Spruch:
Streitanhängigkeit ist nicht gegeben, wenn einer Leistungsklage eine (bejahende oder verneinend ) Feststellungsklage entgegengestellt wurde; es fehlt in einem solchen Falle das Erfordernis der Gleichheit des Rechtsschutzzieles.
Entscheidung vom 19. Jänner 1967, 2 Ob 348/66.
I. Instanz: Kreisgericht Wels; II. Instanz: Oberlandesgericht Linz.
Text
In der vorliegenden Klage hat der Kläger behauptet, daß Leonard J. P., ein Barmann aus Kanada, bei einem vom Beklagten am 2. Juni 1964 in der Nähe von M. verschuldeten Verkehrsunfall schwer verletzt worden sei und neben Sachschäden auch schwere Verletzungen erlitten habe. Diesem stunden daher Schadenersatzansprüche auf Schmerzengeld, Ersatz der Sachschäden und eines Verdienstentganges gegen den Beklagten zu. P., der mittellos sei und sich wegen der Verletzungsfolgen weiterhin in Österreich aufhalten müsse, schulde ihm für Unterkunft und Verpflegung 18.987.21 S. Zur Abgeltung dieser Forderung habe er ihm einen Teil seiner Schadenersatzansprüche gegen den Beklagten im Ausmaß von 20.000 S abgetreten.
Auf Grund dieser Zession hat der Kläger die Verurteilung des Beklagten zur Zahlung des oben genannten Betrages begehrt.
Der Beklagte hat bestritten und unter anderem auch Streitanhängigkeit eingewendet, weil P. bereits selbst alle seine Schadenersatzansprüche gegen den Beklagten eingeklagt habe. Der Beklagte hat weiter die Bestimmtheit des Klagebegehrens bestritten, weil nicht genau angegeben sei, was und wofür der Kläger etwas verlange. Der Sachschaden sei nur mit 11.000 S behauptet worden. Bezüglich des Verdienstentganges habe der Kläger lediglich angegeben, in welchem Umfang dem Zedenten ein solcher entstanden sein könnte. Er habe aber nichts darüber gesagt, für welche Zeit er einen ihm aus diesem Titel abgetretenen Betrag begehre. Außerdem werde der Einwand eines Mitverschuldens des Geschädigten zu einem Drittel zu beachten sein.
Der Beklagte hat die Zurückweisung der Klage wegen Streitanhängigkeit beantragt.
In einem vorbereitenden Schriftsatz hat der Kläger sein Klagsvorbringen dahin präzisiert, daß sich die Zession nur auf Schadenersatzansprüche des P. gegen den Beklagten bezogen habe, die diesem außer den von ihm selbst eingeklagten Schadenersatzbeträgen zustehen. P. habe in seiner Klage ein Schmerzengeld nur für die Zeit bis zur Klagseinbringung, das ist bis zum 22. März 1965, begehrt. Es stehe ihm aber darüber hinaus ein weiteres Schmerzengeld zu, weil er auch nach diesem Zeitpunkt unfallsbedingte Schmerzen zu erdulden hatte, die ein weiteres Schmerzensgeld von 35.000 S rechtfertigen.
P. sei außerdem bis zum 1. April 1966 zufolge seiner Verletzungsfolgen außerstande gewesen, seinen Beruf als Barmann auszuüben. Es sei ihm daher über den von P. selbst eingeklagten Verdienstentgang hinaus in der Zeit vom 1. Juli 1965 bis 1. April 1966 ein weiterer Verdienstentgang von 5000 Dollar, d. s. 124.000 S, entstanden. Der zitierte Betrag sei daher durch die von P. selbst noch nicht gerichtlich geltend gemachten weiteren Schadenersatzforderungen gegen den Beklagten ausreichend gedeckt.
Das Erstgericht hat in der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom 28. September 1966 das gesamte Vorbringen der Parteien und insbesondere auch den weiteren Einwand des Beklagten im Verhandlungsprotokoll festgehalten, daß die Streitanhängigkeit auch mit Rücksicht auf das von P. in seiner Klage gestellte Feststellungsbegehren begrundet sei. Sodann hat das Erstgericht die Klage wegen Streitanhängigkeit zurückgewiesen. Es war der Meinung, daß die Zession einer Forderung während eines Prozesses der Veräußerung der Streitsache gemäß § 234 ZPO. gleichzuhalten sei. P. hätte vom Zeitpunkt der "Veräußerung seiner Forderung" sein Klagebegehren umstellen müssen. Er habe weder dies getan noch seine Klagsforderung eingeschränkt. Außerdem umfasse das von P. gestellte Feststellungsbegehren auch alle zukünftigen Ansprüche.
