Spruch:
Dem Rekurs wird Folge gegeben, der angefochtene Beschluß aufgehoben und in der Sache selbst das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 11.322,30 (darin S 1.029,30 an Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit S 6.793,05 (darin S 617,55 an Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Beklagte war bei der prot. Firma Johann N*** vom 12. Oktober 1949 bis 31. Dezember 1969 als Arbeiter, vom 1. Jänner 1970 bis 15. April 1975 als Angestellter und vom 6. August 1975 bis 5. September 1979 wiederum als Angestellter beschäftigt. Das Dienstverhältnis wurde von ihm unter Berufung auf § 25 KO innerhalb des ersten Monates nach Konkurseröffnung über das Vermögen der Verlassenschaft nach dem Alleininhaber dieser Firma durch vorzeitigen Austritt gelöst.
Mit Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 17. Dezember 1981, 1 Cg 119/81, und des Obersten Gerichtshofes vom 18. Oktober 1983, 4 Ob 83/82 (beide Entscheidungen ergangen im Verfahren 2 Cr 70/81 des Arbeitsgerichtes Innsbruck) wurde der Kläger als Masseverwalter im Konkurs über das Vermögen der Verlassenschaft nach Johann N*** schuldig erkannt, dem Beklagten binnen 14 Tagen den Betrag von S 116.397,67 samt Anhang zu bezahlen. Auf Grund dieser Exekutionstitel wurde dem Beklagten die Exekution durch Pfändung einer Forderung des Klägers aus einem Sparbuch durch Abnahme desselben und Erlag bei Gericht bewilligt. Der Vollzug dieser Exekution blieb erfolglos.
In seiner gemäß § 36 Abs 1 Z 1 EO erhobenen Klage stellte der Kläger das Begehren, die Exekution sei unzulässig und die Exekutionsbewilligung werde aufgehoben. Beim Abfertigungsanspruch des Beklagten handle es sich um einen Anspruch aus der Beendigung des Dienstverhältnisses, der als Masseforderung nach § 46 Abs 1 Z 4 KO aF zu behandeln sei. Dem Anspruch des Klägers gingen die im § 47 Abs 2 KO aF genannten Forderungen im Rang vor. Die Massemittel betrügen mit Stand vom 31. Dezember 1985 S 1,977.800,27. Im einzelnen angeführte vorrangige Forderungen hafteten mit S 3,282.438,20 aus und überstiegen somit die vorhandene Masse. Die nachrangige Masseforderung des Beklagten könne daher nicht befriedigt werden, sodaß die Exekution unzulässig sei. Bei unzureichender Masse seien die Masseforderungen nur im Rahmen der Rangordnung der §§ 46, 47 KO zu befriedigen, was zur Vermeidung von Haftungen des Masseverwalters einer genauen Abklärung der im gleichen Rang stehenden Masseforderungen bedürfe.
In der Tagsatzung vom 22. September 1986 brachte der Kläger noch vor, die Finanzprokuratur habe ihm mit Schreiben vom 30. Juli 1986 mitgeteilt, daß nach ihren Unterlagen insgesamt S 2,420.505,40 an nicht aus der Beendigung von Dienstverhältnissen resultierenden Dienstnehmeransprüchen gemäß § 11 Abs 1 IESG auf den Insolvenzausfallsgeldfonds übergegangen seien.
Der Beklagte stellte außer Streit, daß Dienstnehmeransprüche von S 2,420.505,40, die nicht aus der Beendigung von Dienstverhältnissen resultieren, auf den Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds übergegangen sind. Er bestritt im übrigen das Klagevorbringen und beantragte die Abweisung der Klage. Der Masseverwalter sei verpflichtet, Masseforderungen sofort nach deren Fälligkeit zu liquidieren. Er dürfe nicht zur Sicherung allfälliger im Rang vorangehender Forderungen die Liquidierung bereits geltend gemachter Masseforderungen hintanhalten.
