OGH 7Ob23/84

OGH7Ob23/8410.5.1984

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Petrasch, Dr. Wurz, Dr. Warta und Dr. Egermann als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei 1) Emil K*****, und 2) Helene K*****, beide vertreten durch Dr. Peter Karl Wolf, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei W*****, vertreten durch Dr. Gertrud Hofmann, Rechtsanwalt in Wien, wegen restlich 306.090,69 S sA, infolge der Rekurse beider Parteien gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 3. Februar 1984, GZ 3 R 4/84‑53, womit das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 5. Oktober 1983, GZ 28 Cg 8/80‑48, aufgehoben wurde, 1. zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1984:0070OB00023.840.0510.000

 

Spruch:

Den Rekursen wird insoweit Folge gegeben, als sie sich gegen die Entscheidung über ein Teilbegehren auf Zahlung von 153.045,34 S samt 12 % Zinsen seit 1. 8. 1981 richten. In diesem Umfang werden die Entscheidungen der Vorinstanzen dahin abgeändert, dass das Begehren auf Zahlung von 153.045,34 S samt 12 % Zinsen seit 1. 8. 1981 abgewiesen wird;

2. den

B e s c h l u s s

gefasst:

Im Übrigen (Begehren auf Zahlung weiterer 153.045,35 S sA sowie hinsichtlich der Kosten) wird den Rekursen nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Verfahrens vor dem Obersten Gerichtshof sind weitere Verfahrenskosten.

Entscheidungsgründe:

Seit dem Jahre 1974 besteht zwischen den Streitteilen eine landwirtschaftliche Bündelversicherung, die unter anderem eine Haftpflichtversicherung enthält. Für diese Haftpflichtversicherung gelten die Allgemeinen Haftpflichtversicherungsbedingungen (AHVB 1963) und die ergänzenden Haftpflichtversicherungsbedingungen (EHVB 1963). Nach Art 5 III Z 5 der AHVB 1963 sind Schäden an Fluren und Kulturen, verursacht durch Weidevieh vom Versicherungsschutz ausgeschlossen.

In der Nacht vom 26. auf 27. 6. 1979 verursachten von den Klägern gehaltene Schafe auf einem Nachbargrundstück Schäden, bezüglich derer die Kläger zum Schadenersatz und aufgrund eines Schadenersatzprozesses zur Zahlung von Prozesskosten verhalten wurden. Sie begehren, sieht man von einem bereits rechtskräftig abgewiesenen Teilbetrag ab, den Zuspruch von 306.090,69 S sA, wobei sie behaupten, der bei Vertragsabschluss für die Beklagte tätig gewesene Versicherungsvertreter habe ausdrücklich Versicherungsschutz auch für den Fall einer Schadensstiftung durch Schafe zugesagt.

Das Erstgericht hat dem Hauptbegehren auf Zahlung stattgegeben, wobei es von folgenden wesentlichen Feststellungen ausging:

Die Kläger erklärten gegenüber dem für die Beklagte bei ihnen vorsprechenden, nicht zum Abschluss von Versicherungsverträgen befugten Vertreter, sie wollten alle Risken versichert haben, die mit der Schafzucht verbunden sind. Hiebei wurde ausdrücklich die Frage besprochen, ob auch Schäden durch Abfressen oder Zertrampeln anlässlich eines Ausbruchs der Schafe aus der Koppel gedeckt sind. Der Vertreter der Beklagten, der den Inhalt der Versicherungsbedingungen nicht kannte, sagte die Deckung auch derartiger Schäden zu. Nach diesem Gespräch füllte er den Versicherungsantrag aus und übergab ihn der Beklagten. Die Kläger haben den schriftlichen Antrag weder gesehen noch unterfertigt. Der Vertreter machte die Beklagte nicht darauf aufmerksam, dass die Kläger das erwähnte Risiko ebenfalls gedeckt haben wollten. In der am 13. 3. 1974 ausgestellten Polizze nahm die Beklagte auf die AHVB 1963 als Vertragsgrundlage Bezug. Die Kläger erhielten diese Bedingungen mit der Polizze zugesandt. Sie haben keine Einwendungen gegen die Polizze erhoben.

Rechtlich vertrat das Erstgericht den Standpunkt, die Kläger hätten den Widerspruch zwischen den mündlichen Erklärungen des Vertreters der Beklagten und den Versicherungsbedingungen nicht erkennen können. § 5 Abs 2 VersVG sei nicht anwendbar, weil die Beklagte auf Abweichungen nicht hingewiesen habe. Die Beklagte habe aber für Erklärungen ihres Agenten einzustehen. Ein Mitverschulden könne den Klägern nicht zur Last gelegt werden.

