OGH 7Ob577/88

OGH7Ob577/8830.6.1988

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz, Dr. Warta, Dr. Egermann und Dr. Niederreiter als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Rosi G***, kfm. Angestellte, Neumarkt, Schopperstraße 8, BRD, vertreten durch Dr. Karl Heinz Klee, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagten Parteien 1.) Ö*** G*** Gesellschaft mbH & Co KG, Sölden, 2.) Ö*** G*** Gesellschaft mbH, ebendort, beide vertreten durch Dr. Herbert Hillebrand und Dr. Walter Heel, Rechtsanwälte in Innsbruck, wegen S 526.407,92 s.A., Zahlung einer Rente (Streitwert S 189.000,--) und Feststellung (Gesamtstreitwert S 815.407,92, Revisionsstreitwert S 312.082,13) infolge Revision der beklagten Parteien gegen das Teilzwischenurteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 12. Jänner 1988, GZ 1 R 281/87-46, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Zwischenurteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 20. Mai 1987, GZ 18 Cg 533/85-39 teilweise bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Im Umfang des Ausspruches des Zurechtbestehens des Anspruches der Klägerin auf Zahlung eines Schmerzengeldes und auf Ersatz des Kleiderschadens (Punkt 4 lit a der Klage) wird das angefochtene Urteil als Zwischenurteil bestätigt.

Im übrigen wird das angefochtene Urteil aufgehoben und die Rechtssache auch im Umfang dieser Aufhebung an das Prozeßgericht erster Instanz zur neuerlichen Entscheidung zurückverwiesen. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens bleibt der Endentscheidung vorbehalten.

Text

Entscheidungsgründe:

Die beklagten Parteien betreiben das Gletscherschigebiet Rettenbachferner, zu dem auch der Seiter-Jöchl-Schlepplift gehört. Am 15. September 1987 benützte die Klägerin, die im Besitz eines gültigen Schipasses war, den Seiter-Jöchl-Schlepplift und fuhr von der Bergstation auf der markierten Schipiste zur Talstation ab. Kurz oberhalb der Talstation kam sie zu Sturz, rutschte unter einem am linken Pistenrand errichteten Begrenzungsnetz durch und in eine 2 m vom Pistenrand entfernte Gletscherspalte, wodurch sie erheblich verletzt wurde. Die Klägerin begehrt Schadenersatz und die Feststellung der Ersatzpflicht der beklagten Parteien für ihre künftigen Schäden aus diesem Unfall.

Das Erstgericht erkannte nach Einschränkung des Verfahrens auf den Grund des Anspruches mit Zwischenurteil, daß das Klagebegehren dem Grunde nach zu Recht besteht. Nach seinen Feststellungen reichte das am nördlichen (linken) Pistenrand von den beklagten Parteien errichtete Begrenzungsnetz von der Talstation des Seiter-Jöchl-Liftes bis ca. 150 m oberhalb der Unfallstelle. Danach anschließend waren im Abstand von ca. 15 m auf Aluminiumstangen montierte kugelförmige Pistenrandmarkierungen vorhanden, die zur Piste hin gelb, zum Gletscherabfall hin rot gefärbt waren. In diesem Bereich befand sich auch eine 50 x 30 cm große Metalltafel mit der Aufschrift "Achtung Gletscherspalten". Eine gleichlautende Tafel befand sich weiter oberhalb. Das Begrenzungsnetz war auf 3 m hohen, im Abstand von ca. 3,40 m in den Gletscher getriebenen Holzstangen montiert. Das Netz mit Maschenfeldern von 10 x 10 cm war 1,90 m hoch und an der Ober- und Unterkante durch ein 10 bis 12 mm starkes Spannseil begrenzt. Im Unfallsbereich war das Begrenzungsnetz 40 bis 70 cm über der Schneedecke gespannt. Im Unfallszeitpunkt herrschte zwar gute Sicht, doch war es aus dem Bereich oberhalb des Endes des Begrenzungsnetzes und aus dem Bereich der Warntafeln nicht möglich, den an die Piste angrenzenden, steil abfallenden Gletscherbereich einzusehen. Im Bereich der Unfallstelle begann der Steilabbruch bereits ca. 2 m hinter dem Begrenzungsnetz. Der südliche Bereich der Piste zur Talstation des Seiter-Jöchl-Liftes war infolge verminderter Schneelage stark vereist und kaum befahrbar. Es blieb daher nur ein 3 bis 4 m breiter Pistenstreifen mit Sulzschnee, der von den Schiläufern bevorzugt wurde.

