OGH 7Ob779/81

OGH7Ob779/813.12.1981

SZ 54/183

Normen

ABGB §1295
ABGB §1319a
ABGB §1295
ABGB §1319a

 

Spruch:

Der Pistenhalter, der deutlich und wahrheitsgemäß erklärt hat, daß er alle von ihm gewidmeten Schipisten und Schirouten in der Natur markiert oder sonst klar kennzeichnet, ist nicht verpflichtet, den Übergang zum freien Schiraum besonders zu kennzeichnen

OGH 3. Dezember 1981, 7 Ob 779/81 (OLG Innsbruck 2 R 187/81; LG Innsbruck 7 Cg 618/80)

Text

Die Klägerin erlitt am 7. Jänner 1976 bei einer Schiabfahrt im Gebiet S durch einen Sturz schwere Verletzungen. Sie begehrt unter Einräumung eines Mitverschuldens zu 1/3 aus dem Titel des Schadenersatzes insgesamt 89 413.98 S sowie die Feststellung, daß die Beklagte für zwei Drittel aller zukünftigen Schäden zu haften habe. Das Leistungsbegehren setzt sich aus Schmerzengeld, Arzt- und Krankenhauskosten, Fahrkosten, Telefonkosten, Mehrkosten für Nahrung, sonstige Kosten und erhöhtem Unterhaltsaufwand zusammen. Bezüglich sämtlicher dieser Ansprüche, mit Ausnahme des erhöhten Unterhaltsaufwandes, steht außer Streit, daß der diesbezügliche Schaden der Klägerin mindestens 1 S ausmacht. Von den Gesamtschäden begehrt die Klägerin unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens von einem Drittel den Ersatz von zwei Dritteln. Das Verschulden des beklagten Liftunternehmens erblickt sie darin, daß dieses die von der Klägerin benützte Piste nicht abgesichert habe.

Die Beklagte wendete ein, die Klägerin habe den Unfall, abgesehen von ihrer unvorsichtigen Fahrweise, auch dadurch allein verschuldet, daß sie außerhalb der markierten Piste gefahren sei.

Das Erstgericht sprach mit Teil-Zwischenurteil aus, daß die Klagsforderung bezüglich Schmerzengeld, Arzt- und Krankenhauskosten, weiterer Arztkosten, Fahrtkosten zur Klinik in Innsbruck und nach Nürnberg, Kosten für das Abholen der Klägerin vom Krankenhaus Innsbruck nach Nürnberg, Telefonkosten von R in das Krankenhaus Innsbruck, behandlungsbedingte Fahrtkosten zu diversen Ärzten, Mehrkosten für flüssige Nahrung und Kosten des Filmes und der Fotos, Kleider- und Schischaden dem Gründe nach zu Recht besteht. Bezüglich des erhöhten Unterhaltsaufwandes für ein verlorenes Schuljahr sowie des Feststellungsbegehrens unterblieb eine Entscheidung, weil diesbezüglich eine Außerstreitstellung fehlt.

Bei seiner Entscheidung ging das Erstgericht von folgenden wesentlichen Feststellungen aus: Seit Beginn ihres Aufenthaltes in S am 3. Jänner 1976 ist die Klägerin bis zum Unfallstag im Bereich sämtlicher dortiger Liftanlagen gefahren. Am 7. Jänner 1976 benützte sie als zahlender Fahrgast den Doppelsessellift der Beklagten. Von der Bergstation führte damals sowohl links als auch rechts der Lifttrasse Abfahrten zur Talstation, wobei die von oben gesehen rechte Piste zunächst in einem flachen Teil und dann in einer Schrägfahrt oberhalb der sogenannten "Hexenlöcher" verlief. Diese "Hexenlöcher" liegen zwischen den beiden Abfahrtsmöglichkeiten und stellen einen 80 m langen, in Nordsüdrichtung verlaufenden, mehrere Meter tiefen Graben dar, in dem sich größere gespaltene Felsen befinden. Die Entfernung zwischen den "Hexenlöchern" und der mit Pistenmarkierungen versehenen Querpassage beträgt zirka 100 bis 150

