OGH 7Ob22/85

OGH7Ob22/854.7.1985

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden und durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr. Petrasch sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz, Dr. Warta und Dr. Egermann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Alfred A, Angestellter, Wien 10., Raxstraße 11, vertreten durch Dr. Edgar Kollmann, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei B C D E, Aktiengesellschaft,

Wien 3., Ghegastraße 3, vertreten durch Dr. Johann Subarsky, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 21.Februar 1985, GZ. 4 R 273/84-9, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Handelsgerichtes Wien vom 8.Oktober 1984, GZ. 21 Cg 523/84-5, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß es zu lauten hat:

'Die beklagte Partei hat der klagenden Partei auf Grund des zu Polizze Nr.6/66/13789673 bestehenden Rechtsschutzversicherungsvertrages für den Unfall vom 25.3.1983 Versicherungsschutz zu gewähren.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 23.763,05 bestimmten Verfahrenskosten aller drei Instanzen (darin enthalten S 4.166 Barauslagen und S 1.781,55 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger hat mit der beklagten Partei eine Rechtsschutzversicherung abgeschlossen, der die allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung (ARB 1965) - im folgenden nur ARB - zugrundeliegen. Am 25.3.1983 wurde er als Fahrzeuginsasse bei einem Verkehrsunfall verletzt. Zur Geltendmachung seiner Ersatzansprüche bevollmächtigte er den Klagevertreter, der dies der beklagten Partei am 28.9.1983 mitteilte. Die beklagte Partei nahm die Bevollmächtigung zur Kenntnis und ersuchte um übermittlung einer Kopie des Klagsentwurfes zur Genehmigung, falls die Vergleichsverhandlungen mit dem Haftpflichtversicherer des Schädigers erfolglos bleiben sollten. Mit Schreiben vom 22.12.1983 teilte der Klagevertreter der beklagten Partei das Scheitern der Vergleichsgespräche unter Anschluß einer Ausfertigung des vom Haftpflichtversicherer des Schädigers eingeholten neurologischen Sachverständigengutachtens mit. Nach diesem Gutachten erlitt der Kläger bei dem Unfall eine Zerrung der Halswirbelsäule mit einer Schmerzendauer von 22 Tagen. Mit Spätkomplikationen ist nicht zu rechnen. Der Klagevertreter wies in seinem Schreiben jedoch darauf hin, daß er mit diesem Gutachten nicht konform gehe, weil der Kläger nach seinen Angaben seit dem Unfall ohne Unterbrechung Schmerzen habe. Er ersuchte um Genehmigung der von ihm ausgearbeiteten Klage auf Zahlung eines Schmerzengeldes von S 100.000 und auf Feststellung der Ersatzpflicht für künftige Schäden. Das Feststellungsbegehren bewertete er mit S 40.000. Mit Antwortschreiben vom 13.1.1984 ersuchte die beklagte Partei um übermittlung der Krankengeschichte, weil die vorliegenden Unterlagen ein Schmerzengeld von S 100.000 nicht rechtfertigten. Am 9.2.1984 wiederholte der Klagevertreter seinen Standpunkt und kündigte der beklagten Partei an, ihren Versicherungsnehmer davon zu verständigen, daß sie die Deckung ablehne. Mit Schreiben vom 23.2.1984 informierte die beklagte Partei den Kläger davon, daß sie keineswegs die Deckung ablehne, sie halte nur eine Klage auf Zahlung eines Schmerzengeldes von S 100.000 für verfehlt, weil dies unnötige Kosten verursachen würde. Die Interessen des Klägers seien bei Geltendmachung eines Schmerzengeldes von S 30.000 bis S 40.000 unter Vorbehalt weiterer Ansprüche voll gewahrt. Sollte der Kläger darauf bestehen, daß die Klage, so wie sie vom Klagevertreter vorbereitet worden sei, eingebracht werde, mache er sich einer vorsätzlichen Obliegenheitsverletzung schuldig und verliere seinen Anspruch auf Versicherungsschutz. Eine Durchschrift dieses Schreibens erging an den Klagevertreter mit dem Auftrag, namens des Klägers ein Schmerzengeld von S 40.000 - unter Vorbehalt der Ausdehnung - und das Feststellungsbegehren gerichtlich geltend zu machen. In seinem Antwortschreiben vom 19.3.1984 wies der Klagevertreter den Vorwurf einer Obliegenheitsverletzung zurück und ersuchte neuerlich um Genehmigung der von ihm entworfenen Klage. Am 22.3.1984 brachte er im Auftrag des Klägers die Klage im Sinne des Klagsentwurfes ein. Die beklagte Partei lehnte mit Schreiben vom 28.3.1984 unter Setzung einer Klagefrist von 6 Monaten eine Deckung mit der Begründung ab, daß die Einbringung der nicht genehmigten Klage eine vorsätzliche Obliegenheitsverletzung darstelle.

