OGH 5Ob596/85

OGH5Ob596/8522.10.1985

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Marold als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Griehsler, Dr.Jensik, Dr.Zehetner und Dr.Klinger als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ludwig A Gesellschaft m.b.H., Mariahilfer Straße 101, 1060 Wien, vertreten durch Dr.Gerhard Renner und Dr.Gerd Höllerl, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei protokollierte Firma Alfred B offene Handelsgesellschaft, Mariahilfer Straße 101, 1060 Wien, vertreten durch Dr.Wolfgang Taussig, Rechtsanwalt in Wien, wegen Entfernung eines Schaukastens (Streitwert S 18.000,--), infolge der außerordentlichen Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgerichtes vom 29.März 1985, GZ 45 R 37/85-16, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 23.Oktober 1984, GZ 42 C 778/83-11, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das Urteil des Berufungsgerichtes wird aufgehoben.

Die Rechtssache wird zu neuer Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Die Klägerin und die Beklagte sind Hauptmieter von Geschäftsräumlichkeiten im Hause Mariahilfer Straße 101 in 1060 Wien. Das ebenerdig rechts von der zum Hintertrakt führenden Hauseinfahrt gelegene Geschäftslokal der Klägerin ist mit Schaufenstern an der Straßenfront und in der Hauseinfahrt ausgestattet. Neben dem Geschäftseingang von der Straße her führt auch ein weiterer Zugang von der Passage in die Geschäftsräumlichkeiten. Diese Türe ist jedoch seit einigen Jahren vermauert, doch beabsichtigt die Klägerin, diesen Eingang bei Bedarf und bei einer Neugestaltung des Portals wieder zu benützen. Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Entfernung des vor dem Geschäftslokal der Klägerin in der Hauspassage aufgestellten Schaukastens. Sie habe der Beklagten vor etwa zwei Jahren gegen jederzeitigen Widerruf gestattet, vor der zugemauerten Zugangstüre in der Hauspassage einen Schaukasten aufzustellen. Die Klägerin habe ihr Zustimmung widerrufen und die Beklagte im August 1983 aufgefordert, den Schaukasten wieder zu entfernen. Die Beklagte habe sich geweigert, dem Verlangen zu entsprechen.

Die Beklagte beantragte, das Klagebegehren abzuweisen, weil sie mit Zustimmung des Vermieters schon seit zehn Jahren ihren Schaukasten auf Dauer in der Hauseinfahrt abgestellt habe und dies von ihrem Mietrecht umfaßt sei. Die Stelle, an der der Schaukasten stehe, gehöre nicht zum Mietobjekt der Klägerin, die ihre Eingangstüre zur Passage seit langem nicht benützte und zugemauert habe.

Das Erstgericht verhielt die Beklagte zur Entfernung ihres Schaukastens.

Es stellte im wesentlichen fest, die Klägerin sei nach Inhalt ihres Bestandvertrages berechtigt, die Geschäftsräumlichkeiten mit der zugehörigen 'Hausfront' in der Mariahilfer Straße und in der Hauspassage zu benützen. Sie habe vor drei Jahren den Entschluß gefaßt, die Eingangstüre in der Passage zuzumauern, habe aber vorgehabt, diesen Zugang wieder zu benützen, wenn sie ihn benötige oder als zweiten Eingang bei einer Neugestaltung ihres Geschäftsraumes verwenden wolle. Die Beklagte schlug der Klägerin im Jahr 1981 vor, die Schaufenster in der Passage neu zu gestalten und einen Teil der Auslagen der Beklagten zu überlassen. Die Klägerin lehnte ab. Die Beklagte bat dann, einen Schaukasten mit Erzeugnissen der Beklagten vor der vermauerten Türe dns Geschäfts der Klägerin in der Passage aufstellen zu dürfen. Die Klägerin gestattete dies unentgeltlich und mit dem Vorbehalt des jederzeitigen Widerrufs. Die Beklagte stellte 1981 ihren Schaukasten in der Passage so ab, daß die Rückseite des Schaukasten an den verschlossenen Notausgang der Geschäftsräume der Klägerin bündig anschloß. Die Klägerin wies auf ihre Pläne hin, bei einem Umbau diesen Zugang zu benützen und erklärte, daß der Schaukasten auf ihr Verlangen jederzeit entfernt werden müsse. Die Klägerin forderte im August 1983 die Beklagte auf, den Schaukasten zu entfernen. Auch der Hausverwalter forderte am 23.9.1983 die Entfernung des Schaukastens, der die Einfahrt behindere.

Das Erstgericht beurteilte diesen Sachverhalt als bittleihweise Genehmigung zur Aufstellung des Schaukastens vor dem vorübergehend nicht benützten Geschäftseingang, nach deren Widerruf die Beklagte auf Verlangen der Klägerin den Schaukasten zu entfernen habe. Die Vermieterin habe der Beklagten kein Recht zu dieser Aufstellung der Vitrine einräumen können, weil die Hinterwand des Schaukastens an die Eingangstüre der Klägerin anschließe und die Klägerin in ihren Bestandrechten beeinträchtige.

