OGH 1Ob703/84

OGH1Ob703/8414.11.1984

SZ 57/175

Normen

ABGB §859
ABGB §918
ABGB §1061
ABGB §859
ABGB §918
ABGB §1061

 

Spruch:

Die verspätete Erfüllung einer Nebenpflicht (Vorbereitungspflicht) rechtfertigt den Rücktritt vom Vertrag nicht, wenn sie die Erbringung der Hauptleistung weder verzögerte noch gefährdete

OGH 14. 11. 1984, 1 Ob 703/84 (OLG Innsbruck 5 R 320/83; LG Innsbruck 9 Cg 714/82)

Text

Mit dem als Vorentscheidung bezeichneten Bescheid des Stadtmagistrats Innsbruck vom 28. 10. 1981, Z IV-8577/1981, wurden die Nutzwerte für die Liegenschaft Innsbruck, K- Allee 88, zufolge Planänderung neu festgesetzt, da in Ansehung der gegenständlichen Wohnungseigentumsanlage nach Festsetzung der Nutzwerte Um- und Zubauten vorgenommen bzw. eine Umwidmung des ursprünglichen Hotel- und Restaurationsbetriebes in eine Wohn- und Geschäftsanlage erfolgt sei. Unverändert seien lediglich die im "Westtrakt" gelegenen Wohnungen Nr. 1 bis Nr. 44 geblieben, während sich auf Grund der Umbauten eine geänderte Geschäfts- und Wohneinheit Nr. 45/46 sowie zusätzlich 56 Einzelzimmerappartements bzw. Wohnungen und eine selbständige Garage ergeben werden. Für diese Einheiten seien daher Nutzwerte entsprechend den bewilligten Änderungsplänen und den sich daraus ergebenden Nutzflächen und Zubehörausmaßen neu festzusetzen. Dieser Bescheid ist in Rechtskraft erwachsen.

Die Streitteile schlossen am 23. 4. 1982 einen als "rechtsverbindliche Kaufabrede" bezeichneten Vertrag, wonach die klagende Partei die Miteigentumsanteile des Beklagten am Grundstück 2121/4 der EZ 3265 II KG H laut Parifizierung vom 28. 10. 1981 erwarb, um 36 Wohneinheiten im eigenen Namen und für eigene Rechnung zu errichten. Als Kaufpreis wurde vereinbart, daß die klagende Partei für den Beklagten den Rohbau für 10 Büroeinheiten im Gegenwert von 2 Mio. S ausführt. Für diesen Rohbau sollte gemäß Punkt 3 der Kaufabrede von der klagenden Partei eine separate Baubeschreibung errichtet werden. Laut Punkt 10 der Kaufabrede sollte die klagende Partei weiters das Eigentum an den Garagenboxen 8 und 9 zum Preis von 170 000 S erhalten. Die klagende Partei hat auf diesen Betrag bei Vertragsunterfertigung einen Teilbetrag von 85 000 S und am 25. 5. 1982 den Restbetrag von weiteren 85 000 S bezahlt. In Punkt 1 der Kaufabrede ist ausgeführt, daß das Grundstück 2121/4 in einen östlichen und einen westlichen Teil materiell geteilt werde; tatsächlich ist diese Teilung nicht erfolgt; aus welchem Grund sie unterblieb, ist nicht feststellbar. Anläßlich der Unterfertigung der Kaufabrede teilte der Beklagte dem Geschäftsführer der klagenden Partei mit, daß der Parifizierungsbescheid grundbücherlich noch nicht durchgeführt sei, daß aber Rechtsanwalt Dr. Alfons L, der jetzige Beklagtenvertreter, einen entsprechenden Auftrag erhalten habe. Ing. Richard P, der Geschäftsführer der klagenden Partei, stellte klar, daß die Parifizierung durchgeführt werden müsse, da die klagende Partei nur dann Wohnungen verkaufen könne, wenn das Miteigentum klargestellt sei. Am 23. 6. 1982 wandte sich der Vertreter der klagenden Partei telefonisch an den Beklagtenvertreter und erhielt die Zusage, daß mit der Einbringung des entsprechenden Grundbuchsantrages alsbald gerechnet werden könne. Mit Schreiben vom 26. 7. 1982 fragte der Vertreter der klagenden Partei beim Beklagtenvertreter an, ob die Umparifizierung grundbücherlich durchgeführt worden sei. Nachdem dieses Schreiben vorerst unbeantwortet geblieben war, richtete der Vertreter der klagenden Partei am 17. 9. 1982 ein Schreiben an den Beklagten, in welchem es heißt: "Im Auftrage meiner Mandantschaft erkläre ich hiemit den Rücktritt vom geschlossenen Vertrag, wenn die unbedingt erforderliche Eintragung der Änderung der Nutzwerte im Grundbuch der Katastralgemeinde H nicht innerhalb der nächsten 14 Tage erfolgt ist." Eine Kopie dieses Schreibens wurde dem Beklagtenvertreter übermittelt. Am 30. 9. 1982 richtete der Beklagtenvertreter an den Vertreter der klagenden Partei ein Schreiben, in dem er darauf hinwies, daß er die Änderung der Nutzwerte auf Grund der Neuparifizierung beantragt habe; der Vertreter der klagenden Partei könne daher jederzeit die Grundbuchseingabe betreffend die 36 Wohnungseinheiten einbringen. Der Beklagtenvertreter diktierte das entsprechende Grundbuchsgesuch am selben Tag; zufolge eines in der Kanzlei des Beklagtenvertreters unterlaufenen Versehens wurde dieses Gesuch jedoch erst am 7. 10. 1982, somit nach Ablauf der 14tägigen Nachfrist, beim Grundbuch überreicht. Mit Beschluß des Bezirksgerichtes Innsbruck vom 27. 10. 1982 wurde die Änderung der Miteigentumsverhältnisse grundbücherlich durchgeführt.