m. Von dieser Querverbindung aus sind die Löcher nicht ersichtlich. Man kann lediglich eine kleine Geländemulde sehen, die aber einen abrupten Absatz oder Absturz des Geländes nicht erkennen läßt. Unterhalb der Querpassage befindet sich ein Steilgelände, anschließend ein flacher Teil mit den sogenannten "Hexenlöchern". An den flachen Teil schließt ein Steilhang an, der meist überwächtet und daher nicht befahrbar ist. Die Klägerin wählte bei der Abfahrt zunächst die von der Bergstation aus rechts verlaufende Abfahrt und bog in die markierte Querpassage oberhalb der "Hexenlöcher" ein. Sie befuhr diese Passage bis zu dem flacheren Teil. Von hier wählte sie in senkrechter, nicht steiler Linie den Weg durch den nicht markierten Teil der Piste. Sie fuhr in Parallelschwüngen und kam im östlichen Hexenloch zum Sturz. Sie dürfte zu weit nach rechts gekommen, über die obere Grabenwand gesprungen und in der Folge an einen Felsen gestoßen sein, der für sie jedoch vorher nicht sichtbar war. Die bezeichnete Abfahrtsstrecke hatte die Klägerin schon an früheren Tagen mehrfach gewählt. Sie hielt diese Strecke für eine ordnungsgemäße Abfahrt, weil zahlreiche andere Schifahrer, darunter auch eine Gruppe mit einer Schilehrerin, auf ihr fuhren. In der Nacht zum 7. Jänner 1976 war Neuschnee gefallen, weshalb Pistenfahrzeuge zur Präparierung der markierten Pisten im Einsatz waren. Im Bereich der "Hexenlöcher", der nicht zum markierten Teil der Piste zählt, wurde und wird nicht präpariert. Eine Präparierung wäre darüber hinaus nur im flacheren Teil technisch möglich. Hin und wieder wird allerdings bei Versorgungsfahrten der Bereich zwischen den "Hexenlöchern" und dem nördlichen Steilhang bei harter Schneelage von Pistengeräten befahren. Bis zum Unfallszeitpunkt waren auf diesem Teil der Piste bereits zahlreiche Schispuren gezogen worden.

Ebenso wie das Berufungsgericht, das unter Übernahme der erstrichterlichen Feststellungen die Entscheidung des Erstgerichtes mit der Maßgabe bestätigte, daß die Ansprüche der Klägerin in Ansehung des Gesamtschadens zu 2/3 dem Gründe nach zu Recht bestehen, und aussprach, daß der Wert des Streitgegenstandes 50 000 S übersteigt, vertrat das Erstgericht den Standpunkt, die Beklagte sei als Vertragspartnerin der Klägerin verpflichtet gewesen, dieser eine entsprechende Piste in ungefährlichem Zustand zur Verfügung zu stellen. Auf allfällige Gefahren hätte sie deutlich aufmerksam machen müssen. Die von der Klägerin gewählte Abfahrtsstrecke sei auf eine Art von der präparierten Piste abgezweigt, daß der Eindruck entstehen habe müssen, es handle sich hiebei ebenfalls um eine präparierte Piste, zumal ersichtlich und der Klägerin auch bekannt war, daß diese Strecke von zahlreichen Schifahrern gewählt wird. Da dieser Umstand auch der Beklagten bekannt gewesen sei, hätte diese durch einen besonderen Hinweis auf die Gefährlichkeit der Strecke aufmerksam machen müssen. Der bloße Hinweis auf die Notwendigkeit, auf den markierten Pisten zu verbleiben, bei der Bergstation sei nicht ausreichend gewesen, weil der tatsächliche Zustand der Piste nicht erkennen lassen habe, daß die Wahl der von der Klägerin benützten Strecke ein Abweichen von der präparierten Piste darstellt. Der Klägerin sei zwar infolge der Wahl einer relativ zu hohen Geschwindigkeit und Außerachtlassung der gebotenen Sorgfalt ein Mitverschulden anzulasten, doch übersteige dieses nicht ein Drittel.

Der Berufung der Klägerin wurde ebenfalls nicht Folge gegeben. Die Klägerin hatte sich lediglich gegen die Erlassung eines Teil-Zwischenurteiles mit der Begründung gewandt, einerseits könne bereits über den ganzen Anspruch in ihrem Sinne entschieden werden und andererseits sei die Fällung eines Zwischenurteils nur möglich, wenn alle einzelnen Ansprüche dem Gründe nach entscheidungsreif seien. Soweit die Klägerin diesbezüglich Nichtigkeit des erstgerichtlichen Verfahrens geltend gemacht hatte, wurde ihre Berufung verworfen.

Der Oberste Gerichtshof gab den Revisionen beider Parteien Folge, hob die Urteile der Vorinstanzen auf und verwies die Rechtssache an das Erstgericht zurück.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Die Ausführungen des Berufungsgerichtes zu der sogenannten Pistensicherungspflicht eines Schleppliftunternehmens entsprechen der Lehre und Judikatur und werden bezüglich ihrer Richtigkeit von der Beklagten gar nicht in Zweifel gezogen. Es kann daher auf sie verwiesen werden.

