OGH 1Ob27/83

OGH1Ob27/8321.9.1983

SZ 56/133

Normen

AHG §1
EKHG §1
KFG §59 Abs2
KFG §63 Abs1
AHG §1
EKHG §1
KFG §59 Abs2
KFG §63 Abs1

 

Spruch:

Amtshaftung und Gefährdungshaftung nach dem EKHG schließen einander nicht aus

Hat eine Gebietskörperschaft, obwohl sie gemäß § 59 Abs. 2 KFG von der Versicherungspflicht ausgenommen ist, freiwillig eine Haftpflichtversicherung abgeschlossen, steht dem Geschädigten auch ein Direktanspruch gegen den Haftpflichtversicherer nach § 63 Abs. 1 KFG zu

OGH 21. 9. 1983, 1 Ob 27/83 (LG Linz 14 R 44/82; BG Mauthausen C 305/81 )

Text

Am 3. 6. 1981 gegen 5.45 Uhr kam es auf der Bundesstraße 3 als Freilandstraße in L im Bereich einer Haarnadelkurve zu einer Streifung des von Josef F gelenkten, Richtung Linz fahrenden Postomnibusses Marke Steyr, Kennzeichen PT 12.912, mit dem in die Gegenrichtung fahrenden, vom Kläger gelenkten und in seinem Eigentum stehenden PKW Citroen GX-YR, Kennzeichen O 467.053. Die beklagte Partei ist Haftpflichtversicherer des Postomnibusses. Dem dienstlichen Auftrag gemäß ist am Postomnibus ein Briefkasten angebracht, sodaß jedermann die Möglichkeit hat, Briefe befördern zu lassen. Zum Unfallszeitpunkt befand sich allerdings kein Brief in diesem Kasten; auch wurde sonstige postalische Fracht nicht befördert. Dem Kläger entstanden Reparaturkosten in der Höhe von 6070.40 S, die Reparaturkosten am Postomnibus betrugen 1948 S. Am PKW des Klägers trat eine Wertminderung von 2000 S ein.

Der Kläger begehrte ua. den Zuspruch des Betrages von 8070.40 S sA. Während er sein Fahrzeug ganz rechts gelenkt habe, sei ihm der Postautobus auf der linken Fahrbahnhälfte entgegengekommen.

Die beklagte Partei erhob die Einrede der Unzulässigkeit des Rechtsweges. Da es sich um eine Fahrt im Rahmen der Hoheitsverwaltung gehandelt habe, liege ein Amtshaftungsfall vor. Auch sei die beklagte Partei nicht passiv legitimiert. Im übrigen treffe den Kläger das Alleinverschulden, weil er über die Fahrbahnmitte gekommen sei. Aufrechnungsweise machte die beklagte Partei die ihr abgetretene Forderung auf Bezahlung der Reparaturkosten in der Höhe von 1948 S geltend.

Das Erstgericht sprach aus, daß die Forderung des Klägers mit 8070.40 S sA zu Recht, die aufrechnungsweise eingewendete Gegenforderung nicht zu Recht bestehe, die beklagte Partei sei daher schuldig, dem Kläger den Betrag von 8070.40 S sA zu bezahlen. Es stellte fest, an der Unfallstelle betrage die Fahrbahnbreite 7.95 m. Josef F habe als Lenker des 2.5 m breiten Postautobusses im Bereiche der Kurve die Fahrbahnmitte um mindestens 1 m überschritten, sodaß er zum linken Fahrbahnrand nur einen Abstand von höchstens 3 m eingehalten habe, obwohl es ihm ungeachtet der Länge des Autobusses leicht möglich gewesen wäre, ohne über die Fahrbahnmitte zu kommen, die Kurve zu durchfahren. Der Kläger sei mit seinem PKW in einem Abstand von 1.2 bis 1.4 m vom rechten Fahrbahnrand entfernt gefahren. Dadurch sei es zu einer Kollision der beiden Fahrzeuge mit einer Überdeckung von 5 cm gekommen.

