OGH 1Ob663/86

OGH1Ob663/863.12.1986

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schragel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert, Dr. Gamerith, Dr. Hofmann und Dr. Schlosser als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Albert S***, Portier, geboren am 26.Juni 1927 in Weigelsdorf, Wien 6., Köstlergasse 16/18, vertreten durch Dr. Eugen Radel, Rechtsanwalt in Mattersburg, wider die beklagte Partei Maria S***, Hausfrau, geboren am 26.Dezember 1925 in Dürnbach, Dürnbach 199, vertreten durch Dr. Wolfgang Steflitsch, Rechtsanwalt in Oberwart, wegen Ehescheidung infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 12.Mai 1986, GZ 14 R 6/86-20, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Eisenstadt vom 15.Oktober 1985, GZ 1 Cg 111/85- 15, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision des Klägers wird teilweise Folge gegeben. Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß sie zu lauten haben: "Die zwischen den Streitteilen am 9.11.1978 vor dem Standesamt Schachendorf geschlossene und unter Nr.4/1978 beurkundete Ehe wird geschieden. Das Verschulden an der Ehescheidung trifft beide Teile, das Verschulden des Klägers überwiegt". Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 11.934,45 bestimmten Kosten aller drei Instanzen (darin enthalten S 1.585,05 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Streitteile schlossen am 9.11.1978 die Ehe. Sie sind österreichische Staatsbürger. In erster Ehe war die Beklagte mit Franz V*** verheiratet gewesen. Diese Ehe wurde mit Urteil des Erstgerichtes vom 19.9.1978, 1 Cg 164/78-6, gemäß § 55 Abs 3 EheG geschieden; es wurde ausgesprochen, daß die Beklagte das Alleinverschulden an der Zerrüttung der Ehe trifft. Die Beklagte hatte ein Verhältnis mit dem Kläger, einem Freund des Franz V***, und war seine Lebensgefährtin geworden.

