Spruch:
Die Nichterhebung eines Versicherungsanspruches verstößt trotz der dadurch bewirkten Verschiebung der Klagefrist des § 12 Abs. 3 VersVG grundsätzlich nicht gegen Treu und Glauben
Wenn der Versicherungsnehmer den Haftpflichtversicherer unter Berücksichtigung der allfälligen eigenen Regreßpflicht aus einem kranken Versicherungsverhältnis ermächtigt hat, die Ersatzansprüche des Geschädigten bestmöglich nach dem Ermessen der Anstalt zu regulieren und zu liquidieren, wird der Regreßanspruch des Versicherers nur durch solche Fehler bei der Abwicklung der Ansprüche des Geschädigten vermindert, die unter Berücksichtigung des ihm eingeräumten billigen Ermessens nicht vertretbar erscheinen
Ein prozessuales Teilanerkenntnis hat im Zweifel keine Wirkung auf die bestrittenen weiteren Ansprüche
OGH 11. November 1982, 7 Ob 33/82 (OLG Linz 1 R 11/82; LG Salzburg 7 Cg 186/80)
Text
Der klagenden Kfz-Haftpflichtversicherer begehrt mit der vorliegenden Regreßklage den Ersatz einer an geschädigte Dritte geleisteten Abfindung mit der Behauptung, einerseits wegen Nichtzahlung einer Folgeprämie und andererseits wegen Versäumung der Klagefrist des § 12 Abs. 3 VersVG leistungsfrei zu sein. Der Beklagte anerkannte nur einen Teilbetrag von 6000 S.
Der Erstrichter gab dem restlichen Klagebegehren auf Zahlung weiterer 74 000 S samt Anhang statt. Nach seinen Feststellungen war im Zeitpunkt des Unfalls am 13. oder 14. 5. 1978 die fällige Versicherungsprämie trotz einer am 10. 3. 1978 unter Nachfristsetzung erfolgten Mahnung nicht bezahlt. Nach dem vom Beklagten durch unvorsichtiges Rückwärtsfahren verschuldeten Unfall nahmen die Beteiligten zunächst an, daß der Schaden am PKW des aus der Bundesrepublik Deutschland eingereisten Ehepaares A wohl nicht mehr als 1000 DM ausmachen werde. Deshalb erfolgte zunächst keine Benachrichtigung der klagenden Partei durch den Beklagten. Wohl aber meldete Erika A den Schadensfall an die klagende Partei. Diese lehnte mit Schreiben vom 7. 11. 1978 gegenüber dem Beklagten den Anspruch auf Versicherungsschutz wegen Verzuges mit der Prämienzahlung ab und fordert ihn auf, seinen Anspruch auf Versicherungsschutz innerhalb von sechs Monaten nach Erhalt dieses Schreibens gerichtlich geltend zu machen, widrigenfalls er keine Möglichkeit mehr habe, die Ablehnung der Klägerin zu bestreiten. Vom Beklagten wurde keine derartige Klage eingebracht. Er übermittelte erst am 13. 9. 1979 einen Schadensbericht an die Klägerin, in dem er sein Verschulden am Unfall zugab, und ermächtigte mit einem angeschlossenen Schreiben gleichzeitig die klagende Partei, "den Unfallschaden (für ihn) bestmöglich und nach Ermessen der Anstalt zu regulieren und zu liquidieren". Es sei ihm "bekannt, daß für das Fahrzeug im Unfallszeitpunkt die Haftpflichtversicherungsprämie möglicherweise nicht bezahlt war, für welchen Fall er gegenüber der Klägerin regreßpflichtig" sei. Die klagende Partei befriedigte sodann gegen eine Abfindungserklärung die Ansprüche der Ehegatten A mit insgesamt 100 000 S, worin Kosten eines vom Ehemann der Fahrzeugeigentümerin gemieteten Leihwagens von 32 305.94 S samt Nebengebühren enthalten sind.
