OGH 4Ob115/81

OGH4Ob115/8117.11.1981

SZ 54/169

Normen

ABGB §1438
GeO §545
ZPO §226
ABGB §1438
GeO §545
ZPO §226

 

Spruch:

Gegen eine auf einen Bruttobetrag lautende Klageforderung kann eine Netto-Gegenforderung zur Aufrechnung eingewendet werden. In diesem Fall ist bei der Formulierung des Urteilspruches zu unterscheiden, ob die Gegenforderung in ihrem als zu Recht bestehend erkannten Umfang mindestens gleich hoch wie die (Brutto-)Klageforderung oder aber niedriger ist als diese

OGH 17. November 1981, 4 Ob 115/81 (LG Klagenfurt 3 Cg 18/81; ArbG Villach 2 Cr 10/81)

Text

Der Kläger war im Unternehmen der beklagten Partei vom 1. Juni 1976 bis zum 30. November 1979 angestellt. Aus diesem Arbeitsverhältnis steht ihm noch ein Entgeltanspruch von 104 948.72 S brutto gegen die beklagte Partei zu. Der Kläger und Erich P waren bis 31. Mai 1976 Angestellte der E-GesmbH gewesen. Auf Grund einer zwischen dem Kläger und seinem damaligen Arbeitgeber vereinbarten Konkurrenzklausel war es dem Kläger verboten, innerhalb eines Jahres nach Beendigung seines Arbeitsverhältnisses selbständig oder unselbständig im selben Geschäftszweig zu arbeiten. Für den Fall der Verletzung dieser Vereinbarung war die Zahlung einer Konventionalstrafe vorgesehen.

Der Kläger, Erich P und Peter P errichteten am 23. März 1976 einen Gesellschaftsvertrag, mit welchem sie die beklagte Partei grundeten. Nachdem der Kläger wegen der darin zu erblickenden Verletzung der Konkurrenzklausel von der E-GesmbH geklagt worden war, verpflichtete er sich mit gerichtlichem Vergleich vom 13. Dezember 1978, einen Betrag von insgesamt 50 000 S zuzüglich eines Kostenbetrages von 19 000 S an seinen ehemaligen Arbeitgeber zu zahlen. Die beklagte Partei übernahm diese Verpflichtung des Klägers aus dem Vergleich und zahlte - einschließlich der dem Kläger erwachsenen Prozeßkosten - insgesamt einen Betrag von 98 328 S, den sie als Betriebsaufwand verbuchte.

Der Kläger begehrt mit der vorliegenden Klage von der beklagten Partei die Zahlung des ihm noch (unbestritten) zustehenden Entgeltbetrages von 104 948.72 S brutto samt Anhang, bestehend aus dem Monatsgehalt für November 1979 sowie aliquoten Sonderzahlungen und Urlaubsentschädigung.

Die beklagte Partei wendete eine - der Höhe nach außer Streit stehende - Gegenforderung von 98 328 S mit der Begründung ein, dieser für den Kläger seinerzeit gezahlte Betrag sollte nachträglich verrechnet werden; die beklagte Partei habe auf eine Rückforderung niemals verzichtet.

Der Kläger bestritt das Bestehen der Gegenforderung. In den der Gesellschaftsgrundung vorangegangenen Aussprachen habe er mit den Brüdern P ausdrücklich vereinbart, daß allfällige Ansprüche der E-GesmbH aus der Konkurrenzklausel von der zu grundenden Gesellschaft, der nunmehrigen beklagten Partei, unter Verzicht auf jegliche Rückforderung zu tragen seien.

