OGH 6Ob507/88

OGH6Ob507/8811.2.1988

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Samsegger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Schobel, Dr.Melber, Dr.Redl und Dr.Kellner als Richter in der Pflegschaftssache des mj. Kindes Christoph S***, geboren am 22.Dezember 1985, nunmehr im Haushalt seiner Mutter, Wien 3.,Hegergasse 28/19, wegen Änderung einer Sorgerechtsregelung, infolge Revisionsrekurses des Vaters Peter Heinz S***, Gemeindebediensteter,

Wien 5., Ziegelofengasse 35/2/3, vertreten durch Dr.Helmut Payrits, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgerichtes vom 16.November 1987, GZ. 43 R 692/87-72, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 29.September 1987, GZ. 8 P 97/86-66, in seiner Sorgerechtsentscheidung abgeändert und im übrigen ersatzlos aufgehoben wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird, soweit er gegen den abändernden Teil der angefochtenen Entscheidung gerichtet ist, nicht stattgegeben. Im übrigen wird er zurückgewiesen.

Text

Begründung

Der pflegebefohlene Knabe kam am 22.Dezember 1985 als eheliches Kind zur Welt. Die Eltern hatten im Mai 1985 geheiratet, leben aber seit 21.Oktober 1986 voneinander getrennt. Ein Scheidungsverfahren ist anhängig, ungeachtet des am 26.November 1986 in diesem Rechtsstreit eingetretenen Ruhens des Verfahrens bestehen die Spannungen zwischen den Eheleuten aufrecht.

Der nunmehr 29 Jahre alte Vater arbeitet als Gemeindebediensteter bei der Magistratsabteilung 39. Er lebt seit seinem endgültigen Verlassen der Ehewohnung im Oktober 1986 in der Wohnung seiner Eltern im 5.Wiener Gemeindebezirk. Die nunmehr 22 1/2 Jahre alte Mutter ist Kindergärtnerin. Sie bewohnt die aus zwei Zimmern und Kabinett bestehende Ehewohnung im einem Althaus im

3. Wiener Gemeindebezirk.

Der Vater hatte im Oktober 1986 das damals 10 Monate alte Kind ohne vorherige Absprache mit seiner Ehefrau mit sich in die Wohnung der väterlichen Großeltern genommen und es auch nach rechtskräftiger Zuweisung der Elternrechte zur alleinigen Ausübung an die Mutter dieser nicht überlassen. Er brachte das Kind ab Juli 1987 tagsüber regelmäßig in einen Privatkindergarten. Von dort nahm die Mutter den Knaben ohne vorherige Absprache mit dem Vater am 11.November 1987 zu sich. Seither befindet sich das Kind in ihrem Haushalt. Die beiden Elternteile hatten einander entgegengesetzte Sorgerechtsanträge gestellt. Das Pflegschaftsgericht hatte unter gleichzeitiger Abweisung des vom Vater gestellten Antrages die elterlichen Rechte und Pflichten in Ansehung des Kindes der Mutter zur alleinigen Ausübung zugewiesen. Das Rekursgericht hat diese Sorgerechtsregelung bestätigt. Der Oberste Gerichtshof hat den dagegen erhobenen Revisionsrekurs des Vaters mit Beschluß vom 5. März 1987 zurückgewiesen (im übrigen genügt ein Hinweis auf die Sachverhaltsdarstellung in der erwähnten, zu 6 Ob 534/87 ergangenen Entscheidung = ON 54).

Zwei Tage nach Zustellung des zuletzt erwähnten Zurückweisungsbeschlusses langte beim Pflegschaftsgericht der Antrag des Vaters ein, der Mutter die Ausübung der elterlichen Rechte wieder zu entziehen und diese ihm zu übertragen. Diesen Antrag auf Abänderung der Sorgerechtsentscheidung begründete der Vater im wesentlichen mit dem Vorbringen, ein Pflegeplatzwechsel des Kindes in seiner Entwicklungsstufe zwischen Säugling und Kleinkind aus der monatelangen faktischen Alleinbetreuung durch den im Haushalt seiner Eltern lebenden Vater in den Haushalt der Mutter würde für das Kind ein nicht zu verantwortendes Schockerlebnis bedeuten, zumal sich der Vater als Betreuungsperson in jeder Hinsicht bestens bewährt habe, der Mutter dagegen von ihrer behandelnden Ärztin die Neigung zu Kreislaufschwankungen bei psychologischer Belastung zufolge extrem niederen Blutdruckes attestiert worden sei und die charakterliche Eignung der Mutter als Pflegeperson im Hinblick auf ein gegen sie anhängiges Strafverfahren wegen Verdachtes des Vergehens der Verleumdung im Zusammenhang mit Beschuldigungen ihres Ehemannes wegen einer ihr angeblich zugefügten Körperverletzung in Frage gestellt werden müsse.