Nach der Rechtsansicht des Erstrichters sei die klagende Partei infolge des Zahlungsverzuges trotz der "qualifizierten" Aufforderung zur Bezahlung der rückständigen Prämie gemäß § 39 Abs. 1 und 2 VersVG leistungsfrei und daher zum Regreß gegen den Beklagten im Umfang der mit Regulierungsvollmacht gemäß Art. 9 AKHB vorgenommenen Abwicklung des Schadensfalles berechtigt.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Beklagten Folge und hob das Ersturteil unter Rechtskraftvorbehalt auf, weil es das Verfahren zu beiden geltend gemachten Klagsgrunden für ergänzungsbedürftig hielt. Zum Verzug mit der Prämienzahlung stehe nicht fest, ob das Mahnschreiben den in § 39 Abs. 1 und 2 VersVG vorgeschriebenen Inhalt gehabt habe und ob es dem Beklagten zugegangen sei. Letzteres gelte auch für die Klagsaufforderung nach § 12 Abs. 3 VersVG, weil das Ablehnungsschreiben nach der Aktenlage zwar beim Postamt hinterlegt, vom Beklagten aber nicht behoben worden sei und er auch eine Ortsabwesenheit behauptet habe. Ein Anerkenntnis der restlichen Regreßforderung sei weder behauptet worden noch in der Regulierungsbevollmächtigung oder der Teilanerkennung des Klagebegehrens gelegen. Der Höhe nach sei zu prüfen, ob die Abfindung der geltend gemachten Mietwagenkosten im Rahmen der vom Beklagten erklärten Zustimmung zur bestmöglichen Schadensliquidierung vertretbar gewesen sei.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs der klagenden Partei nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Bei der allseitigen Überprüfung des angefochtenen Beschlusses ergeben sich Abweichungen von der rechtlichen Beurteilung des Berufungsgerichtes zu Ungunsten der Rekurswerberin die wahrzunehmen sind, weil das Verbot der reformatio in peius im Verfahren über Rekurse gegen Aufhebungsbeschlüsse des Berufungsgerichtes nicht gilt (SZ 22/186 uva.).
Auf ein Anerkenntnis auch der restlichen Klagsforderung dem Gründe nach durch das prozessuale Teilanerkenntnis beruft sich die Rekurswerberin nach der zutreffenden Ansicht des Berufungsgerichtes zu Unrecht. Abgesehen davon, daß dieser Klagsgrund gar nicht geltend gemacht wurde, hat ein Anerkenntnis im Prozeß über seinen Inhalt hinaus keinerlei Wirkung, wenn nicht zusätzlich die Voraussetzungen des materiellen Rechtes erfüllt sind (Fasching III 606; 8 Ob 177/70 ua.). Ein schlüssiges materiell-rechtliches Anerkenntnis dem Gründe nach würde aber voraussetzen, daß der Beklagte zugleich auf unzweifelhafte Weise (§ 863 Abs. 2 ABGB) eine weitere Verpflichtung zugestanden hätte (ähnlich 5 Ob 779/79). Das war aber hier infolge der Aufrechterhaltung der Bestreitung der restlichen Klagsansprüche nicht der Fall.
