OGH 6Ob568/87

OGH6Ob568/8730.4.1987

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Samsegger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Melber, Dr. Schlosser, Mag. Engelmaier und Dr. Redl als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj. Iwona J***, geb. am 12. September 1983, infolge Revisionsrekurses des ehelichen Vaters Milan J***, Arbeiter, Burggasse 97/19, 1070 Wien, vertreten durch Dr. Monika Pitzlberger, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgerichtes vom 26. Februar 1987, GZ. 43 R 850/86-21, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 21. November 1986, GZ. 4 P 139/86-17, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Text

Begründung

Die mj. Iwona J*** ist österreichische Staatsangehörige, ebenso sind es ihre Eltern, die voneinander getrennt in Wien wohnen. Die Minderjährige befindet sich seit 1985 bei ihren väterlichen Großeltern in Jugoslawien. Sowohl in Jugoslawien als auch in Österreich ist ein Scheidungsverfahren betreffend die Ehe der Eltern anhängig.

Das Erstgericht wies die elterlichen Rechte hinsichtlich der Minderjährigen der Mutter zu. Es führte aus, laut dem Bericht des Jugendamtes sei die Mutter sehr geeignet, die Minderjährige in Eigenpflege zu übernehmen. Für die Entscheidung nach § 177 ABGB sei das Kindeswohl oberster Grundsatz. Die Elternrechte seien der Mutter zuzuteilen, weil sie bereit und geeignet sei, die Pflege höchstpersönlich und nicht durch Dritte vorzunehmen. Im Falle längeren Verbleibens in Jugoslawien würde das Kind beiden Elternteilen entfremdet werden, was dem Kindeswohl abträglich wäre. Das Kind, das österreichischer Staatsbürger sei, lebe seit längerer Zeit in einer Umgebung, in der es weder die deutsche Sprache lernen noch mit den österreichischen Lebensgewohnheiten vertraut werden könne. Da die Eltern österreichische Staatsbürger seien, sei davon auszugehen, daß die Minderjährige nach dem Ableben der Großeltern nach Österreich zurückkehren und dann größere Integrationsprobleme haben werde. Alle diese Umstände sprächen für eine eheste Rückführung des Kindes in Pflege und Erziehung der Mutter, die im Gegensatz zum Vater zur Eigenpflege bereit und auch in der Lage sei. Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Vaters nicht Folge. Es führte aus, ob das Kind neben der österreichischen Staatsbürgerschaft noch eine andere besitze, könne dahingestellt bleiben, da dies die österreichische Jurisdiktion in keiner Weise beeinflusse (§ 9 Abs. 1 IPR-Gesetz). Das Kind besitze die österreichische Staatsbürgerschaft, woraus sowohl die inländische Gerichtsbarkeit als auch die Anwendung des österreichischen Rechtes zu folgern seien (§ 110 Abs. 1 JN, § 27 IPR-Gesetz). Ein anhängiges ausländisches Scheidungsverfahren, in dessen Verlauf möglicherweise - bei positivem Ausgang - die Zuteilung der Elternrechte geprüft werde, stehe der getroffenen Entscheidung ebensowenig wie § 110 Abs. 2 JN entgegen, letztere Bestimmung schon deshalb nicht, da es überhaupt ungewiß sei, ob im Ausland eine Entscheidung in der Elternrechtsfrage je ergehen werde. Gemäß § 110 Abs.2 JN könnte das inländische Gericht zwar von der Fortsetzung des Verfahrens absehen, soweit und solange durch die im Ausland getroffenen oder zu erwartenden Maßnahmen die Interessen der Minderjährigen ausreichend gewahrt würden. Das Wohl des Kindes bestimme das dabei zu übende Ermessen. Ein Absehen von der Verfahrensführung sei nur dann vertretbar, wenn gesichert sei, daß die Rechte und Interessen des Kindes durch die ausländischen Behörden ausreichend gewahrt würden. Diese Voraussetzung treffe jedenfalls dann nicht zu, wenn die zu erwartende Entscheidung als möglicher Annex eines anderen Verfahrens, also nicht einmal mit Sicherheit, zu erwarten sei. Unzutreffend seien die Ausführungen, wonach der Vater im erstinstanzlichen Verfahren nicht ordnungsgemäß gehört worden sei. Er sei zur Äußerung und Stellungnahme zum Antrag der Mutter geladen und auch vernommen worden. Hiedurch sei weder eine Nichtigkeit noch eine Mangelhaftigkeit begründet. Die Ausführungen im Rekurs, "gezwungen zu sein, nunmehr vorzubringen, die Mutter sei mehrmals in psychiatrischer Behandlung gewesen", die Pflege und die Erziehung könnte für die Mutter "unter anderem eine viel zu starke Belastung sein", seien nicht konkretisiert. Der Rekurs lege nicht einmal dar, um welche Art der Erkrankung es sich handle, wann und durch wen eine Behandlung erfolgt sei und wodurch nunmehr eine Schädigung des Kindes zu befürchten wäre. Die diesbezüglichen Vermutungen im Rekurs könnten daher auf sich beruhen. Bei der Sorgerechtsentscheidung sei nicht nur davon auszugehen, daß der Aufenthalt eines Kindes im allgemeinen in dem Staat erfolgen solle, dessen Staatsangehörigkeit es habe und daß mit zunehmendem Alter des Kindes die Integrationsprobleme zunähmen, sondern es sei auch von Bedeutung, daß die Pflege und Erziehung in erster Linie von einem Elternteil und nur dann von einem Großelternteil ausgeübt werden solle, wenn das Verhalten der Eltern dem Wohl des Kindes widerspräche. Es liege im Interesse des Kindeswohles, von den Eltern und nicht von den Großeltern erzogen zu werden, da im allgemeinen bereits der Altersunterschied zu einer Reihe von Problemen führe, die bei den Eltern nicht zu erwarten seien. Alle Argumente des Rekurses, die gegen eine Zurückführung des Kindes zu dessen Mutter sprächen, würden in gleicher Weise gegen den Vater, der ebenfalls österreichischer Staatsbürger sei und seinen Beruf in Österreich ausübe, gelten.