Der Kläger begehrt die Scheidung der Ehe aus dem Verschulden der Beklagten. Als Scheidungsgründe macht er liebloses Verhalten und Verletzung der Treuepflicht geltend. Wenn er von seiner Berufstätigkeit in Wien nach Hause gekommen sei, habe sich die Beklagte nicht in der Ehewohnung, sondern in ihrem Wohnhaus, das sie mit ihrem ersten Ehemann bewohnt habe, befunden. Sie treffe sich dort laufend mit ihrem ersten Ehegatten; sie habe dritten Personen gegenüber erklärt, sie sei nur gezwungenermaßen mit dem Kläger zusammen, habe jedoch nur Empfindungen für ihren geschiedenen Mann. Die Beklagte bestritt, Eheverfehlungen begangen zu haben. Der Kläger sei es, der sich nicht um sie kümmere. Er habe sie mißhandelt und bedroht. Er unterhalte Beziehungen zu einer anderen Frau und komme von Wien selbst an arbeitsfreien Tagen nicht nach Hause. Für den Fall der Stattgebung des Scheidungsbegehrens stellte sie einen Mitschuldantrag.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es stellte fest, die Ehe der Streitteile sei einige Zeit harmonisch verlaufen. In der Folge seien Probleme aufgetreten, da die Ehegatten einander wechselseitig ehewidriger Beziehungen zu anderen Partnern verdächtigten, vor allem aber, weil der Kläger zu wenig Zeit zu Hause verbracht habe. Aus diesen Gründen habe die Beklagte im Jahr 1981 eine Scheidungsklage eingebracht. Über Vermittlung des Ortspfarrers hätten sich aber die Streitteile entschlossen, die Ehe fortzusetzen. Seit 25.9.1982 sei der Kläger als Wachorgan in Wien beschäftigt. Er sei an den freien Tagen nach Dürnbach gekommen; vor etwa zwei Jahren habe der Kläger jedoch begonnen, nicht mehr regelmäßig an seinen freien Tagen nach Hause zu fahren. Dies sei der Beklagten nicht recht gewesen. Sie habe ihm Vorhaltungen gemacht und ihn aufgefordert, in seiner Freizeit nach Hause zu kommen. Der Kläger habe ihr gegenüber jedoch angegeben, daß er Überstunden machen müsse und daher nicht nach Hause kommen könne. Sei der Kläger angemeldet nach Hause gekommen, sei die Beklagte jeweils zu Hause gewesen, habe ihn erwartet und ihm das Essen zubereitet. Nur wenn der Kläger unangemeldet nach Hause gekommen sei, habe sich die Beklagte gelegentlich bei ihren Kindern aufgehalten und habe geholt werden müssen. Sie habe den Haushalt des Klägers ordnungsgemäß geführt und den Kläger auch versorgt. Der Kläger sei mit der Haushaltsführung der Beklagten zufrieden gewesen. Mit ihrem ersten Ehegatten Franz V*** sei die Beklagte nie zusammengetroffen, dieser weiche ihr seit der Scheidung aus. Es könne nicht festgestellt werden, daß sich die Beklagte in der seinerzeitigen Ehewohnung mit Franz V*** getroffen habe. Als Wirtschaftsgeld habe der Kläger der Beklagten auf sein Konto gezogene Schecks gegeben. Die Beklagte habe mit diesen Beträgen die Kosten des Haushaltes bestritten und dem Kläger für seine Versorgung während der Woche in Wien Geld gegeben. Trotz jeweils eingehender Zahlungen habe aber das Konto an den Monatsenden einen ständig zunehmenden Debetsaldo von zuletzt S 16.281,34 aufgewiesen. Diesen Kontostand habe der Kläger zum Anlaß genommen, noch seltener nach Hause zu fahren. Er habe dies damit begründet, daß er die Fahrtkosten sparen wolle. Die Beklagte sei damit aber nicht einverstanden gewesen und habe den Kläger dringend gebeten, in seiner Freizeit nach Hause zu kommen, sie würde die Fahrtkosten anderweitig einsparen. Als der Kläger dies abgelehnt habe, habe es zwischen den Ehegatten Streit gegeben. Die Beklagte habe dem Kläger vorgehalten, er wolle offensichtlich wegen einer anderen Frau in Wien bleiben. Sie habe ihn eindringlich gebeten, nach Hause zu kommen. Trotzdem habe der Kläger diesen Bitten nicht entsprochen, sondern sei nur mehr in Abständen von einigen Wochen nach Hause gekommen. Dies habe zu weiteren Streitigkeiten und Differenzen geführt, sodaß der Kläger noch seltener nach Hause gekommen sei. Anläßlich eines Streites zwischen den Ehegatten im Oktober 1984 habe der Kläger der Beklagten gegenüber sich geäußert, er werde sie noch einmal umlegen. Dabei habe der Kläger ein Jagdgewehr in der Hand gehalten, das ihm die Beklagte aus den Händen gerissen habe; dadurch sei ein Riemen abgerissen. Vor den Weihnachtsfeiertagen 1984 habe die Beklagte den Kläger gebeten, er solle nach Hause kommen. Dies habe der Kläger aber nicht getan, er habe für einen Kollegen am 24. und 25.12.1984 den Dienst übernommen. Die Beklagte habe sehr darunter gelitten, daß der Kläger so selten nach Hause gekommen sei. Sie sei ständig vom Verdacht gequält worden, der Kläger unterhalte in Wien Beziehungen zu einer anderen Frau und komme deshalb so selten nach Hause. Als es deswegen Anfang 1985 wieder einmal zu einem Streit gekommen sei, habe die Beklagte in ihrer Erregung in Gegenwart eines Zeugen geäußert, daß ihr ihr erster Mann lieber sei als der Kläger. Sie habe aber nichts davon gesagt, daß sie mit dem Kläger nur gezwungenermaßen zusammenlebe. Im April 1985 habe es Probleme im Zusammenhang mit einer beabsichtigten Eheschließung eines Enkelkindes der Beklagten gegeben. Die Beklagte habe darüber mit Franz V*** reden wollen, sie habe ihm einen Zettel geschickt, um ihn um eine solche Unterredung zu bitten; sie habe dort aber auch geschrieben, daß ihre nunmehrige Ehe mit dem Kläger nicht richtig sei und Franz V*** gefragt, ob er nicht zu ihr zurückkommen wolle. Als dieser dies gelesen hatte, habe er sofort den Zettel verbrannt. Er habe die Beklagte nicht aufgesucht und auch nicht mir ihr gesprochen. Es könne nicht festgestellt werden, daß es nach Scheidung der Ehe zwischen der Beklagten und ihrem ersten Ehegatten ehewidrige oder ehestörende Beziehungen gegeben hätte. Seit Sommer 1985 komme der Kläger überhaupt nicht mehr nach Dürnbach.

Rechtlich vertrat das Erstgericht die Auffassung, die Äußerung der Beklagten einem Außenstehenden gegenüber, ihr erster Ehegatte sei ihr lieber als der Kläger, und die Aufforderung der Beklagten an ihren ersten Ehegatten, er solle wieder zu ihr zurückkehren, stellten einen Verstoß gegen die eheliche Treuepflicht dar. Diesen Verfehlungen komme aber keine ehezerstörende Wirkung zu. Die Handlungen der Beklagten seien lediglich Ausfluß ihrer Verbitterung und Verzweiflung über das Verhalten des Klägers, der immer seltener zu ihr nach Hause gekommen sei, gewesen. Der Kläger habe auch selbst den Verdacht der Beklagten, er unterhalte ehewidrige Beziehungen zu einer anderen Frau, verschuldet. Es habe auf die Beklagte nahezu wie eine Verhöhnung wirken müssen, wenn der Kläger trotz ihrer wiederholten eindringlichen Bitten, in seiner Freizeit nach Hause zu kommen, noch seltener gekommen sei und dies mit den damit verbundenen Fahrtkosten zu begründen versucht habe. Das Verhalten der Beklagten sei nur als Reaktion auf das Verhalten des Klägers und als Ausfluß ihrer Verbitterung und Verzweiflung zu sehen. Dieses Verhalten sei daher durch den Kläger veranlaßt und hervorgerufen worden. Die Reaktionen der Beklagten nunmehr als schwere Eheverfehlungen geltend zu machen, sei demnach sittlich nicht gerechtfertigt.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes. Dem Erstgericht sei darin beizupflichten, daß das Verhalten der Beklagten eine Scheidung der Ehe aus ihrem Verschulden sittlich nicht rechtfertigen könne, da es durch das Verhalten des Klägers hervorgerufen worden sei. Die Äußerungen der Beklagten stellten lediglich eine Reaktion auf ihre Vernachlässigung durch den Kläger dar und seien als Ausdruck ihrer Enttäuschung, Verbitterung und Verzweiflung über die Lebensweise des Klägers zu werten.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision des Klägers ist teilweise berechtigt.

