OGH 7Ob655/88 (7Ob656/88)

OGH7Ob655/88 (7Ob656/88)22.9.1988

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Wurz, Dr.Egermann, Dr.Niederreiter und Dr.Redl als Richter in der Pflegschaftssache der mj. Laila S***, geboren am 1.Jänner 1981, und der mj. Dina S***, geboren am 31.März 1985, infolge 1.) Revisionsrekurses der ehelichen Mutter Elisabeth S***, Krankenschwester, Pottenbrunn, Pengersdorf 22, vertreten durch Dr.Erwin Dillinger, Rechtsanwalt in St. Pölten, gegen den Beschluß des Landesgerichtes St. Pölten als Rekursgerichtes vom 24.Februar 1988, GZ R 605/87-55, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes St. Pölten vom 1.Oktober 1987, GZ 2 P 149/86-51, teilweise abgeändert wurde und 2.) Rekurses des ehelichen Vaters Emad S***, Student, Wien 21., Schöfleuthnergasse 16/8/11, vertreten durch Dr.Otto Kern und Dr.Wulf Kern, Rechtsanwälte in Wien, gegen den Beschluß des Landesgerichtes St. Pölten vom 29.Juni 1988, GZ R 362/88-67, womit der Rekurs des ehelichen Vaters gegen den Beschluß des Bezirksgerichtes St. Pölten vom 20.Mai 1988, GZ 2 P 149/86-64, zurückgewiesen wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Keinem der Rekurse wird Folge gegeben.

Text

Begründung

Die am 1.Jänner 1981 geborene Laila S*** und die am 31. März 1985 geborene Dina S*** entstammen der Ehe des Emad S*** mit Elisabeth S***. Die Ehe ist noch aufrecht, doch ist ein Scheidungsverfahren anhängig. Die Eltern leben jedoch getrennt. Sämtliche Familienmitglieder sind österreichische Staatsbürger. Mit Beschluß vom 1.Oktober 1987, 2 P 149/86-51, hat das Erstgericht alle aus den familienrechtlichen Beziehungen zwischen Eltern und mj. Kindern erfließenden rein persönlichen Rechte und Pflichten (§ 144 ABGB) bezüglich beider Kinder der Mutter zugewiesen. Bezüglich des letztgenannten Kindes ist die erstgerichtliche Entscheidung in Rechtskraft erwachsen. Das Rekursgericht hat die die mj. Laila S*** betreffende Entscheidung dahin abgeändert, daß es die erwähnten Rechte dem Vater zuerkannt hat. Bei ihrer Entscheidung sind die Vorinstanzen von folgenden wesentlichen Feststellungen ausgegangen:

Im Juni 1986 verließ die Mutter mit den beiden Kindern den Vater. Bis dahin war Laila nach mohammedanischem Ritus erzogen worden, was einer Vereinbarung zwischen den Eltern entsprach. Am 5.Juli 1986 nahm der Vater Laila im Rahmen der Ausübung seines Besuchsrechtes zu sich. Seither befindet sich dieses Kind beim Vater.

Laila ist ein körperlich und psychosozial gut entwickeltes Kind, das die islamische Schule in Wien 21. besucht und vom Vater gut versorgt wird.

Seit ihrer Trennung stehen die Eltern einander mit Animosität und Mißtrauen gegenüber. Aufgrund eines eingeholten Sachverständigengutachtens gingen beide Vorinstanzen im wesentlichen davon aus, daß beide Elternteile geeignet sind, dem Kind eine ordnungsgemäße Erziehung zuteil werden zu lassen. Das Erstgericht vertrat allerdings die Rechtsansicht, für das Wohl der Kinder sei es erforderlich, daß beide miteinander aufwachsen. Da eine Betreuung der minderjährigen Dina im Hinblick auf ihr Alter ordnungsgemäß nur durch die Mutter erfolgen könne, müsse auch das zweite Kind zur Mutter kommen.

Das Rekursgericht vertrat die Rechtsansicht, der Grundsatz, nach Möglichkeit sollten Kinder einer Familie miteinander aufwachsen, sei keine absolute Regel. Maßgebend sei immer das Wohl des Kindes. Aus dem Sachverständigengutachten ergebe sich, daß beide Elternteile gleich gut zur Betreuung des Kindes geeignet wären. Der Umstand, daß der Vater Laila eigenmächtig zu sich genommen habe, werde durch die Tatsache aufgewogen, daß die Mutter ihrerseits die Ehegemeinschaft mit den Kindern verlassen habe. Laila habe eine wesentlich stärkere Bindung an den Vater und sei stark durch dessen Erziehung im Islam geprägt. Aus diesem Grunde habe sie bereits die Verabreichung von Schweinefleisch an ihre Schwester kritisiert. Sie wolle beim Vater bleiben. Bei dieser Situation entspreche es ihrem Wohl, daß die Rechte des § 144 ABGB an den Vater übertragen werden. Mit Beschluß vom 20.Mai 1988, 2 P 149/86-64, hat das Erstgericht den Antrag des Vaters, der Mutter zu verbieten, die mj. Dina taufen zu lassen und dieser aufzutragen, schon jetzt die Erziehung des Kindes nach islamischem Ritus vorzubereiten, abgewiesen. Den dagegen vom Vater erhobenen Rekurs hat das Rekursgericht zurückgewiesen.