Das Erstgericht erkannte die Klageforderung mit einem Betrag von 104 948.72 S samt Anhang als zu Recht und die Gegenforderung von 98 328 S als nicht zu Recht bestehend; es verurteilte demgemäß die beklagte Partei zur Zahlung eines Betrages von 104 948.72 S samt Anhang an den Kläger. Das Erstgericht stellte im wesentlichen fest, der Kläger sowie Erich und Peter P hätten vereinbart, daß die beklagte Partei allfällige Ansprüche der E-GesmbH, welche dieser gegen den Kläger aus der Konkurrenzklausel zustehen, zur Zahlung übernehmen werden und daß sie auf jeden diesbezüglichen Rückforderungsanspruch dem Kläger gegenüber verzichte. Die beklagte Partei habe unter diesem Titel 98 328 S gezahlt, ohne den Kläger vor dem gegenständlichen Prozeß zur Rückzahlung aufgefordert zu haben.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung, die hinsichtlich ihres Ausspruches über das Bestehen der Klageforderung sowie hinsichtlich eines Teilzuspruches von 6 620.72 S unbekämpft geblieben war, mit der Maßgabe, daß es die Einwendung der Gegenforderung abwies. Es führte das Verfahren im Sinne des § 25 Abs. 1 Z. 3 ArbGG in Ansehung der Beweisaufnahmen nicht neu durch, weil es die Auffassung vertrat, daß die Aufrechnungseinrede der beklagten Partei mangels Gleichartigkeit der beiderseitigen Forderungen der Parteien und der sich daraus ergebenden fehlenden Aufrechenbarkeit unzulässig sei. Das Berufungsgericht ging hiebei von der Zulässigkeit der Einklagung eines Bruttobetrages aus, meinte jedoch, gegen einen solchen Betrag könne mit einem Nettobetrag nicht aufgerechnet werden. Eine Aufrechnung könne nämlich nicht gegen jenen Teil der Klageforderung erfolgen, der von der Verpflichtung des Arbeitgebers zur Einbehaltung und Abführung an das Finanzamt und den Sozialversicherungsträger umfaßt sei. Die Höhe des Nettoanteils der Klageforderung stehe jedoch, obwohl das Berufungsgericht diese Frage mit den Parteien erörtert habe, nicht fest. In jenen Fällen, in denen die Gegenforderung die Höhe der Bruttoklageforderung erreiche oder sie übersteige, hätte die Rechtskraftwirkung der dreigliedrigen Entscheidung zur Folge, daß die beklagte Partei ungeachtet der Klageabweisung auf Grund ihrer Einbehaltungs- und Abführungspflicht die betreffenden Abzüge vorzunehmen hätte. In diesem Umfang sei jedoch die Gegenforderung nicht befriedigt worden; die beklagte Partei könnte diesen unbefriedigten Teil im Hinblick auf die eingetretene Rechtskraftwirkung nicht mehr klageweise geltend machen.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Beklagten Folge; er hob die angefochtene Entscheidung auf und verwies die Rechtssache zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht zurück.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Wie bereits wiederholt zum Ausdruck gebracht wurde und auch das Berufungsgericht richtig erkannt hat, ist der Arbeitnehmer berechtigt, ein Bruttoentgelt einzuklagen (Arb. 7580, 7519, jeweils mit weiteren Nachweisen). Im Falle des Zuspruches eines Bruttobetrages wird die von der Rechtskraftwirkung des Urteils nicht berührte Einbehaltungs- und Abführungspflicht des Arbeitgebers erst bei Zahlung des geschuldeten Betrages existent, ohne daß die Klageforderung oder der Urteilsbetrag deshalb unbestimmt wäre. Daraus folgt auch, daß die beklagte Partei zur Zahlung eines bestimmten Bruttobetrages abzüglich eines bestimmten Nettobetrages (oder umgekehrt) verurteilt werden kann (4 Ob 151/77).

Die in §§ 1438, 1440 ABGB als eine der Voraussetzungen der Aufrechenbarkeit normierte Gleichartigkeit der aufzurechnenden Forderung bedeutet, daß diese Forderung von gleicher Gattung und gleicher Güte sein muß. Der Gegenstand der Aufrechnung muß so beschaffen sein, daß damit die Forderung des Gläubigers befriedigt werden kann. Gleichartig sind vor allem Geldschulden (Gschnitzer in Klang[2] VI, 506; Koziol - Welser, Grundriß[5] I, 233).

Diese Voraussetzungen der Gleichartigkeit treffen auf Forderungen, die auf Brutto- bzw. Nettobeträge lauten, zu. Beides sind Geldforderungen und unterscheiden sich daher ihrer Art nach nicht. Der Arbeitgeber muß allerdings von dem Bruttobetrag, den er dem Arbeitnehmer schuldet, vor der Auszahlung die von ihm für den Arbeitnehmer abzuführenden Lohnsteuer- und Sozialversicherungsbeträge abziehen und einbehalten, während beim Nettobetrag eine solche Einbehaltungs- und Abführungspflicht nicht (mehr) besteht. Lautet eine Forderung auf einen Bruttobetrag, so ist davon auszugehen, daß der Arbeitnehmer gemäß § 82 Abs. 1 EStG 1972 hinsichtlich des Lohnsteuerabzuges Steuerschuldner ist und der Arbeitgeber dem Bund für die Einbehaltung und Abfuhr der vom Arbeitnehmer geschuldeten Lohnsteuer haftet. Der Arbeitnehmer kann von den Abgabenbehörden, abgesehen von den Ausnahmsfällen des § 82 Abs. 2 EStG, auf Zahlung der Lohnsteuer grundsätzlich nicht in Anspruch genommen werden. Arbeitnehmer und Arbeitgeber haften für die Steuerverbindlichkeit des Arbeitnehmers gemeinsam als Gesamtschuldner im Sinne des § 891 ABGB (§ 6 Abs. 1, § 7 Abs. 1 BAO), so daß der Arbeitgeber mit der Abfuhr der vom Arbeitnehmer einbehaltenen Lohnsteuer eine fremde Schuld im Sinne des § 1358 ABGB zahlt, für die er persönlich haftet (Arb. 9884 und die dort zitierte Judikatur).