Die Klägerin, die eine gute Schiläuferin ist, war am Unfallstag bereits einige Male die Piste abgefahren. Bei der Abfahrt gegen 11,40 Uhr verkantete sie sich ca. 40 m vor der Talstation und kam zu Sturz. Sie war zwar zügig, jedoch ihrem Können angepaßt gefahren. Sie rutschte nach dem Sturz hangabwärts in Richtung des Begrenzungsnetzes, rutschte unter diesem hindurch und in die 7 bis 8 m tiefe Gletscherspalte. Die Piste hatte oberhalb der Sturzstelle eine Neigung von 25 bis 35 % bzw. 14 bis 19 Grad.

Nach der Rechtsansicht des Erstgerichtes haben die beklagten Parteien ihre Pflicht zur Pistensicherung schuldhaft verletzt. Bei der nur 2 m neben dem Pistenrand befindlichen, 7 bis 8 m tiefen Gletscherspalte habe es sich um eine ungewÄhnliche Gefahrenquelle gehandelt. UngewÄhnliche Gefahrenquellen in diesem Nahbereich des Pistenrandes seien von der Pistensicherungspflicht mitumfaßt. Auf die Erkennbarkeit der Gefahrenquelle komme es hiebei nicht an, sondern nur auf deren objektive Gefährlichkeit. Ein Begrenzungsnetz mit einem Freiraum von 40 bis 70 cm zur Schneedecke sei unzureichend, weil immer auch mit einem Sturz eines Schiläufers gerechnet werden müsse. Eine durchgehende Sicherung sei den beklagten Parteien auch zumutbar gewesen. Das Erstgericht verneinte ein Mitverschulden der Klägerin. Das Verkanten könne einen Schuldvorwurf nicht rechtfertigen.

Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil im Umfang der Teilansprüche gemäß den Punkten 3 (ausgenommen die Verunstaltungsentschädigung), 4 lit a bis e und 5 der Klage als Teilzwischenurteil, hob im übrigen das Ersturteil ohne Rechtskraftvorbehalt auf und wies im Umfang der Aufhebung die Rechtssache zur Verfahrensergänzung und neuen Entscheidung an das Erstgericht zurück. Das Berufungsgericht sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes, über den es entschieden hat, S 300.000,-- übersteigt. Es verneinte das Vorliegen von Verfahrensmängeln, übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes und teilte auch dessen Rechtsansicht. Hinsichtlich der von der Aufhebung betroffenen Teilansprüche erachtete das Berufungsgericht die Voraussetzungen für ein Zwischenurteil als nicht gegeben.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen das Zwischenurteil des Berufungsgerichtes erhobene Revision der beklagten Parteien ist im Ergebnis nur zum Teil berechtigt.

Der behauptete Verfahrensmangel liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO). Nach der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes reicht die Verpflichtung zur Pistensicherung insofern auch über den Bereich der gewidmeten oder markierten Piste, den Pistenrand, hinaus, als knapp neben dem Pistenrand befindliche Hindernisse entfernt oder Gefahrenstellen entsprechend abgesichert werden müssen (ZVR 1984/141; ZVR 1982/268; 6 Ob 638/87; vgl. auch die von König, Pistensicherung jenseits des Pistenrandes in ZVR 1986 3 f. gegebene Judikaturübersicht). Es handelte sich jeweils um Hindernisse oder Gefahrenquellen mittelbar am Pistenrand oder in einer Entfernung bis etwa 1 m (ZVR 1984/141; 8 Ob 574/84: 1 m vom Pistenrand entfernter Doppelmast; 7 Ob 649/79: Drahtseil am Pistenrand; 7 Ob 590/79:

