OGH 5Ob600/87

OGH5Ob600/874.12.1987

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Marold als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Griehsler, Dr.Jensik, Dr.Zehetner und Dr. Klinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G*** B*** UND S*** "K***"

reg. Genossenschaft mbH., Spandlgasse 22/1, 1220 Wien, vertreten durch Dr. Walther Leeb, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Regina R***, Angestellte, Spandlgasse 9, 1220 Wien, vertreten durch Dr. Wilhelm Frysak, Rechtsanwalt in Wien, wegen Räumung, infolge außerordentlicher Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgerichtes vom 26.August 1987, GZ 41 R 357/87-11, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Donaustadt vom 20.Mai 1987, GZ 7 C 1671/86v-6, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der außerordentlichen Revision wird Folge gegeben.

In Abänderung der Entscheidung der Vorinstanzen wird das Klagebegehren, die Beklagte zur Räumung des Hauses Spandlgasse 9 im

22. Wiener Gemeindebezirk zu verurteilen, abgewiesen und die Klägerin schuldig erkannt, der Beklagten binnen 14 Tagen die mit

S 8.633,28,-- (einschließlich S 732,48 Umsatzsteuer und S 576,-- Barauslagen) bestimmten Kosten des Verfahrens zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die klagende G*** B*** UND S*** ist

Eigentümerin des Hauses Spandlgasse 9 im 22. Wiener Gemeindebezirk. Am 8.5.1985 verstarb das Mitglied der klagenden Genossenschaft Anton S***, welchem die Nutzungsrechte an diesem Haus zustanden. Die nun beklagte Alleinerbin nach Anton S***, die in keiner zum Eintritt in den Nutzungsvertrag berechtigten Beziehung zum Verstorbenen stand, stellte bei der Klägerin fristgerecht den Antrag auf Aufnahme in die Genossenschaft und zog in das eingangs bezeichnete Haus der Klägerin ein. Über ihren Aufnahmeantrag hat die klagende Genossenschaft bisher nicht entschieden.

§ 9 der Satzung der Klägerin lautet:

"(1) Stirbt ein Mitglied vor dem 30.September, erlischt die Mitgliedschaft am Ende des laufenden, sonst am Ende des darauffolgenden Jahres. Bis zu diesem Zeitpunkt haben die Erben bei sonstigem Verlust der Mitgliedschaft des Erblassers bzw. der Verlassenschaft eine Person namhaft zu machen, welche an Stelle des Erblassers dessen Geschäftsanteil übernimmt und Mitglied wird. Dieser von den Erben bezeichnete Übernehmer tritt aufgrund einer schriftlichen abgegebenen Übernahmserklärung in die Rechte und Pflichten an dessen Stelle als Mitglied in die Genossenschaft ein, wenn der Vorstand ihn als Mitglied aufnimmt. Die gesetzliche Haftung des Nachlasses beziehungsweise der Erben wird jedoch hiedurch nicht berührt".

Die Tätigkeit der klagenden Genossenschaft ist nicht durch Satzungsbestimmung auf einen bestimmten Personenkreis nach § 8 Abs. 2 Z 1 oder 2 WGG beschränkt.

Die klagende Genossenschaft begehrte die Verurteilung der Beklagten zur Räumung des Hauses mit der Begründung, diese sei nicht Mitglied der Genossenschaft und deshalb auch nicht nutzungsberechtigt.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wendete ein, daß sie als Erbin und Gesamtrechtsnachfolgerin des verstorbenen nutzungsberechtigten Genossenschaftsmitglieds Anton S*** nunmehr nutzungsberechtigt sei.

Das Erstgericht gab dem Räumungsbegehren statt und das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung mit dem Ausspruch, daß der Wert des Streitgegenstandes S 60.000,--, nicht aber S 300.000,-- übersteige und die Revision nicht zulässig sei. Beide Vorinstanzen kamen zu dem Ergebnis, daß die Beklagte das Haus ohne Rechtstitel benütze.

