der Ausspruch über den 15.000 S an Geldeswert übersteigenden Beschwerdegegenstand gründe sich auf §§ 500 Abs 2 Z 3 und 528 Abs 1 Z 5 ZPO. Eine weitere Bewertung im Sinne des § 528 Abs 2 ZPO habe im Hinblick auf die schon nach § 519 Abs 1 Z 1 ZPO gegebene Anfechtbarkeit entfallen können.

Gegen den Beschluß des Berufungsgerichtes richtet sich der Rekurs des Beklagten mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluß aufzuheben und dem Berufungsgericht die Durchführung des Berufungsverfahrens aufzutragen.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist berechtigt.

Unbeachtlich ist allerdings die Beweisrüge, das Berufungsgericht hätte bereits aus der Erklärung des Hausbewohners Mag. Wilfried P*** auf die Ortsabwesenheit des Beklagten zu den hier maßgeblichen Zeitpunkten schließen müssen, weil die zweite Instanz auch bei der Prüfung und Ermittlung der von Amts wegen festzustellenden Tatsachen stets die letzte Tatsacheninstanz ist. Das Vorbringen, aufgrund dieser unrichtigen Beweiswürdigung sei das Erstgericht zu seiner unrichtigen rechtlichen Beurteilung gelangt, stellt keine gesetzmäßige Ausführung der Rechtsrüge dar. Im Recht ist der Beklagte jedoch mit seiner Mängelrüge, seine Gattin hätte zum Zweck der amtswegigen Prüfung der Gesetzmäßigkeit der hier in Betracht kommenden Zustellungen neuerlich geladen werden müssen, zumal die Ladung für den 19.10.1988 lediglich durch Hinterlegung ausgewiesen gewesen sei und seine Gattin diese Ladung zufolge ihrer Ortsabwesenheit nicht vor dem Termin erhalten habe. Es ist zwar richtig, daß ungeachtet dessen, daß Nichtigkeitsgründe von Amts wegen wahrzunehmen sind, denjenigen, der die Nichtigkeit behauptet, im vorliegenden Fall den Beklagten als Zustellungsempfänger, gleichwohl eine gewisse Mitwirkungsobliegenheit trifft, wenn er behauptet, daß eine Zustellung infolge Ortsabwesenheit nicht gesetzmäßig erfolgt sei (3 Ob 559/87). Es wurde auch bereits wiederholt ausgesprochen, daß der Rechtssatz, ein Rechtsmittel habe bis zur sicheren Widerlegung von Zweifeln die Vermutung der Rechtzeitigkeit für sich, dann nicht gilt, wenn ein Rückschein vorliegt, der als öffentliche Urkunde vollen Beweis macht, daß aber dem Rechtsmittelwerber der Gegenbeweis von Unrichtigkeiten in der Beurkundung der Zustellung offensteht (RZ 1977/26 ua). Nun hat der Beklagte zum Beweis seiner Ortsabwesenheit in der Nichtigkeitsberufung nicht nur die Vorlage von Reisedokumenten, sondern auch die Vernehmung seiner Gattin angeboten. Von dieser Vernehmung durfte nicht allein deshalb, weil die Gattin des Beklagten das erste Mal entschuldigt und das zweite Mal unentschuldigt der Ladung nicht Folge leistete, Abstand genommen werden. Erforderlichenfalls wäre nach § 333 ZPO vorzugehen gewesen; § 381 ZPO gilt nur für die Prozeßparteien. Da die Prüfung und Ermittlung der von Amts wegen festzustellenden Tatsachen (wiewohl das Gericht auch hier nicht an die strengen Formen des Beweisverfahrens und an bestimmte Erkenntnisquellen gebunden ist und kraft der Inquisitionsmaxime die Möglichkeit und die Pflicht hat, ohne oder gegen allfällige Parteienanträge die erforderlichen Tatbestände festzustellen) von der Bescheinigung (Glaubhaftmachung) zu unterscheiden ist, die nur in den vom Gesetz ausdrücklich erwähnten Fällen zulässig ist (Fasching, Kommentar III 290 f), kann auch nicht gesagt werden, die Vernehmung der Gattin des Beklagten sei eine Beweisaufnahme im Sinne des § 274 Abs 1 Satz 2 ZPO, die sich nicht sofort ausführen lasse.

Es war daher dem Rekurs Folge zu geben und dem Berufungsgericht eine neue Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufzutragen. Der Vorbehalt der Rekurskosten beruht auf § 52 ZPO.

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