Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird ersatzlos aufgehoben.
Text
Begründung
Das Erstgericht schied die zwischen den Antragstellern am 28. 12. 1981 vor dem Standesamt Wien-Floridsdorf geschlossene Ehe gemäß § 55a EheG. Der Beschluss über die Scheidung wurde bei der Tagsatzung am 26. 4. 1983 verkündet. Nach dem Inhalt des Protokolls über diese Tagsatzung verzichteten beide Antragsteller nach Rechtsmittelbelehrung auf ein Rechtsmittel. Mit dem am 14. 7. 1983 zur Post gegebenen Schriftsatz erklärte die Antragstellerin, den Antrag auf Scheidung zurückzunehmen. Hilfsweise erhob sie gegen den Scheidungsbeschluss Rekurs und stellte einen Wiedereinsetzungsantrag. Sie behauptet unter anderem, keinen Rechtsmittelverzicht abgegeben zu haben.
Das Rekursgericht wies den Rekurs als unzulässig zurück. Es vertrat den Standpunkt, dass das Protokoll vom 26. 4. 1983 mangels Erhebung eines Widerspruchs vollen Beweis über Verlauf und Inhalt der Verhandlung mache. Es sei daher davon auszugehen, dass beide Ehegatten einen Rechtsmittelverzicht abgegeben hätten. Im Falle eines nach Verkündung des Scheidungsbeschlusses abgegebenen Rechtsmittelverzichts könne der Scheidungsantrag nicht mehr wirksam zurückgenommen werden. Der gegen den Scheidungsbeschluss erhobene Rekurs sei daher unzulässig.
Rechtliche Beurteilung
Der gegen den Beschluss des Rekursgerichts erhobene Revisionsrekurs der Erstantragstellerin ist im Ergebnis berechtigt.
Gemäß § 224 Abs 1 AußStrG kann jeder Ehegatte den Antrag auf Scheidung bis zum Eintritt der Rechtskraft des Scheidungsbeschlusses zurücknehmen. Der Oberste Gerichtshof hat bereits klargestellt, dass unter Rechtskraft iSd § 224 Abs 1 AußStrG die formelle Rechtskraft zu verstehen ist. Die formelle Rechtskraft einer Entscheidung bedeutet deren Unanfechtbarkeit und tritt bereits dann ein, wenn von beiden Parteien ein Rechtsmittelverzicht, der auch im Außerstreitverfahren zulässig ist (SZ 25/293; 3 Ob 624/78), abgegeben wird (JBl 1980, 551; EFSlg 35.137). Die Zurücknahme eines Antrags auf Ehescheidung hat nach § 224 Abs 2 AußStrG die Folge, dass ein schon ergangener Scheidungsbeschluss wirkungslos wird, ohne dass dieser einer ausdrücklichen Aufhebung bedarf. Die Entbehrlichkeit einer ausdrücklichen Aufhebung bedeutet, dass die Wirkungslosigkeit des Scheidungsbeschlusses ex lege eintritt, auch wenn das Gericht den Beschluss nicht ausdrücklich aufhebt (vgl Fasching III 147). Wie der Oberste Gerichtshof bereits ausgesprochen hat, besteht ein rechtliches Interesse an der Klarstellung der Frage, ob die Ehe noch aufrecht besteht (vgl EvBl 1980/207). Das Bedürfnis nach Rechtssicherheit spricht nicht nur für die Zulässigkeit und Zweckmäßigkeit eines Ausspruchs des Gerichts über die Erklärung der Zurücknahme des Scheidungsantrags, sondern auch für die Notwendigkeit eines solchen Ausspruchs, der rechtsbekundende Wirkung hat und anfechtbar ist (SZ 54/62). Im vorliegenden Fall liegt ein solcher Ausspruch des Erstgerichts über die von der Erstantragstellerin erklärte Zurücknahme des Scheidungsantrags nicht vor.
Nach dem Inhalt des Protokolls vom 26. 4. 1983 haben die Parteien nach Verkündung des Beschlusses auf Scheidung der Ehe einen Rechtsmittelverzicht abgegeben. Dem Rekursgericht ist zwar darin beizupflichten, dass nach § 215 ZPO, der gemäß § 222 Abs 1 AußStrG auch im Verfahren über die Scheidung im Einvernehmen anzuwenden ist, ein in Gemäßheit der gesetzlichen Bestimmungen errichtetes Protokoll vollen Beweis über Verlauf und Inhalt der Verhandlung liefert, soweit nicht ein ausdrücklicher Widerspruch einer Partei vorliegt. Nach herrschender Rechtsprechung ist jedoch auch gegen Urkunden, die vollen Beweis machen, gemäß § 292 Abs 2 ZPO der Gegenbeweis nicht ausgeschlossen (EvBl 1964/281; EvBl 1956/315; 3 Ob 71/83 uva; vgl auch Fasching II 1003 f). Die Erstantragstellerin bestreitet in ihrem Schriftsatz, in dem sie die Zurücknahme des Scheidungsantrags erklärte, einen Rechtsmittelverzicht abgegeben zu haben. Der Rechtsmittelverzicht ist die verbindliche Erklärung eines zum Rechtsmittel Legitimierten, auf die Einbringung eines Rechtsmittels zu verzichten. Er muss ausdrücklich erklärt werden (Fasching IV 22 und 24; JBl 1959, 322). Die Zulässigkeit der Zurücknahme des Scheidungsantrags und des Rekurses hängt von der Frage ab, ob ein solcher Verzicht von der Erstantragstellerin abgegeben wurde. Vor Klarstellung dieser Frage könnte weder die Zurücknahme des Antrags durch die Erstantragstellerin noch deren Rekurs gegen den Beschluss über die einvernehmliche Scheidung unter Hinweis auf den Rechtsmittelverzicht und die dadurch eingetretene formelle Rechtskraft des Scheidungsbeschlusses zurückgewiesen werden. Die Erstantragstellerin hat ihren Rekurs gegen den Scheidungsbeschluss auch nur hilfsweise erhoben. In dieser Erklärung liegt keine Bedingung, sodass die Frage der Zulässigkeit eines solchen bedingten Rechtsmittels nicht zu erörtern ist. Die Erstantragstellerin brachte durch diesen Zusatz vielmehr nur zum Ausdruck, dass bei Rechtswirksamkeit ihrer vorerst abgegebenen Erklärung der Zurücknahme des Scheidungsantrags dem Rekurs die Rechtsgrundlage entzogen ist (vgl SZ 38/93).
Das Erstgericht wird daher, allenfalls nach ergänzenden Erhebungen (§ 2 Abs 2 Z 5 AußStrG) die Vorgänge bei der Protokollierung des Rechtsmittelverzichts am 26. 4. 1983 festzustellen und dann über die Zurücknahme des Antrags der Erstantragstellerin abzusprechen haben. Nur im Falle eines rechtskräftigen und für die Erstantragstellerin negativen Ausspruchs über die Zurücknahme des Scheidungsantrags wäre der Rekurs einer Erledigung zuzuführen.
Demgemäß ist dem Revisionsrekurs Folge zu geben.
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