Nach der ausdrücklichen Bestimmung des § 12 Abs. 3 Satz 2 VersVG beginnt die vom Versicherer gesetzte Klagefrist von sechs Monaten erst, nachdem der Versicherer dem Versicherungsnehmer gegenüber den erhobenen Anspruch unter Angabe der mit dem Ablauf der Frist verbundenen Rechtsfolge schriftlich abgelehnt hat. Vor der Erhebung des Deckungsanspruches ist deshalb eine Ablehnung unwirksam und kann den Versicherungsnehmer nicht zur Klage zwingen, weil das Gesetz nicht bezweckt, den Versicherungsnehmer zur raschen Geltendmachung seiner Ansprüche zu nötigen, für die schnelle Information des Versicherers aber die Anzeigepflicht sorgt. Dies ist einhellige Ansicht von Lehre und Rechtsprechung (Prölss - Martin, VVG[22] 124 mwN; Hofmann, E-Bespr VersR 1972, 189 ff.; Bruck - Möller, VVG[8] I 263 f.; Pienitz - Flöter, AKB[4] 80 § 8 S. 2 f.; EvBl. 1968/213; VersR 1981, 71; SZ 53/28 ua.; ebenso BGH VersR 1964, 478 ua.). Allerdings kann ein Anspruch auch konkludent erhoben werden, so regelmäßig durch die Erstattung einer Schadensanzeige (Bruck - Möller aaO; VersR 1981, 71; BFH aaO). Keine Anspruchserhebung liegt aber darin, daß der Versicherungsnehmer dem Geschädigten die Anschrift seines Versicherers und seine Versicherungsnummer mitteilt (Prölss - Martin aaO; Pienitz - Flöter aaO 3; SZ 53/28). Bei dieser Rechtslage hat das Berufungsgericht zu Unrecht angenommen, daß "allenfalls" von einer Ablehnung nach erhobenem Anspruch hier gesprochen werden könne, wenn schon sich bis dahin offenbar nur die Geschädigten ausdrücklich an die klagende Partei gewandt hatten. Die Rekurswerberin hatte sich ausdrücklich auf die Behauptung beschränkt, daß der Beklagte den Schaden mit seiner Schadensmeldung vom 13. 9. 1979 gemeldet hat. Anderes ist auch im Verfahren nicht hervorgekommen. Der Fall ist auch nicht mit jenem der Entscheidung VersR 1966, 248, die das Berufungsgericht anführt, zu vergleichen, weil dort der Versicherungsnehmer den Vorschlag des Versicheres auf einheitliche Vertretung angenommen hatte, sich in mehreren Zivilprozessen durch den vom Versicherer namhaft gemachten Anwalt vertreten ließ und mündliche Hinweise auf allfällige Ersatzansprüche widerspruchslos zur Kenntnis nahm, bevor er noch vor dem Vergleich mit dem Geschädigten zur Klageführung nach § 12 Abs. 3 VersVG aufgefordert wurde. Wegen dieser Abweichung im Sachverhalt braucht auf die Kritik nicht eingegangen werden, mit der Wahle (aaO 252) sogar in jenem Fall eine Anspruchserhebung verneinte. Der OGH vermag sich auch nicht der Ansicht von Bruck - Möller (aaO 264 mit Hinweis auf eine Entscheidung des Kammergerichtes aus dem Jahr 1937) anzuschließen, wonach es gegen Treu und Glauben verstoßen könne, wenn der Versicherungsnehmer eine verfrühte Ablehnung des Versicherungsschutzes nicht innerhalb der Klagefrist formell beanstandet habe, oder der ähnlichen Ansicht von Stiefel - Hofmann (AKB[11] 381) für den Fall, daß der Versicherungsnehmer einen Anspruch formell nicht erhebe, damit aber nur Zeit gewinnen wolle. Die Nichterhebung eines Anspruchs durch den Versicherungsnehmer verstößt grundsätzlich nicht gegen Treu und Glauben (so Pienitz - Flöter aaO 3; Prölss - Martin aaO 124), zumal dem Versicherer nach österreichischem Recht jederzeit eine Feststellungsklage und nach eigener Zahlung die Regreßklage freisteht. Im vorliegenden Fall ist das Verfahren in der genannten Richtung auch nicht ergänzungsbedürftig, weil es Sache der klagenden Partei gewesen wäre, eine Anspruchserhebung durch den Beklagten vor Setzung der Klagefrist zu behaupten. Damit erübrigen sich auch alle weiteren Erhebungsaufträge des Berufungsgerichtes, die die Frage des Zugangs des Ablehnungsschreibens betreffen.