Rechtliche Beurteilung

Sowohl der von der Mutter gegen den erstgenannten Beschluß als auch der vom Vater gegen den zweiten Beschluß erhobene Rekurs sind nicht berechtigt.

1. Zum Revisionsrekurs der Mutter:

Auf die Ausführungen des Revisionsrekurses zur Frage, inwieweit das Vorgehen der beiden Elternteile im Hinblick auf Verbringung der Kinder rechtmäßig war oder nicht, muß nicht weiter eingegangen werden, weil bei einer Entscheidung im Sinne des § 178 ABGB ausschließlich auf das Wohl der Kinder abzustellen ist, weshalb es nicht wesentlich darauf ankommt, auf welche Weise das Kind auf den derzeitigen Pflegeplatz kam (EvBl. 1974/38, ÖAmtsvormund 1985, 142 ua). Demnach muß auch ein rechtsmißbräuchliches Ansichbringen eines Kindes nicht grundsätzlich dazu führen, daß dem anderen Elternteil die Rechte des § 144 ABGB zuerkannt werden (7 Ob 619/87, 6 Ob 507/88).

Bei der Entscheidung über die erstmalige Zuweisung eines Kindes an einen Elternteil müssen vom Gericht die Umstände bei dem einen Elternteil jenem beim andern Elternteil in ihrer Gesamtheit gegenüber gestellt werden. Sicherlich ist im allgemeinen das gemeinsame Aufwachsen von Geschwistern im selben Haushalt von großem Wert für die Entwicklung der Kinder, doch entscheiden hier die Umstände des Einzelfalles. Maßgebend ist immer das Wohl des Kindes. Es können auch wichtige Umstände eine Trennung von Geschwistern rechtfertigen, dies insbesondere dann, wenn zufolge der Einstellung der Kinder zu den einzelnen Elternteilen ein wesentlicher nachteiliger Einfluß auf ihre psychische Entwicklung durch getrennte Zuweisung nicht zu gewärtigen ist (EFSlg. 33.630, 6 Ob 537/84 ua). Im vorliegenden Fall steht fest, daß grundsätzlich beide Elternteile in ungefähr gleichem Ausmaß geeignet wären, die mj. Laila ordnungsgemäß zu erziehen. Die gegenteiligen Ausführungen des Revisionsrekurses entbehren jeglicher aktenmäßiger Grundlage. Fest steht ferner, daß Laila eine wesentlich stärkere Beziehung zu ihrem Vater hat, was sicherlich auch durch dessen religiöse Erziehung verstärkt worden ist. Daß aber der Vater ein Kind in seiner Religion erzieht, noch dazu, wenn dies auf eine ursprüngliche Vereinbarung mit der Mutter zurückgeht, kann nicht als eine rechtswidrige oder dem Wohl des Kindes entgegenstehende Verhaltensweise gewertet werden, insbesondere dann nicht, wenn es sich hiebei um eine Religion handelt, von der keineswegs gesagt werden kann, daß sie grundsätzlich mit den in dem Rechtskreis, in dem das Kind aufwächst, herrschenden Grundsätzen unvereinbar ist. Nach den getroffenen Feststellungen hat sich Laila die Erziehungsgrundsätze ihres Vaters schon derart angeeignet, daß ein Wechsel des Erziehungsplatzes und die damit notwendig verbundene Änderung der Erziehungsgrundsätze für sie mit schweren psychischen Belastungen verbunden wären. Dem Rekursgericht muß zugebilligt werden, daß bei dieser Sachlage die im Falle eines Wechsels des Pflegeplatzes für die Minderjährige zu erwartenden Nachteile jene Vorteile überwiegen würden, die im allgemeinen mit der gemeinsamen Erziehung mit einem Geschwisterteil verbunden sind. Das Rekursgericht hat die Ausführungen des Sachverständigen nicht außer Betracht gelassen. Auch aus dem Sachverständigengutachten ergibt sich die grundsächliche Eignung des Vaters zur Erziehung der Minderjährigen. Der Sachverständige kommt zu seiner Schlußfolgerung lediglich mit der Begründung, im allgemeinen sei eine gemeinsame Erziehung von Kindern derselben Ehe wünschenswert. Wie bereits dargelegt wurde, können besondere Umstände zu einem anderen Ergebnis führen. Solche besondere Umstände sind hier gegeben. Die besonders enge Beziehung der Minderjährigen zu ihrem Vater ist nicht eine bloß oberflächliche, wie sie sich häufig aus dem Zusammensein mit einem Erwachsenen ergibt, sondern beruht auch auf jenen geistigen Grundsätzen, die der Minderjährigen vom Vater vermittelt worden sind, die aber der Lebenseinstellung der Mutter widersprechen. Aus diesem Grunde muß im Falle des Wechsels eines Pflegeplatzes nicht nur der mit einem solchen Wechsel gewöhnlich auftretende Schock erwartet werden, sondern zusätzlich eine größere Verstörung, die dadurch bewirkt wird, daß nicht nur der Pflegeplatz, sondern die gesamte Lebenseinstellung schlagartig geändert wird.