Die klagende Partei begehrt den Betrag von 170 000 S sA und führte zur Begründung aus, die bücherliche Eintragung der geänderten Nutzwerte sei unabdingbare Voraussetzung für die Erlangung des Eigentumsrechts am westlichen Teil des Grundstücks 2121/4 gewesen; sie habe die Verbücherung des Bescheides des Stadtmagistrats Innsbruck mehrfach urgiert, doch sei der Beklagte seiner Verpflichtung zur Verbücherung nicht nachgekommen, so daß sie schließlich unter Setzung einer angemessenen Nachfrist vom Vertrag zurückgetreten sei. Da die Verbücherung auch innerhalb der gesetzten Nachfrist nicht erfolgte, sei der Beklagte zur Rückzahlung des erhaltenen Betrages von 170 000 S sA verpflichtet.

Der Beklagte beantragte Abweisung des Klagebegehrens. In der Kaufvereinbarung vom 23. 4. 1982 sei eine bestimmte Frist für die bücherliche Durchführung der Neuparifizierung nicht bedungen worden; daß es der klagenden Partei damit besonders dringlich gewesen sei, habe er nicht zu erkennen vermocht. Die klagende Partei nehme die verzögerte Verbücherung der geänderten Nutzwerte nur zum Vorwand, um sich ihrer Verpflichtungen aus der Kaufabrede vom 23. 4. 1982 zu entledigen. Die ihm gesetzte Nachfrist von 14 Tagen sei auch unangemessen kurz gewesen. Innerhalb der unter den gegebenen Umständen als angemessen zu bezeichnenden Frist habe er die bücherliche Durchführung der Neuparifizierung bewirkt. Im übrigen betreffe der Verzug nur eine Nebenverpflichtung bzw. eine Schutzpflicht, sodaß die klagende Partei auch deshalb zum Vertragsrücktritt nicht berechtigt sei.

Der Erstrichter gab dem Klagebegehren statt. Die "rechtsverbindliche Kaufabrede" vom 23. 4. 1982 habe alle wesentlichen Merkmale eines Kaufvertrages enthalten. Da für die vom Beklagten zu veranlassende grundbücherliche Durchführung der Neuparifizierung im Vertrag keine Frist bestimmt worden sei, habe diese Leistung sogleich, also ohne unnötigen Aufschub, vom Beklagten gefordert werden können. Da der Beklagte trotz der erfolgten Mahnung seiner Verpflichtung nicht nachgekommen sei, sei die klagende Partei nach Maßgabe des § 918 ABGB zum Vertragsrücktritt berechtigt gewesen. Daran vermöge auch nichts zu ändern, daß der Verzug nicht die Hauptleistungspflicht, sondern nur eine unselbständige vertragliche Nebenpflicht, auf die kein Teil des Entgelts entfalle, betroffen habe. Bei einem Verzug in der Erfüllung derartiger Nebenpflichten bestehe ein Rücktrittsrecht dann, wenn die Verletzung der Nebenpflicht das Interesse an der Erfüllung des Vertrages überhaupt beseitige. Dies sei hier der Fall, weil ohne vorherige bücherliche Durchführung die Errichtung des für die Einverleibung des Eigentumsrechtes zugunsten der klagenden Partei erforderlichen Vertrages nicht möglich gewesen wäre. Die dem Beklagten gesetzte Frist sei angemessen gewesen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Beklagten nicht Folge. Es sprach aus, daß die Revision nicht zulässig sei. Der Verzug des Beklagten mit der Veranlassung der Verbücherung der mit Bescheid des Stadtmagistrates Innsbruck vom 28. 10. 1981 erfolgten Umparifizierung habe eine unselbständige (nicht äquivalente) Nebenpflicht betroffen, auf die kein Teil des von der klagenden Partei zu entrichtenden Entgelts entfallen sei. Die dem Beklagten obliegende Hauptleistung, die Übereignung des Miteigentums am westlichen Teil des Grundstücks 2121/4 an die klagende Partei, und die Nebenleistung, die Veranlassung der grundbücherlichen Durchführung der Umparifizierung, seien Gegenstand einer unteilbaren Erfüllung gewesen. Das Interesse der klagenden Partei an der Hauptleistung sei für den Beklagten erkennbar an die Bewirkung der Nebenleistung gebunden. Die Verzögerung bei der Erfüllung der Nebenpflicht berechtige daher den Gläubiger nach Maßgabe des § 918 ABGB zum Rücktritt vom gesamten Vertrag. Da der Beklagte die Verbücherung des Parifizierungsbescheides auch innerhalb der ihm gesetzten angemessenen Nachfrist von 14 Tagen nicht bewirkt habe, sei die klagende Partei zur Rückforderung des geleisteten Betrages von 170 000 S sA berechtigt.

