OGH 9ObA16/87

OGH9ObA16/871.7.1987

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr. Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Gamerith und Dr. Petrag sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Johannes Rudda und Mag. Michael Zawodsky als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Edeltraud S***, Angestellte, Wien 22., Lössweg 4/25/20, vertreten durch Dr. Georg Grießer, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Ö***-Aktiengesellschaft, Wien 9., Otto Wagner-Platz 5, vertreten durch Dr. Wilfried Lefford, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung (Streitwert: 31.000 S), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Wien als Berufungsgerichtes in arbeitsgerichtlichen Rechtsstreitigkeiten vom 27. Jänner 1986, GZ 44 Cg 236/85-11, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeitsgerichtes Wien vom 20. März 1985, GZ 7 Cr 246/84-8, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß es zu lauten hat:

"Der beklagten Partei gegenüber wird festgestellt, daß der klagenden Partei bei Urlaubsantritt vor dem 30. Juni eines Kalenderjahres der Urlaubszuschuß unabhängig davon abgerundet zu akontieren ist, in welchem Urlaubsjahr dieser Urlaub entstanden ist." Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 2.829,75 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 257,25 S Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin ist seit 1. März 1957 bei der Beklagten als Angestellte beschäftigt. Sie ist derzeit Abteilungsleiterin im Betrieb Gänserndorf. Die für diesen Betrieb maßgebliche Dienstordnung bestimmt im § 26: "Der 14. Monatsgehalt wird am 30. Juni eines jeden Jahres fällig. Er wird bei Urlaubsantritt abgerundet akontiert." Der Kollektivvertrag für die Angestellten der Mitgliedsfirmen des Fachverbandes der Erdölindustrie Österreichs enthält in § 13 unter anderem folgende Regelungen über den Urlaubszuschuß (14. Monatsbezug):

"Allen Angestellten gebührt neben der Weihnachtsremuneration (13. Monatsbezug) gemäß § 12 einmal in jedem Kalenderjahr der Urlaubszuschuß (14. Monatsbezug). Der Berechnung ist neben dem Junigehalt der Durchschnitt der sonstigen Entgeltsteile, welche in den letzten drei Kalendermonaten vor dem Fälligkeitstermin verrechnet wurden, zugrundezulegen . .... (Abs. 1). Der Urlaubszuschuß (14. Monatsbezug) ist am 30. Juni eines jeden Jahres fällig (Abs. 3).

Den während des Kalenderjahres eintretenden oder austretenden Angestellten (Lehrlingen) gebührt der aliquote Teil entsprechend der im Kalenderjahr zurückgelegten Dienstzeit .... (Abs. 4)." Bei der Beklagten wird das Urlaubsjahr jeweils ab dem Eintrittsdatum des betreffenden Arbeitnehmers gerechnet.

Die Klägerin begehrt die aus dem Spruch ersichtliche Feststellung und brachte vor, daß sie vom 13. bis 24. Februar 1984 einen Resturlaub aus dem Urlaubsjahr 1983/84 und in der Zeit vom 11. bis 22. Februar 1985 einen Resturlaub aus dem Urlaubsjahr 1984/85 konsumiert habe. Entgegen dem Antrag der Klägerin habe die Beklagte die in der Dienstordnung vorgesehene Akontierung des Urlaubszuschusses bei Urlaubsantritt verweigert.

Die Beklagte wandte ein, die Bestimmungen des Kollektivvertrages und der Dienstordnung seien dahin zu verstehen, daß für den Urlaubsanspruch eines Arbeitnehmers der Urlaubszuschuß in jedem Urlaubsjahr nur einmal auszuzahlen sei; bei Konsumation eines Resturlaubes innerhalb eines Urlaubsjahres, in welchem die Auszahlung des Urlaubszuschusses bereits erfolgt sei, bleibe daher keine Möglichkeit für eine derartige Akontierung. Im übrigen sei das Feststellungsbegehren unzulässig.

Das Erstgericht wies die Klage ab, wobei es neben dem eingangs wiedergegebenen folgenden weiteren Sachverhalt feststellte:

Wenn ein Arbeitnehmer in einem Teilbetrieb der Beklagten den Urlaubsanspruch aus seinem laufenden Urlaubsjahr vor dem 30. Juni des laufenden Kalenderjahres konsumiert, bezahlt die Beklagte seit Jahren ein nach unten abgerundetes Akonto auf den Urlaubszuschuß des laufenden Kalenderjahres bei Urlaubsantritt an den Arbeitnehmer aus. Die Abrechnung dieses Urlaubszuschusses erfolgt dann zusammen mit dem Junibezug des jeweiligen Jahres. Bis zum Jahre 1982 bestand überdies vereinzelt die Möglichkeit, im laufenden Kalenderjahr auch dann eine Bevorschussung des Urlaubszuschusses für das Kalenderjahr zu erhalten, wenn der betreffende Arbeitnehmer vor dem 30. Juni dieses Jahres einen noch nicht konsumierten Resturlaub aus dem vorangegangenen Kalender- oder Urlaubsjahr konsumierte. Solche Akontierungen wurden üblicherweise vom Leiter des örtlichen Personalbüros ausnahmsweise genehmigt; im Teilbetrieb Gänserndorf erfolgte diese besondere Akontierung bei Vorliegen eines Antrages des Arbeitnehmers ohne Einschaltung des örtlichen Personalleiters formlos dadurch, daß die zuständige Lohnverrechnungskraft die Akontierung vornahm und die Klägerin als Leiterin der Personalverrechnung den entsprechenden Bankauftrag unterschrieb. In den letzten drei Jahren bis 1982 erfolgte eine derartige besondere Akontierung allerdings nur in 13 Fällen, während pro Kalenderjahr durchschnittlich etwa 50 Arbeitnehmer dieses Teilbetriebes einen neuen Urlaubsanspruch vor dem 30. Juni des laufenden Kalenderjahres konsumierten und daher für diesen neuen Urlaubsanspruch eine Akontierung des Urlaubszuschusses erhielten. Mit Vermerk der zentralen Personalabteilung vom 4. Juni 1982 ordnete die Beklagte für den gesamten Betriebsbereich an, daß eine solche Akontierung des Urlaubszuschusses für jeden gesetzlichen Urlaubsanspruch nur einmal erfolgen dürfe, sodaß der Verbrauch eines Resturlaubes aus dem Vorjahr im nächstfolgenden Kalenderjahr nicht mehr zu einer solchen Bevorschussung führen dürfe. Seit dieser an alle Teilbetriebe ergangenen Weisung hat außer der Klägerin kein anderer Arbeitnehmer eine Akontierung des Urlaubszuschusses bei Verbrauch eines Resturlaubs aus dem vergangenen Jahr beantragt. Eine solche Bevorschussung ist seither auch nicht mehr erfolgt. Das Erstgericht vertrat die Rechtsauffassung, die von der Klägerin angestrebte Auslegung der als Betriebsvereinbarung anzusehenden Dienstordnung führe dazu, daß für einen Urlaubsanspruch zwei Urlaubszuschüsse ausgezahlt würden, sodaß für den im laufenden Kalenderjahr anfallenden (nächsten) Urlaubsanspruch überhaupt kein Urlaubszuschuß mehr zustünde. Dies verstoße gegen den Grundgedanken, daß für jeden Urlaubsanspruch nur ein Urlaubszuschuß auszuzahlen sei.

Das Berufungsgericht bestätigte das Urteil der ersten Instanz. Es gelangte nach Neudurchführung des Verfahrens gemäß § 25 Abs. 1 Z 3 ArbGG zu den gleichen Feststellungen wie das Erstgericht. Rechtlich erwog das Berufungsgericht, die Formulierung "Urlaubsantritt" in § 26 der zitierten Dienstordnung sei bei Bedachtnahme auf § 2 UrlaubsG dahin auszulegen, daß es sich um den Urlaub des betreffenden Jahres handeln müsse. Ansonsten läge es im Belieben des Arbeitnehmers, durch Aufsparen eines Urlaubsrestes aus dem Vorjahr gleich zu Beginn des Kalenderjahres eine Zahlung auszulösen, die im Vergleich zur Dauer dieses Urlaubs überdimensioniert sei. Darüber hinaus sei für den Urlaubsrest bereits der längst fällige Urlaubszuschuß (des Vorjahres) ausgezahlt worden.

Die gegen die Entscheidung des Berufungsgerichtes erhobene Revision der Klägerin ist berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Zutreffend haben die Vorinstanzen ein Feststellungsinteresse der Klägerin im Hinblick darauf bejaht, daß ihr Arbeitsverhältnis aufrecht ist und der Klägerin daher auch für die Zukunft ein rechtliches Interesse an der Klärung zuzubilligen ist, unter welchen Voraussetzungen sie Anspruch auf Akontierung des Urlaubszuschusses hat.

