Spruch:
Die Anfechtung eines Vertrages wegen Verletzung über die Hälfte ist auch noch nach einer Verfügung des Anfechtungsberechtigten über die Sache möglich, sofern nicht nach den Grundsätzen des § 863 ABGB Verzicht anzunehmen ist
OGH 18. Feber 1982, 7 Ob 744/81 (LG Innsbruck, 3 R 345/81; BG Innsbruck, 13 C 3149/79)
Text
Der Kläger erwarb von der Beklagten mit Kaufvertrag vom 22. 9. 1979 einen gebrauchten PKW Marke VW Baujahr 1971 um 13 000 S. Er begehrte die Aufhebung des Kaufvertrages wegen Irreführung und Verletzung über die Hälfte des wahren Wertes und Rückzahlung des Kaufpreises samt Anhang. Im Zuge des Verfahrens schränkte er sein Begehren infolge des mittlerweile erfolgten Verkaufes des Fahrzeuges um den hiebei erzielten Erlös von 6 000 S auf 7 000 S ein.
Das Erstgericht wies die Klage ab. Nach seinen Feststellungen kauften die Beklagte und ihr Ehemann Karl H den PKW im Jahre 1978 von Alois Sch. um 6 000 S oder 10 000 S. Der PKW sollte als Zweitwagen für die Beklagte dienen. Er war nicht mehr in gutem Zustand und wies deutlich erkennbare Rostflecken auf. Der Ehemann der Beklagten, der zwar keine Berufsausbildung als Kfz-Mechaniker hat, jedoch in seiner Eigenschaft als Installateur in der Lage ist, Spengler- und Lackierungsarbeiten durchzuführen, richtete den PKW in der Folge her. Der erste Versuch, die Sicherheitszulassungsplakette zu erreichen, schlug wegen noch vorhandener Mängel fehl. Hierauf reparierte Karl H die noch beanstandeten Mängel, worauf das Fahrzeug bei der nächsten Besichtigung am 20. 7. 1979 die Sicherheitsplakette erhielt. Diese war bis September 1979 befristet. Im Prüfungsgutachten schienen keine Mängel auf. In den folgenden Monaten benützten sowohl die Beklagte als auch ihr Ehemann das Fahrzeug. Beide stellten keine Mängel fest. Sie faßten jedoch den Entschluß, das Fahrzeug wieder zu verkaufen, weil es ihnen als Zweitfahrzeug zu teuer kam. Die Beklagte inserierte in der Tiroler Tageszeitung, worauf sich der Kläger meldete. Für die Beklagte führte das Verkaufsgespräch ihr Schwager Herbert H. Dieser verlangte einen Kaufpreis von 15 000 S, der von der Beklagten auf Grund des ihr seinerzeit von ihrem Ehemann genannten Kaufpreis von 10 000 S und der getätigten Investitionen ungefähr errechnet worden war. Der Kläger erklärte, den PKW um 13 000 S zu nehmen. Irgendwelche besondere Zusagen über den Zustand des Fahrzeuges wurden dem Kläger nicht gemacht. Er wurde auch darauf hingewiesen, daß die Sicherheitsplakette mit September 1979 abläuft. Bald nach Abschluß des Kaufvertrages brachte der Kläger den PKW zur Durchsicht zur Firma S. Dort wurde festgestellt, daß der PKW gravierende Durchrostungsstellen an der Bodenplatte und einen offenbar nicht von einem Fachmann reparierten Unfallsschaden aufwies. Auf Vorschlag der Firma S brachte der Kläger das Fahrzeug zur Firma V. Dort wurde der PKW untersucht und die voraussichtlichen Reparaturkosten mit 6 000 S bis 6 500 S ohne Umsatzsteuer festgestellt. Hierauf begehrte der Kläger von der Beklagten Preisnachlaß unter Hinweis auf die festgestellten Mängel, was die Beklagte jedoch ablehnte. Der Kläger ließ den Wagen bis Eintritt der Wintersaison 1980 bei S stehen und verkaufte ihn dann an einen Gebrauchtwagenhändler um 6 000 S. Der Verkehrswert des PKW zum Zeitpunkt des Verkaufes an den Kläger betrug weniger als 6 000 S. Die vom Gatten der Beklagten vorgenommenen Reparaturen stellten keine Werterhöhung dar, sondern waren notwendig, um überhaupt die Betriebssicherheit des PKW zu gewährleisten. Auch die vorgenommene Lackierung stellte keine Werterhöhung dar. Das Fahrzeug hatte zum Zeitpunkt des Verkaufes an den Kläger ungleiche Bereifung mit Reifen von ungleichen Dimensionen. Es wäre erforderlich, zwei Reifen zu ersetzen. Die hiefür notwendigen Kosten liegen zwischen 1400 S und 2000 S. Das Erstgericht verneinte eine Irreführung des Klägers, nahm jedoch den Tatbestand der Verletzung über die Hälfte des wahren Wertes als gegeben an. Der Kläger habe sich jedoch seines Anspruches auf Aufhebung des Kaufvertrages aus diesem Grund dadurch begeben, daß er das Fahrzeug verkauft und dadurch eine Wiederherstellung des vorigen Zustandes unmöglich gemacht habe.
