OGH 7Ob656/84

OGH7Ob656/8411.10.1984

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Petrasch, Dr. Wurz, Dr. Warta und Dr. Egermann als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G*****, reg.Gen.m.b.H., *****, vertreten durch Dr. Peter Kaupa, Rechtsanwalt in Baden, wider die beklagte Partei W***** S*****, vertreten durch Dr. Hilde Domberger, Rechtsanwalt in Mödling, wegen Räumung, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 25. April 1984, GZ 41 R 277/84‑23, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichts Mödling vom 12. Dezember 1983, GZ 4 C 313/82‑16, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1984:0070OB00656.840.1011.000

 

Spruch:

 

Der Revision wird Folge gegeben und das Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt.

Die Beklagte ist schuldig, der Klägerin die mit 3.214,30 ATS bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (darin 96 ATS Barauslagen und 283,50 ATS Umsatzsteuer) sowie die mit 1.552,96 ATS bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 240 ATS Barauslagen und 119,36 ATS Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

Die Beklagte war die Schwester und ist die Alleinerbin nach der am 18. 11. 1981 verstorbenen L***** S*****. L***** S***** war Mitglied der Klägerin und hatte als solches einen Nutzungsvertrag betreffend die Wohnung M*****, in einem der Klägerin gehörigen Haus. Dem Nutzungsvertrag lag die Satzung der Klägerin zugrunde, deren § 9 Abs 1 wie folgt lautet:

„Stirbt ein Mitglied vor dem 30. September, erlischt die Mitgliedschaft am Ende des laufenden, sonst am Ende des darauffolgenden Jahres. Bis zu diesem Zeitpunkt haben die Erben bei sonstigem Verlust der Mitgliedschaft des Erblassers bzw der Verlassenschaft eine Person namhaft zu machen, welche anstelle des Erblassers dessen Geschäftsanteil übernimmt und Mitglied wird. Dieser von den Erben bezeichnete Übernehmer tritt auf Grund einer schriftlich abgegebenen Übernahmserklärung in die Rechte und Pflichten des Erblassers an dessen Stelle als Mitglied in die Genossenschaft ein, wenn der Vorstand ihn als Mitglied aufnimmt ...“

Nach § 9 Abs 3 der Satzung gilt für die Auflösung des Nutzungsvertrags § 20 WGG.

Die Beklagte hat weder ständig mit der Verstorbenen im gemeinsamen Haushalt gelebt noch hat sie einen dringenden Bedarf an der Wohnung, weshalb die Klägerin ihrem Ansuchen auf Zuteilung der Wohnung und Aufnahme als Mitglied nicht entsprochen hat.

Während das Erstgericht der Räumungsklage betreffend die erwähnte Wohnung stattgegeben hat, wurde diese Klage vom Berufungsgericht mit der Begründung abgewiesen, die Beendigung eines Nutzungsvertrags der vorliegenden Art setze eine gerichtliche Kündigung voraus. Das Berufungsgericht hat ausgesprochen, dass der Wert des Streitgegenstands 15.000 ATS, nicht aber 300.000 ATS übersteigt und die Revision zugelassen.

Rechtliche Beurteilung

Die von der Klägerin gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts wegen § 503 Abs 1 Z 4 ZPO erhobene Revision ist gerechtfertigt.

Unzutreffend ist es, dass die Klägerin keine ausreichenden Behauptungen für eine Überprüfung der Sache nach § 20 Abs 2 WGG aufgestellt hat. Diese Bestimmung setzt lediglich die Voraussetzungen für den Erfolg einer Räumungsklage derart fest, dass ein wichtiger Grund im Sinne des Mietengesetzes (jetzt Mietrechtsgesetz) gegeben sein muss. Will daher die Genossenschaft einen Anspruch nach dieser Bestimmung geltend machen, muss sie lediglich die Auflösung des Nutzungsvertrags sowie einen wichtigen Grund im Sinne des Mietengesetzes (jetzt Mietrechtsgesetz) behaupten. Eine ausdrückliche Berufung auf die Bestimmung des § 20 Abs 2 WGG ist ebensowenig erforderlich, wie dies im Falle der Einbringung einer Räumungsklage nach § 1118 ABGB notwendig ist. Auf die Auflösung des Nutzungsvertrags nach der Satzung hat aber die Klägerin bereits in der Klage hingewiesen und einen wichtigen Grund nach dem Mietrechtsgesetz in der Tagsatzung vom 1. 12. 1982 (S 11 des Akts) behauptet.

Unter Berufung auf eine Vorentscheidung vom 18. 2. 1982 (7 Ob 535/82) hat der Oberste Gerichtshof in seiner Entscheidung 1 Ob 764/83 daran festgehalten, dass, ungeachtet der Gleichstellung der genossenschaftlichen Nutzungsverträge mit den Mietverträgen in § 1 Abs 1 MRG, § 20 Abs 2 WGG nicht aufgehoben worden ist. Hiebei handelt es sich um eine Spezialbestimmung, die einen dem § 1118 ABGB gleichgelagerten Aufhebungsgrund regelt. Entsprechend der Gleichstellung mit § 1118 ABGB muss auch die Art der Durchsetzung der Aufhebung die gleiche sein, sohin durch Räumungsklage erfolgen. Das Erlöschen der Mitgliedschaft nach § 9 der Satzung der Genossenschaft ist einer Aufhebung der Mitgliedschaft zur Genossenschaft iSd § 20 Abs 2 WGG gleichzuhalten. Sohin kann die Genossenschaft in einem solchen Fall dann auf Räumung klagen, wenn sie einen wichtigen Grund iSd § 30 MRG nachweist.

Der Oberste Gerichtshof hält nach wie vor an dieser Judikatur fest, zumal das Berufungsgericht für seine gegenteilige Auffassung keinerlei zusätzliches Argument bringt. Seine Wendung, der Oberste Gerichtshof lasse bei seiner Judikatur die in § 1 Abs 1 MRG normierte Gleichstellung von Miet‑ und genossenschaftlichen Nutzungsverträgen außer Acht und berücksichtige die Vererblichkeit des Nutzungsrechts nach § 14 Abs 1 MRG nicht, beruht auf einem offensichtlichen Missverstehen der oben zitierten Entscheidung. Diese geht ausdrücklich von der grundsätzlichen Gleichstellung der genossenschaftlichen Nutzungsverträge mit den Mietverträgen aus, kommt jedoch zu dem Ergebnis, dass der weiterhin geltende § 20 Abs 2 WGG, als Spezialbestimmung, für bestimmte Fälle anstelle der sonst üblichen Aufkündigung die Geltendmachung einer Auflösung des Vertrags mittels Räumungsklage vorsieht. § 20 Abs 2 WGG stellt nach der Rechtsauffassung des Obersten Gerichtshofs eine dem § 1118 ABGB ähnliche, von der Regel der Kündigung abweichende Auflösungsmöglichkeit dar.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.

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