Das Erstgericht gab der Klage statt. Es stellte zusätzlich zu dem außer Streit stehenden Sachverhalt fest, daß die vorhandenen Massemittel mit Stand vom 31. Dezember 1985 S 1,977.800,27 betragen und auf einem Sparbuch der B*** FÜR A*** UND W*** fruchtbringend angelegt sind, und daß die Masseforderung des Beklagten aus einem Abfertigungsanspruch resultiert. In seiner rechtlichen Beurteilung führte das Erstgericht aus, § 47 Abs 2 KO aF bestimme für den Fall, daß Masseforderungen nicht vollständig befriedigt werden können, die vorzugsweise Befriedigung von Masseforderungen der Dienstnehmer, soweit sie sich nicht aus der Beendigung von Dienstverhältnissen ergeben, vor solchen, die sich aus der Beendigung von Dienstverhältnissen ergeben. Die durch diese Bestimmung normierte Klassenfolge verkürze zwar nicht das materielle Bezugsrecht des Massegläubigers, stelle jedoch ein Vollstreckungshindernis dar. Die Zulänglichkeit der Masse sei daher im Falle einer Klageführung nach § 36 Abs 1 Z 1 EO zu prüfen. Da die Masseforderungen von Dienstnehmern, die sich nicht aus der Beendigung von Dienstverhältnissen ergeben, die vorhandenen Massemittel überstiegen, finde die nachrangige Masseforderung des Beklagten keine Deckung. Der Masseverwalter wäre entgegen der Ansicht des Beklagten nicht verpflichtet gewesen, die Masseforderung des Beklagten sofort nach deren Fälligkeit zu berichtigen. Die Bestimmung des § 124 Abs 1 KO gehe von der Voraussetzung aus, daß im allgemeinen die Masse zur vollständigen Befriedigung aller Massegläubiger hinreiche. Stelle sich die Unzulänglichkeit der Masse heraus, komme die Rangordnung des § 47 Abs 2 KO aF zur Anwendung. Die Frage, zu welchem Zeitpunkt sich die Unzulänglichkeit der Masse herausgestellt habe, könne ungeprüft bleiben, weil die nunmehr festgestellte Unzulänglichkeit auch unter der Annahme, daß diese etwa erst nach Fälligwerden der Ansprüche des Beklagten eingetreten wäre, beachtet werden müsse.
Das Berufungsgericht hob die Entscheidung des Erstgerichtes unter Rechtskraftvorbehalt auf. Nach überwiegender Ansicht habe jeder Massegläubiger Anspruch darauf, daß seine Forderung ohne Rücksicht auf den Stand des Verfahrens, ohne Bedachtnahme auf die Möglichkeit später entstehender Masseforderungen und grundsätzlich sogar ohne Rücksicht auf andere bestehende, bereits fällige Masseforderungen befriedigt werde, sobald sie fällig sei. Wäre mit der Berücksichtigung von Masseforderungen stets so lange zuzuwarten, bis keine weiteren Masseforderungen mehr entstehen oder geltend gemacht werden können, wäre die Bestimmung, daß bereits geleistete Zahlungen nicht zurückgefordert werden können (§ 47 Abs 2 KO), sinnlos. Ob die Masse zur Befriedigung einer Masseforderung ausreiche, könne nur nach dem Stand das Masse zum Zeitpunkt der Geltendmachung der fälligen Masseforderung und dem Stand der Masse zu diesem Zeitpunkt beurteilt werden. Das Erstgericht habe über den Stand der Masse zum Zeitpunkt der erstmaligen Geltendmachung der vorliegenden Forderung keine Feststellungen getroffen. Daß nunmher weitere Masseforderungen hinzugekommen seien, die der geltend gemachten im Range vorausgehen und die Masse übersteigen, könne nicht zu Lasten des Massegläubigers gehen, dessen Befriedigung vom Masseverwalter verzögert worden sei.