Rechtlich ging das Erstgericht davon aus, daß zwar der Lenker des Postautobusses durch die Möglichkeit der Briefbeförderung im Rahmen der Hoheitsverwaltung tätig geworden sei, die beklagte Partei aber gemäß § 63 KFG und den Vorschriften des EKHG hafte. Unerheblich sei, daß es sich um keine Pflichtversicherung, sondern um eine freiwillige Haftpflichtversicherung gehandelt habe. Den Lenker des Postautobusses treffe das Alleinverschulden. Das Mitverschulden eines Lenkers, der einen größeren Seitenabstand als notwendig einhalte, sei gegenüber einem entgegenkommenden Lenker, der die Fahrbahnmitte erheblich überschreite, zu vernachlässigen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei teilweise Folge. Es änderte das Urteil des Erstgerichtes dahin ab, daß es aussprach, die Forderung des Klägers bestehe mit 5380.27 S sA, die Gegenforderung der beklagten Partei mit 649.33 S zu Recht; die beklagte Partei sei daher schuldig, dem Kläger den Betrag von 4730.94 S sA zu bezahlen. Das Mehrbegehren wies es unangefochten ab. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes. Der Rechtsweg sei zulässig. Das Lenken eines Omnibusses im dienstlichen Auftrag der Post zum Zwecke der Annahme, Weiterbeförderung und Ablieferung von Postsendungen gehöre, auch wenn mit diesem Fahrzeug zugleich Personen entgeltlich befördert werden, zur Hoheitsverwaltung des Bundes. Gemäß § 59 Abs. 2 KFG seien Fahrzeuge im Besitz des Bundes von der gemäß § 59 Abs. 1 KFG bestehenden Versicherungspflicht ausgenommen. Im vorliegenden Fall habe jedoch eine freiwillige Haftpflichtversicherug des Bundes bei der beklagten Partei bestanden. Gemäß § 63 Abs. 1 KFG könne der geschädigte Dritte den ihm gegen einen durch eine Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung Versicherten zustehenden Schadenersatzanspruch im Rahmen des betreffenden Versicherungsvertrages auch gegen den Versicherer geltend machen. Diese Bestimmung stelle nicht darauf ab, ob der Versicherungsvertrag lediglich auf Grund gesetzlicher Verpflichtung oder aber auf freiwilliger Basis abgeschlossen worden sei. Die zwischen dem Bund und der beklagten Partei abgeschlossene Haftpflichtversicherung unterliege den Normen des Privatrechtes. Das Erstgericht habe daher zu Recht unter Hinweis auf § 63 Abs. 1 KFG die Zulässigkeit des ordentlichen Rechtsweges bejaht. Dem Kläger sei aber am Zustandekommen des Unfalles ein Mitverschulden anzulasten. Der Sicherheitsabstand zum rechten Fahrbahnrand dürfe nicht größer als nach den Umständen unbedingt erforderlich sein. Der Kläger habe einen Seitenabstand von 1.2 bis 1.4 m eingehalten. Ein solcher Seitenabstand könne im Hinblick auf den Kurvenverlauf nicht toleriert werden. Soweit die beklagte Partei ein Verschulden des Lenkers des Postautobusses verneine, gehe sie nicht vom festgestellten Sachverhalt aus. Bei Berücksichtigung der Fahrzeugbreite von 2.5 m wäre dem Lenker des Postautobusses ein Durchfahren der Kurve, ohne die halbe Fahrbahn von knapp 4 m überschreiten zu müssen, technisch ohne weiteres möglich gewesen. Gründe, die ein Überfahren der Fahrbahnmitte durch den Lenker des Postautobusses rechtfertigen, seien nicht hervorgekommen. Berücksichtige man, daß in der Regel dem Lenker jenes Fahrzeuges das überwiegende Verschulden am Unfall anzulasten sei, der im Begegnungsverkehr über die Mitte der Straße hinausgerate, gegenüber jenem, der zwar ebenfalls nicht rechts fahre, jedoch seine Straßenbreite nicht verlasse, sei eine Verschuldensabwägung von 1 :