Kanteisen im Abstand von ca. 0,5 m vom Pistenrand). Hindernisse oder Gefahrenquellen in einer Entfernung von rund 5 m vom Pistenrand wurden dagegen nicht mehr als von der Sicherungspflicht umfaßt angesehen (2 Ob 37/87; 2 Ob 586/84). Der Rechtsprechung liegt die Erwägung zugrunde, es müsse damit gerechnet werden, daß Schifahrer bei einem Sturz über den Pistenrand hinausgeraten können. Dagegen wurde im Schrifttum zum Teil die Auffassung vertreten, daß die Sicherungspflicht am Pistenrand ende. Der Schifahrer müsse sein Verhalten und seinen Sicherheitsabstand zum Pistenrand so einrichten, daß er selbst bei einem Sturz nicht über den Pistenrand hinausgeraten könne (König aaO und in ZVR 1982, 289; Berghold, Schwere und tödliche Schiunfälle in ZVR 1985, 361). In Ausnahmefällen anerkennt aber auch König (ZVR 1986, 6) eine pistenrandüberschreitende Sicherungspflicht. Pichler-Holzer (Handbuch 30 f) billigen die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes und weisen darauf hin, daß auch im Forumgespräch 1983 über Fragen der Pistensicherung die Auffassung, der Pistenrand markiere die Grenze der Pistensicherungspflicht, relativiert worden sei und danach unerkennbare Hindernisse in einer Breite von einem halben bis einem Meter neben dem Pistenrand zu sichern seien. Sie selbst erachten eine Breite von etwa 2 m als notwendigen und ausreichenden Sicherungsbereich (vgl. zur Sicherungspflicht der Randzone auch Padrutt, Grenzen der Sicherungspflicht für Schipisten in SchwZStrR 1986 398 f mwN und BGH, NJW 1985, 620). Beim Forumgespräch 1984 (Dietrich-Reindl in ZVR 1984 321 f) wurde zwar betont, daß dem Pistenbenützer grundsätzlich die Vermeidung einer Überschreitung des Pistenrandes vor allem durch Beachtung eines entsprechenden Sicherheitsabstandes möglich und zumutbar ist. Es wurde jedoch auch zutreffend hervorgehoben, daß der Pistenrand nicht als Linie im mathematischen Sinn, sondern als Bereich - von etwa einer Schilänge - zu verstehen ist, der grundsätzlich noch zur Piste gehört und wie diese zu sichern ist. Erst außerhalb dieses Bereiches liegende Gefahrenstellen haben grundsätzlich kein Gewicht. Die Lehrmeinungen tendieren somit überwiegend zur Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes. Es ist daher insbesondere mit Rücksicht auf das vorhin dargelegte zutreffende Verständnis des Pistenrandes daran festzuhalten, daß atypische Gefahrenstellen im Bereich von etwa 2 m neben dem Pistenrand zu sichern sind (so zuletzt auch 6 Ob 638/87). Wie sich aus den Feststellungen der Vorinstanzen ergibt, fällt im vorliegenden Fall das Gelände im Unfallsbereich nach dem Begrenzungsnetz stark zu der dort nur ca. 2 m von der Pistenbegrenzung entfernten, 7 bis 8 m tiefen Gletscherspalte ab. Den Vorinstanzen ist darin beizupflichten, daß es sich hiebei um eine atypische Gefahrenquelle handelt, die noch im dem zu sichernden Randbereich liegt. Der Fall ist etwa dem vergleichbar, für den auch König (ZVR 1986, 6) eine Sicherungspflicht außerhalb des Pistenrandes ausnahmsweise bejaht. Dies wurde offensichtlich auch von den beklagten Parteien erkannt und ein Begrenzungsnetz errichtet. Ihre Auffassung, die Sicherungspflicht würde überspannt, wenn man eine Absicherung durch ein bis zur Schneedecke reichendes Netz verlangte, kann nicht geteilt werden. Für die Art und den Umfang der Pistensicherungspflicht ist das Gesamtverhältnis zwischen der Größe und der Wahrscheinlichkeit der atypischen Gefahr sowie ihre Abwendbarkeit einerseits durch das Gesamtverhalten eines verantwortungsbewußten Benützers der Piste und andererseits durch den Pistenhalter mit nach der Verkehrsanschauung adäquaten Mitteln maßgebend (Dietrich-Reindl, aaO 322). Selbst bei einem Schifahrer, der nicht den Pistenrand zur Abfahrt benützt, muß im Falle eines Sturzes damit gerechnet werden, daß er an den Pistenrand abrutscht. Da hier das an den Pistenrand anschließende Gelände stark zur Gletscherspalte hin abfällt, bildet diese selbst für einen umsichtigen Schifahrer eine beträchtliche Gefahrenquelle. Für sehr gefährliche Abbrüche im unmittelbaren Randbereich der Piste stellt ein Netz ein adäquates Sicherungsmittel dar (vgl. das Beispiel lit b in ZVR 1984, 323). Eine Leine oder ein Seil würde der Gefahrenlage ebensowenig gerecht wie ein Netz mit einem Freiraum von 40 bis 70 cm von der Schneedecke. Da sich der Abfall nur über eine Teilstrecke dem zu sichernden Randbereich näherte, kann auch nicht gesagt werden, daß die erforderlichen materiellen Aufwendungen objektiv unangemessen gewesen wären. Die Vorinstanzen haben daher zu Recht den beklagten Parteien die Verletzung ihrer Pistensicherungspflicht angelastet. Daß der Klägerin gegenüber die Sicherungspflicht aufgrund des abgeschlossenen Beförderungsvertrages gegeben war und die beklagten Parteien daher auch für leichte Fahrlässigkeit einzustehen haben, wird von der Revision ohnehin nicht mehr in Zweifel gezogen.