Gegen die innerhalb der gesetzten Frist eingebrachte Deckungsklage wendet die Beklagte Leistungsfreiheit gemäß Art.10 ARB wegen Verletzung der Obliegenheiten nach Art.7 Abs.6 lit.b, Art.7 Abs.4 erster Abschnitt letzter Satz und Art.6 Abs.5 ARB ein. Nach Art.7 Abs.6 lit.b ARB darf der Versicherer, soweit die Interessen des Versicherten dadurch nicht unbillig, insbesondere durch drohende Verjährung, beeinträchtigt werden, verlangen, daß vorerst nur ein von ihm bestimmter Teil der Ansprüche und die verbleibenden restlichen Ansprüche erst nach rechtskräftiger Entscheidung über den Teilanspruch geltend gemacht werden. Gemäß Art.7 Abs.4 erster Abschnitt letzter Satz ARB erfolgt die Beauftragung des Rechtsanwaltes ausnahmlos durch den Versicherer. Der Art.6 Abs.5 ARB bestimmt, daß der Versicherte alles zu vermeiden hat, wodurch unnötig die Kosten erhöht oder ihre Erstattung durch die Gegenseite erschwert werden könnte.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es folgte dem Rechtsstandpunkt der beklagten Partei. Durch deren Verlangen nach Art.7 Abs.6 lit.b ARB seien die Interessen des Klägers nicht unbillig beeinträchtigt worden. Möglichen verfahrensrechtlichen Folgen im Falle einer sofortigen Anerkennung des geringeren Klagebegehrens, wie sie der Kläger befürchte, hätte durch Vorbehalt der Klagsausdehnung begegnet werden können. Der Kläger hätte auch nach Art.7 Abs.4 ARB die von der beklagten Partei nicht genehmigte Klage nicht einbringen dürfen. Wegen der selbst bei Anwendung des § 43 Abs.2 ZPO möglichen Kostenfolgen habe der Kläger schließlich auch gegen die Obliegenheit nach Art.6 Abs.5 ARB verstoßen. Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil. Es sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes S 60.000, nicht aber S 300.000 übersteige, und erklärte die Revision mit der zutreffenden Begründung für zulässig, daß eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zu den von der beklagten Partei geltend gemachten Obliegenheitsverletzungen fehle. Nach der Rechtsauffassung des Berufungsgerichtes falle dem Kläger aber lediglich eine Obliegenheitsverletzung nach Art.6 Abs.5 ARB zur Last.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen die Entscheidung des Berufungsgerichtes erhobene Revision des Klägers ist berechtigt.

Auszugehen ist davon, daß die beklagte Partei vom Kläger verlangte, vorerst (unter Vorbehalt weiterer Ansprüche) nur einen Teilbetrag von S 30.000 bis S 40.000 des von ihm behaupteten Schmerzengeldanspruches einzuklagen, und dem Klagevertreter einen Auftrag zur Einbringung einer Klage in diesem Sinne erteilte. Ein Verlangen nach vorläufiger Einklagung eines von ihm bestimmten Teilanspruches darf der Versicherer nach Art.7 Abs.6 lit.b ARB stellen, soweit die Interessen des Versicherten dadurch nicht unbillig, insbesondere durch drohende Verjährung, beeinträchtigt werden. Unbillig ist ein solches Verlangen dann, wenn dem Versicherungsnehmer dadurch, daß er nur einen Anspruchsteil gerichtlich geltend macht, Rechtsnachteile entstehen können (vgl.Harbauer, ARB-Komm.Rdz 13 zu § 15). Bei dem mit Leistungsklage geltend zu machenden Anspruch des Klägers handelte es sich um einen Schmerzengeldanspruch. Nun hat aber der Oberste Gerichtshof in Ablehnung der vereinzelt, insbesondere bei der Geltendmachung von weiteren Schmerzengeldansprüchen nach einem Adhäsionsverfahren vertretenen Auffassung (SZ 24/281; vgl.auch SZ 40/7), wiederholt ausgesprochen, daß eine Teileinklagung von Schmerzengeld nur ausnahmsweise zulässig ist, und zwar dann, wenn die Folgen der Verletzung noch nicht voll überblickt werden können (ZVR 1983/345, 1973/8, 1979/308, 1970/37; 8 Ob 39/77; 8 Ob 61/77 ua; vgl. auch Reischauer in Rummel, ABGB, Rdz 49 zu § 1325). Die von der beklagten Partei vom Kläger verlangte Teileinklagung könnte demnach, insbesondere bei sofortiger Anerkennung des geringeren Betrages durch den Haftverpflichtversicherer, da der Grund des Anspruches nicht strittig ist, zum Verlust eines weiteren, allenfalls berechtigten Schmerzengeldanspruches des Klägers führen. Dies könnte auch durch einen in der Klage erklärten Vorbehalt weiterer Schmerzengeldansprüche nicht abgewendet werden, weil einem solchen Vorbehalt keine rechtliche Bedeutung zukommt. Daraus ergibt sich, daß das Verlangen der beklagten Partei unberechtigt war. Es kann dem Kläger dann aber nicht als Obliegenheitsverletzung angelastet werden, wenn er dem unberechtigten Verlangen nach Teileinklagung nicht entsprach.

Aber auch der Vorwurf,der Kläger habe eine unnötige Kostenerhöhung iS des Art.6 Abs.5 ARB verursacht, ist nicht stichhältig. Bei der gerichtlichen Geltendmachung eines Schmerzengeldanspruches könnte eine offensichtliche überklagung einen solchen Vorwurf rechtfertigen. Die beklagte Partei hat aber eine offensichtliche überklagung nicht dargetan, und es liegen für eine solche Mehrforderung auch keine Anhaltspunkte vor. Nach der von der beklagten Partei vertretenen Meinung rechtfertigten zwar die Verletzungen des Klägers nach dem vom Haftpflichtversicherer des Schädigers beigebrachten Sachverständigengutachten nicht den vom Kläger begehrten Betrag, der Standpunkt des Klägers, daß von diesem Gutachten nicht die gesamten Schmerzperioden berücksichtigt worden seien, blieb von der beklagten Partei jedoch unwidersprochen. Die beklagte Partei verlangte in der Folge nur die Einklagung lediglich eines Teilbetrages unter Vorbehalt weiterer Ansprüche, ohne zum Ausdruck zu bringen, daß sie keinesfalls einen höheren als den einzuklagenden Betrag für gerechtfertigt erachte. Schließlich erfolgte auch die Auftragserteilung an den Rechtsanwalt durch die beklagte Partei.

Demgemäß ist der Revision Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

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