Die rechtlichen Ausführungen des Berufungsgerichtes zu § 39 Abs. 1 und 2 VersVG werden von der Rekurswerberin zwar "ebenfalls als unrichtig angefochten", dies aber ohne jede Begründung. Es genügt deshalb der Hinweis, daß das Berufungsgericht zutreffend die Behauptungs- und Beweislast des klagenden Versicherers für den qualifizierten Inhalt und den Zugang des Prämienmahnschreibens angenommen hat. Da aber weder der Inhalt dieses Mahnschreibens noch die Art, wie dieses Schreiben dem Beklagten zugekommen sein soll, bisher erörtert wurden und noch weniger feststehen, ist es nicht erforderlich und auch nicht zweckmäßig, die Rechtslage zu allen theoretischen Möglichkeiten schon jetzt zu prüfen. Die Rekurswerberin wird im fortgesetzten Verfahren zunächst klare Behauptungen in der bezeichneten Richtung aufzustellen und zu beweisen haben.
Für den Fall, als die Klägerin auf diese Weise Leistungsfreiheit wegen Verzuges mit der Zahlung einer qualifiziert eingemahnten Folgeprämie beweisen kann, ist den unbekämpft gebliebenen Ausführungen des Berufungsgerichtes zur Höhe des Regreßanspruches im wesentlichen beizupflichten. Nach österreichischer Rechtsansicht kann wohl der Versicherungsnehmer dem Versicherer in einem kranken Versicherungsverhältnis einwenden, daß ein ohne seine Zustimmung geschlossener Vergleich mit dem geschädigten Dritten der Sach- und Rechtslage nicht entsprach (VersR 1967, 763 mit Anm. von Wahle; SZ 44/84 unter Ablehnung der Meinung Strassers in JBl. 1969, 1; VersR 1973, 976 mit insofern zustimmender Anmerkung von Willvonseder in ZfRV 1974, 115, 129; SZ 50/28 ua.). Hier kommt aber nach der zutreffenden Ansicht des Berufungsgerichtes dem Umstand Bedeutung zu, daß der Beklagte mit seinem Schreiben vom 13. 9. 1979 den Haftpflichtversicherer ausdrücklich unter Berücksichtigung der allfälligen eigenen Regreßpflicht ermächtigt hat, die Ersatzansprüche des Ehepaares A bestmöglich nach dem Ermessen der Anstalt zu regulieren und zu liquidieren. Mit Rücksicht auf diese Ermächtigung kann der nun erhobene Regreßanspruch nur durch solche Fehler des klagenden Versicherers vermindert werden, die unter Berücksichtigung des ihm eingeräumten billigen Ermessens nicht vertretbar erscheinen. Das trifft für die durch entsprechende Urkunden belegten und in keiner bestimmten Richtung bestrittenen Ersatzansprüche für die Reparatur des beschädigten Fahrzeuges, den Schmerzengeldanspruch des Ehemannes der Fahrzeugeigentümerin und die Regulierungskosten nicht zu. Die iS des erhobenen Anspruches befriedigten Mietwagenkosten sind hingegen nicht nur aus dem vom Berufungsgericht angeführten Grund fragwürdig, sondern in erster Linie schon deshalb, weil diesen Mietwagen nicht die Fahrzeugeigentümerin Erika A gemietet hat, deren Beruf zur Unfallszeit nicht feststeht, sondern ihr Ehemann Rudolf A. Abgesehen davon, daß dieser Unfallsbeteiligte während der Zeit der Wagenmiete überwiegend im Krankenstand gewesen sein soll, hat die Rekurswerberin in keiner Weise dargestellt, wieso es sich bei den Kosten eines von ihm verwendeten Mietwagens nicht um bloß mittelbare Schäden handelt, die der klagende Haftpflichtversicherer nach dem Gesetz nicht zu ersetzen gehabt hätte.
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