Der eheliche Vater bekämpft den Beschluß des Rekursgerichtes mit einem als "Revision" bezeichneten Rechtsmittel, in welchem Mangelhaftigkeit des Verfahrens geltend gemacht und Aufhebung des angefochtenen Beschlusses sowie Zurückverweisung der Sache an die erste Instanz beantragt wird.

Das Rechsmittel ist unzulässig.

Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 16 Abs. 1 AußStrG findet gegen einen bestätigenden Beschluß des Rekursgerichtes ein Rechtsmittel an den Obersten Gerichtshof nur im Falle einer offenbaren Gesetz- oder Aktenwidrigkeit der Entscheidung oder einer begangenen Nullität statt. Ist aus dem Rechtsmittelschriftsatz nicht erkennbar, worin eine offenbare Gesetzwidrigkeit, eine Aktenwidrigkeit oder eine Nichtigkeit im Sinne dieser Vorschrift gelegen sein solle, dann ist der Revisionsrekurs als unzulässig zurückzuweisen (EFSlg. 28.429 uva., zuletzt 1 Ob 504/87). Die Beschwerdegründe müssen allerdings nicht ausdrücklich bezeichnet sein, es genügt deren inhaltliche Geltendmachung (SZ 46/107; EFSlg. 39.774, 49.929). Der Vater macht im Revisionsrekurs aber auch inhaltlich keinen der im § 16 Abs. 1 AußStrG genannten Gründe geltend. Mit der Behauptung, die Interessen des Kindes seien nicht gewahrt worden, weil dem Fristerstreckungsantrag zur Vorlage des im jugoslawischen Verfahrens eingeholten Gutachtens nicht stattgegeben worden sei, macht der Vater ebenso lediglich einen Verfahrensmangel geltend, wie mit den Ausführungen, das Jugendamt habe einen einseitigen Bericht erstellt, ohne sich mit dem Vater und seiner Situation auseinanderzusetzen. Das Gleiche gilt für die Rechtsmittelausführungen, der Vater sei wohl vernommen, vom Richter aber nicht darüber belehrt worden, er solle konkrete Angaben seiner Ablehnung des Antrages der Mutter machen. Mangelhaftigkeiten des Verfahrens, denen nicht das Gewicht einer Nichtigkeit zukommt, können vom Obersten Gerichtshof im Rahmen des § 16 AußStrG nicht wahrgenommen werden (EFSlg. 44.693, 50.001 uva). Verfahrensverstöße von der Bedeutung einer Nichtigkeit werden im Revisionsrekurs aber nicht geltend gemacht.

Der Oberste Gerichtshof hat zwar wiederholt ausgesprochen, daß eine gänzliche Außerachtlassung des Kindeswohles eine offenbare Gesetzwidrigkeit im Sinne des § 16 Abs. 1 AußStrG darstellt. Entgegen der im Revisionsrekurs vertretenen Ansicht besteht jedoch keinerlei Anhaltspunkt dafür, daß durch die Entscheidungen der Vorinstanzen das Kindeswohl verletzt wurde. Die elterlichen Rechte und Pflichten betreffend das österreichische Kind, dessen Eltern ebenfalls österreichische Staatsangehörige sind, wurden der hiezu geeigneten Mutter zugeteilt, nicht aber dem Vater, der zwar auch in Österreich wohnt, das Kind aber bei seinen Eltern in Jugoslawien belassen möchte. Stichhältige Gründe dafür, weshalb dies dem Kindeswohl widersprechen sollte, vermag der Vater nicht anzuführen. Darin, daß das Kind "bei den Großeltern seinen Freundeskreis aufgebaut hat, familienähnliche Bindungen erlebt, aus dieser Situation herausgerissen würde", kann keine Verletzung des Kindeswohles erblickt werden, zumal zur Pflege und Erziehung nicht die Großeltern, sondern gemäß § 144 ABGB die Eltern berufen sind und eine Eingewöhnung in einem anderen Land um so eher Probleme mit sich bringen wird, je älter das Kind ist. Die Behauptung des Vaters, die Mutter werde das Kind nicht persönlich betreuen, ist durch den Akteninhalt nicht gedeckt.

Da somit keine Gründe geltend gemacht werden, aus denen eine Anfechtung des Beschlusses des Rekursgerichtes gemäß § 16 Abs. 1 AußStrG zulässig wäre, mußte der Revisionsrekurs zurückgewiesen werden.

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