Das Berufungsgericht hob die erstgerichtliche Entscheidung unter Rechtskraftvorbehalt auf. Es verneinte ein Gewohnheitsrecht in der Richtung, dass auch Zusagen des nicht zum Abschluss befugten Agenten für den Versicherer verbindlich seien. Allerdings sei auch ein solcher Agent zur Entgegennahme mündlicher Anträge oder Ergänzungen zu Anträgen berechtigt. Solche an den Agenten gerichtete Anträge gelten als dem Versicherer zugekommen. Gebe jedoch der Agent dem Versicherer nicht den vollen Inhalt der Anträge bekannt, so habe der Versicherer nicht die Möglichkeit, im Sinne des § 5 Abs 2 VersVG auf Abweichungen aufmerksam zu machen. Nehme er in einem solchen Falle den Antrag mit einem anderen Inhalt an, so läge ein Dissens vor, der das Zustandekommen eines Versicherungsvertrags hindere. Allerdings sei auch der Vermittlungsagent ein Erfüllungsgehilfe des Versicherers bei der Anbahnung von Versicherungsverträgen. Eine allfällige culpa in contrahendo des Agenten, etwa durch mangelnde Aufklärung des Versicherungsnehmers, falle daher aus dem Titel des Schadenersatzes auch dem Versicherer zur Last. Im vorliegenden Fall sei ein solches Verschulden des Agenten und allenfalls auch ein eigenes Organisationsverschulden des Versicherers durch mangelhafte Instruktion seines Agenten gegeben. Demnach treffe die Beklagte grundsätzlich eine Schadenersatzpflicht, wobei sie das negative Vertragsinteresse zu ersetzen habe. Der Geschädigte sei also zu stellen, wie er stünde, wenn die Pflichtverletzung nicht begangen worden wäre. Dies bedeute, dass er so zu stellen sei, als hätte er in Kenntnis der Versicherungsbedingungen eine das von ihm erwähnte Risiko deckende Zusatzversicherung abgeschlossen. Allerdings müsse er sich als Vorteilsausgleich Eigenersparnisse, also die Prämien der nicht abgeschlossenen Zusatzversicherung, anrechnen lassen. Im vorliegenden Fall komme jedoch eine uneingeschränkte Haftung der Beklagten deshalb nicht in Frage, weil die Kläger ein erhebliches Mitverschulden treffe, das dem Verschulden, für das die Beklagte einzustehen habe, gleichwertig sei. Die Kläger hätten nämlich, falls sie die ihnen lange vor dem Schadensfall übermittelten Versicherungsbedingungen durchgelesen hätten, ihren durch den Vertreter der Beklagten bestärkten Irrtum über den Umfang der Versicherung ohne weiteres erkennen müssen. Demnach könnten sie höchstens die Hälfte ihres Schadens verlangen. Auch ein solches Begehren wäre aber dann nicht gerechtfertigt, wenn die Einwendung der Beklagten richtig sein sollte, bereits im Jahre 1976 sei gegenüber den Klägern die Deckung eines „ähnlichen Versicherungsfalls“ abgelehnt worden. Sollte bereits damals auf den Ausschluss der Deckungspflicht für Kultur‑ und Flurschäden durch ausbrechendes Weidevieh verwiesen worden sein, hätten es sich die Kläger selbst zuzuschreiben, dass sie seither nicht entsprechende Schritte zur Deckung dieses Risikos unternommen haben.

Die von den Streitteilen gegen den Beschluss des Berufungsgerichts erhobenen Rekurse sind im Ergebnis nur zum Teil gerechtfertigt.

Rechtliche Beurteilung

A) Zum Rekurs der Kläger:

Dass ein Gewohnheitsrecht des oben aufgezeigten Inhalts bestehe, hat das Berufungsgericht unter Hinweis auf die einschlägige Literatur überzeugend und richtig verneint. Es kann daher in diesem Punkte auf die Ausführungen des Berufungsgerichts verwiesen werden. Die Kläger kommen in ihrem Rechtsmittel auf die gegenteilige Rechtsmeinung des Erstgerichts nicht mehr zurück.