Hingegen schuldet die auf den Versicherten und den Arbeitgeber entfallenden Sozialversicherungsbeiträge gemäß § 58 Abs. 2 ASVG der Arbeitgeber, der diese Beiträge ebenfalls zur Gänze einzuzahlen hat.

Somit kann der Arbeitnehmer in beiden Fällen von der Abgabenbehörde bzw. vom Sozialversicherungsträger grundsätzlich zur Zahlung nicht unmittelbar in Anspruch genommen werden; der Arbeitnehmer hat dementsprechend auch keinen Anspruch gegenüber dem Arbeitgeber auf Auszahlung dieser Beträge an ihn. Hinsichtlich dieser Beträge, die vom Arbeitgeber abzuführen sind, so daß diesem eine andere Verfügung darüber, insbesondere auch jede Verwendung zu einer Tilgung einer anderen Schuld des Arbeitnehmers gesetzlich untersagt ist, besteht daher auch keine Kompensationsmöglichkeit. Die Aufrechnung reicht daher nur bis zur Höhe des Nettobetrages. Daraus folgt, daß auch eine Rechtskraftwirkung über die Gegenforderung nur bis zur Höhe des Nettobetrages möglich ist. Der klageweisen Geltendmachung des nicht aufgerechneten Teiles der Gegenforderung steht daher eine Rechtskraftwirkung nicht entgegen. Die Höhe der Abzüge und damit des Nettobetrages in diesem Fall ist genauso feststellbar wie im Falle des Zuspruches eines Bruttobetrages der tatsächlich auszuzahlende (Netto-)Betrag.

Bei der Formulierung des Entscheidungstenors ist zu unterscheiden, ob die gegen eine Bruttoforderung aufzurechnende Gegenforderung in ihrem als zu Recht bestehend erkannten Umfang mindestens gleich hoch wie die Bruttoforderung oder ob sie niedriger ist. Im erstgenannten Fall ist nach Feststellung des Zurechtbestehens der (Brutto-)Klageforderung (Punkt 1 des Spruches) und des Zurechtbestehens der Gegenforderung bis zur Höhe dieser Klageforderung (Punkt 2 des Spruches) das Klagebegehren abzuweisen (Punkt 3), weil unabhängig von der Höhe der vom Arbeitgeber einzubehaltenden und abzuführenden Beträge die Gegenforderung jedenfalls zumindest die Höhe der Klageforderung erreicht. Übersteigt die Höhe der Gegenforderung die Klageforderung (netto), dann kann der Beklagte die Differenz zwischen dem sich nach Abzug der abzuführenden Beträge ergebenden (Netto-)Klagebetrag und der Gegenforderung einklagen, weil der über die Höhe des Nettobetrages hinausgehende Teil der Gegenforderung mangels Aufrechnungsmöglichkeit von der Rechtskraft der Entscheidung aus den dargelegten Gründen nicht erfaßt wird.

Wenn dagegen die Gegenforderung niedriger ist als die (Brutto-

)Klageforderung, hat der erste Teil des dreigliedrigen

Urteilsspruches zu lauten, daß die Klageforderung "mit S ......

brutto zu Recht besteht". Im zweiten Teil des Spruches ist

festzustellen, daß die Gegenforderung mit S ......, "höchstens

jedoch bis zur Höhe des sich nach Einbehaltung der gesetzlichen

Abzüge aus der unter 1. festgestellten Klageforderung ergebenden

Nettobetrages, zu Recht besteht". Im dritten Teil des Spruches ist

die beklagte Partei schuldig zu erkennen, an die klagende Partei

einen Betrag von S ...... brutto "abzüglich der sich aus Punkt 2 als

zu Recht bestehend ergebenden Gegenforderung zu zahlen".

Da das Berufungsgericht im Hinblick auf seine vom Obersten Gerichtshof nicht geteilte Auffassung über die Aufrechenbarkeit von Klageforderung und Gegenforderung weder Beweise aufgenommen noch Feststellungen über die Berechtigung der Gegenforderung getroffen hat, ist die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Zurückverweisung der Rechtssache an das Berufungsgericht zur Verfahrensergänzung (Neudurchführung der Verhandlung im Sinne des § 25 Abs. 1 Z. 3 ArbGG) und Fällung einer neuen Entscheidung notwendig. Da im vorliegenden Fall die Bruttoklageforderung und die eingewendete Gegenforderung gleich hoch sind, wäre das Klagebegehren, falls die Gegenforderung in voller Höhe als zu Recht bestehend erkannt werden sollte, abzuweisen. Das Berufungsgericht wird aber gegebenenfalls die bisher nicht erörterte Frage eines Aufrechnungsverbotes im Sinne des § 293 Abs. 3 EO zu beachten haben.

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