OGH 6Ob617/87 (6Ob618/87)

OGH6Ob617/87 (6Ob618/87)25.6.1987

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Samsegger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schobel, Dr. Melber, Dr. Schlosser und Dr. Redl als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei August Johann L***, geboren am 22. August 1922 in Kematen an der Krems, Landwirt, St. Florian, Rohrbach, Wolfsjägerstraße 5, vertreten durch Dr. Sepp Voitl, Rechtsanwalt in Wels, wider die beklagte Partei Franziska L***, geboren am 15. Juni 1923 in Rohr im Kremstal, Landwirtin, St. Marien bei Neuhofen, Weichstetten 30, vertreten durch Dr. Wilfried Werbik, Rechtsanwalt in Steyr, wegen Ehescheidung, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 13. März 1987, GZ 5 R 187/86-22, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Kreisgerichtes Steyr vom 30. Juni 1986, GZ 2 Cg 211/84-12, im Ausspruch über den Antrag nach § 61 Abs. 3 EheG abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

1. Die Revision wird, soweit Nichtigkeit geltend gemacht wurde, zurückgewiesen.

2. Im übrigen wird der Revision stattgegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung über die Berufung der klagenden Partei an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind Kosten des Berufungsverfahrens.

Text

Begründung

Der Ehemann stellte mit seiner am 25. April 1984 angebrachten Klage ein Scheidungsbegehren im Sinne des § 55 Abs. 3 EheG. Die Ehefrau trat diesem Scheidungsbegehren nicht entgegen, beantragte aber, gemäß § 61 Abs. 3 EheG, das alleinige Verschulden des Mannes an der Zerrüttung der Ehe festzustellen. Im Verlaufe des Rechtsstreites erhob die Frau eine auf § 49 EheG gestützte Widerklage.

Das Prozeßgericht erster Instanz gab dem Scheidungsbegehren des Mannes, aber auch dem Zerrüttungsverschuldensantrag der Frau statt, unterließ eine spruchmäßige Erledigung der Widerklage und führte dazu in den Entscheidungsgründen wörtlich aus: "Die Beklagte wird mit ihrer Widerklage auf diese Entscheidung verwiesen, da aufgrund des Verschuldensausspruches kein Rechtsschutzbedürfnis mehr für eine Verschuldensscheidung nach § 49 EheG besteht." Dazu hatte das Erstgericht unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Scheidungsfolgen im Falle eines Verschuldensausspruches nach § 60 Abs. 1 EheG einerseits und im Falle eines Ausspruches nach § 61 Abs. 3 EheG andererseits erwogen, es sei "zugunsten der Beklagten zunächst auf den Verschuldensantrag einzugehen", wobei zum Tragen komme, "daß jeweils die Norm mit den stärkeren (positiven) Auswirkungen für den Beantragenden vorrangig zu behandeln" sei. Die Ehefrau hat die Nichterledigung ihres auf § 49 EheG gestützte Scheidungsbegehrens unbekämpft gelassen.

Der Ehemann erhob wegen des nach seiner Ansicht ungerechtfertigten Ausspruches nach § 61 Abs. 3 EheG Berufung. Das Berufungsgericht wies in Stattgebung dieser Berufung den Antrag auf Ausspruch des Zerrüttungsverschuldens des Klägers ab. Es folgerte aus den erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage des Eherechtsänderungsgesetzes

(289 BlgNR XIV. GP), daß der für die Unterhaltsregelung nach dem § 49 Abs. 2 EheG präjudzielle Ausspruch des alleinigen oder überwiegenden Zerrüttungsverschuldens des Klägers nur einem an der Ehe festhaltenden, nicht aber auch einem selbst (aus welchen Scheidungsgründen immer) aus der Ehe strebenden Beklagten zuzubilligen sei. Im übrigen erkannte das Berufungsgericht, daß das Begehren der Widerklage mangels Berufung der Ehefrau aus dem Prozeßrechtsverhältnis ausgeschieden sei.

Die Beklagte ficht das abändernde Berufungsurteil aus den Revisionsgründen nach § 503 Abs. 1 Z 1, 2 und 4 ZPO mit einem auf Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteiles zielenden Abänderungsantrag, hilfsweise einem Antrag auf Sachentscheidung über ihr Widerklagebegehren und dem weiteren Hilfsantrag an, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Rechtssache zur Verfahrensergänzung an eine der beiden Vorinstanzen zurückzuverweisen.