Über die außerordentliche Revision des Beklagten änderte der Oberste Gerichtshof die Urteile der Vorinstanzen dahin ab, daß er das Klagebegehren abwies.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Die Vorinstanzen führten zutreffend aus, daß die Verpflichtung des Beklagten, die Grundbuchsordnung entsprechend dem Parifizierungsbescheid des Stadtmagistrats Innsbruck herzustellen und damit die Voraussetzung für die Übertragung des Miteigentumsrechts an die klagende Partei zu schaffen, eine unselbständige (nicht äquivalente) Nebenpflicht zum abgeschlossenen Kaufvertrag darstellt. Den unselbständigen Nebenpflichten kommt dienende Funktion zu; sie bezwecken die Vorbereitung und reibungslose Abwicklung der für den Vertragstyp charakteristischen Hauptleistung (SZ 51/26; EvBl. 1976/213; Koziol-Welser, Grundriß[6] I 155; Gschnitzer in Klang[2] IV/1, 25; Rummel in Rummel, ABGB, Rdz. 8 zu § 859). Die Verletzung von unselbständigen Nebenpflichten rechtfertigt im Regelfall nicht den Rücktritt vom Vertrag gemäß § 918 ABGB; nur ausnahmsweise wird das Recht zum Rücktritt anerkannt, wenn die Verletzung der Nebenpflicht zugleich eine schwere Vertrauenserschütterung beinhaltet oder das Interesse an der Erfüllung des Vertrages überhaupt beseitigt (SZ 39/120; SZ 38/99; Bydlinski in Klang[2] IV/2, 325; Koziol-Welser aaO 156, 193; Koziol, österreichisches Haftpflichtrecht[2] II 80; Ehrenzweig, System[2] II/1, 207; Reischauer in Rummel aaO Rdz. 7 vor §§ 918 ff.; Larenz, Lehrbuch, Schuldrecht Allgemeiner Teil[13] I 331; zu den sogenannten Vorbereitungspflichten Schlesinger, ZBl. 1926, 737).

Der vorliegende Fall ist dadurch charakterisiert, daß die Erbringung der Hauptleistung, die Übertragung des Eigentums, nicht allein vom Beklagten abhängig war. Die "rechtswirksame Kaufabrede" war nicht verbücherungsfähig, die Verbücherung des Eigentumsrechts der klagenden Partei konnte daher erst nach Abfassung eines einverleibungsfähigen Kaufvertrages, woran auch die klagende Partei mitzuwirken hatte, erfolgen. Die klagende Partei hat nicht behauptet, daß die Abfassung eines verbücherungsfähigen Vertrages wegen der unterbliebenen Herstellung der Grundbuchsordnung verzögert worden wäre. Die Abfassung eines solchen Vertrages war auch nicht an die vorherige Verbücherung des Parifizierungsbescheides gebunden, da die einzutragenden Miteigentumsanteile feststanden. Der verbücherungsfähige Kaufvertrag hätte bereits auf der Grundlage des vorliegenden Bescheides des Stadtmagistrats Innsbruck vom 28. 10. 1981 ausgefertigt werden können. Für welchen Zeitpunkt die Ausfertigung eines verbücherungsfähigen Vertrages vorgesehen war, steht nicht fest. Der Geschäftsführer der klagenden Partei sprach nur vage davon, daß "wir bald einmal den Kaufvertrag errichten wollten". Selbst nach Ablauf der dem Beklagten gesetzten Nachfrist war demnach die Erfüllung des Kaufvertrages mangels Bestehens einer verbücherungsfähigen Urkunde noch nicht möglich. Der Verzug mit der Erfüllung der Vorbereitungspflicht hat damit die Erbringung der Hauptleistung weder verzögert noch gefährdet. Solange die klagende Partei an den Beklagten wegen Errichtung eines verbücherungsfähigen Vertrages überhaupt noch nicht herangetreten war, bewirkte die Säumnis des Beklagten mit der Vorbereitungshandlung keinen Verzug bei der Erfüllung der ihm obliegenden Pflicht zur Übertragung des Eigentums. Es kann dann nicht gesagt werden, daß durch den Verzug mit der Erfüllung der dem Beklagten obliegenden Nebenpflicht das Interesse an der gesamten Vertragserfüllung weggefallen wäre. Durch eine bloße Säumnis des Beklagtenvertreters wurde auch das Vertrauen in die Rechtzeitigkeit der noch gar nicht beanspruchten Hauptleistung nicht erschüttert. Demnach erweist sich der Rücktritt der klagenden Partei vom Vertrag als nicht gerechtfertigt, sodaß dem Klagebegehren der Erfolg zu versagen ist.

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