OGH 8Ob46/86

OGH8Ob46/8623.10.1986

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Stix als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Vogel, Dr. Kropfitsch und Dr. Zehetner als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Johann J***, Pensionist, Klein Motten 62, 3852 Gastern, vertreten durch Dr. Walter Schuppich, Dr. Werner Sporn, Dr. Michael Winischhofer und Dr. Martin Schuppich, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagten Parteien 1) Alfred W***, Gendarmeriebeamter, Bergsiedlung 3, 3852 Gastern, und

2) I*** U***-UND S***-AG., Direktion für

Niederösterreich, Hafnerplatz 12/13, 3500 Krems an der Donau, beide vertreten durch Dr. Peter Fiegl und Dr. Frank Riel, Rechtsanwälte in Krems an der Donau, wegen S 936.992,- s.A. und Feststellung (S 100.000,-), Revisionsstreitwert S 270.000,--, infolge Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 12.2.1986, GZ 18 R 11,12/86-28, womit infolge Berufung der klagenden Partei und der beklagten Parteien das Urteil des Kreisgerichtes Krems an der Donau vom 11.Oktober 1985, GZ 16 Cg 19/85-19, teilweise bestätigt und teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei die mit S 10.594,15 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin Umsatzsteuer von S 963,10, keine Barauslagen) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger wurde am 12.4.1982 bei einem vom Erstbeklagten als Halter und Lenker des PKW mit dem Kennzeichen N 380.166 verschuldeten Verkehrsunfall schwer verletzt. Die Zweitbeklagte ist der Haftpflichtversicherer dieses Kraftfahrzeuges. Die Schadenersatzpflicht der Beklagten ist dem Grunde nach unbestritten. Im vorliegenden Rechtsstreit begehrte der Kläger aus dem Rechtsgrund des Schadenersatzes aus diesem Verkehrsunfall zuletzt (ON 15 S 107) die Verurteilung der Beklagten zur ungeteilten Hand zur Zahlung von S 936.992,-- s.A.; überdies stellte er ein Feststellungsbegehren, über das mit Teilanerkenntnisurteil vom 27.8.1985 abgesprochen wurde. Zur Begründung seines Leistungsbegehrens behauptete der Kläger neben anderen nicht mehr strittigen Schadenersatzforderungen, daß ihm auf Grund seiner bei dem Unfall erlittenen Verletzungen ein angemessenes Schmerzengeld von S 1,000.000,- zustehe; unter Berücksichtigung bereits geleisteter Teilzahlungen gelangte er zu seinem dargestellten Leistungsbegehren.

Die Beklagten bestritten diesen Schmerzengeldanspruch des Klägers der Höhe nach.

Das Erstgericht sprach mit seinem Endurteil dem Kläger einen Betrag von S 306.992,-- s.A. zu und wies das auf Zahlung eines weiteren Betrages von S 630.000,- s.A. gerichtete Mehrbegehren ab. Diese Entscheidung wurde von beiden Streitteilen mit Berufung bekämpft.

Mit dem angefochtenen Urteil gab das Berufungsgericht der Berufung der Beklagten keine Folge. Hingegen gab es der Berufung des Klägers teilweise Folge und änderte die Entscheidung des Erstgerichtes dahin ab, daß es dem Kläger einen Betrag von S 456.992,-- s.A. zusprach und sein auf Zahlung eines weiteren Betrages von S 480.000,-- s.A. gerichtetes Mehrbegehren abwies. Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Beklagten. Sie bekämpfen sie im Umfang des Zuspruches eines Betrages von S 270.000,- s.A. an den Kläger aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, "daß ausgehend von einem Schmerzengeld von S 250.000,- der darüber hinausgehende Zuspruch von weiteren S 270.000,- abgewiesen wird."

Der Kläger hat eine Revisionsbeantwortung mit dem Antrag erstattet, der Revision der Beklagten keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist im Hinblick auf die Höhe des Streitwertes, über den das Berufungsgericht entschieden hat, ohne die im § 503 Abs2 ZPO normierte Einschränkung der Revisionsgründe zulässig, sachlich aber nicht berechtigt.