Unwirtschaftliche Wirtschaftsführung der Beklagten wurde vom Kläger als Scheidungsgrund weder geltend gemacht noch liegt sie nach den Feststellungen vor. Nicht die Beklagte verfügte über das Konto des Klägers, sie nahm nur Abhebungen aufgrund von Schecks, die der Kläger ausgestellt hatte, vor.

Nach § 49 zweiter Satz EheG kann, wer selbst Eheverfehlungen begangen hat, dann nicht die Scheidung begehren, wenn nach der Art seiner Verfehlung, insbesondere wegen des Zusammenhanges der Verfehlung des anderen Ehegatten mit seinem eigenen Verschulden, sein Scheidungsbegehren bei richtiger Würdigung des Wesens der Ehe sittlich nicht gerechtfertigt ist. Nach ständiger Rechtsprechung und Lehre mangelt es dann an der sittlichen Rechtfertigung des Scheidungsbegehrens, wenn dem beklagten Ehegatten zwar eine schwere Eheverfehlung zur Last liegt, die zur Zerrüttung der Ehe führte oder dazu beitrug, diese Verfehlung jedoch erst durch schuldhaftes Verhalten des Klägers hervorgerufen wurde oder ein Zusammenhang zwischen der Verfehlung des Klägers mit dem Verhalten des Beklagten besteht und bei richtiger Würdigung des Wesens der Ehe das Begehren auf Scheidung der Ehe wegen dieses Zusammenhanges nicht als zulässig erkannt werden könnte oder wenn selbst ohne solchen Zusammenhang der beiderseitigen Eheverfehlungen die Verfehlungen des Beklagten unverhältnismäßig schwerer wiegen (EFSlg 46.182, 43.639, 38.718; SZ 38/181 uva; Schwind, Eherecht 2 215; Pichler in Rummel, ABGB, Rdz 5, 6 zu § 49 EheG).

Der Beklagten ist nicht nur vorzuwerfen, daß sie in Gegenwart eines Dritten sich dahin äußerte, ihr erster Mann sei ihr lieber als der Kläger, sie hat darüber hinaus Franz V*** auch hinter dem Rücken des Klägers, der der Grund des Scheiterns ihrer Ehe mit Franz V*** war, aufgefordert, er solle zu ihr zurückkommen, ihre Ehe mit dem Kläger sei nicht richtig. Dieser Verstoß gegen die Treuepflicht stand nicht in so engem Zusammenhang mit dem lieblosen Verhalten des Kläges, dem ehewidrige Beziehungen nicht nachgewiesen werden können, daß gesagt werden kann, das Verhalten der Beklagten sei durch das des Klägers hervorgerufen worden. Es zeigt vielmehr eine mangelnde Ehegesinnung, die auch dem Kläger nicht verborgen geblieben sein kann und daher zum endgültigen Scheitern der Ehe beigetragen haben muß. Bei Gegenüberstellung der Eheverfehlungen der Beklagten mit denen des Klägers kann daher nicht mehr gesagt werden, daß die Verfehlungen des Klägers derart unverhältnismäßig schwerer wiegen, daß bei richtiger Würdigung des Wesens der Ehe das Scheidungsbegehren des Klägers sittlich nicht gerechtfertigt wäre.

Es ist daher auch der Beklagten eine die Zerrüttung begünstigende Eheverfehlung, die das Scheidungsbegehren des Klägers rechtfertigt, anzulasten. Den entscheidenden Beitrag zur unheilbaren Zerrüttung setzte aber der Kläger durch sein sich über längere Zeit hinziehendes liebloses Verhalten, das schließlich in der eigenmächtigen Aufgabe der Lebensgemeinschaft mit der Beklagten mündete. Der dadurch offenkundig hervortretende Unterschied in der Beurteilung des beiderseitigen Verhaltens führt dann aber zur Beurteilung, daß gemäß § 60 Abs 2 EheG das überwiegende Verschulden des Klägers auszusprechen ist.

Der Revision des Klägers ist teilweise Folge zu geben, die Urteile der Vorinstanzen sind dahin abzuändern, daß die Ehe der Streitteile aus beiderseitigem Verschulden geschieden werde, aber auszusprechen ist, daß das Verschulden des Klägers überwiegt.

Die Entscheidung über die Prozeßkosten und die Kosten der Rechtsmittelverfahren gründet sich auf § 43 Abs 1 ZPO bzw. §§ 43 Abs 1, 50 ZPO (Zuspruch der halben Kosten).

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