Das Berufungsgericht erkannte iS des Klagebegehrens. Die Frage, ob durch die Weiterveräußerung der gekauften Sache das Recht auf Vertragsanfechtung nach § 934 ABGB erlösche, sei unter dem Gesichtspunkt eines schlüssigen Verzichtes iS des § 863 ABGB zu beurteilen. Ein stillschweigender Verzicht dürfe aber nur dann angenommen werden, wenn besondere Umstände darauf hinwiesen, daß er ernstlich gewollt sei. Bei Überlegung aller Umstände könne dies hier aber nicht gesagt werden. Der Kläger habe immer daran festgehalten, daß der Vertrag wegen Irreführung oder Verletzung über die Hälfte des wahren Wertes aufzuheben sei. Sein Entschluß zum Weiterverkauf könne nur so gewertet werden, daß er eine weitere Wertminderung habe verhindern wollen, die mit dem längeren Stillstand und mit dem Fortschreiten der Verrostung des Fahrzeuges gegeben gewesen wäre.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Beklagten nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Nach dem festgestellten Verkehrswert des PKW im Zeitpunkt des Verkaufes an den Kläger liegt eine Verkürzung über die Hälfte des wahren Wertes vor. Dies wird von der Revisionswerberin auch nicht in Abrede gestellt. Der Kläger war demnach zur Vertragsanfechtung nach § 934 ABGB berechtigt. Entscheidend ist somit die Frage, ob er dieses Anfechtungsrecht durch den Weiterverkauf des PKW in Kenntnis des Anfechtungsgrundes verloren hat. Die ältere Rechtsprechung zur Frage, ob das Rechtsmittel der Anfechtung wegen laesio enormis auch dann zuzulassen ist, wenn eine Wiederherstellung des vorigen Zustandes in natura nicht möglich ist, war nicht einheitlich (verneinend: SZ 24/340; bejahend: ZBl. 1931/196; SZ 17/134; RZ 1937, 336; vgl. SZ 28/232). Der Rechtssatz, daß der Rechtsbehelf des § 934 ABGB im Falle der Unmöglichkeit der Rückgabe der Sache schlechthin ausgeschlossen sei (SZ 2/24), ist in der Lehre auf Ablehnung gestoßen (vgl. Gschnitzer in Klang[2] IV/1, 563) und wurde auch in der Praxis in dieser Form nicht aufrechterhalten. Gschnitzer vertritt hiezu die Meinung, daß mit der "Herstellung in den vorigen Stand" im § 934 ABGB nur die Schadloshaltung durch Rückversetzung in den vorigen Stand oder bei Untunlichkeit derselben die Vergütung des Schätzwertes gemeint sei.
Die Frage der Auswirkung einer Verfügung über die Sache durch Benutzung oder Weiterveräußerung durch den Anfechtungsberechtigten auf seinen Aufhebungsanspruch tritt jedoch nicht nur bei der laesio enormis auf, sondern auch bei anderen, in ihren Auswirkungen aber ähnlichen Rechtsbehelfen, wie bei der Irrtumsanfechtung und der Gewährleistung. Es kann daher auch die zu diesen Rechtsbehelfen ergangene Rechtsprechung herangezogen werden. Danach ist nunmehr die Frage eines Verzichtes auf Vertragsaufhebung durch Verfügung über die Sache durch den Anfechtungsberechtigten nach den Grundsätzen des § 863 ABGB zu beurteilen (SZ 42/180; SZ 48/103; 6 Ob 529, 530/79). Bei Annahme eines stillschweigenden Verzichtes ist jedoch immer besondere Zurückhaltung geboten. Ein solcher darf nur dann angenommen werden, wenn besondere Umstände darauf hinweisen, daß er ernstlich gewollt ist (EvBl. 1957/253; JBl. 1976, 98).
Wendet man diese Grundsätze auf den vorliegenden Fall an, so ist dem Berufungsgericht darin beizupflichten, daß mit Überlegung aller Umstände in dem Weiterverkauf des Fahrzeuges durch den Kläger noch kein Verzicht auf Vertragsanfechtung nach § 934 ABGB erblickt werden kann. Der PKW hatte nicht nur bereits ein beträchtliches Alter, er wies vor allem so gravierende Mängel auf, daß bei der bereits fälligen wiederkehrenden Begutachtung nach § 57a KFG eine Begutachtungsplakette mit Sicherheit nicht mehr erteilt worden wäre. Die Behebung der Mängel hätte einen über dem Verkehrswert liegenden Aufwand erfordert. Es kann als bekannte Erfahrungstatsache angesehen werden, daß ein PKW dieses Alters mit gravierenden Durchrostungsstellen an tragenden Teilen insbesondere beim Parken im Freien einem raschen Fortschreiten der Verrostung und damit einem weiteren Wertverlust ausgesetzt ist. Unter Abwägung all dieser äußeren Umstände kann daher der Verkauf des PKW durch den Kläger vor Winterbeginn nicht als Verzicht auf seinen Anfechtungsanspruch angesehen werden. Das Argument der Revisionswerberin, der Kläger habe sich mit seiner Vorgangsweise ein Verfügungsrecht über den PKW angemaßt, versagt schon deshalb, weil die Vertragsaufhebung erst durch Urteil und nicht schon durch Erklärung - außer dem hier nicht in Betracht kommenden Fall der Übereinkunft der Parteien - eintritt und nur schuldrechtliche, nicht auch wie bei der Irrtumsanfechtung dingliche Wirkung hat (Gschnitzer aaO 561 f.).
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