Das Berufungsgericht änderte dieses Urteil infolge der von der Beklagten erhobenen Berufung in die Abweisung des Leistungsbegehrens ab. Es hielt eine Befassung mit der Beweisrüge der Beklagten für entbehrlich, weil den von der Beklagten begehrten Feststellungen keine streitentscheidende Bedeutung zukommt, und meinte, es übernehme deshalb die Feststellungen des Erstgerichtes und lege sie der rechtlichen Beurteilung zugrunde. Diese ergebe jedoch, daß sich die Klägerin vor drei Jahren entschloß, das Tor ihres Geschäftslokals zur Passage zuzumauern. Die Aufstellung des Schaukastens, der die Geschäftsführerin der Klägerin zustimmte, sei an einem allgemeinen Teil des Hauses erfolgt. Die Rückseite des Schaukastens schließe an den verschlossenen Notausgang des Bestandobjektes der Klägerin an. Die Klägerin sei gar nicht berechtigt gewesen, der Beklagten die Aufstellung der Vitrine an einem allgemein genützten Teil des Hauses zu gestatten, weil sie darüber nicht verfügen konnte. Der festgestellten Vereinbarung, daß der Beklagten gegen jederzeitigen Widerruf die Aufstellung des Schaukastens in der Passage vor der Eingangstür des Geschäfts der Klägerin erlaubt werde, komme keine rechtliche Bedeutung zu. Die Klägerin sei auch in ihren Bestandrechten nicht beeinträchtigt, habe sie doch die Türe zur ihrem Geschäftsraum zugemauert, sich damit ihres Bestandrechtes an diesem allgemeinen Teil der Liegenschaft begeben und nicht einmal behauptet, daß sie zur Zeit den Zutritt zu ihrem Bestandobjekt durch diese Türe von der Passage her benötige. Ein Anspruch auf Entfernung des Schaukastens bestehe daher nicht. Das Berufungsgericht hat ausgesprochen, daß der Wert des Streitgegenstandes, über den es entschied, wohl S 15.000,-- nicht aber S 300.000,-- übersteigt und daß die Revision nicht zulässig sei. Dies begründete das Gericht zweiter Instanz damit, daß der Umfang des Gebrauchsrechtes des Bestandnehmers in der Rechtsprechung einheitlich umschrieben werde und keine Frage von der Bedeutung nach § 502 Abs 4 Z 1 ZPO zu lösen sei.

Gegen das abändernde Urteil des Berufungsgerichtes wendet sich die Klägerin mit ihrer außerordentlichen Revision. Sie macht geltend, das Berufungsgericht habe Rechtsfragen von erheblicher Bedeutung unrichtig gelöst (§ 503 Abs 2 ZPO) und stellt dies nach § 506 Abs 1 Z 5 ZPO so dar, daß eine zwischen Hauptmietern geschlossene Vereinbarung, die einem Mieter die Aufstellung einer Vitrine vor der Eingangstüre des Mietobjektes des anderen Mieters nur gegen jederzeitigen Widerruf einräume, allein Grundlage für den gerichtlich geltend gemachten Anspruch sein müsse, nach dem Widerruf der Gestattung auf Entfernung der Vitrine zu dringen. Die Außenfassade der von der Klägerin gemieteten Bestandsache gehöre wie der Notausgang zum Mietobjekt. Die Klägerin benötige diesen Ausgang auch, wenn sie Gegenstände größeren Umfangs in das Geschäft oder aus dem Geschäft bringen wolle. Es handle sich um Fragen, deren Beantwortung für die Rechtseinheit und Rechtssicherheit von erheblicher Bedeutung sei. In der Sache beantragt die Klägerin die Abänderung des Urteils des Berufungsgerichtes und die Wiederherstellung der Entscheidung des Erstgerichtes. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen, ihr aber jedenfalls nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil den aufgeworfenen Fragen, von deren Lösung die Entscheidung des Rechtsstreites abhängt, von erheblicher Bedeutung im Sinne des § 502 Abs 4 Z 1 ZPO sind. Die Revision ist aber auch berechtigt.