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist nur mehr die Höhe des Schmerzengeldanspruches des Klägers.

Diesbezüglich gingen die Vorinstanzen im wesentlichen von folgendem Sachverhalt aus:

Der damals im 68.Lebensjahr stehende Kläger erlitt bei dem Unfall vom 12.4.1982 eine zentrale Hüftgelenksverrenkung rechts (diese Verletzung schließt schon nach ihrer Definition die Zertrümmerung der Hüftgelenkspfanne ein), einen Bruch des linken Schambeines, einen Bruch des rechten unteren Schambeinastes, der in der Folge klaffte und nicht ideal reponiert werden konnte, einen Bruch des linken Ellenknochens, einen schweren Unfallschock und eine schwere Fettembolie. Vom Unfallstag bis zum 30.4.1982 befand sich der Kläger in stationärer Pflege des Krankenhauses Waidhofen an der Thaya, wo er zunächst in einen Schwebeverband gelegt wurde, um die Schambeinbrüche und den Hüftgelenkspfannenbruch zu beeinflussen. Am 14.4.1982 begann man bereits mit einem Streckverband, der anfänglich mit 8 kg, später mit 12 kg belastet wurde und in der Folge anläßlich der weiteren staionären Behandlung im Krankenhaus Horn mit einem Seitenzug von zusätzlich 3 kg Belastung versehen wurde. Die Behandlung im Krankenhaus Waidhofen konzentrierte sich vorrangig auf die Behandlung des Becken- und Hüftgelenksbruchs, aber auch vor allem vom 2.bis 5.Aufenthaltstag auf die Behandlung der Fettembolie, durch welche sich der Kläger in Lebensgefahr befand. Am 3o.4.1982 erfolgte die Verlegung des Klägers in das Krankenhaus Horn, nachdem er vorher in einem Zustand der Unruhe und Verwirrtheit versucht hatte, die Gewichte des Streckverbandes abzureißen. An den Aufenthalt im Krankenhaus Waidhofen an der Thaya hat der Kläger nur eine sehr lückenhafte Erinnerung; sein Erinnerungsvermögen setzte erst anläßlich seiner Verlegung ins Krankenhaus Horn wieder ein.

Kurz nach der Einlieferung ins Krankenhaus Horn traten neuerlich Anzeichen einer Fettembolie auf, weshalb der Kläger auf die Intensivpflegeabteilung verlegt werden mußte, wo er sich bis 12.5.1982 befand. Danach befand er sich bis zu seiner Entlassung am 6.8.1982 auf der unfallchirurgischen Abteilung. Noch am 30.4.1982 erfolgte eine Reposition der Hüftverrenkung in Allgemeinnarkose. Bis 5.7.1982 trug der Kläger einen Streckverband, wobei am 16.6.1982 eine Umlagerung stattfand. Ab 10.7.1982 machte der Kläger Gehversuche mit einem Gehwagen, dann mit Stützkrücken. Am Entlassungstag war er mit 2 Stützkrücken gehfähig und konnte teilweise das linke Bein belasten.

Weitere Operationen oder stationäre Aufenthalte fanden nicht statt.

Die Verletzungen haben Dauerfolgen nach sich gezogen. Der Gebrauchswert der linken unteren Extremität ist praktisch erloschen. Der Kläger wird ständig Krücken brauchen; sein Zustand ist nicht mehr besserungsfähig. Das linke Bein ist um etwa 5 cm verkürzt, wobei diese Verkürzung orthopädisches Schuhwerk oder zumindest einen einseitig erhöhten Absatz erfordert. Linksseitig sind die Bewegungen im Hüftgelenk, vor allem Beugung und Innenrotation, behindert. Das Bein steht in der linken Hüfte in Fehlstellung in einer Auswärtsdrehung. Es besteht ein ausgeprägter Muskelschwund und eine Behinderung der Kniebeugung um mehr als die Hälfte. Die Kniestreckung ist nicht beeinträchtigt.