Die Mutter beantragte ihrerseits die zwangsweise Übergabe des Kindes aus der väterlichen Obhut in ihre Betreuung sowie eine zwischenweilige Besuchsrechtsregelung.

Das Pflegschaftsgericht holte einen Bericht samt gutächtlicher Äußerung der Wiener Jugendgerichtshilfe ein. Danach wurde zwar die unverändert starke Spannung zwischen den Elternteilen, die auch die Ausübung des Besuchsrechtes erheblich belastete, bestätigt, aber weder ein Verdacht gegen die Eignung der Mutter als Betreuungs- und Erziehungsperson ihres Kindes noch der Verdacht einer etwa bereits eingetretenen völligen Entfremdung zwischen Mutter und Kind ausgeführt. Die gutächtliche Empfehlung lautete wegen einer (allgemein) bei einem Kind im betreffenden Alter zu befürchtenden psychischen Destabilisation "im Falle einer plötzlichen Entfernung aus dem ihm vertrauten Bezugssystem" auf Belassung des Kindes beim Vater.

Daraufhin beschloß des Pflegschaftsgericht ohne weitere Erhebungen in Abänderung seiner Sorgerechtsregelung vom 3. Dezember 1986, die alleinige Ausübung der elterlichen Rechte in Ansehung des Kindes von der Mutter auf den Vater zu übertragen (Punkt 2), den Antrag der Mutter auf zwangsweise Übergabe des Kindes in ihre Obhut abzuweisen (Punkt 1) und sich die Entscheidung über die Besuchsregelung einer späteren Beschlußfassung vorzubehalten (Punkt 3).

Das Rekursgericht änderte die Sorgerechtsentscheidung im Sinne einer Abweisung des vom Vater gestellten Änderungsantrages ab und hob die beiden weiteren Punkte des angefochtenen Beschlusses als gegenstandslos ersatzlos auf.

Der Vater ficht den Beschluß des Rekursgerichtes wegen Verfahrensmängeln und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit einem auf Wiederherstellung der Entscheidung erster Instanz gerichteten Abänderungsantrag und einem hilfsweise gestellten Aufhebungsantrag an.

Rechtliche Beurteilung

In Ansehung des Sorgerechtes ist der Revisionsrekurs nicht berechtigt.

Das Rekursgericht hat seiner Entscheidung zur rechtlichen Charakterisierung des vom Vater gestellten Antrages zur Recht als Grundlage vorangestellt, daß eine in Rechtskraft erwachsene gerichtliche Sorgerechtsentscheidung vorliege.

Das Rekursgericht hat daraus zutreffend gefolgert, eine Abänderung einer solchen Sorgerechtsregelung sei grundsätzlich daran geknüpft, daß der Tatbestand des § 176 Abs.1 ABGB erfüllt wäre oder die Aufrechterhaltung der beschlossenen Sorgerechtsregelung aus sonstigen Gründen das Wohl des Kindes gefährden würde. Nach den aufgrund der Erhebungen der Wiener Jugendgerichtshilfe festgestellten Umständen hat dies das Rekursgericht zutreffend verneint. Zu den von einem Pflegeplatzwechsel zu erwartenden Auswirkungen, deretwegen die Wiener Jugendgerichtshilfe eine Belassung des Kindes bei seinem Vater empfohlen hatte, bestehen nach der Aktenlage nur die aufgrund allgemeiner Erfahrung beruhenden Bedenken, aber keine Anhaltspunkte für eine nach den konkreten Anlagen des Kindes und den Lebensverhältnissen in den beiden in Betracht zu ziehenden Haushalten zu besorgende gesteigerte negative Auswirkung auf das Kind.

Das Rekursgericht hat das Antragsvorbringen auf seine Erheblichkeit geprüft und diese verneint. Soweit das Vorbringen und der eingeholte Erhebungsbericht nicht Anlaß zu amtswegigen Erhebungen über bestimmte Tatumstände erforderte, aus denen die Vollziehung der rechtskräftig beschlossenen Sorgerechtsentscheidung als bedenklich für das Wohl des Kindes erscheinen mußten, ist kein Mangel in der Sachverhaltsermittlung zu erkennen. Auch die gerügten Begründungsmängel haften der angefochtenen Rekursentscheidung nicht an, weil dieser in nachvollziehbarer Weise die Erwägungen entnommen werden können, aus denen das Gericht zweiter Instanz das Antragsvorbringen des Vaters als unerheblich wertete. Auch die Rüge dieser Wertung als eine unrichtige rechtliche Beurteilung ist nicht stichhältig:

Jeder Pflegeplatzwechsel stellt das betroffene Kind vor Umstellungs- und Anpassungsaufgaben. Die nach allgemeiner Erfahrung dabei zu erwartenden vorübergehenden Schwierigkeiten sind zur Herstellung der als insgesamt günstigste Lösung der Kinderbetreuung erkannten und beschlossenen Betreuungsverhältnisse in Kauf zu nehmen. Die charakterliche Eignung der Mutter zur Betreuung und Erziehung ihres nun zwei Jahre alten Sohnes erscheint gegenüber dem der Sorgerechtsentscheidung vom 3.Dezember 1986 zugrundegelegten Zustandsbild auch bei Unterstellung sämtlicher diesbezüglicher Behauptungen des Vaters nicht beeinträchtigt. Das überaus gespannte Verhältnis zwischen den Elternteilen war bekannt und besteht unverändert weiter. Die darauf beruhenden wechselseitigen Anschuldigungen, vornehmlich im Zusammenhang mit der Besuchsausübung durch die Mutter in der Wohnung ihrer Schwiegereltern, sind aktenkundig. Die Einleitung eines Strafverfahrens gegen die Mutter wegen des Verdachtes der Verleumdung des Vaters im Zusammenhalt mit den angeblichen Vorfällen bei der Besuchsausübung ändert an den Grundlagen für die Beurteilung nichts, ob von der Mutter eine gedeihliche Förderung nicht nur der körperlichen und geistigen, sondern auch der gefühlsmäßigen und sittlichen Entwicklung des Kindes erwartet werden könne. Gleiches gilt auch für die ohne vorherige Absprache mit dem Vater erfolgte Mitsichnahme des Kindes von seinem Kindergartenplatz durch die Mutter, die Monate nach der Zustellung der letztinstanzlichen Entscheidung im vorangegangenen Sorgerechtsverfahren vergeblich darauf gewartet hatte, daß der Vater ihr in Entsprechung der gerichtlichen Regelung das Kind zur Betreuung übergeben werde oder daß dies mit Hilfe des Gerichtes durchgesetzt würde.

Die vom Vater geltend gemachte Anfälligkeit der Mutter zu Kreislaufschwankungen haben nach der Aktenlage ihren beruflichen Einsatz als Kindergärtnerin bisher nicht gehindert. Der niedere Blutdruck der Mutter und die darauf beruhende Neigung zu Kreislaufschwankungen läßt die Mutter, solange sie imstande zu sein scheint, die sich daraus zu besorgenden Auffälligkeiten zu beherrschen, nicht als ungeeignet zur Betreuung und Erziehung ihres eigenen Sohnes erscheinen.

In der nach dem Antrag des Vaters abzuändernden Sorgerechtsentscheidung kann keinerlei Kritik oder Abwertung der bis dahin vom Vater tatsächlich ausgübten Betreuung des Kindes gesehen werden. Auch wenn sich der Vater weiterhin als Erziehungsperson bewährt hat, vermag das nichts an der Beurteilung zu ändern, daß die auf lange Sicht als günstiger für das Kind angenommene Betreuung durch die Mutter der Betreuung durch den Vater vorzuziehen ist. Die Anfechtung der in Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung beschlossenen Abweisung des vom Vater gestellten Antrages auf Änderung der Sorgerechtsregelung ist nicht berechtigt. Insoweit ist dem Revisionsrekurs ein Erfolg zu versagen. Im übrigen fehlt dem Revisionsrekurswerber zur Anfechtung der Rekursentscheidung die Beschwer:

Das Erstgericht hatte den Antrag der Mutter auf zwangsweise Kindesabnahme im Hinblick auf die Änderung der Sorgerechtsregelung abgewiesen. Das Rekursgericht hat - offensichtlich in Kenntnis des Aktenvermerkes vom 12.November 1987 über eine fernmündliche Mitteilung des vom Vater betrauten Parteienvertreters über eine Entführung des Kindes durch die Mutter - die Kindesabnahme als gegenstandslos angesehen und den diesbezüglichen erstinstanzlichen Ausspruch über die Abweisung des Antrages ersatzlos aufgehoben. Das Rekursgericht hat damit ausgesprochen, daß über den Antrag der Mutter nicht mehr zu entscheiden sei. Dem Vater mag im allgemeinen ein verfahrensrechtlicher Anspruch darauf zugestanden werden, daß über einen gegen ihn eingebrachten Vollstreckungsantrag sachlich entschieden werde, aus einer Art Einstellung des Vollstreckungsverfahrens wegen zwischenweiliger außergerichtlicher Herstellung der durch die Vollstreckung zu bewirkenden Verhältnisse erwächst dem Vater aber keine Beschwer.

Ebenso gebricht es an dieser Rechtsmittelvoraussetzung, soweit das Pflegschaftsgericht sich die Entscheidung über eine beantragte Regelung der Besuchsausübung einer späteren Beschlußfassung vorbehalten hat und das Rekursgericht wegen Zuweisung der Elternrechte an die Antragstellerin den Ausspruch über den Vorbehalt der Entscheidung als gegenstandslos aufgehoben hat. Der erstinstanzlichen Entscheidung kann nämlich nicht die Bedeutung eines Innehaltens (einer Unterbrechung) beigelegt werden. In den letzterwähnten beiden Punkten war der Revisionsrekurs mangels Beschwer zurückzuweisen.

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