Den Vorinstanzen ist weiters darin beizupflichten, daß sowohl der Kollektivvertrag als auch die als Betriebsvereinbarung anzusehende Dienstordnung nach den §§ 6 und 7 ABGB auszulegen sind (Arb. 10.494 mwH, ua), wobei darauf Bedacht zu nehmen ist, daß die Regelungen des Kollektivvertrages gemäß § 3 Abs. 1 erster Satz ArbVG - vorbehaltlich des zweiten Satzes leg.cit. - durch Betriebsvereinbarung weder aufgehoben noch beschränkt werden dürfen. Nach der zwingenden Regelung des Kollektivvertrages gebührt der Urlaubszuschuß einmal in jedem Kalenderjahr und wird am 30. Juni fällig. Für den Fall, daß wegen Eintrittes oder Austrittes das Beschäftigungsverhältnis während des Kalenderjahres beginnt oder vor dessen Ablauf endet, sieht der Kollektivvertrag eine Aliquotierung des Urlaubszuschusses entsprechend der im Kalenderjahr zurückgelegten Dienstzeit vor. Dieser auch als 14. Monatsbezug bezeichnete Urlaubszuschuß gebührt nach dem Kollektivvertrag unabhängig davon, ob tatsächlich ein Urlaub angetreten wird. Der Urlaubszuschuß ist auf das Kalenderjahr abgestellt; dies wird durch die Aliquotierung des Anspruches insbesondere im Eintrittsjahr ermöglicht. Ein Bezug zum Urlaub wird lediglich durch die als Betriebsvereinbarung zu qualifizierende Dienstordnung hergestellt, wonach der 14. Monatsbezug bei Urlaubsantritt abgerundet akontiert wird. Auch diese Regelung ändert nichts daran, daß der 14. Monatsbezug grundsätzlich unabhängig von einem allenfalls abweichenden Urlaubsjahr (und Urlaubsanspruch) jeweils einmal pro Kalenderjahr gebührt; lediglich das Fälligkeitsdatum wird zugunsten des Arbeitnehmers - innerhalb des Kalenderjahres - vorverlegt. Anders als der Urlaubszuschuß wird der Anspruch auf bezahlten Urlaub im § 2 UrlaubsG grundsätzlich auf Arbeitsjahre abgestellt, wobei der Tag des Eintrittes des Arbeitnehmers maßgebend ist. Nach den Feststellungen der Vorinstanzen wurde in den für das gegenständliche Arbeitsverhältnis maßgeblichen Regelungen von der in § 2 Abs. 4 Z 1 UrlaubsG vorgesehenen Möglichkeit der Aliquotierung des Urlaubsanspruches bei Eintritt im laufenden Kalenderjahr nicht Gebrauch gemacht, so daß das Urlaubsjahr für jeden Arbeitnehmer individuell durch seinen Eintrittstag bestimmt wird. Angesichts der unterschiedlichen Bemessungszeiträume für Urlaubszuschuß und Urlaubsanspruch erscheint eine Zuordnung des Urlaubszuschusses zu einem bestimmten Urlaubsjahr kaum sinnvoll und würde überdies zu einer sachlich nicht gerechtfertigten ungleichen Behandlung der Arbeitnehmer führen. So käme etwa einem Arbeitnehmer, dessen Urlaubsjahr unmittelbar vor dem 30. Juni endet, die Akontierungsmöglichkeit kaum zugute, während ein Arbeitnehmer, dessen Urlaubsjahr in der zweiten Hälfte des Kalenderjahres endet, die Akontierung bis zu einem halben Jahr vor der im Kollektivvertrag vorgesehenen Fälligkeit erreichen könnte. Diese Gestaltungsmöglichkeit - Vorverlegen der Fälligkeit des Urlaubszuschusses bis zu einem halben Jahr - ist mit der in der Betriebsvereinbarung vorgesehenen Akontierung zwangsläufig verbunden; den Vertragspartnern muß wohl unterstellt werden, daß sie diesen Vorteil den Arbeitnehmern gleichmäßig und unabhängig von der zufälligen Lagerung des Urlaubsjahres zugute kommen lassen wollten. Bei Auslegung einer dem kollektiven Recht angehörigen Norm darf den vertragschließenden Parteien zumindest im Zweifel unterstellt werden, daß sie eine vernünftige, zweckentsprechende und praktisch durchführbare Regelung treffen sowie einen gerechten Ausgleich der sozialen und wirtschaftlichen Interessen herbeiführen und daher eine Ungleichbehandlung der Normadressaten vermeiden wollten (Arb. 10.480 mwH., ua). Weder die Wortauslegung noch die teleologische Interpretation rechtfertigt sohin die Auffassung der Beklagten. Der Revision war daher Folge zu geben und die Urteile der Vorinstanzen in eine Klagestattgebung abzuändern, wobei das Feststellungsbegehren entsprechend dem nach der Betriebsvereinbarung bestehenden Anspruch auf abgerundete Akontierung umzuformulieren war.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.

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