Der Kläger strebt die Bestätigung der angefochtenen Entscheidung an.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist, soweit sie das Vorliegen einer Nichtigkeit rügt, zurückzuweisen, im übrigen ist sie gerechtfertigt. Eine Nichtigkeit erblickt die Revisionswerberin darin, daß das Berufungsgericht das Unterbleiben einer spruchmäßigen Erledigung des Widerklagebegehrens in der als Endurteil zu verstehenden erstinstanzlichen Entscheidung nicht von Amts wegen zum Anlaß genommen habe, eine entsprechende Ergänzung der Sachentscheidung vorzunehmen oder aufzutragen.

Die gänzliche oder teilweise Übergehung eines Rechtsschutzantrages ist ein (schlichter) Verfahrensmangel im Sinne des § 496 Abs. 1 Z 1 ZPO, der vom Berufungsgericht nicht ohne Rüge hätte aufgegriffen werden dürfen. Die Regelung des § 496 Abs. 1 ZPO ist nach ihrem Wortlaut allerdings den Fällen nachgeordnet, in denen durch die Mangelhaftigkeit eine Nichtigkeit begründet wäre. Die Revisionswerberin unterstellt offenkundig aus dieser Erwägung ihre Ausführungen zu Punkt 1 der Revision ausdrücklich auch dem Anfechtungsgrund der Nichtigkeit. Sie unterläßt aber jeden Hinweis darauf, aus welcher Erwägung die gerügte Unterlassung des Berufungsgerichtes gegen eine mit Nichtigkeit bedrohte Verfahrensvorschrift verstoßen haben soll. Das Berufungsgericht hat zutreffend dargelegt, daß das Widerklagebegehren mangels Anfechtung des Urteiles erster Instanz durch die Widerklägerin aus dem Prozeßrechtsverhältnis ausgeschieden ist. Der von der Revisionswerberin vermißte Ausspruch wäre eine Entscheidung über einen nicht (mehr) aufrechten Rechtsschutzantrag gewesen und hätte nach herrschender Lehre ein Nichturteil dargestellt. Die Revision war daher, soweit sie Nichtigkeit geltend macht, zu verwerfen.

Aus den dargelegten Gründen liegt auch die geltend gemachte Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens nicht vor.

Die Rechtsrüge ist dagegen berechtigt:

Zum verfahrensrechtlichen Verhältnis eines Ausspruches nach § 60 Abs. 1 EheG zu einem Ausspruch nach § 61 Abs. 3 EheG ist im Hinblick auf die erstrichterlichen Ausführungen zur Klarstellung festzuhalten:

Ein auf § 49 (oder § 47) EheG gestütztes Scheidungsbegehren enthält zwangsläufig das Begehren, im Scheidungsurteil das (Scheidungs-)Verschulden des anderen Eheteiles auszusprechen. Ein solcher Ausspruch löst unter anderem die unterhaltsrechtlichen Folgen im Sinne der §§ 66 und 67 EheG aus. Im Falle eines Scheidungsbegehrens nach § 55 EheG kann der beklagte Ehegatte gemäß § 61 Abs. 3 EheG den Antrag stellen, daß im Scheidungsurteil das alleinige oder überwiegende (Zerrüttungs-)Verschulden des klagenden Ehegatten ausgesprochen werde. Im Falle eines solchen Ausspruches treten anstelle der unterhaltsrechtlichen Scheidungsfolgen nach § 69 Abs. 3 EheG jene nach § 69 Abs. 2 EheG (§ 94 ABGB). Stellt ein nach § 55 EheG beklagter Ehegatte einen Antrag im Sinne des § 61 Abs. 3 EheG und erhebt er eine auf § 49 EheG gestützte Widerklage, hält er zwei Rechtsschutzanträge aufrecht, nämlich den Antrag nach § 60 Abs. 1 EheG und jenen nach § 61 Abs. 3 EheG, denen nicht gleichzeitig stattgegeben werden dürfte, weil sie jeweils nur die Funktion erfüllen, Tatsachenvoraussetzung für bestimmte Scheidungsfolgen zu sein, diese aber in den beiden geregelten Fällen wesentlich voneinander abweichen. Daraus darf allerdings nicht das Fehlen eines Rechtsschutzinteresses an der Geltendmachung eines der beiden Ansprüche gefolgert werden, sondern nur die Notwendigkeit einer Vor- und Nachreihung im Sinne eines Haupt- und eines Eventualantrages. In diesem Ansatz ist dem Erstgericht beizutreten. Nicht zu folgen ist ihm aber in der Art der vorgenommenen Reihung. Das (einzige) Klagebegehren, auch das einer Widerklage in Ehesachen, ist keiner Bedingung zugänglich. Mangels ausdrücklicher gegenteiliger Prozeßerklärung kann daher nicht unterstellt werden, die Widerklage sollte nur für den Fall als erhoben gelten, daß dem Antrag nach § 61 Abs. 3 EheG nicht stattgegeben werde. Das Klagebegehren, auch das einer Widerklage enthält einen selbständigen, vom Schicksal anderer Verfahrensanträge unabhängigen Rechtsschutzantrag. Der Antrag nach § 61 Abs. 3 EheG ist dagegen als Mittel zur Abänderung der sonst im Falle der Klagsstattgebung eintretenden Scheidungsfolgen von der Stattgebung des Klagebegehrens abhängig. Der verfahrensrechtlich stärkere Antrag ist daher der in der Widerklage enthaltene Antrag im Sinne des § 60 Abs. 1 EheG. Mangels ausdrücklicher gegenteiliger Prozeßerklärung muß aus diesen Erwägungen ein von der beklagten Partei nach § 61 Abs. 3 EheG gestellter Antrag auf Ausspruch des Zerrüttungsverschuldens im Falle der Erhebung einer auf § 49 (oder § 47) EheG gestützten Widerklage dem in der Klage enthaltenen Antrag auf Ausspruch des (Scheidungs-)Verschuldens gemäß § 60 Abs. 1 EheG nach Art eines Eventualantrages nachgeordnet angesehen werden. Das Erstgericht hätte richtigerweise über das Begehren der Widerklage zu erkennen gehabt und (da es dieses Begehren offensichtlich für berechtigt erachtete) einen Ausspruch nach § 60 Abs. 1 EheG in sein Urteil aufnehmen müssen und wäre deshalb zur Entscheidung über den bloß als nachgeordnet anzusehenden Antrag nach § 61 Abs. 3 EheG gar nicht angerufen gewesen.

Nun hat die Beklagte aber die Unterlassung einer spruchmäßigen Erledigung ihres Widerklagebegehrens unangefochten gelassen. Damit ist dieses Begehren aus dem Prozeßrechtsverhältnis ausgeschieden und so zu behandeln, als wäre es nie erhoben worden. Daraus folgt verfahrensrechtlich, daß eine Nachordnung des Antrages nach § 61 Abs. 3 EheG nach dem in der Widerklage enthaltenen Antrag auf Ausspruch nach § 60 Abs. 1 EheG nicht besteht.

Auch materiellrechtlich ist aber davon auszugehen, daß die Beklagte ihrerseits kein Scheidungsbegehren gestellt hat. Damit erübrigt sich jede Erörterung darüber, ob § 61 Abs. 3 EheG entgegen seinem Wortlaut aus den in den erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage zum Eherechtsänderungsgesetz einer teleologischen Reduktion in dem Sinne zu unterziehen wäre, daß die Bestimmung bloß mit einer mehr oder weitgehenden Einschränkung zu lesen wäre: "Wird die Ehe nach § 55 geschieden und hat der Beklagte die Zerrüttung allein oder überwiegend verschuldet, so ist dies auf Antrag des Beklagten, der nicht selbst die Scheidung begehrt, im Urteil auszusprechen" oder "...so ist dies auf Antrag des Beklagten, der nicht selbst die Scheidung aus dem genannten Scheidungsgrund begehrt, im Urteil auszusprechen" (vgl. SZ 56/136). Das Berufungsgericht hat die formelle Antragsberechtigung und die materielle Anspruchsberechtigung der Beklagten zu Unrecht verneint. Es wird sich daher unter Bindung an die hier dargelegten Rechtsansichten über die Folgen der Nichtbekämpfung des Urteiles erster Instanz durch die Beklagte als Widerklägerin mit den Bemängelungen in der Berufung des Klägers auseinanderzusetzen und sodann über dieses Rechtsmittel neuerlich zu entscheiden haben. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf § 52 ZPO.

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