Wie schon das Berufungsgericht zutreffend dargelegt hat, darf ein Zwischenurteil erst dann gefällt werden, wenn das erhobene Begehren aus zumindest einem von mehreren vorgetragenen rechtserzeugenden Sachverhalten gerechtfertigt und keine einzige der dagegen erhobenen Einwendungen berechtigt ist. Werden in einer Klage mehrere Ansprüche gehäuft, wie das insbesondere bei Schadenersatzprozessen üblich ist, darf ein bejahendes Zwischenurteil über das ganze Klagebegehren nur ergehen, wenn jeder der einzelnen Teilansprüche zumindest mit einem Schilling tatsächlich zu bejahen ist (SZ 41/5; Fasching LB Rz 1429). Letzteres trifft hier jedoch nach den bisherigen Feststellungen und Außerstreitstellungen mit Sicherheit lediglich hinsichtlich des Anspruches der Klägerin auf Schmerzengeld und auf Ersatz ihres Sachschadens (Kleiderschadens, Punkt 4 lit a der Klage) zu. Die Klägerin hat ihre übrigen Teilansprüche näher aufgegliedert und die Beklagten haben dagegen unter anderem eingewendet, daß es sich zum Teil um nicht ersatzfähige Schäden Dritter handelt und die Aufwendungen der Klägerin von der Sozialversicherung getragen worden sind. Die nur im Hinblick auf die Einschränkung des Verfahrens auf den Grund des Anspruchs erfolgte Außerstreitstellung der beklagten Parteien (AS 175) kann nur im Zusammenhalt mit diesen Einwendungen verstanden werden, sodaß nicht schon die Berechtigung jedes einzelnen der näher bezeichneten Teilansprüche zumindest mit einem Schilling zu bejahen ist. Das Zwischenurteil hat sich daher auf jene Teilansprüche zu beschränken, hinsichtlich deren die obgenannten Voraussetzungen jedenfalls vorliegen.

Demgemäß ist der Revision teilweise Folge zu geben. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 393 Abs 4 und § 52 Abs 2 ZPO.

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