Dem Mieter steht wegen der über den persönlichen Anspruch gegen den Vermieter auf Gewährung der Leistung hinausgehenden Beziehung zur Sache die petitorische Klage auch zur Abwehr von Eingriffen in das Bestandrecht gegen jeden Dritten zu, der kein besseres oder zumindest gleichwertiges Recht nachzuweisen vermag (Würth in Rummel, ABGB, Rdz 2 zu §§ 1092-1094 ABGB; Bydlinski in Klang 2 IV/2,575; Klang in Klang 2 V,22 ff;

Koziol-Welser 7 II,35; Apathy, Publizianische Klage,35; SZ 50/10;

MietSlg.30.047). Die Aufstellung eines Schaukastens vor einer Geschäftseingangstüre des anderen Hauptmieters greift auch dann in dessen Bestandrecht ein, wenn der Zugang vorübergehend nicht benützt und deshalb abgeschlossen wird. Daß durch die von der Klägerin behauptete Zumauerung des zweiten Geschäftseinganges von der Passage her auf Dauer auf das mit dem Bestandrecht verbundene Recht des Zuganges zum Bestandobjekt durch diese vorhandene Türe verzichtet wurde, ergibt sich weder aus dem von der Klägerin vorgetragenen noch dem vom Erstgericht festgestellten Sachverhalt. Danach hat die Klägerin nur vorübergehend den zweiten Zugang abgemauert, will ihn aber bei Bedarf oder bei Umgestaltung ihres Geschäftsportals wieder benützen. Das Berufungsgericht unterstellt daher zu Unrecht, daß sich die Klägerin durch die 'Vermauerung' der Eingangstüre von der Passage her ihres 'Bestandrechtes' an diesem Teil der Liegenschaft begeben hätte.

Das dem Bestandrecht innewohnende Recht des Zutritts wird, auch wenn davon vorübergehend nicht Gebrauch gemacht werden soll, durch die Aufstellung einer Schauvitrine vor die Eingangstüre entzogen. Die Klägerin könnte sich dagegen zur Wehr setzen und neben ihren Rechten aus dem Vertrag gegenüber dem Vermieter auch unmittelbar gegen den Störer auf Abhilfe dringen, auch wenn sie zur Zeit die Abmauerung noch nicht entfernen will.

Nach ihrer den Anspruch tragenden Behauptung hat die Klägerin der Beklagten bittleihweise die Aufstellung der Vitrine vor der Geschäftstüre gestattet, sich aber vorbehalten, diese Zustimmung jederzeit widerrufen und auf Entfernung des Schaukastens dringen zu können. Die Klägerin konnte damit zwar der Beklagten nicht das Recht einräumen, auf einem dem allgemeinen Teil der Liegenschaft zuzurechnenden Platz in der Hauseinfahrt einen Schaukasten aufzustellen, sie hat aber bis zum Widerruf ihrer Zustimmung sich des Rechtes begeben, die Störung ihres Mietrechtes abzuwehren. Ist aber der Widerruf erfolgt, kann die Beklagte dem Begehren der Klägerin nicht mehr entgegensetzen, sie sei kraft Gestattung durch die Klägerin berechtigt, ihre Vitrine vor der Eingangstüre des Geschäftslokals der Klägerin zu belassen. Der behaupteten und vom Erstgericht festgestellten Vereinbarung kommt daher die Bedeutung zu, daß die Klägerin so lange nicht auf Beseitigung des Schaukastens dringen durfte, als sie gegen Widerruf unentgeltlich die Aufstellung duldete, daß aber nach Erklärung des Widerrufs die ihr sonst gegen einen ohne Rechtstitel erfolgten Eingriff in das Bestandrecht zustehende Abwehr gelingen muß. Damit kann zwar der Beseitigungsanspruch nicht aus der Vereinbarung abgeleitet werden, wohl aber aus dem auch den unbehinderten Zutritt zu einer vorhandenen Geschäftseingangstüre einschließenden Bestandrecht, das durch vorübergehende Vermauerung eines Zuganges mit dem Vorbehalt der späteren Öffnung nicht verloren ging.

Den Tatsachenfeststellungen des Erstgerichtes kommt entscheidungserhebliche Bedeutung zu. Die Beklagte hat diese Feststellungen zulässig in ihrer Berufung bekämpft, das Berufungsgericht tat die Beweisrüge widersprüchlich mit dem Bemerken ab, daß diesen Feststellungen ohnedies keine entscheidende Bedeutung zukomme, daß sie aber 'übernommen würden'. Es kann wohl nicht angenommen werden, daß das Berufungsgericht damit tatsächlich die umstrittenen Feststellungen zur Entscheidungsgrundlage erheben wollte, wenn es ein Eingehen auf die Beweisrüge ausdrücklich ablehnte.

Vielmehr ergibt sich, daß das Berufungsgericht entscheidungserhebliche Feststellungen unterlassen hat und sich der Behandlung der Beweis- und Tatsachenrüge zu unterziehen haben wird, weil die Beklagte dem Beseitigungsanspruch der Klägerin ihre Behauptung entgegengesetzt hatte, die Vitrine stehe schon seit vielen Jahren unbeanstandet vor der vermauerten Geschäftseingangstüre der Klägerin, die sich weder einen Widerruf einer Zustimmung vorbehalten noch Einwendungen gegen die Vermietung des Aufstellungsplatzes der Vitrine durch den Hausverwalter erhoben habe.

Der Revision ist daher Folge zu geben. Das angefochtene Urteil ist aufzuheben und dem Gericht zweiter Instanz die neue Entscheidung aufzutragen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 52 Abs 1 Satz 2 ZPO.

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