Richtig haben die Untergerichte erkannt, daß ein Vertragsverhältnis zwischen Schifahrer und Seilbahnunternehmer für Pisten besteht, die der Seilbahnunternehmer als gepflegt, präpariert und gesichert angepriesen hat (JBl. 1979, 433). Zur Verkehrssicherungspflicht eines Liftunternehmers gehört jedoch auch das Ergreifen der nach der Verkehrsauffassung erforderlichen und zumutbaren Schutzmaßnahmen bezüglich einer künstlichen oder natürlichen Gefahrenquelle im unmittelbaren Bereich des von ihm eröffneten oder unterhaltenen Schiverkehrs (EvBl. 1973/198 u. a.). Demnach wird der Liftunternehmer im allgemeinen für die Folgen der Benützung einer außerhalb der von ihm deutlich markierten Schipiste nicht haften. Anders ist die Rechtslage jedoch, wenn die Piste infolge mangelhafter Markierung von den Benützern nicht hinreichend erkannt wird oder die Markierung trotz gehöriger Aufmerksamkeit mißverstanden werden kann. Vor allem wenn dem Liftunternehmer bekannt ist, daß die Schifahrer die von ihm markierte Piste offenbar infolge nicht ausreichender Deutlichkeit der Markierung anders als von ihm ins Auge gefaßt benützen, erfordert es seine Verkehrssicherungspflicht, auf diese Abweichung und allenfalls damit verbundenen Gefahren deutlich hinzuweisen.

Im übrigen ist davon auszugehen, daß der Pistenhalter grundsätzlich den von ihm organisierten Schiraum, das sind die ausdrücklich oder schlüssig gewidmeten Schipisten und die ausdrücklich gewidmeten Schirouten, dieser Qualifikation entsprechend zu sichern hat, nicht aber das freie Schigelände außerhalb dieses Raumes, insbesondere auch nicht die sogenannten "wilden Abfahrten". Wenn der Pistenhalter deutlich und wahrheitsgemäß erklärt, daß er alle von ihm gewidmeten Schipisten und Schirouten in der Natur markiert oder sonst klar gekennzeichnet hat, so ist er nicht verpflichtet, den Übergang zum freien Schiraum besonders zu kennzeichnen (Dittrich - Reindl in ZVR 1981, 226 und die diesen Regeln vorangestellten Erwägungen, die vom OGH gebilligt werden).

Aus diesen Erwägungen ergibt sich, daß der bloße Umstand des Abweichens einer Mehrzahl von Schifahrern von einer markierten oder durch Präparierung gewidmeten Piste allein die Pistensicherungspflicht des Schiliftunternehmers für die durch die Abweichung entstandene, nicht markierte und nicht präparierte Piste nicht auslöst. Nur wenn die Markierung einer bestimmten Schipiste trotz eines entsprechenden Hinweises des Pistenhalters darauf, daß alle von ihm gewidmeten Schipisten in der Natur markiert oder sonst klar gekennzeichnet worden sind, derartige Undeutlichkeiten oder Ungenauigkeiten aufweist, daß der Benützer ein Abweichen von der markierten Piste nicht erkennen konnte, muß der Pistenhalter nach den oben aufgezeigten Grundsätzen für die daraus entstehenden nachteiligen Folgen eintreten.

Im vorliegenden Fall wurde nicht festgestellt, ob die Beklagte eine Erklärung im Sinne der aufgezeigten Grundsätze abgegeben hat. Derartiges wurde von ihr allerdings behauptet. Sollte eine solche Erklärung abgegeben worden sein, müßte die Beschaffenheit der angebrachten Markierungen genau festgestellt werden, um beurteilen zu können, ob das Abweichen der Klägerin von der markierten Piste zur Haftung der Beklagten für den Unfall geführt hat, ob sie also infolge mangelhafter Markierung der Meinung sein konnte, sie befinde sich nach wie vor auf der markierten Piste. Wäre dagegen die Klägerin trotz deutlich erkennbarer Markierung lediglich einer durch andere Schifahrer gezogenen Spur gefolgt, obwohl die Beklagte eindeutig darauf verwiesen hat, daß sie die von ihr erhaltenen Pisten deutlich und klar markiert und gekennzeichnet hat, würde eine Haftung der Beklagten für die Unfallsfolgen entfallen.

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