Daß der Vater die Minderjährige außergewöhnlich gegen die Mutter beeinflußt, kann der Aktenlage nicht entnommen werden. Selbstverständlich übertragen sich Spannungen zwischen den Eltern indirekt immer auf die Kinder, doch wäre dies auch dann der Fall, wenn das Kind bei der Mutter aufwachsen würde. Der Vater wird es allerdings zu vermeiden haben, diese naturgemäßen Spannungen durch sein Verhalten besonders zu verschärfen. Ein derartiges Verhalten könnte dem Wohl des Kindes gröblich widersprechen.

Aus den aufgezeigten Gründen billigt der Oberste Gerichtshof die Entscheidung des Rekursgerichtes.

2. Zum Revisionsrekurs des Vaters:

Durch die Entscheidung nach § 178 ABGB werden einem Elternteil sämtliche Rechte des § 144 ABGB übertragen. Das sich aus § 154 Abs. 2 ABGB ergebende Zustimmungsrecht des andern Elterteiles wird durch diese Entscheidung in ein bloßes Recht auf Information umgewandelt, wobei selbst die Verletzung dieses Rechtes sanktionslos bleibt (SZ 53/157). Schon aus diesem Grunde muß hier nicht näher untersucht werden, ob der Vater von der geplanten religiösen Erziehung der mj. Dina verständigt worden ist oder nicht. Tatsächlich hat er sich hiezu geäußert, so daß er über die diesbezügliche Absicht der Mutter informiert war. Dies kommt aber im Ergebnis einer Verständigung gleich.

Durch § 178 ABGB soll erreicht werden, daß in Hinkunft dem Wohl des Kindes abträgliche Streitigkeiten zwischen den Eltern über bestimmte Maßnahmen, die zum Zwecke der Erziehung des Kindes getroffen werden müssen, vermieden werden. Dies ist aber nur möglich, wenn nunmehr ausschließlich ein Elternteil diese Maßnahmen treffen kann. Demnach bedürfen Maßnahmen jenes Elternteiles, dem das Alleinvertretungsrecht zuerkannt worden ist, weder der Genehmigung noch der Zustimmung des anderen Elternteiles (vgl. EFSlg. 31.400). Der andere Elternteil hat nur die Möglichkeit, das Gericht unter den Voraussetzungen des § 176 ABGB anzurufen (SZ 53/157 ua). Diese Anrufung des Gerichtes steht ihm aber nur wie "wem immer" im Sinne des § 176 ABGB offen, ohne daß sich daraus besondere Parteirechte ergeben würden. Das Anrufungsrecht begründet also weder eine Parteistellung noch eine Rechtsmittellegitimation (Pichler in Rummel Rz 5 zu § 178 und Rz 3 zu § 176, Schwind in Ehrenzweig3 Familienrecht, 175).

Daraus ergibt sich, daß der Vater im vorliegenden Fall zwar berechtigt war, Anregungen betreffend die religiöse Erziehung der bei der Mutter verbliebenen Tochter zu machen, daß über diese Anregungen jedoch, mangels Parteistellung des Vaters, keine formelle Beschlußfassung zu erfolgen hatte. Das führt aber im Ergebnis dazu, daß dem Vater ein Rechtsmittel gegen einen Beschluß, mit dem überflüssigerweise seine Anregung abgewiesen worden ist, nicht zusteht. Im Ergebnis war daher die Zurückweisung des Rekurses des Vaters durch das Rekursgericht gerechtfertigt.

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