2 zugunsten des Klägers gerechtfertigt.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der beklagten Partei nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Soweit die Revisionswerberin erneut behauptet, die Klage hätte zurückgewiesen werden müssen, weil es sich um eine Fahrt des Postautobusses im Rahmen der Hoheitsverwaltung gehandelt habe, sodaß in Wahrheit ein Amtshaftungsanspruch geltend gemacht werde, ist ihr zu erwidern, daß bereits beide Vorinstanzen die Zulässigkeit des Rechtsweges bejahten, sodaß gemäß § 42 Abs. 3 JN im Zusammenhang mit § 519 ZPO (RZ 1982/55 ua.) auch der OGH an die Entscheidung des Berufungsgerichtes gebunden ist (JB 63 neu uva.).

Die Passivlegitimation wird von der Revisionswerberin weiterhin bestritten, weil aus einem im Rahmen der Hoheitsverwaltung geschehenen Unfall ausschließlich nur Amtshaftungsansprüche gegen den Rechtsträger, nicht aber Ansprüche nach dem EKHG gegen den Haftpflichtversicherer abgeleitet werden könnten; eine unmittelbare Haftung des Haftpflichtversicherers nach § 63 Abs. 1 KFG bestunde zudem nicht, wenn eine iS des § 59 Abs. 2 KFG begünstigte juristische Person eine für sie nicht obligatorisch vorgeschriebene Haftpflichtversicherung abschließt.

Nach herrschender Rechtsprechung gehört die Postbeförderung zur Hoheitsverwaltung des Bundes. Nach dieser, von der Literatur (Vrba - Zechner, Kommentar zum Amtshaftungsrecht 58; Soche in ZVR 1976, 110 f.; zweifelnd Köckeis in ZVR 1966, 113 f.) allerdings bekämpften Ansicht wird der Lenker eines Postautobusses im Rahmen der Hoheitsverwaltung tätig, wenn mit dem Kurskraftwagen auch Briefe befördert werden können, selbst wenn im Unfallszeitpunkt Briefe tatsächlich nicht zur Beförderung übergeben waren (SZ 39/98; ZVR 1967/149). Ob diese Rechtsansicht aufrechtzuerhalten ist, kann dahingestellt bleiben. Auch die Bejahung der Frage, ob der Lenker eines Busses unter den erwähnten Voraussetzungen in Vollziehung der Gesetze tätig sei, ändert nichts daran, daß es dem Geschädigten freisteht, Ersatzansprüche auf Haftungsgrunde nach dem EKHG zu stützen. Zwischen den Vorschriften des AHG und des EKHG besteht nach herrschender Auffassung eine Konkurrenz von Anspruchsnormen (SZ 50/45; SZ 48/17; SZ 43/10; SZ 38/138 ua.; Koziol, Österr. Haftpflichtrecht II 302 f.; Walter - Mayer, Grundriß des österr. Bundesverfassungsrechts[4], 340; Moser, Amtshaftung und Sonderhaftpflichtrecht, ÖJZ 1963, 424 ff.; Edlbacher, Das neue Eisenbahn- und Kraftfahrzeug-Haftpflichtgesetz, ÖJZ 1959, 314;

Steininger, Verkehrsunfall und Amtshaftung, ZVR 1962, 225 ff.;

Köckeis aaO 114 f.). Dagegen wenden Vrba - Zechner aaO 41 ein, daß bei einer Schädigung aus Hoheitsakten nach Art. 23 Abs. 1 B-VG iVm.

