OGH 3Ob559/87

OGH3Ob559/872.9.1987

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Petrasch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Warta, Dr. Klinger, Dr. Egermann und Dr. Angst als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Friederike P***, Filmproduzentin, Wien 1., Kurrentgasse 4, vertreten durch Dr. Heinrich Waldhof und Dr. Andreas Waldhof, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei S.B.B.V. Handelsgesellschaft mbH, Wien 1., Kurrentgasse 4, vertreten durch Dr. Friedrich Doschek, Rechtsanwalt in Wien, wegen Räumung, infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgerichtes vom 22. Jänner 1987, GZ 48 R 575/86-24, womit die Berufung der beklagten Partei gegen das Versäumungsurteil des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 17. Juni 1986, GZ 48 C 240/86-2, zurückgewiesen wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Begründung

Klage und Ladung zu der für den 17. Juni 1986 anberaumten ersten Tagsatzung wurden der beklagten Partei am 27. Mai 1986 im Sinne der in § 21 Abs 2 ZustG enthaltenen Bestimmungen bei dem für die Abgabestelle zuständigen Postamt hinterlegt. Die erste Tagsatzung wurde von der beklagten Partei versäumt. Über Antrag der Klägerin wurde über das Klagebegehren gemäß § 396 ZPO durch Versäumungsurteil erkannt. Die Zustellung des Versäumungsurteils erfolgte am 4. Juli 1986 durch Hinterlegung nach § 17 ZustG. Die hinterlegten Sendungen wurden nicht behoben.

Am 3. Oktober 1986 wurde auf Grund des Versäumungsurteils vom 17. Juni 1986 über Antrag der Klägerin die zwangsweise Räumung durchgeführt.

In der am 14. Oktober 1986 überreichten Nichtigkeitsberufung macht die beklagte Partei geltend, ihre drei Geschäftsführer hätten sich am 26. und 27. Mai 1986 nicht in Österreich befunden. Das Versäumungsurteil vom 17. Juni 1986 und das diesem vorangegangene Verfahren seien daher gemäß § 477 Abs 1 Z 4 ZPO nichtig. Die beklagte Partei habe von dem gegen sie anhängigen Verfahren erst am 3. Oktober 1986 anläßlich der Delogierung Kenntnis erhalten. Die zweite Instanz wies die Berufung zurück und sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes S 15.000,-- übersteige. Es stellte auf Grund der vom Erstgericht durchgeführten Erhebungen folgenden Sachverhalt fest:

Die drei Geschäftsführer der beklagten Partei, Stipan B***, Gordan V*** und Ante B***, befanden sich im Jahr 1986 nur zeitweise in Wien. Gordan V*** hielt sich zwischen Februar und dem 30. September 1986 im Ausland auf. Ante B*** war (von den in Betracht kommenden Zeiträumen) ab 10. Juni 1986 für zwei Tage und vom 24. bis 27. Juni 1986 in Wien, doch kann nicht festgestellt werden, ob Nenat T***, der den Betrieb des Fischrestaurants der beklagten Partei führte, ihm die Verständigung von der Hinterlegung der Klage übergeben hat. Stipan B*** hingegen war am 27. Juni 1986 in Wien anwesend und besuchte die Tagsatzung im Verfahren 48 C 623/85 des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien; er behob auch am 2. Juli 1986 beim Postamt 1010 Wien einen RSa-Brief zum AZ 48 C 318/86 des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien. Es ist nicht bescheinigt, daß Stipan B*** daraufhin umgehend Wien verlassen hätte und am 4. Juli 1986 nicht mehr in Wien gewesen wäre. In seiner rechtlichen Beurteilung führte das Berufungsgericht aus, es sei nicht erwiesen, daß die Hinterlegung des Versäumungsurteiles infolge Ortsabwesenheit aller drei Geschäftsführer der beklagten Partei zu Unrecht erfolgt sei. Das Versäumungsurteil sei daher am 4. Juli 1986 wirksam zugestellt worden, sodaß die am 14. Oktober 1986 überreichte Berufung verspätet sei.

Die beklagte Partei bekämpft den Beschluß des Berufungsgerichtes mit Rekurs und beantragt, ihn aufzuheben und dem Berufungsgericht eine Sachentscheidung aufzutragen. Sie wendet sich dagegen, daß das Berufungsgericht nicht festgestellt habe, Stipan B*** habe sich am 4. Juli 1986 nicht mehr in Wien befunden. Es sei kein Grund vorhanden, weshalb B*** - ein Geschäftsmann - eine Zustellung nicht hätte annehmen sollen, da er doch im Falle der Nichtannahme mit Rechtsnachteilen habe rechnen müssen.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist nicht berechtigt.

Nichtigkeitsgründe sind von Amts wegen wahrzunehmen. Dies bedeutet, daß das Gericht nicht nur ohne Parteienantrag ihm bereits vorliegende Tatbestände danach zu prüfen hat, ob sie einen Nichtigkeitsgrund bilden, sondern auch zur amtswegigen Nachforschung des Tatbestandes verpflichtet ist (Fasching, Komm. IV 110 f). Demjenigen, der die Nichtigkeit behauptet, im vorliegenden Fall dem Zustellungsempfänger, ist gleichwohl eine gewisse Bescheinigungspflicht aufzuerlegen, wenn er behauptet, daß eine Zustellung infolge Ortsabwesenheit nicht gesetzmäßig erfolgt sei. Im Rahmen dieser Bescheinigung ist die zweite Instanz wie stets die letzte Tatsacheninstanz. Wenn sie hier dem Geschäftsführer der beklagten Partei Stipan B*** nicht glauben konnte, so ist dies einer Prüfung des Obersten Gerichtshofes entzogen.

Daß die Beurteilung des Berufungsgerichtes im Tatsachenbereich geradezu den Denkgesetzen widerspreche, trifft nicht zu. Die Argumentation der beklagten Partei, es könne doch nicht "allen Ernstes" angenommen werden, daß ein Geschäftsmann, wenn er ortsanwesend sei, eine Zustellung nicht übernehme, weil er doch sonst mit Rechtsnachteilen zu rechnen habe, widerspricht der Erfahrung in der Praxis.

Durch die Ausfolgung des rechtmäßig hinterlegten Zustellstückes wurde eine neue Rechtsmittelfrist nicht in Gang gesetzt. Mit Recht ist deshalb das Berufungsgericht zum Ergebnis gekommen, daß die Berufung verspätet eingebracht wurde. Die Kostenentscheidung erfolgte nach den §§ 40 und 50 ZPO.

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