Die Kläger machen in ihrem Rekurs ausschließlich geltend, bei der strittigen Ausschlussbestimmung der AHVB 1963 handle es sich um eine Bedingung derart außergewöhnlichen Inhalts, dass sie im Hinblick auf § 864a ABGB nicht anwendbar sei. Dass die Bestimmung des § 864a ABGB für den vorliegenden Versicherungsfall nicht unmittelbar gilt, weil der Versicherungsvertrag vor dem Inkrafttreten des Konsumentenschutzgesetzes abgeschlossen worden ist (§ 39 Abs 1 KSchG), erkennen die Kläger selbst. Sie vertreten lediglich unter Hinweis auf die in EvBl 1981/53 veröffentlichte Entscheidung den Standpunkt, die in § 864a ABGB aufgezeigten Grundsätze hätten bereits vor Inkrafttreten des Konsumentenschutzgesetzes gegolten. Die von ihnen zitierte Entscheidung hat jedoch lediglich ausgesprochen, dass eine Ausnahme von dem Grundsatz, wonach der Inhalt einer unterfertigten Urkunde als rechtsverbindliche Willenserklärung auch dann gilt, wenn die Urkunde vor Unterfertigung nicht durchgelesen wurde, nur dann anzunehmen wäre, wenn der Urkundeninhalt so ungewöhnlich ist, dass ein Einverständnis nicht angenommen werden kann. Die bloße Abgrenzung des vom Versicherer übernommenen Risikos an der deutlich hiefür vorgesehenen Stelle der Versicherungsbedingungen stellt jedoch keine so außergewöhnliche Einschränkung dar, dass für sie die Erwägungen der Entscheidung EvBl 1981/53, gelten könnten. Vielmehr kann kein Versicherungsnehmer von vorne herein damit rechnen, dass jedes von ihm ins Auge gefasste Risiko durch den Abschluss eines Versicherungsvertrags gedeckt ist.

Die von den Klägern gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts vorgebrachten Bedenken sind sohin nicht gerechtfertigt.

Was den weiteren Inhalt der angefochtenen Entscheidung anlangt, ist dazu bei der Behandlung des Rekurses der Beklagten Stellung zu nehmen.

B) Zum Rekurs der Beklagten:

Richtig hat das Berufungsgericht erkannt, dass ein Wissen des Vermittlungsagenten gemäß § 44 VersVG dem Versicherer nicht zuzurechnen ist. Nach § 43 VersVG ist jedoch auch der Vermittlungsagent befugt, Anträge auf Abschluss einer Versicherung entgegenzunehmen. Die dem Agenten zugegangenen Anträge gelten daher als dem Versicherer zugegangen. Hat der Agent zulässige mündliche Ergänzungen zu schriftlichen Anträgen dem Versicherer nicht weitergegeben, so ist der Versicherer nicht in der Lage, auf Abweichungen gegenüber diesen mündlichen Zusätzen gemäß § 5 Abs 2 VersVG hinzuweisen. Demnach kommt die Annahme einer Zustimmung des Versicherungsnehmers zu Abweichungen nicht in Frage. Da jedoch der Versicherer vom Gesamtantrag abgewichen ist, liegt ein Dissens vor, der dem wirksamen Abschluss eines Versicherungsvertrags entgegensteht (SZ 48/52, VersR 1980, 471 ua).

Richtig hat das Berufungsgericht also erkannt, dass im vorliegenden Fall ein wirksamer Haftpflichtversicherungsvertrag zwischen den Streitteilen nicht zustandegekommen ist.

Die Beklagte hat allerdings durch einen Vertreter Vertragsverhandlungen mit dem Ziel des Abschlusses eines Versicherungsvertrags angebahnt. Demnach trafen sie entsprechende vorvertragliche Aufklärungs‑ und Sorgfaltspflichten gegenüber dem in Aussicht genommenen Vertragspartner ( Koziol‑Welser , I 6 , 164). Für die Verletzung derartiger vorvertraglicher Sorgfaltspflichten durch einen Erfüllungsgehilfen haftet der Geschäftsherr. Erfüllungsgehilfe ist auch, wer für den Geschäftsmann einen Geschäftsabschluss vorbereitet. Die zu erfüllenden besonderen Verbindlichkeiten ergeben sich hier aus dem vorvertraglichen Schuldverhältnis ( Koziol‑Welser aaO, 360, Koziol , Haftpflichtrecht 2 II, 73, 357, EvBl 1979/22 ua). Bei der versuchten Anbahnung des Abschlusses eines Versicherungsvertrags tritt der Versicherungsagent gegenüber dem in Aussicht genommenen Versicherungsnehmer als Erfüllungsgehilfe des Versicherers auf ( Bruck‑Möller , VVG 8 I 1026 f, Hofmann , Privatversicherungsrecht 2 , 43, Prölss‑Martin , VVG 23 , 248 f). Die Aufklärungspflicht des Agenten ist vor allem dann gegeben, wenn der Antragsteller eine unzutreffende Meinung äußert. Diesfalls muss der Versicherer, beziehungsweise sein Agent als Erfüllungsgehilfe, diese unrichtige Ansicht des Antragstellers richtigstellen ( Bruck‑Möller aaO, 1030).