Das Erstgericht führte dazu aus:

Aufgrund der Statuten der Klägerin sei die Mitgliedschaft des verstorbenen Nutzungsberechtigten mit Ende des Jahres 1985 erloschen. Da bisher nicht über den Aufnahmeantrag der Beklagten entschieden worden sei, sei sie auch nicht Mitglied der Klägerin geworden; deshalb stünden ihr auch keine Nutzungsrechte am Haus zu. Nach § 20 Abs. 2 WGG habe die Aufhebung der Mitgliedschaft die Auflösung des Nutzungsvertrages zur Folge, wenn der Grund der Aufhebung einem Kündigungsgrund nach § 30 MRG gleichzusetzen sei. Die Beklagte gehöre nicht dem Personenkreis des § 14 Abs. 3 MRG an, so daß dieser Kündigungsgrund anzunehmen sei.

Das Berufungsgericht argumentierte im wesentlichen folgendermaßen:

§ 20 Abs. 2 WGG sei durch das Inkrafttreten des MRG nicht berührt worden. Er bestimme, daß die Aufhebung der Mitgliedschaft zur Genossenschaft durch diese die Aufhebung des Nutzungsvertrages bewirke, wenn der Grund zur Aufhebung einem wichtigen Grund im Sinne des § 30 MRG gleichzuhalten sei. Nach dem AB (1230 Blg NR.14.GP 2 f) werde mit der Verwendung des Begriffes "Aufhebung" im Sinne der Terminologie des 25.Hauptstückes des ABGB, §§ 1118 und 1116 a 1.Satz deutlich gemacht, daß die Beendigung der Mitgliedschaft zur Genossenschaft wirksam den Nutzungsvertrag aufhebe, wenn wichtige Gründe von gleichem Gewicht wie jene des § 30 MRG vorlägen. Die Genossenschaft habe den Anspruch auf Räumung mit Räumungsklage wie in den Fällen des § 1118 ABGB geltend zu machen. Bestreite der Nutzungsberechtigte das Vorliegen eines wichtigen Grundes, stünden ihm die Rechtsbehelfe der Bestreitung der Räumungsklage oder der Feststellungsklage offen. Sei in der Satzung vorgesehen, daß nach dem Tode des Nutzungsberechtigten die Mitgliedschaft zu einem bestimmten Zeitpunkt erlischt, so habe die Wohnbaugenossenschaft das Recht, wegen titelloser Benützung der Wohnung durch die Verlassenschaft bzw. die Erben diese auf Räumung zu klagen. Dieser Klage könnten die Beklagten entgegensetzen, daß die von der Genossenschaft behaupteten wichtigen Gründe im Sinne des § 30 MRG nicht vorlägen. Aus § 20 WGG ergebe sich, daß Mitgliedschaft und Nutzungsbefugnis nicht immer in einem Akt aufgehoben werden müßten; es sei möglich, daß die Mitgliedschaft aufgehoben werde, der Nutzungsvertrag aber mangels Bestehens eines wichtigen Grundes weitergelte, ebenso aber auch, daß die Genossenschaft anstelle einer Aufhebung der Mitgliedschaft und Einbringung einer Räumungsklage mit Aufkündigung des Nutzungsvertrages vorgehe. Diese Möglichkeit bestehe aber nur, wenn die Aufkündigung des Nutzungsvertrages ohne gleichzeitige Aufhebung der Mitgliedschaft nicht durch Satzung oder Nutzungsvertrag ausgeschlossen sei. Hier sei durch die Satzung das Erlöschen der Mitgliedschaft, das der Aufhebung derselben im Sinne des § 20 Abs. 2 WGG gleichzusetzen sei, zum Ende des Jahres vorgesehen. Bezüglich des Nutzungsvertrages sei in der Satzung keine gesonderte Regelung getroffen, so daß § 20 Abs. 2 WGG anzuwenden sei. Da die Beklagte nicht dem in § 14 Abs. 3 MRG bezeichneten Personenkreis angehöre, sei sie nicht eintrittsberechtigt, so daß selbst ein allfälliges dringendes Wohnungsbedürfnis nicht beachtlich sei. Es sei deshalb das Erfordernis des Kündigungsgrundes nach § 30 Abs. 2 Z 5 MRG gegeben und der mit dem verstorbenen Erblasser bestehende Nutzungsvertrag gleichzeitig mit der Beendigung der Mitgliedschaft aufgelöst worden. Dem stehe nicht entgegen, daß bisher noch nicht über den Aufnahmeantrag der Beklagten von der klagenden Genossenschaft entschieden worden ist, denn die Beklagte sei in Ermangelung ihrer Aufnahme in die Genossenschaft weder in die Nutzungsrechte des Verstorbenen eingetreten noch habe sie eigene Nutzungsrechte an dem Haus erworben.