Der Kläger bekämpft den Beschluß des Berufungsgerichtes mit Rekurs und beantragt, ihn aufzuheben und dem Berufungsgericht eine neuerliche Entscheidung im Sinne einer Bestätigung des Ersturteils aufzutragen.
Der Beklagte beantragt, dem Rekurs nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs ist berechtigt.
Entsprechend dem Zeitpunkt der Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen der Verlassenschaft nach Johann N*** (1979) ist von der Fassung der Konkursordnung vor dem Wirksamwerden des Insolvenzrechtsänderungsgesetzes 1982 auszugehen. In diesem Sinn ist auch § 11 Abs 1 IESG dahin zu verstehen, daß ein Übergang von Ansprüchen entsprechend der Wirksamkeit der Bestimmungen der Konkursordnung stattfindet.
Die Bestimmungen des § 124 Abs 1 KO, wonach die Massegläubiger ohne Rücksicht auf den Stand des Verfahrens zu befriedigen sind, sobald ihre Ansprüche feststehen und fällig sind, und des § 47 Abs 2 KO, der eine Regelung für den Fall trifft, daß Masseforderungen nicht vollständig befriedigt werden können, hatten Anlaß zu einer unterschiedlichen Beurteilung der Frage gegeben, ob auf Grund einer Einwendung des Masseverwalters bereits im Titelprozeß untersucht werden muß, ob ein genügender Befriedigungsfonds zur Erfüllung sämtlicher Masseforderungen vorhanden oder beschaffbar ist, oder ob die Frage der Zulänglichkeit der Masse zur Befriedigung aller Masseforderungen erst im Zeitpunkt der tatsächlichen Befriedigung oder Exekutionsführung zu prüfen ist. In Lehre und Rechtsprechung hat sich die Ansicht durchgesetzt, daß § 47 Abs 2 KO keine Beschränkung des materiellen Anspruches, sondern nur ein Vollstreckungshindernis (§ 36 Abs 1 Z 1 EO) normiert (SZ 43/34, SZ 56/148; Petschek-Reimer-Schiemer, Das österreichische Insolvenzrecht 536 f; Holzhammer, Österreichisches Insolvenzrecht2 36 f; im gleichen Sinn Wegan, Österreichisches Insolvenzrecht 54).
Bartsch-Pollak, KO3, Anm. 60 ff und FN 78 zu § 47, führen in diesem Zusammenhang aus, daß jeder Massegläubiger ohne Rücksicht auf den anderen seine Forderung verfolgen kann, solange die Unzulänglichkeit der Masse zur Befriedigung aller auf sie gewiesenen Masseforderungen nicht erkannt ist. Hat ein Massegläubiger Befriedigung erlangt, kann sie deshalb, weil sich nachträglich die Unzulänglichkeit der Masse herausstellt, nicht wieder zurückgefordert werden. Sobald jedoch die Unzulänglichkeit der Masse zur Befriedigung aller auf sie gewiesenen Masseforderungen erkannt ist, tritt eine Rangordnung unter den Masseforderungen ein, die unbeschränkte Einzelverfolgung muß zugunsten der Gleichbehandlung zurücktreten.
Diese Ansicht wird in Bartsch-Heil, Grundriß des Insolvenzrechtes4, Rz 318, aufrechterhalten. Danach geht die Konkursordnung von der Voraussetzung aus, daß im allgemeinen die Masse zur vollen Befriedigung der Massegläubiger hinreicht. Darum wird dem Masseverwalter aufgetragen, die Masseforderungen ohne Rücksicht auf den Stand des Verfahrens bei Fälligkeit zu liquidieren. Reicht aber die Masse ausnahmsweise zur Bezahlung aller Masseschulden nicht hin, werden die Massegläubiger unter Berücksichtigung ihres Vorranges innerhalb ihrer Gruppe verhältnismäßig befriedigt (§§ 46 f KO).