Im vorliegenden Fall haben die Kläger eine unrichtige Meinung über den Umfang des von der Beklagten durch den Abschluss des in Aussicht genommenen Versicherungsvertrags übernommenen Risikos geäußert. Der Agent der Beklagten hat diese irrige Meinung nicht nur nicht richtiggestellt, sondern die Kläger in ihrem Irrtum noch bestärkt. Auf diesem Irrtum war der Abschluss einer Versicherung zurückzuführen, die das gewünschte Risiko nicht deckte. Dieser Umstand begründet grundsätzlich die Schadenersatzpflicht der Beklagten in dem vom Berufungsgericht richtig aufgezeigten Umfang. Diesbezüglich kann auf die Ausführungen des Berufungsgerichts verwiesen werden, gegen die keine der Parteien Stellung nimmt.

Richtig hat das Berufungsgericht allerdings auch erkannt, dass der Versicherungsnehmer sich nicht blindlings auf die Zusagen des Agenten verlassen darf. Es entspricht vielmehr seinen Sorgfaltspflichten, die ihm übermittelten Versicherungsbedingungen zu studieren und zu kontrollieren, ob die Polizze tatsächlich seinem Antrag entspricht oder nicht. Unterlässt er diese selbstverständliche Vorsichtsmaßnahme, so trifft ihn ein erhebliches Mitverschulden an Schäden, die durch das blinde Vertrauen auf die Zusagen des Agenten entstanden sind. Unbedenklich hat das Berufungsgericht das Mitverschulden der Kläger im vorliegenden Fall als gegenüber dem von der Beklagten zu vertretenden Verschulden gleichwertig erachtet.

Richtig wurde vom Berufungsgericht auch erkannt, dass die Kläger den vom Agenten der Beklagten veranlassten Irrtum nicht mehr zu ihren Gunsten geltend machen könnten, falls dieser Irrtum so rechtzeitig vor Eintritt des vorliegenden Schadensfalls aufgeklärt worden wäre, dass sie für eine ausreichende Deckung ihres Risikos Sorge tragen hätten können. Dies wäre dann der Fall, wenn die Beklagte bereits anlässlich eines früheren Schadensfalls auf den Ausschluss des Risikos für den vorliegenden Anspruch gleichartige Fälle verwiesen hätte. Diesfalls hätte den Klägern klar sein müssen, dass dieses Risiko durch die Versicherung nicht gedeckt ist. Hiebei spielt es keine Rolle, ob es damals letzten Endes zu einem Entfall der Versicherungsleistung wegen des Einwands des Versicherers gekommen ist oder ob die Kläger ihr Begehren auf Deckung des Schadens aus anderen Gründen zurückgezogen haben. Maßgebend ist nur, ob die Beklagte bereits damals unmissverständlich auf die fehlende Deckung für gleichartige Risken verwiesen hat oder nicht, bzw ob die damalige Stellungnahme der Beklagten von den Klägern in diesem Sinne verstanden werden musste. eine solche Ablehnung der Beklagten hätte nämlich die Kläger auf jeden Fall veranlassen müssen, nunmehr die ihnen übermittelten Versicherungsbedingungen durchzulesen. Sie könnten sich daher ab diesem Zeitpunkt auf ein Nichtkennen dieser Bedingungen keinesfalls mehr berufen.

Der Einwand der Beklagten bezüglich der Aufhebung des erstgerichtlichen Urteils zur Prüfung der Stellungnahme der Beklagten zu einem früheren Versicherungsfall übersieht, dass zu dieser Frage von den Vorinstanzen keine Feststellungen getroffen wurden. Dem Obersten Gerichtshof ist das Treffen eigener Feststellungen verwehrt. Der diesbezügliche Feststellungsmangel kann nur durch weitere Beweisaufnahmen behoben werden, weshalb die Aufhebung der erstgerichtlichen Entscheidung in dem im Spruch ersichtlichen Umfange gerechtfertigt war. Aus der richtigen Rechtsansicht des Berufungsgerichts ergibt sich im Übrigen, dass zumindest die Hälfte des Klagsanspruchs keinesfalls gerechtfertigt sein kann. Der Oberste Gerichtshof war daher gemäß § 519 Abs 2 ZPO in der Lage, über diesen Teil des Anspruchs durch Teilurteil endgültig zu entscheiden.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 392 Abs 2 und 52 Abs 2 ZPO.

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