Diese Entscheidung des Berufungsgerichtes wird von der Beklagten mit außerordentlicher Revision angefochten. In erster Linie wird beantragt, daß in Abänderung der angefochtenen Entscheidung das Klagebegehren abgewiesen werde; hilfsweise wird begehrt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Die Klägerin begehrt in ihrer Rechtsmittelgegenschrift, das Rechtsmittel der Beklagten als unzulässig zu verwerfen oder ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die außerordentliche Revision ist wegen der über den Einzelfall hinausgehenden Bedeutung der noch darzustellenden entscheidenden Rechtsfrage zulässig und er ist auch berechtigt.

Die vom Berufungsgericht dargelegte und vom Obersten Gerichtshof bereits mehrfach ausgesprochene (7 Ob 535/82, unveröffentlicht; 1 Ob 764/83 = MietSlg. 35.697; 7 Ob 656/84, unveröffentlicht) Rechtsansicht, das Erlöschen der Mitgliedschaft infolge Todes eines nutzungsberechtigten Mitgliedes auf Grund einer Anordnung der Satzung sei einer Aufhebung der Mitgliedschaft im Sinne des § 20 Abs. 2 WGG gleichzuhalten, wird auch vom erkennenden 5.Senat des Obersten Gerichtshofes geteilt. Hier ist allerdings nach dem Inhalt des oben wiedergegebenen § 9 Abs. 1 der Satzung der klagenden Genossenschaft die mit der Endigung der Mitgliedschaft des verstorbenen Nutzungsberechtigten verbundene Auflösung des Nutzungsvertrages aus einem dem § 30 MRG gleichzuhaltenden Grunde noch in Schwebe, weil der dazu berufene Vorstand der klagenden Genossenschaft bisher über den Aufnahmeantrag und der damit verbundenen Erklärung der Beklagten, den Geschäftsanteil des verstorbenen Mitgliedes Anton S*** zu übernehmen, nicht entschieden hat. Einzig erkennbarer Sinn des zweiten und dritten Satzes des Abs. 1 des § 9 der Satzung der Klägerin kann es doch nur sein, den Erben nach einem verstorbenen nutzungsberechtigten Genossenschaftsmitglied, diesfalls also der Klägerin, die Möglichkeit zu eröffnen, in Verhandlungen mit der Genossenschaft die Mitgliedschaft an dieser zu erwerben und in den Nutzungsvertrag einzutreten, der sonst zum Erlöschen käme (so schon 1 Ob 764/83 = MietSlg. 35.697). Solange über diesen Antrag und der damit verbundenen Erklärung der Beklagten nicht entschieden ist, kann auch der Nutzungsvertrag noch nicht als aufgelöst angesehen werden. Dem Räumungsbegehren fehlt demnach - zumindest derzeit - die rechtliche Grundlage.

Aus diesem Grunde mußte in Stattgebung der außerordentlichen Revision der Beklagten die Entscheidung der Vorinstanzen derart abgeändert werden, daß das Räumungsbegehren der klagenden Genossenschaft abzuweisen war.

Der Kostenausspruch beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.

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