Auch nach Wegan aaO 51 wird der Grundsatz des § 124 Abs 1 KO nur dann voll verwirklicht, wenn genügend Massevermögen da ist, um alle fälligen Masseforderungen zu berücksichtigen, und es hat der Masseverwalter nach der Rangordnung des § 47 Abs 2 KO vorzugehen, wenn das vorhandene Massevermögen nicht zur Berichtigung aller fälligen Forderungen ausreicht. Wegan hebt unter Hinweis auf § 47 Abs 2, letzter Satz, KO hervor, daß die Befriedigung der Massegläubiger von erst später fällig werdenden Masseforderungen unabhängig sei, die Rangordnung des § 47 Abs 2 KO wirke daher immer nur für die gleichzeitig fälligen Masseforderungen (im gleichen Sinn Petschek-Reimer-Schiemer aaO 535 sowie Holzhammer aaO 36; ebenso etwa SZ 25/283 und EvBl 1948/18).
Nach der Ansicht des erkennenden Senates sind die Bestimmungen der §§ 47 und 124 KO in Einklang zu bringen, wenn man davon ausgeht, daß in § 124 (Abs 3) KO vor allem ein Klagerecht für Massegläubiger geschaffen werden sollte. Der Masseverwalter ist daher zwar verpflichtet, alle feststehenden und schon fälligen Masseforderungen sofort ganz oder anteilsmäßig zu befriedigen (§ 124 Abs 1 KO, § 47 Abs 2 KO), und es ist dann auch keine Rückforderung möglich (§ 47 Abs 2, letzter Satz, KO). Tut er es aber nicht, so ist zwar die Exekution zu bewilligen, doch steht dem Masseverwalter bis zur Zahlung die Klage nach § 36 EO zu, sobald die Masse unzulänglich wird, auch wenn sie es früher vorübergehend nicht gewesen wäre. § 47 Abs 2 KO erwähnt als Ausnahme vom Grundsatz der rangmäßigen oder verhältnismäßigen Befriedigung ("jedoch") nur die bereits geleistete Zahlung. Daß auch ohne eine solche nicht die vorrangige oder verhältnismäßige Befriedigung stattfinde, sobald die Unzulänglichkeit der Masse feststeht, kann dem Gesetz nicht entnommen werden. Es geht daher im vorliegenden Verfahren nicht um eine allenfalls verletzte Verpflichtung des Masseverwalters, fällige Forderungen vor nicht fälligen zu erfüllen (für allfällige Vermögensnachteile durch pflichtwidrige Führung des Amtes wäre der Masseverwalter nach § 81 Abs 3 KO verantwortlich), sondern um die Beurteilung der Rechtslage im Zeitpunkt des Schlusses der Verhandlung erster Instanz.
Es ist deshalb nicht aufklärungsbedürftig, ob die Masse - entsprechend den Behauptungen des Klägers - schon zu dem Zeitpunkt unzulänglich war, als der Beklagte seine fällige Forderung erstmals geltend machte, sondern es reicht hin, daß diese Unzulänglichkeit unbestritten jetzt gegeben ist. Der Kläger kann nicht verhalten werden, die Leistung (Zahlung) an den Beklagten ungeachtet einer bestehenden Unzulänglichkeit der Masse zu erbringen. Das Verfahren ist deshalb im Sinne einer Wiederherstellung des Urteils des Erstgerichtes zur Entscheidung reif.
Der Umstand, daß der Kläger in seinem Rekurs nur die Aufhebung der zweiten Instanz und die Zurückweisung der Sache an diese zur neuen Entscheidung beantragt hat, hindert im Hinblick auf die Bestimmung des § 519 Abs 2 Satz 2 ZPO idF der Zivilverfahrensnovelle 1983 nicht, daß das Revisionsgericht unter den dort genannten Voraussetzungen durch Urteil in der Sache selbst erkennt.
Die Kostenentscheidung erfolgte nach den §§ 41 und 50 ZPO.
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