Aus diesen Verletzungsfolgen ergibt sich für den Kläger die Unmöglichkeit, frei zu stehen und dabei Bewegungen mit den Armen und dem Oberkörper zu machen. Solche Bewegungen kann er nur machen, wenn er fest angelehnt ist oder unterstützt wird oder sich fest auf eine Krücke stützen kann. Zur Fortbewegung benötigt er zwei Krücken. Da der Kläger seinen linken Fuß infolge der Beugebehinderung in der linken Hüfte nicht erreichen kann, ist er beim An- und Auskleiden des Unterkörpers behindert; insbesondere benötigt er Hilfe zum Anziehen von Strümpfen und Schuhen. Das Anziehen einer Hose ist ihm nur dann möglich, wenn er sich auf einem Lager zeitweilig zurücklegen kann. Zum Waschen benötigt er ebenfalls fremde Hilfe. Ein WC kann vom Kläger nur dann ohne fremde Hilfe benützt werden, wenn entsprechende Haltegriffe vorhanden sind, die er zum Aufziehen benützen kann. Tätigkeiten mit den Armen und Händen können nur im Sitzen verrichtet werden.

Der Kläger erlitt zunächst starke Schmerzen in der Dauer von etwa 30 Tagen und dann mittlere Schmerzen im gerafften Gesamtausmaß von etwa 74 bis 100 Tagen. Ab Ende März 1983 traten und treten zeitweilig leichte Schmerzen auf, die bis 21.6.1985 ein Gesamtausmaß in der Größenordnung von 250 bis 265 Tagen erreichten. Auch in der Zukunft sind leichte Schmerzen etwa im Ausmaß von drei Tagen monatlich zu erwarten.

Der linke Arm des Klägers ist in seiner Kraft und Beweglichkeit etwas beeinträchtigt.

Bis zum Unfall war der Kläger rüstig und hatte keine schwerwiegenden Leiden. Seit dem Unfall ist er weitgehend auf fremde Hilfe angewiesen. Er kann die bis zum Unfall auch als Pensionist ausgeführten Arbeiten nicht mehr ausführen, wodurch er auch seelische Schmerzen und Unlustgefühle erleidet. Bei den körperlichen Schmerzen ist der Eintritt eines teilweisen Gewöhnungseffektes möglich. Der Verlauf der seelischen Schmerzen ist hingegen insofern unbestimmt, als sich diese steigern oder auch abklingen können.

Unabhängig vom Unfall besteht beim Kläger schon seit etwa ein bis zwei Jahren vor dem Unfall eine sich laufend verschlechternde Schüttellähmung (Morbus Parkinson), deren Symptomatik allerdings zur Zeit des Krankenhausaufenthaltes noch wesentlich geringer und für den Kläger daher nicht so auffällig war wie zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Streitverhandlung. Soweit der Kläger von ihm vor dem Unfall ausgeübte Bastelarbeiten (Reparaturen an Radiogeräten, Uhren u.dgl.) nicht mehr ausführen kann, ist dieser Ausfall nicht unfallskausal, sondern auf die Schüttellähmung zurückzuführen. Alle feineren Arbeiten, auch das Lenken eines Kraftfahrzeuges und Elektroarbeiten, sind für den Kläger schon jetzt auf Grund des Morbus Parkinson nicht mehr durchführbar. Rechtlich beurteilte das Erstgericht diesen Sachverhalt im wesentlichen dahin, daß dem Kläger ein angemessenes Schmerzengeld von S 370.000,- gebühre, während das Berufungsgericht davon ausging, daß das dem Kläger gebührende Schmerzengeld mit S 520.000,- zu bemessen sei.

Die Beklagten versuchen in ihrer Rechtsrüge darzutun, daß die dem Kläger bei dem Unfall vom 12.4.1982 zugefügten Verletzungen und ihre Folgen nur den Zuspruch eines Schmerzengeldes von S 250.000,-

rechtfertigten.

Dem kann nicht gefolgt werden.