Das Rekursgericht hat dem Rekurs des Klägers Folge gegeben und die Einrede der Streitanhängigkeit zurückgewiesen. Es war der Meinung, der Kläger habe zwar nicht mit der Klage, aber mit seinem Vorbringen im Prozeß dargetan, daß ihm nur solche Ansprüche des P. gegen den Beklagten abgetreten worden seien, die P. selbst noch nicht gerichtlich geltend gemacht habe. Die Ansprüche in den beiden Klagen seien daher verschieden. Auch das von P. gestellte Feststellungsbegehren mache die Leistungsklage des Klägers nicht unzulässig.
Gegen den Beschluß des Rekursgerichtes richtet sich der Revisionsrekurs des Beklagten. Dieser beantragt, den angefochtenen Beschluß dahin abzuändern, daß der erstgerichtliche Beschluß wiederhergestellt werde.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Revisionsrekurs der beklagten Partei nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Der Revisionsrekurs ist zulässig, aber nicht gerechtfertigt.
Der Beklagte nimmt in seinem Rechtsmittel den Standpunkt ein, daß bereits das von P. in seiner Klage erhobene Feststellungsbegehren, wonach ihm der Beklagte auch für alle aus dem Unfall in Zukunft entstehenden Nachteile hafte, die Streitanhängigkeit begrunde, weil diese alle zukünftigen Schadenersatzansprüche des P. gegen den Beklagten umfasse.
Diese Ansicht kann nicht geteilt werden. Das Feststellungsbegehren des P. kann sich immer nur auf die im Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Streitverhandlung vor der Fällung des Feststellungserkenntnisses noch nicht mit Leistungsklage geltend zu machenden Schadenersatzansprüche des P. gegen den Beklagten beziehen. Das Feststellungsbegehren hindert daher nicht die Leistungsklage des Klägers als Zessionars des P., die nach den Behauptungen des Klägers bereits fällig gewordenen Leistungsansprüche umfaßt. Die vom Beklagten in seinem Rechtsmittel zitierte Rechtsprechung bezieht sich nur auf negative Feststellungsklagen, eine solche liegt aber hier nicht vor. Nach Pollak, "System des österreichischen Zivilprozeßrechtes"[2] S. 390 ist Streitanhängigkeit nicht gegeben, wenn einer Leistungsklage eine (bejahende oder verneinte) Feststellungsklage entgegengestellt wurde; es fehlt in einem solchen Fall das Erfordernis der Gleichheit des Rechtsschutzzieles.
Auch der Einwand des Beklagten, daß der Schmerzengeldanspruch des P. ein einheitlicher sei und nicht zerlegt und aufgeteilt werden könne, ist nicht stichhältig. Im Sinne der einschlägigen Rechtsprechung (SZ. XXIV 281 u. a.) ist es zulässig, das Schmerzengeld auch nur für bestimmte Zeiträume zu begehren. Entgegen der Ansicht des Beklagten ist auch die Abtretung des Schmerzengeldanspruches zulässig, bevor dieser anerkannt oder gerichtlich geltend gemacht worden ist (SZ. XIX 293).
Streitanhängigkeit ist vorliegendenfalls überhaupt nicht eingetreten, weil nach den Prozeßbehauptungen des Klägers die von ihm geltend gemachten Ansprüche des P. mit den von diesem selbst gerichtlich geltend gemachten Ansprüchen nicht ident sind. Hat aber P. nur Ansprüche für einen bestimmten Zeitraum gestellt, also Teilansprüche gerichtlich geltend gemacht, so könnte Streitanhängigkeit nur bezüglich des von P. eingeklagten Teilbetrages eingetreten sein. Hinsichtlich der weiteren vom Kläger als Zessionar des P. geltend gemachten Ansprüche ist Streitanhängigkeit nicht anzunehmen (JBl. 1956 S. 236).
Das Vorbringen des Klägers im Prozeß nach Einbringung der Klage ist lediglich als eine zulässige Präzisierung der Klagsbehauptung anzusehen. Da der vorbereitende Schriftsatz zum Gegenstand der Verhandlung gemacht worden ist, sind auch diese Behauptungen des Klägers bei der Beurteilung zu berücksichtigen; die Entscheidung ist auf den letzten Stand der Prozeßbehauptungen abzustellen.
Die Ansicht des Rekursgerichtes, daß Streitanhängigkeit nicht gegeben ist, ist somit richtig.
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