§ 1 Abs. 1 AHG ausschließlich der Rechtsträger hafte. Diese Ausschließlichkeit ist dem Gesetz, insbesondere auch nach seiner historischen Ableitung, jedoch nicht zu entnehmen. Der Amtshaftungsanspruch trat an die Stelle des seit 1806 geltenden Verbotes, Staatsbeamte ihrer Amtshandlungen wegen bei den Zivilgerichten zu belangen. Die Formulierungen des Art. 23 Abs. 1 B-VG und des § 1 Abs. 1 AHG lehnen sich eng an die §§ 1293, 1295 ABGB an; die Bestimmungen haben erkennbar nur den Zweck, Schadenersatzverpflichtungen, die sonst nach dem allgemeinen, in der Regel vom Verschulden abhängigen Schadenersatzrecht geltend zu machen wären, für Verhalten in Vollziehung der Gesetze zu regeln (514 und 515 BlgNR 5. GP, Loebenstein - Kaniak, Komm. zum AHG 158, 163). Aus Art. 23 Abs. 1 B-VG und § 1 Abs. 1 AHG kann daher nicht abgeleitet werden, daß mit dem Inkrafttreten des Amtshaftungsgesetzes andere, auf Gefährdung abstellende Haftungsgrunde ausgeschlossen sein sollten (Moser aaO 426; Edlbacher aaO 314). Liegt auch ein solcher Haftungsgrund vor, können Ansprüche je nach der Absicht des Gesetzgebers wahl-, hilfs- oder ergänzungsweise nach dem einen oder nach dem anderen Rechtsgrund geltend gemacht werden. Dies gilt insbesondere auch für die Tatbestände der Amtshaftung und der Gefährdungshaftung nach dem EKHG. Diese schließen einander nicht aus.

Gemäß § 59 Abs. 2 KFG ist neben anderen Gebietskörperschaften der Bund als Besitzer von Kraftfahrzeugen von der Verpflichtung des § 59 Abs. 1 KFG, eine Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung zu den vorgeschriebenen Mindestversicherungssummen und Versicherungsbedingungen abzuschließen, ausgenommen. Der Bund als Fahrzeugbesitzer hat dann aber für Personen, die mit seinem Willen beim Betrieb des Fahrzeuges tätig sind, in gleicher Weise und in gleichem Umfang wie ein Haftpflichtversicherer bei Bestehen einer Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung einzutreten. Diese Haftung entfällt insoweit, als der Bund, obwohl er vom Abschluß einer Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung befreit ist, dennoch eine solche abgeschlossen hat (§ 59 Abs. 2 KFG). Diese Regelung bedeutet nichts anderes, als daß die Ausnehmung des Bundes und anderer Gebietskörperschaften aus der Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung nur ein Recht ist, das, wenn von ihm Gebrauch gemacht wird, zur Haftung wie ein Haftpflichtversicherer führt; wird hingegen von dem erwähnten Recht nicht Gebrauch gemacht, ist die Rechtslage so zu betrachten, als bestunde der § 59 Abs. 2 KFG überhaupt nicht; um dies klarzustellen, wird auch die freiwillig abgeschlossene Versicherung vom Gesetz als Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung bezeichnet, sodaß, wenn dieser Begriff in anderen Gesetzesstellen verwendet wird, es keinen rechtlichen Unterschied mehr machen kann, ob die Versicherung auf Grund einer wirklichen gesetzlichen Pflicht oder nur freiwillig abgeschlossen wurde. Dies muß zum Ergebnis führen, daß § 63 Abs. 1 KFG in beiden Fällen in gleicher Weise zu gelten hat (in diesem Sinne auch Soche, Eine Zweifelsfrage zum direkten Klagerecht des Geschädigten, ZVR 1975, 296 f.). Nur so wird man auch dem Gesetzeszweck des § 63 Abs. 1 KFG, die Befriedigung eines Geschädigten nicht erst über den Umweg der Überweisung des Deckungsanspruches des Versicherten herbeiführen müssen, gerecht. Auch bei einer Ausnahme von der Versicherungspflicht nach § 59 Abs. 2 KFG besteht demnach bei freiwillig erfolgtem Abschluß einer Haftpflichtversicherung ein Direktanspruch des Geschädigten gegen den Haftpflichtversicherer.

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