Das Schmerzengeld ist die Genugtuung für alles Ungemach, das der Geschädigte infolge seiner Verletzungen und ihrer Folgen zu erdulden hat. Es soll den gesamten Komplex der Schmerzempfindungen unter Bedachtnahme auf die Dauer und Intensität der Schmerzen nach ihrem Gesamtbild, auf die Schwere der Verletzung und auf das Maß der physischen und psychischen Beeinträchtigung des Gesundheitszustandes abgelten, die durch die Schmerzen entstandenen Unlustgefühle ausgleichen und den Verletzten in die Lage versetzen, sich als Ersatz für die Leiden und anstelle der ihm entzogenen Lebensfreude auf andere Weise gewisse Annehmlichkeiten und Erleichterungen zu verschaffen (ZVR 1982/392; ZVR 1983/200; 8 Ob 194/83; 8 Ob 69/85 uva.). Hieraus folgt einerseits, daß bei der Bemessung des Schmerzengeldes auf die Umstände des Einzelfalles abzustellen, andererseits aber zur Vermeidung einer Ungleichmäßigkeit in der Rechtsprechung ein objektiver Maßstab anzulegen ist (vgl.Jarosch-Müller-Piegler, Das Schmerzengeld in medizinischer und juristischer Sicht 4 156 ff, insbesondere 160; ZVR 1982/392; 8 Ob 245/82; 8 Ob 194/83; 8 Ob 69/85 ua.).

Im vorliegenden Fall ist zu berücksichtigen, daß der Kläger bei dem Unfall vom 12.4.1982 nicht nur ausgedehnte und schwere Knochenverletzungen erlitten hat, die zu langen Schmerzperioden aller Grade führten und einen langen stationären Spitalsaufenthalt des Klägers mit Gefahr für sein Leben und für ihn höchst unangenehmen Behandlungsmaßnahmen zur Folge hatten, sondern daß er darüber hinaus - und dies steht bei einer globalen Betrachtung der Unfallsfolgen fast im Vordergrund - verletzungsbedingt unter Dauerfolgen zu leiden hat, die eine sehr weitgehende Beeinflussung seines körperlichen und psychischen Wohlbefindens nach sich ziehen und in ihren Auswirkungen nicht bloß dem Verlust eines Beines entsprechen, sondern sogar noch zum Teil darüber hinausgehen. Nach den Feststellungen der Vorinstanzen ist das linke Bein dem Kläger wohl erhalten geblieben, aber praktisch völlig funktionslos geworden. Der Kläger wird nicht nur bis an sein Lebensende Krücken brauchen, um sich fortbewegen zu können. Er kann nicht einmal frei stehen, ist beim An- und Auskleiden weitgehend behindert und kann ohne fremde Hilfe nicht einmal ein WC benützen, wenn dort nicht entsprechende Haltegriffe vorhanden sind. Aus all dem ergibt sich, daß der Kläger durch die unfallsbedingt aufgetretenen unbehebbaren Dauerfolgen in ganz einschneidender Weise in seinem Wohlbefinden beeinträchtigt wird, weitgehend auf fremde Hilfe angewiesen ist und mit der Gewißheit leben muß, daß sich dieser Zustand bis zu seinem Lebensende nicht bessern wird.

Der in der Revision der Beklagten angeführte Fall, den der Oberste Gerichtshof zu 2 Ob 10/82 zu entscheiden hatte, unterscheidet sich von dem vorliegenden vor allem in Ansehung der verbliebenen gesundheitlichen Dauerfolgen derart, daß ein Vergleich schon deswegen nicht zulässig erscheint; überdies liegt diese Entscheidung schon Jahre zurück, sodaß sie auch im Hinblick auf die seither eingetretene Verdünnung des Geldwertes keinen brauchbaren Vergleichsmaßstab abgibt. In letzter Zeit wurden in Fällen schwerer Hüft- und Beinverletzungen und bei Verlust eines Beines Schmerzengeldbeträge in der Höhe von S 500.000,- bis S 600.000,-

zugesprochen (2 Ob 30/85; 8 Ob 52/86). Zieht man in Betracht, daß im Sinne obiger Ausführungen die verletzungsbedingten irreparablen gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Klägers zumindest denen gleichzusetzen sind, die mit dem Verlust eines Beines verbunden wären, dann ist in der Schmerzengeldbemessung des Berufungsgerichtes ein Rechtsirrtum nicht zu erkennen.

Der Revision der Beklagten mußte daher ein Erfolg versagt bleiben.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

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